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Die Wochentage

Die Wochentage wollten auch einmal sich freimachen, zusammenkommen und ein Festmahl abhalten. Jeder Tag war übrigens so in Anspruch genommen, dass sie, während des ganzen Jahres, nicht freie Zeit hatten, um darüber zu verfügen; sie mussten einen besonderen ganzen Tag haben, aber den hatten sie doch auch jedes vierte Jahr: den Schalttag, der wurde in den Februar belegt, um Ordnung in die Zeitrechnung zu bringen.

Auf den Schalttag wollten sie also zusammenkommen zum Festmahl, und da der Februar der Fastnachtsmonat ist, wollten sie karnevalsmässig angekleidet kommen nach eines jeden Empfindung und Bestimmung; gut essen, gut trinken, Reden halten und einander Annehmlichkeiten sagen und Unannehmlichkeiten in ungenierter Kameradschaft. Die Helden der alten Zeit warfen einander bei den Mahlzeiten die abgenagten Fleischknochen an den Kopf, die Wochentage wollten einander überhäufen mit Leckereien von albernen Späßen und schelmischen Witzen, wie sie zu den unschuldigen Fastnachtsscherzen gehören mögen.

Dann war es Schalttag, und dann kamen sie zusammen.

Der Sonntag, der Vormann der Wochentage, trat auf in schwarzem Seidenmantel, fromme Menschen würden glauben, dass er einen Talar trug, um in die Kirche zu gehen; die Weltkinder sahen, dass er im Domino war, um auf ein Vergnügen zu gehen und dass die flammende Nelke, die er im Knopfloch trug, des Theaters kleine rote Laterne war, die sagte: „Alles ist ausverkauft, seht nun zu, dass ihr euch amüsiert!“

Der Montag, ein junger Mensch, dem Sonntag nah verwandt und besonders dem Vergnügen hingegeben, folgte nach. Er verlasse die Werkstatt, sagte er, wenn die Wachtparade aufzieht. „Ich muss hinaus, um Offenbachs Musik zu hören; sie geht mir nicht zu Kopf und nicht zu Herzen, sie kitzelt mich in den Beinmuskeln, ich muss tanzen, ein Gelage haben, ein blaues Auge kriegen, um darauf zu schlafen, und dann packe ich am nächsten Tag die Arbeit an. Ich bin das Neue in der Woche!“

Dienstag, das ist Tyrs Tag, der Tag der Kraft. – „Ja, das bin ich!“ sagte der Dienstag. Ich packe die Arbeit an, spanne Merkurs Flügel an des Kaufmanns Schuhe, sehe in die Fabriken, ob die Räder geschmiert sind und sich drehen, sorge dafür, dass der Schneider auf der Bank und der Pflasterer auf den Pflastersteinen hockt; jeder achte auf sein Gewerbe: Ich halte mein Auge auf das Ganze, deshalb trage ich Polizeiuniform und nenne mich Polizistentag. Ist das ein schlechter Kalauer, so versucht ihr anderen, einen besseren zu machen!“

„Da komme ich!“ sagte der Mittwoch. „Ich stehe mitten in der Woche, darum nennen mich die Deutschen so. Ich stehe wie der Kommis hinter dem Ladentisch, als Blume zwischen den andern geehrten Wochentagen! Marschieren wir alle auf, dann habe ich drei Tage vor, drei Tage hinter mir, das ist wie eine Ehrenwache, ich darf glauben, dass ich der ansehnlichste Tag bin!“

Der Donnerstag stellte sich ein, gekleidet als Kupferschmied mit Hammer und Kupferkessel, das war sein Adelsattribut. „Ich bin von höchster Geburt“, sagte er, „heidnisch, göttlich! In Nordens Landen werde ich nach Thor genannt, in denen des Südens nach Jupiter, die beide verstanden zu donnern und zu blitzen, das ist in der Familie geblieben.“

Und dann schlug er auf den Kupferkessen und bewies seine hohe Geburt.

Freitag war gekleidet wie ein junges Mädchen und nannte sich Freya, auch zur Abwechslung Venus, das kam auf den Sprachgebrauch im Lande an, wo sie auftrat. Sie sei übrigens von stillem, ernsten Charakter, sagte sie, aber heute flott und frei; es war ja Schalttag, und der gibt der Frau Freiheit, da darf sie nach altem Brauch selber freien und muss sich nicht freien lassen.

Sonnabend trat auf als alte Haushälterin mit Besen und Sauberkeitsattributen. Ihr Leibgericht war Bierbrotsuppe, doch verlangte sie nicht, dass diese bei dieser festlichen Gelegenheit für alle mit aufgetischt werden sollte, sondern nur, dass sie bekommen könne – und sie bekam sie.

Der Schweinhirt

Es war einmal ein armer Prinz; er hatte nur ein ganz kleines Königreich; aber es war immer groß genug, um sich darauf zu verheiraten, und verheiraten wollte er sich.

Nun war es freilich etwas keck von ihm, dass er zur Tochter des Kaisers zu sagen wagte: „Willst du mich haben?“ Aber er wagte es doch, denn sein Name war weit und breit berühmt; es gab hundert Prinzessinnen, die gerne ja gesagt hätten; aber ob sie es tat? Nun, wir wollen hören.

Auf dem Grabe des Vaters des Prinzen wuchs ein Rosenstrauch, ein herrlicher Rosenstrauch; der blühte nur jedes fünfte Jahr und trug dann auch nur die einzige Blume; aber das war eine Rose, die duftete so süß, dass man alle seine Sorgen und seinen Kummer vergaß, wenn man daran roch. Der Prinz hatte auch eine Nachtigall, die konnte singen, als ob alle schönen Melodien in ihrer Kehle säßen. Diese Rose und die Nachtigall sollte die Prinzessin haben, und deshalb wurden sie beide in große silberne Behälter gesetzt und ihr zugesandt.

Der Kaiser ließ sie vor sich her in den großen Saal tragen, wo die Prinzessin war und mit ihren Hofdamen „Es kommt Besuch“ spielte. Als sie die großen Behälter mit den Geschenken erblickte, klatschte sie vor Freude in die Hände. „Wenn es doch eine kleine Miezekatze wäre!“ sagte sie, aber da kam der Rosenstrauch mit der herrlichen Rose hervor.

„Wie niedlich sie gemacht ist!“ sagten alle Hofdamen.

„Sie ist mehr als niedlich“, sagte der Kaiser, „sie ist schön!“

Aber die Prinzessin befühlte sie, und da war sie nahe daran, zu weinen.

„Pfui, Papa!“ sagte sie, „sie ist nicht künstlich, sie ist natürlich!“

„Pfui,“ sagten alle Hofdamen, „sie ist natürlich!“

„Lasst uns nun erst sehen, was in dem andern Behälter ist, ehe wir böse werden!“ meinte der Kaiser, und da kam die Nachtigall heraus, die so schön sang, dass man nicht gleich etwas Böses gegen sie vorbringen konnte.

„Superbe! Charmant!“ sagten die Hofdamen; denn sie plauderten alle französisch, eine immer ärger als die andere.

„Wie der Vogel mich an die Spieldose der seligen Kaiserin erinnert!“ sagte ein alter Kavalier; „ach ja, das ist derselbe Ton, derselbe Vortrag!“

„Ja!“ sagte der Kaiser, und dann weinte er wie ein kleines Kind.

„Es wird doch hoffentlich kein natürlicher sein?“ sagte die Prinzessin.

„Ja, es ist ein natürlicher Vogel!“ sagten die Boten, die ihn gebracht hatten.

„So Lasst den Vogel fliegen“, sagte die Prinzessin, und sie wollte nicht gestatten, dass der Prinz käme.

Aber dieser ließ sich nicht einschüchtern. Er bemalte sich das Antlitz mit Braun und Schwarz, drückte die Mütze tief über den Kopf und klopfte an.

„Guten Tag, Kaiser!“ sagte er. „Könnte ich nicht hier auf dem Schlosse einen Dienst bekommen?“

„Jawohl!“ sagte der Kaiser. „Ich brauche jemand, der die Schweine hüten kann, denn deren haben wir viele.“

So wurde der Prinz angestellt als kaiserlicher Schweinehirt. Er bekam eine jämmerlich kleine Kammer unten bei den Schweinen, und da musste er bleiben; aber den ganzen Tag saß er und arbeitete, und als es Abend war, hatte er einen niedlichen, kleinen Topf gemacht. Rings um ihn waren Schellen, und sobald der Topf kochte, klingelten sie und spielten die schöne Melodie:

„Ach, du lieber Augustin, Alles ist hin, hin, hin!“

Aber das Allerkünstlichste war, dass, wenn man den Finger in den Dampf des Topfes hielt, man sogleich riechen konnte, welche Speisen auf jedem Feuerherd in der Stadt zubereitet wurden. Das war wahrlich etwas ganz anderes als die Rose!

Nun kam die Prinzessin mit allen ihren Hofdamen daherspaziert, und als sie die Melodie hörte, blieb sie stehen und sah ganz erfreut aus, denn sie konnte auch „Ach, du lieber Augustin“ spielen. Das war das einzige, was sie konnte, aber das spielte sie mit einem Finger.

„Das ist ja das, was ich kann!“ sagte sie. „Dann muss es ein gebildeter Schweinehirt sein! Höre, gehe hinunter und frage ihn, was das Instrument kostet!“

Da musste eine der Hofdamen hineingehen. Aber sie zog Holzpantoffeln an.

„Was willst du für den Topf haben?“ fragte die Hofdame.

„Zehn Küsse von der Prinzessin!“ sagte der Schweinehirt.

„Gott bewahre uns!“ sagte die Hofdame.

„Ja, anders tue ich es nicht!“ antwortete der Schweinehirt.

„Er ist unartig!“ sagte die Prinzessin, und dann ging sie; aber als sie ein kleines Stück gegangen war, erklangen die Schellen so lieblich: „Ach, du lieber Augustin, Alles ist hin, hin, hin!“

„Höre“, sagte die Prinzessin, „frage ihn, ob er zehn Küsse von meinen Hofdamen will!“

„Ich danke schön“, sagte der Schweinehirt; „zehn Küsse von der Prinzessin, oder ich behalte meinen Topf.“

„Was ist das doch für eine langweilige Geschichte!“ sagte die Prinzessin. „Aber dann müsst ihr vor mir stehen, damit es niemand sieht!“

Die Hofdamen stellten sich davor und breiteten ihre Kleider aus, und da bekam der Schweinehirt zehn Küsse, und sie erhielt den Topf.

Nun, das war eine Freude! Den ganzen Abend und den ganzen Tag musste der Topf kochen; es gab nicht einen Feuerherd in der ganzen Stadt, von dem sie nicht wussten, was darauf gekocht wurde, sowohl beim Kammerherrn wie beim Schuhflicker. Die Hofdamen tanzten und klatschten in die Hände.

„Wir wissen, wer süße Suppe und Eierkuchen essen wird, wir wissen, wer Grütze und Braten bekommt! Wie schön ist doch das!“

„Ja, aber haltet reinen Mund, denn ich bin des Kaisers Tochter!“

„Jawohl, jawohl!“ sagten alle.

Der Schweinehirt, das heißt der Prinz – aber sie wussten es ja nicht anders, als dass er ein wirklicher Schweinehirt sei -, ließ die Tage nicht verstreichen, ohne etwas zu tun, und da machte er eine Knarre. Wenn man diese herumschwang, erklangen alle die Walzer und Hopser, die man von Erschaffung der Welt an kannte.

„Ach, das ist superbe“, sagte die Prinzessin, indem sie vorbeiging. „Ich habe nie eine schönere Musik gehört! Höre, gehe hinein und frage ihn, was das Instrument kostet, aber ich küsse nicht wieder!“

„Er will hundert Küsse von der Prinzessin haben!“ sagte die Hofdame, die hineingegangen war, um zu fragen.

„Ich glaube, er ist verrückt!“ sagte die Prinzessin, und dann ging sie; aber als sie ein kleines Stück gegangen war, blieb sie stehen. „Man muss die Kunst aufmuntern“, sagte sie; „ich bin des Kaisers Tochter! Sage ihm, er soll wie neulich zehn Küsse haben; den Rest kann er von meinen Hofdamen nehmen!“

„Ach, aber wir tun es ungern!“ sagten die Hofdamen.

„Das ist Geschwätz“, sagte die Prinzessin, wenn ich ihn küssen kann, dann könnt ihr es auch; bedenkt, ich gebe euch Kost und Lohn!“ Da mussten die Hofdamen wieder zu ihm hineingehen.

„Hundert Küsse von der Prinzessin“, sagte er, „oder jeder behält das Seine!“

„Stellt euch davor!“ sagte sie dann, und da stellten sich alle Hofdamen davor, und nun küsste er.

„Was mag das wohl für ein Auflauf beim Schweinestall sein?“ fragte der Kaiser, der auf den Balkon hinausgetreten war. Er rieb sich die Augen und setzte die Brille auf. „Das sind ja die Hofdamen, die da ihr Wesen treiben; ich werde wohl zu ihnen hinuntergehen müssen!“

Potztausend, wie er sich sputete!

Sobald er in den Hof hinunterkam, ging er ganz leise, und die Hofdamen hatten so viel damit zu tun, die Küsse zu zählen, damit es ehrlich zugehen möge, dass sie den Kaiser gar nicht bemerkten. Er erhob sich hoch auf den Zehen.

„Was ist das?“ sagte er, als er sah, dass sie sich küssten; und dann schlug er seine Tochter mit einem Pantoffel auf den Kopf, gerade als der Schweinehirt den sechsundachtzigsten Kuss erhielt.

„Fort mit euch!“ sagte der Kaiser, denn er war böse, und sowohl die Prinzessin wie der Schweinehirt mussten sein Kaiserreich verlassen.

Da stand sie nun und weinte, der Schweinehirt schalt, und der Regen strömte hernieder.

„Ach, ich elendes Geschöpf“, sagte die Prinzessin, „hätte ich doch den schönen Prinzen genommen! Ach, wie unglücklich bin ich!“

Der Schweinehirt aber ging hinter einen Baum, wischte sich das Schwarze und Braune aus seinem Antlitz, warf die schlechten Kleider von sich und trat nun in seiner Prinzentracht hervor, so schön, dass die Prinzessin sich verneigen musste.

„Ich bin dahin gekommen, dich zu verachten!“ sagte er. „Du wolltest keinen ehrlichen Prinzen haben! Du verstandest dich nicht auf die Rose und die Nachtigall, aber den Schweinehirten konntest du für eine Spielerei küssen. Das hast du nun dafür!“

Und dann ging er in sein Königreich hinein; da konnte sie draußen ihr Lied singen:

„Ach, du lieber Augustin, Alles ist hin, hin, hin!“

Die Nachtigall

Die Nachtigall

In China, weißt du Wohl, ist der Kaiser ein Chinese, und alle, die er um sich hat, sind Chinesen. Es ist nun viele Jahre her, aber gerade deshalb ist es wert, die Geschichte zu hören, ehe sie vergessen wird! Des Kaisers Schloss war das prächtigste der Welt: ganz und gar von feinem Porzellan, so kostbar, aber so spröde, so misslich, daran zu rühren, dass man sich ordentlich in acht nehmen musste. Im Garten sah man die wunderlichsten Blumen, und an die allerprächtigsten waren Silberglocken gebunden, welche erklangen, damit man nicht vorbeigehen möchte, ohne die Blumen zu bemerken. Ja, alles war in des Kaisers Garten so aus spekuliert. Und er erstreckte sich so weit, dass der Gärtner selbst das Ende des selben nicht kannte. Ging man immer weiter, so kam man in den herrlichsten Wald mit hohen Bäumen und tiefen Seen. Der Wald ging gerade hinunter bis zum Meer, welches blau und tief war; große Schiffe konnten bis unter die Zweige hinsegeln, und in diesen wohnte eine Nachtigall, die so herrlich sang, dass selbst der arme Fischer, der soviel anderes zu tun hatte, stillhielt und horchte, wenn er des Nachts ausgefahren war, um das Fischnetz aufzuziehen, und dann die Nachtigall hörte. „Ach Gott, wie ist das schön!“ sagte er; aber dann musste er auf seine Sachen Acht geben und vergaß den Vogel. Doch wenn dieser in der nächsten Nacht wieder sang und der Fischer dorthin kam, sagte er dasselbe: „Ach Gott, wie ist das doch schön!“

Aus allen Ländern der Welt kamen Reisende nach der Stadt des Kaisers und bewunderten diese, das Schloss und den Garten. Doch wenn sie die Nachtigall zu hören bekamen, sagten sie alle: „Das ist doch das Beste!“

Und die Reisenden erzählten davon, wenn sie nach Hause kamen; und die Gelehrten schrieben viele Bücher über die Stadt, das Schloss und den Garten. Aber auch die Nachtigall vergaßen sie nicht; die wurde recht hervorgehoben, und die, welche dichten konnten, schrieben die herrlichsten Gedichte über die Nachtigall im Walde bei dem tiefen See.

Die Bücher durchliefen die Welt, und einige kamen dann auch einmal zum Kaiser. Er saß in seinem goldenen Stuhle und las und las; jeden Augenblick nickte er mit dem Kopfe, denn es freute ihn, die prächtigen Beschreibungen der Stadt, des Schlosses und des Gartens zu vernehmen. „Aber die Nachtigall ist doch das Allerbeste!“ stand da geschrieben.

„Was ist das?“ sagte der Kaiser. „Die Nachtigall kenne ich ja gar nicht! Ist ein solcher Vogel hier in meinem Kaiserreiche und sogar in meinem Garten? Das habe ich nie gehört! So etwas soll man erst aus Büchern erfahren?“

Und dann rief er seinen Kavalier: Der war so vornehm, dass, wenn jemand, der geringer als er war, mit ihm zu sprechen oder ihn um etwas zu fragen wagte, er weiter nichts erwiderte als: „P!“ und das hat nichts zu bedeuten.

„Hier soll ja ein höchst merkwürdiger Vogel sein, welcher Nachtigall genannt wird!“ sagte der Kaiser. „Man sagt, dies sei das Allerbeste in meinem großen Reiche. Weshalb hat man mir nie etwas davon gesagt?“

„Ich habe ihn früher nie nennen hören!“ sagte der Kavalier. „Er ist nie bei Hofe vorgestellt worden!“

„Ich will, dass er heute abend herkommen und vor mir singen soll!“ sagte der Kaiser. „Die ganze Welt weiß, was ich habe, und ich weiß es nicht!“

„Ich habe ihn früher nie nennen hören!“ sagte der Kavalier. „Ich werde ihn suchen, ich werde ihn finden!“

Aber wo wir Jer zu finden? Der Kavalier lief alIe Treppen auf und nieder, durch Säle und Gänge, aber keiner von allen denen, auf die er traf, hatte von der Nachtigall sprechen hören. Und der Kavalier lief wieder zum Kaiser und sagte, dass es sicher eine Fabel von denen sein müsste, die da Bücher schrieben. „Der kaiserliche Majestät können gar nicht glauben, was alles geschrieben wird! Das sind Erdichtungen und etwas, was man die schwarze Kunst nennt.“

„Aber das Buch, in dem ich dieses gelesen habe“, sagte der Kaiser, „ist mir von dem großmächtigen Kaiser von Japan gesandt, und es kann also keine Unwahrheit sein. Ich will die Nachtigall hören! Sie muss heute abend hier sein! Sie hat meine höchste Gnade! Und kommt sie nicht, so soll der ganze Hof auf den Leib getrampelt werden, wenn er Abendbrot gegessen hat!“

„Tsing-pe!“ sagte der Kavalier und lief wieder alle Treppen auf und nieder, durch alle Säle und Gänge; und der halbe Hof lief mit, denn sie wollten nicht gern auf den Leib getrampelt werden. Da gab es ein Fragen nach der merkwürden Nachtigall, welche die ganze Welt kannte, nur niemand bei Hofe.

Endlich trafen sie ein kleines, armes Mädchen in der Küche. Die sagte: „0 Gott, die Nachtigall, die kenne ich gut; wie kann die singen! Jeden Abend habe ich Erlaubnis, meiner armen, kranken Mutter Überbleibsel vom Tische mit nach Hause zu bringen; sie wohnt unten am Strande, und wenn ich zurückgehe, müde bin und im Walde ausruhe, dann höre ich die Nachtigall singen! Es kommt mir dabei das Wasser in die Augen, und es ist, als ob meine Mutter mich küßte!“

„Kleine Köchin“, sagte der Kavalier, „ich werde dir eine feste Anstellung in der Küche und die Erlaubnis, den Kaiser speisen zu sehen, verschaffen, wenn du uns zur Nachtigall führen kannst, denn sie ist heute abend angesagt!“

Und so zogen sie alle hinaus in den Wald, wo die Nachtigall zu singen pflegte; der halbe Hof war mit. Als sie im besten Zuge waren, fing eine Kuh zu ,brüllen an. „Oh!“ sagten die Hofjunker, „nun haben wir sie! Das ist doch eine merkwürdige Kraft in einem so kleinen Tiere! Die habe ich sicher schon früher gehört! „

„Nein, das sind Kühe, welche brüllen!“ sagte die kleine Köchin. „Wir sind noch weit von dem Orte entfernt!“

Nun quakten die Frösche im Sumpfe.

„Herrlich!“ sagte der chinesische Hofprediger. „Nun höre ich sie; es klingt gerade wie kleine Kirchenglocken.“

„Nein, das sind Frösche!“ sagte die kleine Köchin. „Aber nun, denke ich, werden wir sie bald hören!“

Da begann die Nachtigall zu singen.

„Das ist sie!“ sagte das kleine Mädchen. „Hört! hört! Und da sitzt sie!“ Und sie zeigte nach einem kleinen, grauen Vogel oben in den Zweigen.

„Ist es möglich!“ sagte der Kavalier. „So hätte ich sie mir nimmer gedacht! Wie sie simpel aussieht! Sie hat sicher ihre Farbe darüber verloren, dass sie so viele vornehme Menschen um sich erblickt!“

„Kleine Nachtigall!“ rief die kleine Köchin ganz laut; „unser gnädigster Kaiser wünscht, dass Sie vor ihm singen möchten!“

„Mit dem größten Vergnügen!“ sagte die Nachtigall und sang dann, dass es eine Lust war.

„Es klingt gerade wie Glasglocken!“ sagte der Kavalier. „Und seht die kleine Kehle, wie sie arbeitet! Es ist merkwürdig, dass wir sie früher nie gehört haben! Sie wird großes Aufsehen bei Hofe machen!“

„Soll ich noch einmal vor dem Kaiser singen?“ fragte die Nachtigall, welche glaubte, der Kaiser sei auch da.

„Meine vortreffliche, kleine Nachtigall!“ sagte der Kavalier, „ich habe die große Freude, Sie zu einem Hoffeste heute abend einzuladen, wo Sie Der hohe kaiserliche Gnaden mit Ihrem charmanten Gesang bezaubern werden!“

„Der nimmt sich am besten im Grünen aus!“ sagte die Nachtigall; aber sie kam doch gern mit, als sie hörte, dass es der Kaiser wünschte.

Auf dem Schlosse war alles ordentlich geschmückt. Die Wände und der Fußboden, welche von Porzellan waren, glänzten im Strahle vieler Tausend Goldlampen; die prächtigsten Blumen, welche recht klingeln konnten, waren in den Gängen aufgestellt. Das war ein Laufen und ein Zugwind, und alle Glocken klingelten so, dass man sein eigenes Wort nicht hören konnte.

Mitten in dem großen Saal, wo der Kaiser saß, war ein goldener Stecken hingestellt, und auf dein sollte die Nachtigall sitzen. Der ganze Hof war da, und die kleine Köchin hatte die Erlaubnis erhalten, hinter der Tür zu stehen, da sie nun den Titel einer wirklichen Hofköchin bekommen hatte. Alle waren in ihrem größten Putz, und alle sahen nach dem kleinen, grauen Vogel, dem der Kaiser zunickte.

Und die Nachtigall sang so herrlich, dass dem Kaiser die Tränen in die Augen traten. Die Tränen liefen ihm über die Wangen hernieder, und da sang die Nachtigall noch schöner: Das ging recht zu Herzen. Und der Kaiser war so froh, und er sagte, dass die Nachtigall seinen goldenen Pantoffel haben solle, um ihn um den HaIs zu tragen. Aber die Nachtigall dankte: Sie habe schon Belohnung genug erhalten.

„Ich habe Tränen in des Kaisers Augen gesehen, das ist mir der reichste Schatz! Eines Kaisers Tränen haben eine besondere Kraft! Gott weiß es, ich bin genug belohnt!“ Und darauf sang sie wieder mit ihrer süßen herrlichen Stimme.

„Das ist die liebenswürdigste Schmeichelei, die ich kenne!“ sagten die Damen ringsumher, und dann nahmen sie Wasser in den Mund, um zu klucksen, wenn jemand mit ihnen spräche. Sie glaubten, dann auch Nachtigallen zu sein. Ja, die Lakaien und Kammermädchen ließen melden, dass auch sie zufrieden seien; und das will viel sagen, denn die sind am schwersten zu befriedigen. Kurz, die Nachtigall brachte wirklich Glück.

Sie sollte nun bei Hofe bleiben, ihren eigenen Käfig samt der Freiheit haben, zweimal des Tages und einmal des Nachts herauszuspazieren. Sie bekam dann zwölf Diener mit, welche ihr alle ein Seidenband um das Bein geschlungen hatten, an dem sie sie recht festhielten. Es war durchaus kein Vergnügen bei einem solchen Ausflug.

Die ganze Stadt sprach von dem merkwürdigen Vogel, und begegneten sich zwei, so sagte der eine nichts anderes als „Nacht“ – und der andere sagte: „gall“. Und dann seufzten sie und verstanden einander. Ja, elf Hökerkinder wurden nach ihr benannt; aber nicht eines von ihnen hatte einen Ton in der Kehle.

Eines Tages erhielt der Kaiser ein großes Paket, auf dem geschrieben stand: „L Nachtigall. „

„Da haben wir nun ein neues Buch über unsern berühmten Vogel!“ sagte der Kaiser. Aber es war kein Buch, sondern ein kleines Kunstwerk, welches in der Schachtel lag: eine künstliche Nachtigall, die der lebenden gleichen sollte, alle überall mit Diamanten, Rubinen und Saphiren besetzt war. Sobald man Kunstvogel aufzog, konnte er eines der Stücke, die der wirkliche sang, singe und dann bewegte sich der Schweif auf und nieder und glänzte von Silber und Gold. Um den Hals ging ein kleines Band, und darauf stand geschrieben: „1) Kaisers von Japan Nachtigall ist arm gegen die des Kaisers von China.“

„Das ist herrlich!“ sagten sie alle; und der, welcher den künstlichen Vogel gebracht hatte, erhielt sogar den Titel: Kaiserlicher Obernachtigallbringer.

„Nun müssen sie zusammen singen: was wird das für ein Duett werden!“

Und so mussten sie zusammen singen; aber es wollte nicht recht gehen, denn die wirkliche Nachtigall sang auf ihre Weise, und der Kunstvogel ging auf Walzei „Der hat keine Schuld“, sagte der Spielmeister; „der ist besonders taktfest un ganz nach meiner Schule!“ Nun sollte der Kunstvogel allein singen. Er schenkt ebensoviel Glück wie der wirkliche, und dann war er ja soviel niedlich anzusehen: Er glänzte wie Armbänder und Busennadeln.

Dreiunddreißigmal sang er ein und dasselbe Stück und war noch nicht müde Die Leute hätten ihn gern wieder von vorn gehört, aber der Kaiser meinte dass nun auch die lebendige Nachtigall etwas singen solle. Aber wo war die? Niemand hatte bemerkt, dass sie aus dem offenen Fenster zu ihren grüne Wäldern fortgeflogen war.

„Aber was ist denn das?“ sagte der Kaiser. Und alle Hofleute schalten und meinten, dass die Nachtigall ein höchst undankbares Tier sei. „Den beste Vogel haben wir doch!“ sagten sie; und so musste denn der Kunstvogel wieder singen, und das war das vierunddreißigstemal, dass sie dasselbe Stück zu hören bekamen. Aber sie konnten es noch nicht ganz auswendig, denn es war schwer. Und der Spielmeister lobte den Vogel so außerordentlich; ja, er versichert, dass er besser als eine wirkliche Nachtigall sei, nicht nur was die Kleider und die vielen herrlichen Diamanten beträfe, sondern auch innerlich.

„Denn sehen Sie, meine Herrschaften, der Kaiser vor allen! bei der wirklichen Nachtigall kann man nie berechnen, was da kommen wird; aber bei dem Kunstvogel ist alles bestimmt! Man kann es erklären, man kann ihn aufmachen und

das menschliche Denken zeigen, wie die Walzen liegen, wie sie gehen und wie das eine aus dem andern folgt!“

„Das sind ganz unsere Gedanken!“ sagten sie alle, und der Spielmeister erhielt die Erlaubnis, am nächsten Sonntag den Vogel dem Volke vorzuzeigen. Es sollte ihn auch singen hören, befahl der Kaiser. Und es hörte ihn, und es wurde so vergnügt, als ob es sich am Tee berauscht hätte; und da sagten alle: „Oh!“ und hielten den Zeigefinger in die Höhe und nickten dazu. Aber die armen Fischer, welche die wirkliche Nachtigall gehört hatten, sagten „Es klingt hübsch genug; die Melodien gleichen sich auch, aber es fehlt etwas, ich weiß nicht, was!“

Die wirkliche Nachtigall ward aus dein Lande und Reiche verwiesen.

Der Kunstvogel hatte seinen Platz auf einem Seidenkissen dicht bei des Kaisers Bett; all die Geschenke, welche er erhalten, Gold und Edelsteine, lagen rings um ihn her, und im Titel war er zu einem „Hochkaiserlichen Nachttischsänger“ gestiegen, im Range bis Numero eins zur linken Seite. Denn der Kaiser rechnete die Seite für die vornehmste, auf der das Herz saß, und das Herz sitzt auch bei einem Kaiser links. Und der Spielmeister schrieb ein Werk von fünfundzwanzig Bänden über den Kunstvogel; das war so gelehrt und so lang, voll von den allerschwersten chinesischen Wörtern, dass alle Leute sagten, sie hätten es gelesen und verstanden, denn sonst wären sie ja dumm gewesen und wären auf den Leib getrampelt worden.

So ging es ein ganzes Jahr. Der Kaiser, der Hof und all die andern Chinesen konnten jeden kleinen Kluck in des Kunstvogels Gesang auswendig. Aber gerade deshalb gefiel er ihnen jetzt am allerbesten; sie konnten selbst mitsingen, und das taten sie. Die Straßenbuben sangen: „Zizizi! Kluckkluckkluck!“ und der Kaiser sang es ebenfalls. Ja, das war gewiss prächtig!

Aber eines Abends, als der Kunstvogel am besten sang und der Kaiser im Bett lag und darauf hörte, sagte es inwendig im Vogel „Schwupp“. Da sprang etwas! „Schnurrrr“, alle Räder liefen herum, und dann stand die Musik still.

Der Kaiser sprang gleich aus dem Bette und ließ seinen Leibärzt rufen; aber was konnte der helfen! Dann ließen sie den Uhrmacher holen, und nach vielem Sprechen und Nachsehen bekam er den Vogel etwas in Ordnung; aber er sagte, dass er sehr geschont werden müsse, denn die Zapfen seien abgenutzt, und es wäre unmöglich, neue so einzusetzen, dass die Musik sicher ginge. Das war nun eine große Trauer! Nur einmal im Jahr durfte man den Kunstvogel singen lassen, und das war fast schon zuviel. Aber dann hielt der Spielmeister eine kleine Rede mit schweren Worten und sagte, dass es ebenso gut sei wie früher; und dann war es ebenso gut wie früher.

Nun waren fünf Jahre vergangen, und das ganze Land bekam eine wirklich große Trauer. Die Chinesen hielten im Grunde alle zu ihrem Kaiser, und jetzt war er krank und konnte nicht mehr leben, sagte man. Schon war ein neuer Kaiser gewählt, und das Volk stand draußen auf der Straße und fragte den Kavalier, wie es ihrem alten Kaiser ginge.

„P!“ sagte er und schüttelte den Kopf.

Kalt und bleich lag der Kaiser in seinem großen, prächtigen Bette; der ganze Hof glaubte ihn tot, und ein jeder von ihnen lief hin, den neuen Kaiser zu begrüßen. Die Kammerdiener liefen hinaus, um darüber zu schwatzen, und die Kammermädchen hatten große Kaffeegesellschaft. Ringsumher in allen Sälen und Gängen war Tuch gelegt, damit man niemanden gehen hören könnte, und deshalb war es da so still, so still! Aber der Kaiser war noch nicht tot; steif und bleich lag er in dem prächtigen Bette mit den langen Samtgardinen und den schweren Goldquasten; hoch oben stand ein Fenster auf, und der Mond schien herein auf den Kaiser und den Kunstvogel.

Der arme Kaiser konnte kaum atmen; es war gerade, als ob etwas auf seiner Brust säße; er schlug die Augen auf, und da sah er, dass es der Tod war, der auf seiner Brust saß und sich seine goldene Krone aufgesetzt hatte und in der einen Hand des Kaisers goldenen Säbel, in der andern seine prächtige Fahne hielt. Und ringsumher aus den Falten der großen samtenen Bettgardinen sahen wunderliche Köpfe hervor: einige ganz hässlich, andere so lieblich und mild. Das waren alle des Kaisers böse und gute Taten, welche ihn anblickten, jetzt, da der Tod ihm auf dem Herzen saß.

„Entsinnst du dich dieses?“ flüsterte einer nach dem andern. „Erinnerst du dich dessen?“ Und dann erzählten sie ihm so viel, dass ihm der Schweiß von der Stirne rann.

„Das habe ·ich nie gewusst!“ sagte der Kaiser. „Musik! Musik! Die große chinesische Trommel!“ rief er, „damit ich nicht alles zu hören brauche, was sie sagen!“

Und sie fuhren fort, und der Tod nickte wie ein Chinese zu allem, was gesagt wurde.

„Musik! Musik!“ schrie der Kaiser. „Du kleiner, herrlicher Goldvogel! Singe

doch, singe! Ich habe dir ja Gold und Kostbarkeiten gegeben; ich habe dir selbst meinen goldenen Pantoffel um den Hals gehängt; singe doch, singe!“

Aber der Vogel stand still; es war niemand da, ihn aufzuziehen, und sonst sang er nicht. Aber der Tod fuhr fort, den Kaiser mit seinen großen leeren Augen höhlen anzustarren, und es war so still, so schrecklich still!

Da klang auf einmal vom Fenster her der herrlichste Gesang: es war die kleine, lebendige Nachtigall, welche auf einem Zweige draußen saß. Sie hatte von der Not ihres Kaisers gehört und war deshalb gekommen, ihm Trost und Hoffnung zu singen. Und wie sie sang, wurden die Gespenster immer bleicher und bleicher, das Blut kam immer rascher und rascher in des Kaisers schwachen Gliedern in Bewegung, und selbst der Tod horchte und sagte: „Fahre fort, kleine Nachtigall!“

– „Ja, willst du mir den prächtigen goldenen Säbel geben? Willst du mir die reiche Fahne geben? Willst du mir des Kaisers Krone geben?“

Und der Tod gab jedes Kleinod für einen Gesang; und die Nachtigall fuhr noch fort zu singen; und sie sang von dem stillen Gottesacker, wo die weißen Rosen wachsen, wo der Flieder duftet und wo das frische Gras von den Tränen der Überlebenden befeuchtet wird. Da bekam der Tod Sehnsucht nach seinem Garten und schwebte wie ein kalter, weißer Nebel aus‘ dem Fenster.

„Dank, Dank!“ sagte der Kaiser. „Du himmlischer, kleiner Vogel! Ich kenne dich wohl! Dich habe ich aus meinem Lande und Reiche gejagt! Und doch hast du die bösen Gesichter von meinem Bette weggesungen, den Tod von meinem Herzen weggeschafft! Wie kann ich dir lohnen?“

„Du hast mich belohnt!“ sagte die Nachtigall. „Ich habe deinen Augen Tränen entlockt, als ich das erstemal sang: Das vergesse ich nie! Das sind die Juwelen, die ein Sängerherz erfreuen! – Aber schlafe nun und werde frisch und stark! Ich werde dir vorsingen!“

Und sie sang – und der Kaiser fiel in einen süßen Schlummer. Ach, so mild und wohltuend war der Schlaf.

Die Sonne schien durch die Fenster zu ihm hinein, als er gestärkt und gesund erwachte. Keiner von seinen Dienern war noch zurückgekehrt, denn sie glaubten, er sei tot; aber die Nachtigall saß noch und sang.

„Immer musst du bei mir bleiben!“ sagte der Kaiser. „Du sollst nur singen, wenn du selbst willst, und den Kunstvogel schlage ich in tausend Stücke.“

„Tue das nicht!“ sagte die Nachtigall. „Der hat ja das Gute getan, solange er konnte! Behalte ihn wie bisher! Ich kann im Schlosse nicht mein Nest bauen

und wohnen; aber lass mich kommen, wenn ich selbst Lust habe: Da will ich des Abends auf dem Zweige dort beim Fenster sitzen und dir vorsingen, damit du froh werden kannst und gedankenvoll zugleich! Ich werde von den Glücklichen singen und von denen, die da leiden! Ich werde vom Bösen und vom Guten singen, was rings um dich her dir verborgen bleibt! Der kleine Singvogel fliegt weit umher zu dem armen Fischer, zu des Landmanns Dach, zu jedem, der weit von dir und deinem Hofe entfernt ist! Ich liebe dein Herz mehr als deine Krone, und doch hat die Krone einen Duft von etwas Heiligem an sich! – Ich komme, ich singe dir vor! – Aber eins musst du mir versprechen!“

„Alles!“ sagte der Kaiser und stand da in seiner kaiserlichen Tracht, die er selbst angelegt hatte, und drückte den Säbel, welcher schwer von Gold war, an sein Herz.

„Um eines bitte ich dich! Erzähle niemandem, dass du einen kleinen Vogel hast, der dir alles sagt: Dann wird es noch besser gehen!“

Und so flog die Nachtigall fort.

Die Diener kamen herein, um nach ihrem toten Kaiser zu sehen – – ja, da standen sie, und der Kaiser sagte: „Guten Morgen!“

Alles am rechten Platz

Alles am rechten Platz

Es ist über hundert Jahre her.

Da lag hinter dem Walde an dem großen See ein alter Herrenhof, der war rings von tiefen Gräben umgeben, in denen Kolbenrohr, Schilf und Röhricht wuchsen.

Drüben vom Hohlwege herüber erklangen Jagdhornruf und Pferdegetrappel, und deshalb beeilte sich das kleine Gänsemädchen, die Gänse auf der Brücke zur Seite zu treiben, ehe die Jagdgesellschaft herangaloppiert kam.

Sie kamen so geschwind daher, daß sie hurtig auf einen der großen Steine an der Seite der Brücke springen mußte, um nicht unter die Hufe zu kommen. Ein halbes Kind war sie noch, fein und zierlich, doch mit einem wunderbaren Ausdruck im Antlitz und in den großen, hellen Augen; aber das sah der Gutsherr nicht. Während seines sausenden Galopps drehte er die Peitsche in seiner Hand, und in roher Lust stieß er sie mit dem Schafte vor die Brust, daß sie hintenüber fiel.

„Alles am rechten Platze!“ rief er, „in den Mist mit Dir.“ Und dann lachte er; denn es sollte ein guter Witz sein, und die anderen lachten mit. Die ganze Gesellschaft schrie und lärmte und die Jagdhunde bellten, es war ganz wie im Liede: „Reiche Vögel kommen geflogen.“

Gott weiß, wie reich er damals war.

Das arme Gänsemädchen griff um sich, als sie fiel und bekam einen der herabhängenden Weidenzweige zu fassen. An diesem hielt sie sich krampfhaft über dem Schlamm, und sobald die Herrschaft und die Hunde im Tore verschwunden waren, versuchte sie, sich heraufzuarbeiten. Aber der Zweig brach oben am Stamme ab und das Gänsemädchen fiel schwer zurück ins Rohr. Im selben Augenblick griff von oben her eine kräftige Hand nach ihr. Es war ein wandernder Hausierer, der ein Stückchen weiter davon zugesehen hatte und sich nun beeilte, ihr zu Hülfe zu kommen.

„Alles am rechten Platze!“ sagte er höhnend hinter dem Gutsherrn her und zog sie auf das Trockene. Den abgebrochenen Zweig drückte er gegen die Stelle, wo er sich abgespalten hatte, aber „alles am rechten Platze“ läßt sich nicht immer tun. Deshalb steckte er den Zweig in die weiche Erde. „Wachse, wenn Du kannst und schneide denen dort oben auf dem Hofe eine gute Flöte.“ Er hätte dem Gutsbesitzer und den seinen wohl einen tüchtigen Spießrutenmarsch gegönnt. Dann ging er in den Herrenhof, aber nicht oben in den Festsaal, dazu war er zu geringe. Er ging zu den Dienstleuten in die Gesindestube und sie beschauten seine Waren und handelten. Aber oben von der Festtafel tönte Gekreisch und Gebrüll, das sollte Gesang vorstellen, sie konnte es nicht besser. Es klang Gelächter und Hundegebell. Es war ein wahres Freß- und Saufgelage. Wein und altes Bier schäumten in Gläsern und Krügen und die Leibhunde fraßen mit. Ein oder das andere von den Tieren wurde von den Junkern geküßt, nachdem sie ihnen erst mit den langen Hängeohren die Schnauzen abgewischt hatten. Der Hausierer wurde mit seinen Waren heraufgerufen, aber nur, damit sie ihre Späße mit ihm treiben konnten. Der Wein war drinnen und der Verstand draußen. Sie gossen Bier für ihn in einen Strumpf, daß er mittrinken könne, aber geschwind! Das war nun ein außerordentlich feiner Einfall und sehr zum Lachen. Ganze Herden Vieh, Bauern und Bauernhöfe wurden auf eine Karte gesetzt und verloren.

„Alles am rechten Fleck!“ sagte der Hausierer, als er wohlbehalten aus dem Sodom und Gomorra, wie er es nannte, entronnen war. „Die offene Landstraße, das ist der rechte Platz für mich, dort oben war mir nicht wohl zumute.“ Und das kleine Gänsemädchen nickte ihm von der Feldgrenze aus zu.

Und es vergingen Tage und es vergingen Wochen, und es zeigte sich, daß der abgebrochene Weidenzweig, den der Hausierer neben dem Wassergraben in die Erde gesteckt hatte, sich ständig grün hielt, ja er trieb sogar neue Zweige. Das kleine Gänsemädchen sah, daß er Wurzel gefaßt haben mußte und sie freute sich von ganzem Herzen darüber, denn es war ihr, als gehöre der Baum ihr.

Ja, mit dem Baume ging es vorwärts, aber mit allem anderen auf dem Hofe ging es durch Trunk und Spiel mit großen Schritten rückwärts. Das sind zwei Rollen, auf denen nicht gut stehen ist.

Nicht ganz sechs Jahre waren vergangen, da wanderte der Gutsherr mit Sack und Stock, als armer Mann, vom Hofe. Der wurde von einem reichen Hausierer gekauft und es war derselbe, der einst dort zum Spott und Gelächter gemacht worden war, als man ihm Bier in einem Strumpfe darbot. Aber Ehrlichkeit und Fleiß geben guten Fahrwind. Nun war der Hausierer der Herr auf dem Hofe. Und von Stund an kam kein Kartenspiel mehr dorthin. „Das ist eine schlechte Lektüre,“ sagte er, „sie entstand damals, als der Teufel das erste Mal die Bibel zu Augen bekam. Er wollte daraus ein Zerrbild schaffen, das ebenso große Anziehungskraft besäße, so erfand er denn das Kartenspiel.“

Der neue Herr nahm sich eine Frau, und wer war sie? Es war das kleine Gänsemädchen, das immer sittsam, fromm und gut gewesen war. In den neuen Kleidern sah sie so fein und schön aus, als sei sie als vornehme Jungfrau geboren. Wie ging das zu? Ja, das würde eine zu lange Geschichte für unsere eilfertige Zeit werden, aber es war nun einmal so, und das Wichtigste kommt nun.

Gesegnet und gut war es auf dem alten Hofe. Die Hausmutter stand selbst dem inneren Hause vor und der Hausherr dem äußeren; es war gerade, als quelle der Segen überall hervor, und wo Wohlstand ist, kommt Wohlstand ins Haus. Der alte Hof wurde geputzt und gestrichen, die Gräben gereinigt und Obstbäume gepflanzt. Freundlich und gepflegt sah es hier aus und die Fußböden in den Zimmern waren blank wie poliert. In dem großen Saale saß an den Winterabenden die Hausfrau mit allen ihren Mägden und spann Wolle und Leinen. An jedem Sonntagabend wurde laut aus der Bibel vorgelesen, und zwar von dem Kommerzialrat selbst, denn der Hausierer war Kommerzialrat geworden, aber erst in seinen alten Tagen. Die Kinder wuchsen heran – denn Kinder waren auch gekommen – und alle lernten etwas Rechtes; sie hatten nicht alle gleich gute Köpfe, aber das geht ja in einer jeden Familie so.

Der Weidenzweig draußen war ein großer, prächtiger Baum geworden, der frei und unbeschnitten dastand. „Das ist unser Stammbaum“ sagten die alten Leute, „und der Baum soll in Achtung und Ehren gehalten werden!“ sagten sie zu den Kindern, auch zu denen, die keinen guten Kopf mitbekommen hatten.

Und nun waren darüber hundert Jahre vergangen.

Es war in unserer heutigen Zeit. Der See war zu einem Moor geworden und der alte Herrenhof war gleichsam wie weggewischt. Eine längliche Wasserpfütze mit ein wenig Steinumrandung an den Seiten war der Rest der tiefen Gräben, und hier stand ein prächtiger alter Baum, der seine Zweige ausbreitete. Das war der Stammbaum. Er stand und zeigte, wie schön ein Weidenbaum sein kann, wenn er wachsen darf, wie er Lust hat. – Er war freilich mitten im Stamme geborsten, von der Wurzel bis zur Krone hinauf und der Sturm hatte ihn ein wenig geneigt, aber er stand, und aus allen Rissen und Spalten, in die der Wind Erde hineingeweht hatte, wuchsen Gras und Blumen. Besonders ganz oben, wo die großen Zweige sich teilten, war gleichsam ein hängender kleiner Garten mit Himbeeren und Vogelgras, ja, auch ein winzig kleiner Vogelbeerbaum hatte dort Wurzel gefaßt und stand schlank und fein in der Mitte oben auf dem alten Weidenbaum, der sich in dem schwarzen Wasser spiegelte, wenn der Wind die Wasserlinien in eine Ecke der Wasserpfütze getrieben hatte. Ein schmaler Fußsteig über den Fronacker führte dicht hier vorbei.

Hoch auf dem Hügel am Walde, mit einer herrlichen Aussicht, lag das neue Schloß, groß und prächtig, mit Glasfenstern, so klar, daß man hätte glauben mögen, es seien gar keine darin. Die große Treppe vor der Tür sah wie eine Laube aus Rosen und großblättrigen Pflanzen aus. Die Grasflächen waren so sauber gehalten und so grün, als ob nach jedem Halm abends und morgens gesehen würde. Drinnen im Saale hingen kostbare Gemälde und mit Seide und Samt bezogene Stühle und Sofas, die fast auf ihren eigenen Beinen einhergehen konnten, Tische mit blanken Marmorplatten und Bücher in Saffian und Goldschnitt gebunden, standen da …. Ja, es waren wohl freilich reiche Leute, die hier wohnten, es waren vornehme Leute; hier wohnten Barone.

Eins paßte zum anderen. „Alles am rechten Fleck“ sagten auch sie, und deshalb waren alle Gemälde, die einmal dem alten Hofe zu Schmuck und Ehre gereicht hatten, nun im Gange, der nach der Dienerkammer führte, aufgehängt worden. Es war ja altes Gerümpel, besonders zwei alte Porträts, die einen Mann in rosenrotem Rocke mit einer Perücke und eine Dame mit gepudertem, hoch frisierten Haar und einer roten Rose in der Hand darstellten, aber beide mit dem gleichen großen Kranze von Weidenzweigen umgeben. Es waren viele runde Löcher in den beiden Bildern, das kam daher, daß die kleinen Barone immer ihre Flitzbogen auf beiden alten Leute abschossen. Das war der Kommerzialrat und die Kommerzialrätin, von denen das ganze Geschlecht abstammte.

„Sie gehören aber nicht richtig in unsere Familie“ sagte einer der kleinen Barone. „Er war ein Hausierer gewesen und sie eine Gänsemagd. Sie waren nicht so wie Papa und Mama.“

Die Bilder waren altes, häßliches Gerümpel, und „alles am rechten Fleck“ sagte man, und so kamen Urgroßvater und Urgroßmutter auf den Gang zur Dienerkammer.

Der Pfarrersohn war Hauslehrer auf dem Schloße. Eines Tages ging er mit den kleinen Baronen und ihrer älteren Schwester, die gerade kürzlich eingesegnet worden war, spazieren. Dabei kamen sie den Fußsteg entlang und zu dem alten Weidenbaume herunter. Und während sie gingen, band sie einen Feldblumenstrauß; „alles am rechten Fleck,“ er wurde ein kleines Kunstwerk. Währenddessen hörte sie aber doch recht gut alles, was gesagt wurde, und sie freute sich, wie der Pfarrersohn von den Kräften der Natur und der Geschichte großer Männer und Frauen erzählte; sie war eine gesunde, prächtige Natur, voller Adel des Geistes und der Seele und mit einem Herzen, das alles von Gott Erschaffene freudig umfaßte.

Sie machten unten bei dem alten Weidenbaume halt. Der kleinste der Barone wollte gern eine Flöte geschnitten haben, wie er sie schon oft von Weidenbäumen bekommen hatte, und der Pfarrersohn brach einen Zweig ab.

„O, tun sie es nicht“ sagte die junge Baronesse; aber es war schon geschehen. „Das ist ja unser alter, vielberühmter Baum. Ich habe ihn so gern. Deshalb werde ich oft zuhause ausgelacht, aber das tut nichts. Es umschwebt eine Sage den Baum.“

Und nun erzählte sie alles, was wir über den Baum gehört haben, über den alten Herrenhof, über das Gänsemädchen und den Hausierer, die sich hier begegneten und die Stammeltern des vornehmen Geschlechtes und auch der jungen Barone wurden.

„Sie wollten sich nicht adeln lassen, die alten, biederen Leute“ sagte sie. „Sie hatten den Wahlspruch: Alles am rechten Platze und sie meinten, nicht dahin zu kommen, wenn sie sich durch Geld erhöhen ließen. Ihr Sohn, mein Großvater, war es, der Baron wurde; er soll ein großes Wiesen besessen haben und hoch angesehen bei Prinzen und Prinzessinnen gewesen sein. Er war bei allen ihren Festen dabei. Ihn verehren die anderen zuhause am meisten, aber ich weiß selbst nicht, für mich ist etwas an dem alten Paar, was mein Herz zu ihnen zieht. Es muß so gemütlich und patriarchalisch auf dem alten Hofe gewesen sein, wo die Hausmutter saß und mit allen ihren Mägden spann und der alte Herr laut aus der Bibel vorlas.“

„Es waren prächtige Leute, vernünftige Leute“ sagte der Pfarrersohn; und dann geriet das Gespräch in das Fahrwasser von Adel und Bürgertum und es war fast, als gehöre der Pfarrersohn nicht zur Bürgerschaft, so hob er die Vorzüge hervor, von Adel zu sein.

„Es ist ein Glück, zu einem Geschlechte zu gehören, das sich ausgezeichnet hat, und gleichsam schon in seinem Blute den Ansporn zu haben, nach allem Tüchtigen vorwärts zu streben. Herrlich ist es, eines Geschlechtes Namen zu tragen, der den Zugang zu den ersten Familien gewährleistet. Adel bedeutet edel, das ist wie eine Goldmünze, die ihren Wert aufgeprägt erhalten hat. Es liegt im Zuge der Zeit, und viele Dichter stimmen natürlich in diesen Ton ein, daß alles, was adlig ist, schlecht und dumm sein soll, aber bei den Armen glänzt alles, und je tiefer man niedersteigt, desto mehr. Aber das ist nicht meine Ansicht, denn sie ist irrig, völlig falsch. In den höheren Ständen findet sich mancher ergreifende und schöne Zug. Meine Mutter hat mir einen erzählt und ich selbst könnte mehrere hinzufügen. Sie war zu Besuch in einem vornehmen Hause in der Stadt, meine Großmutter, glaube ich, hatte die gnädige Frau gesäugt und aufgezogen. Meine Mutter stand im Zimmer mit dem alten, hochadligen Herrn. Da sah er, wie unten zum Hofe hinein eine alte Frau auf Krücken gehumpelt kam. Jeden Sonntag kam sie und bekam ein paar Schillinge. „Da ist ja die arme Alte,“ sagte der Herr, „das Gehen fällt ihr so schwer!“ Und ehe meine Mutter es sich versah, war er aus der Tür und die Treppen herunter, die siebzigjährige Exzellenz war selbst zu der armen Frau hinuntergegangen, um ihr den beschwerlichen Weg wegen des Schillings zu ersparen. Es ist ja nur ein geringer Zug, aber wie das Scherflein der Witwe hat er den Klang eines Herzens in sich, den Klang einer wahren Menschennatur. Darauf sollte der Dichter zeigen, gerade in unserer Zeit sollte er es besingen, denn es würde Gutes wirken, besänftigen und versöhnen. Wo jedoch ein Mensch, weil er von Geblüt ist und einen Stammbaum hat wie die arabischen Pferde, sich auf die Hinterbeine setzt und in den Straßen wiehert, und im Zimmer sagt: „Hier sind Leute von der Straße gewesen!“ wenn ein Bürgerlicher drinnen gewesen ist, da ist der Adel in Verderbnis übergegangen und zu einer Maske geworden, wie Tespis sich eine machte, und man lacht über die Person und macht sie zum Gegenstand des Spottes.“

Das war die Rede des Pfarrersohns, sie war zwar etwas lang, aber unterdessen war die Pfeife geschnitten.

Es war eine große Gesellschaft auf dem Schlosse mit vielen Gästen aus der Umgegend und der Hauptstadt. Die Damen waren mit und ohne Geschmack gekleidet. Der große Saal war voller Menschen. Die Pfarrer aus der Umgegend standen ehrebietigst zu einem Knäuel zusammengedrängt in einer Ecke, es sah aus, als seien sie zu einem Begräbnis gekommen; und doch war ein Vergnügen angesagt, es war nur noch nicht in Gang gesetzt.

Ein großes Konzert sollte stattfinden, und daher hatte der kleine Baron seine Weidenflöte mit hereingebracht, aber er konnte ihr keinen Ton entlocken, auch Papa konnte es nicht; deshalb taugte sie eben nichts.

Nun kamen Musik und Gesang an die Reihe, und zwar von jener Art, die hauptsächlich den Ausübenden Freude macht; es war übrigens wirklich niedlich.

„Sie sind auch Virtuos?“ sagte ein Kavalier, der das Kind seiner Eltern war, zum Hauslehrer. „Sie aufblasen Flöte und schneiden sie sogar selbst. Das Genie beherrscht alles, sitzt auf der rechten Seite – Gott behüte. Ich gehe ganz mit der Zeit, das muß man. Nicht wahr, sie werden uns mit diesem kleinen Instrument entzücken!“ Und dann reichte er ihm die Flöte, die von dem Weidenbaume unten am Wassertümpel geschnitten war, und laut und vernehmlich verkündete er, daß der Hauslehrer ein kleines Flötensolo zum besten geben wolle.

Man wollte ihn zum Gespött machen, das war nicht schwer zu verstehen, und deshalb wollte der Hauslehrer auch nicht aufblasen, obwohl er es recht wohl gekonnt hätte; aber sie drängten ihn und nötigten ihn und so nahm er die Flöte und setzte sie an den Mund.

Es war eine wunderliche Flöte. Es erklang ein Ton, so anhaltend wie bei einer Dampflokomotive, nur noch viel schriller. Er klang über den ganzen Hof, den Garten und den Wald und meilenweit ins Land hinaus, und mit dem Ton erhob sich ein Sturmwind, der brauste: „Alles am rechten Platze“ – und da flog Papa wie vom Winde getragen aus dem Hause hinaus gerade in das Viehhüterhaus hinein, und der Viehhirt flog. hinauf – nicht in den Saal, denn dort hinein gehörte er ja nicht, nein, in die Dienerkammer hinauf, mitten unter die feine Dienerschaft, die in seidenen Strümpfen einherging. Den stolzen Herren schlug der Schreck wie Gicht in die Glieder, daß so eine geringe Person sich mit ihnen an einen Tisch zu setzen wagte.

Aber im großen Saale flog die junge Baronesse an das oberste Tischende, wo zu sitzen sie würdig war, und der Pfarrersohn bekam den Sessel an ihrer Seite, und da saßen sie nun beide, als seien sie ein Brautpaar. Ein alter Graf aus dem ältesten Geschlechte des Landes blieb unverrückt auf seinem Ehrenplatz; denn die Flöte war gerecht, und das soll man sein. Der witzige Kavalier, der die Schuld am Flötenspiel trug, er, der das Kind seiner Eltern war, flog kopfüber zwischen die Hühner, aber nicht allein.

Eine ganze Meile ins Land hinaus klang die Flöte, und man hörte von großen Begebenheiten. Eine reiche Großhändlersfamilie, die mit Vieren ausgefahren war, wurde aus dem Wagen hinaus geblasen und bekam nicht einmal den hinteren Platz; zwei reiche Bauern, die in letzter Zeit über ihre Kornfelder hinausgewachsen waren, wurden in einen sumpfigen Graben hinabgeblasen; es war eine gefährliche Flöte. Glücklicherweise sprang sie beim ersten Ton und das war gut, denn so kam sie wieder in die Tasche: „Alles am rechten Platze!“

Am nächsten Tage sprach man nicht über die Begebenheit, daher stammt die Redensart „die Pfeife wieder einstecken!“ Alles war auch wieder in seiner alten Ordnung, nur daß die beiden alten Bilder, der Hausierer und das Gänsemädchen, oben im großen Saale hingen. Sie waren dort an die Wand geblasen worden Und da ein wirklicher Kunstkenner sagte, daß sie von Meisterhand gemalt seien, blieben sie dort hängen und wurden instandgesetzt. Man hatte ja vorher nicht gewußt, daß sie etwas taugten, und woher hätte man das auch wissen sollen. Nun hingen sie auf dem Ehrenplatze. „Alles am rechten Platze!“ und dahin kommt es auch meist! Die Ewigkeit ist lang, länger als diese Geschichte.

Elfenhügel

Elfenhügel

Da schlüpften so flink einige Eidechsen in den Spalten eines alten Baumes umher; sie konnten einander gut verstehen, denn sie sprachen die Eidechsensprache.

„Nein, wie es poltert und brummt in dem alten Elfenhügel“ sagte die eine Eidechse, „ich habe vor dem Spektakel nun schon zwei Nächte lang kein Auge zugetan, ebensogut könnte ich liegen und Zahnschmerzen haben, denn dann schlafe ich auch nicht.“

„Da muß irgendetwas los sein drinnen!“ sagte die andere Eidechse, „den Hügel lassen sie auf vier roten Pfählen bis zum ersten Hahnenschrei stehen, es wird gründlich ausgelüftet, und die Elfenmädchen haben neue Tänze eingeübt. Da muß irgend etwas los sein.“

„Ja, ich habe mit einem Regenwurm aus meinem Bekanntenkreise gesprochen,“ sagte die dritte Eidechse, „der Regenwurm kam gerade aus dem Hügel heraus, wo er Tag und Nacht in der Erde gewühlt hatte. Der hatte allerlei gehört, sehen kann es ja nicht, das arme Tier, aber vorfühlen und nachhören, das versteht er. Sie erwarten Besuch im Elfenhügel, vornehmen Besuch, aber wen, das wollte der Regenwurm nicht sagen, oder er wußte es vielleicht selbst nicht. Alle Irrlichter sind zu einem Fackelzug, wie man es nennt, befohlen, und das Silber und Gold, wovon es genug im Hügel gibt, wird poliert und in den Mondschein hinausgestellt!“

„Wer mögen nur die Fremden sein?“ sagten alle Eidechsen. „Was mag nur los sein? Hört, wie es summt! Hört, wie es brummt!“

Da öffnete sich der Elfenhügel und ein altes Elfenmädchen kam trippelnd heraus. Ihr Rücken war bloß, aber sonst war sie sehr anständig angezogen. Es war des alten Elfenkönigs Haushälterin, eine entfernte Verwandte, die ein Bernsteinherz auf der Stirn trug. Sie setzte die Beinchen so flink, tripp, tripp! Potztausend, wie sie trippeln konnte und zwar ging es hinunter ins Moor zum Nachtraben.

„Sie werden zum Elfenhügel eingeladen für diese Nacht!“ sagte sie, aber wollen Sie uns nicht zuvor einen großen Dienst erweisen und die Einladungen übernehmen? Sie müssen auch etwas tun, da sie selbst kein Haus machen! Es kommen einige hochvornehme Fremde aus dem Trollgeschlecht, die viel zu sagen haben, und deshalb will der alte Elfenkönig sich zeigen.

„Wer soll eingeladen werden?“ fragte der Nachtrabe.

„Ja, zum großen Ball kann jedermann kommen, selbst Menschen, wenn sie im Schlafe sprechen oder irgend etwas an sich haben, was in unsere Art schlägt. Aber bei dem vorhergehenden Fest muß strenge Auswahl herrschen, wir wollen nur die Allervornehmsten dabei haben. Ich habe mich schon mit dem Elfenkönig gezankt, denn ich meinte, wir könnten nicht einmal die Gespenster zulassen. Der Wassernix und seine Töchter müssen zuerst eingeladen werden, sie finden zwar nicht viel Spaß daran, auf das Trockene zu kommen, aber sie sollen mindestens jeder einen nassen Stein zum sitzen bereitgestellt finden, wenn nicht sogar etwas Besseres, da hoffe ich denn, daß sie dieses Mal nicht absagen werden. Alle alten Trolle erster Klasse mit Schwanz, alle Nixen und Wichtelmännchen müssen wir haben, und dann denke ich, können wir den Werwolf, das Höllenpferd und die Kirchenwichtel nicht gut übergehen; eigentlich gehören sie ja zur Geistlichkeit, die nicht mit zu unseren Leuten zählt, aber das ist nun einmal ihr Amt; sie gehören immerhin zur näheren Familie und machen uns ständig Besuche.“

„Bra!“ sagte der Nachtrabe und flog von dannen, um einzuladen.

Die Elfenmädchen tanzten schon auf dem Elfenhügel, sie schwebten auf und nieder mit ihren langen Schals, die aus Nebel und Mondschein gewoben waren, und sahen gar lieblich aus für jemand, der an dergleichen Gefallen findet. Mitten im Elfenhügel war der große Saal prächtig geschmückt. Der Boden war mit Mondschein gewaschen und die Wände mit Hexenfett abgerieben, so daß sie wie Tulpenblätter im Lichte schimmerten. In der Küche waren reichlich Vorräte aufgestapelt: Frösche am Spieß, Kinderfinger in Schneckenhaut mit Salat aus Pilzsamen, feuchte Mäuseschnauzen und Schierling, Bier von dem Gebräu der Sumpffrau und funkelnder Salpeterwein aus Grabgewölben. Alles war höchst solide und anständig; rostige Nägel und Kirchenfensterglas gehörten zum Naschwerk.

Der alte Elfenkönig ließ seine Goldkrone mit gestoßenem Griffel polieren; es war Tuffsteingriffel, und es ist mit großen Schwierigkeiten für einen Elfenkönig verknüpft, Tuffsteingriffel aufzutreiben! In den Schlafzimmern wurden Gardinen aufgehängt und mit Schneckenhörnern aufgeheftet. Ja, überall hörte man das geschäftige Summen und Brummen.

„Nun muß hier noch mit Roßhaar und Schweinsborsten geräuchert werden, dann bin ich für meinen Teil fertig!“ sagte das alte Elfenmädchen.

„Süßes Väterchen“ schmeichelte die jüngste der Töchter, „bekomme ich nun endlich zu wissen, wer die vornehmen Fremden sind?“

„Nun ja,“ sagte er, „da muß ich es wohl sagen. Zwei meiner Töchter müssen sich zur Hochzeit bereit halten. Zwei von Euch werden sicher fortheiraten. Der alte Troll oben aus Norwegen, der, der im alten Dovrefelsen wohnt, und die vielen Klippenschlösser aus Felsblöcken und ein Goldbergwerk hat, das ertragreicher ist, als man glaubt, kommt mit seinen zwei Söhnen herunter; die sollen sich eine Frau aussuchen. Der alte Troll ist so ein richtiger alter, ehrlicher, moralischer Greis, lustig und geradezu, ich kenne ihn aus alten Tagen, als wir Duzbrüderschaft tranken und er hier unten war, um sich seine Frau zu holen. Nun ist sie tot. Sie war eine Tochter des Felsenkönigs von Möen, und er saß tüchtig bei ihr in der Kreide, wie man zu sagen pflegt. O, wie ich mich nach dem alten nordischen Troll sehne. Die Söhne sollen ein paar unerzogene, hochnäsige Schlingel sein, aber man kann ihnen ja auch damit unrecht tun, und mit den Jahren werden sie schon Vernunft annehmen. Seht nun zu, daß Ihr ihnen Lebensart beibringt!“

„Und wann kommen sie?“ fragte die eine Tochter.

„Das kommt auf Wind und Wetter an“ sagte der Elfenkönig. „Sie reisen sparsam! Sie wollten eine Schiffsgelegenheit benutzen. Ich wollte, sie sollten über Schweden gehen, aber der Alte findet noch immer keinen Geschmack daran. Er hält nicht mit seiner Zeit Schritt, und das kann ich nicht leiden!“

In diesem Augenblicke kamen zwei Irrlichter hereingehüpft, das eine schneller als das andere, und daher kam das eine zuerst.

Sie kommen. Sie kommen!“ riefen sie.

„Gebt mir meine Krone und laßt mich im Mondschein stehen!“ sagte der Elfenkönig.

Die Töchter hoben die Schals und verneigten sich bis zur Erde.

Da stand nun der alte Troll von Dovre mit seiner Krone von gehärteten Eiszapfen und polierten Tannenzapfen; sonst hatte er noch einen Bärenpelz und Wasserstiefel an; die Söhne dagegen gingen mit bloßem Halse und ohne Hosenträger; denn sie waren Kraftmänner.

„Ist das ein Hügel?“ fragte der Jüngste der Söhne und zeigte auf den Elfenhügel. „Das nennen wir oben bei uns in Norwegen ein Loch.“

„Jungens!“ sagte der Alte, „ein Loch geht nach innen, ein Hügel nach außen. Habt Ihr keine Augen im Kopfe?“

Das einzige, worüber sie sich hier unten wundern müßten, sagten sie, sei, daß sie die Sprache so ohne weiteres verstehen könnten.

„Spielt Euch nun nicht auf“ sagte der Alte, „man könnte sonst glauben, daß Ihr nicht richtig ausgebacken seid.“

Und dann gingen sie in den Elfenhügel hinein, wo eine wirklich feine Gesellschaft sich zusammengefunden hatte, und das in solcher Geschwindigkeit, als ob sie zusammengeweht wären. Für jeden war es nett und behaglich eingerichtet worden. Das Meervolk saß in großen Wasserkufen bei Tisch, und sie sagten, daß sie sich wie zuhause fühlten. Alle befleißigten sich guter Tischsitten, außer den beiden kleinen nordischen Trollen, die die Beine auf den Tisch legten. Sie waren der Ansicht, daß ihnen alles zu Gesichte stehe.

„Die Füße von der Schüssel“ sagte der alte Troll. Da gehorchten sie, aber auch noch nicht gleich. ihre Tischdamen kitzelten sie mit Tannenzapfen, die sie in der Tasche mit sich führten, und dann zogen sie ihre Stiefel aus, um behaglicher zu sitzen und gaben ihnen die Stiefel zu halten. Der Vater, der alte Dovre-Troll war freilich ganz anders. Er erzählte so herrlich von den stolzen nordischen Felsen und von den Wasserfällen, die Schaumweiß mit einem Getöse wie Donnerschlag und Orgelklang herabstürzen. Er erzählte von dem Lachse, der stromaufwärts gegen das stürzende Wasser emporspringt, wenn der Wasserneck auf der Goldharfe spielt. Er erzählte von den schimmernden Winternächten, wenn die Schlittenschellen klingeln und die Burschen mit brennenden Fackeln über das blanke Eis laufen, das so durchsichtig ist, daß sie die Fische unter ihren Füßen aufschrecken sehen. Ja, er konnte erzählen, daß man sehen und hören konnte, was er sagte; es war, als höre man die Sägemühlen klappern, als sängen die Knechte und Mägde ihre Lieder und tanzten dazu ihre Tänze. Heisa. – Mit einem mal gab der alte Troll dem alten Elfenmädchen einen Gevatterschmatz. Das war ein ordentlicher Kuß, und dabei waren sie doch gar nicht miteinander verwandt.

Nun mußten die Elfenmädchen tanzen, sowohl die einfachen Tänze, als auch die, bei denen gestampft werden mußte; das ließ alle ihre Vorzüge zur Geltung kommen. Dann kam der Kunsttanz. Ei der Tausend, wie konnten sie die Beine werfen. Man wußte nicht mehr, wo Anfang und Ende, und nicht mehr, ob es Arm oder Bein war. Es ging alles durcheinander wie Sägespäne, und dann schnurrten sie herum, daß dem Höllenpferd übel wurde und es vom Tische gehen mußte.

„Prrrrr“ sagte der alte Troll,“ ist das eine Wirbelei mit dem Beinwerk. Aber was können sie mehr als tanzen, Beinewerfen und Wirbelwind machen?“

„Das sollst Du nun auch zu wissen bekommen.“ sagte der Elfenkönig, und dann rief er seine älteste Tochter heran. Sie war so zierlich und klar wie Mondschein, sie war die feinste von allen Schwestern. Sie nahm einen weißen Span in den Mund, und dann war sie verschwunden; das war ihre Kunst.

Aber der alte Troll sagte, daß er solche Kunst bei seiner Frau nicht leiden könne, und er glaube auch nicht, daß seine Söhne davon begeistert seien.

Die zweite konnte sich selbst zur Seite gehen, als ob sie einen Schatten würfe, den besitzen die Elfen nämlich nicht.

Die dritte war von ganz anderem Schlag. Sie hatte im Bräuhaus der Sumpffrau gelernt, und sie war diejenige, die Elfenknorren mit Johanneswürmchen zu spicken verstand.

„Sie wird eine gute Hausfrau abgeben!“ sagte der alte Troll und dankte mit den Augen beim Zutrinken, denn er wollte nicht so viel trinken.

Nun kam das vierte Elfenmädchen. Sie hatte eine große Goldharfe zum Spielen, und als sie die erste Saite anschlug, hoben alle das linke Bein, denn die Unterirdischen sind linksbeinig, und als sie die andere Saite anschlug, mußten alle tun, was sie wollte.

„Das ist ein gefährliches Frauenzimmer“ sagte der alte Troll; die beiden Söhne aber gingen zum Hügel hinaus, denn nun fanden sie es langweilig.

„Und was kann die nächste Tochter?“ fragte der alte Troll.

„Ich habe gelernt, die Norweger zu lieben“ sagte sie, „und niemals werde ich mich vermählen, wenn ich nicht nach Norwegen komme.“

Aber die jüngste der Schwestern flüsterte dem alten Troll ins Ohr: „Das sagt sie nur, weil sie in einem nordischen Lied gehört hat, daß, wenn die Welt untergeht, doch die nordischen Felsen als Wahrzeichen stehen bleiben, und deshalb will sie dort hinauf, denn sie hat solche Angst vor dem Untergehen.“

„Ho, ho“ sagte der alte Troll, „geht es darauf hinaus, aber was kann die siebente und letzte?“

„Die sechste kommt vor der siebenten“ sagte der Elfenkönig, denn er konnte rechnen; aber die sechste wollte nicht recht hervorkommen.

„Ich kann nur den Leuten die Wahrheit sagen.“ sagte sie, „mich mag keiner leiden und ich habe genug damit zu tun, mein Totenhemde zu nähen.“

Nun kam die siebente und letzte, und was konnte sie? Ja, sie konnte Märchen erzählen, und zwar so viele, wie sie nur wollte.

„Hier sind alle meine fünf Finger“ sagte der alte Troll, „erzähle mir von jedem eins.“

Und das Elfenmädchen faßte ihn ums Handgelenk und er lachte, daß es in ihm kluckerte, und als sie zum Goldfinger kam, der einen Goldreif um den Leib hatte, gerade als ob er gewußt hätte, daß Verlobung sein sollte, sagte der alte Troll: „Halt fest was Du hast, die Hand ist Dein. Dich will ich selbst zur Frau haben.“

Und das Elfenmädchen sagte, daß der Goldfinger und der kleine Peter Spielmann noch übrig seien!

„Die wollen wir im Winter hören“ sagte der alte Troll, „und von der Tanne wollen wir hören und von der Birke und den Gaben der Unterirdischen und dem klingenden Frost. Du sollst schon zum Erzählen kommen, denn das macht bis jetzt keiner da oben richtig! – Und dann wollen wir in der steinernen Halle sitzen, wo der Kienspan brennt, und Met trinken aus den Goldhörnern der alten nordischen Könige; der Neck hat mir ein paar davon geschenkt! Und wenn wir dann sitzen, kommt der Hofwichtel und macht Besuch, und dann singt er Dir alle Weisen der Hütermädchen vor. Das wird lustig werden. Der Lachs wird den Wasserfall hinausspringen und gegen die Steinwände schlagen, aber er kommt doch nicht herein. – Ja, Du kannst mir glauben, es ist gut sein in dem lieben alten Norwegen Aber wo sind die Jungen?“

Ja, wo waren die Jungen. Die liefen auf den Feldern umher und bliesen die Irrlichter aus, die so nett und gesittet daherkamen, um einen Fackelzug zu machen.

„Treibt man sich so herum“ sagte der alte Troll, „nun habe ich mir eine Mutter für Euch genommen, und Ihr könnt Euch jetzt eine Tante nehmen!“

Aber die Jungen sagten, daß sie lieber eine Rede halten und Brüderschaft trinken wollten. Zum Heiraten hätten sie keine Lust. – Und dann hielten sie Reden, tranken Brüderschaft und machten die Nagelprobe, um zu zeigen, daß sie ausgetrunken hätten. Dann zogen sie die Kleider aus und legten sich ohne viel Federlesens auf den Tisch, um zu schlafen, denn sie genierten sich nicht. Aber der alte Troll tanzte in der Stube herum mit seiner jungen Braut und wechselte Stiefel mit ihr, denn das ist feiner als Ringe wechseln.

„Nun kräht der Hahn“ sagte das alte Elfenmädchen, die das Haus zu besorgen hatte. „Jetzt müssen wir die Fensterläden schließen, damit uns die Sonne nicht verbrennt!“

Und dann schloß sich der Hügel.

Aber draußen liefen die Eidechsen in dem gespaltenen Baume auf und nieder, und die eine sagte zu der anderen: „Ach, wie gut hat mir der alte nordische Troll gefallen!“

„Ich mochte die Jungen lieber!“ sagte der Regenwurm, aber der konnte ja nichts sehen, das elende Tier.

Vogel Phönix

Vogel Phönix
Im Garten des Paradieses, unter dem Baume der Erkenntnis, stand ein Rosenstrauch. Hier, in der ersten Rose, wurde ein Vogel geboren, dessen Flug war wie der des Lichts, herrlich war seine Farbe und herrlich sein Gesang.

Als aber Eva die Frucht der Erkenntnis brach und sie und Adam aus dem Garten des Paradieses gejagt wurden, fiel vom flammenden Schwerte des strafenden Engels ein Funken in das Nest des Vogels und zündete es an. Der Vogel starb in den Flammen, aber aus dem glühenden Ei flog ein neuer, der einzige, der stets einzige Vogel Phönix. Die Sage meldet, daß er in Arabien nistet und sich selbst jedes hundertste Jahr in seinem Neste verbrennt, und ein neuer Phönix, wieder der einzige in der Welt, fliegt aus dem glühenden Ei empor.

Der Vogel umflattert uns, schnell wie das Licht, herrlich von Farbe und herrlich klingt sein wundersamer Sang. Wenn die Mutter an der Wiege ihres Kindes sitzt, schwebt er über dem Kopfkissen und weht mit den Flügeln einen Glorienschein um des Kindes Haupt. Er fliegt durch die Stuben der Genügsamkeit, und Sonnenglanz breitet sich darüber und die ärmliche Kommode duftet nach Veilchen.

Doch der Vogel Phönix ist nicht allein der Vogel Arabiens. Er flattert im Nordlichtschein über die Eisfelder Lapplands, er hüpft zwischen den gelben Blumen in Grönlands kurzem Sommer. Über Faluns Kupferfelsen ist er zu sehen und in Englands Kohlengruben. Er huscht wie eine gepuderte Motte hin über das Gesangbuch in des frommen Arbeiters Händen. Er segelt auf dem Lotosblatt mit den heiligen Fluten des Ganges hinab und des Hindumädchens Augen leuchten bei seinem Anblick.

Vogel Phönix, kennst Du ihn nicht? Den Vogel des Paradieses, des Gesanges heiligen Schwan. Auf dem Tespiskarren saß er wie ein geschwätziger Rabe und schlug mit den schwarzen, hefetriefenden Flügeln. Über Islands Sängerharfe glitt des Schwanes roter, klingender Schnabel; auf Shakespeares Schultern saß er wie Odins Rabe und flüsterte ihm ins Ohr: Unsterblichkeit. Beim Sängerfeste flog er durch der Wartburg Rittersaal.

Vogel Phönix Kennst Du ihn nicht? Er sang Dir die Marsallaise vor, und Du küßtest die Feder, die aus seiner Schwinge fiel. Im Paradiesesglanze kam er, und Du wandtest Dich vielleicht fort und dem Sperling zu, der mit Schaumgold auf den Flügeln dasaß.

O, Du Vogel des Paradieses, in jedem Jahrhundert erneut, in Flammen geboren, in Flammen gestorben, Dein Bild hängt in Gold gefaßt in den Sälen der Reichen und selbst fliegst Du verirrt und einsam – eine Sage nur: Vogel Phönix in Arabien!

Im Garten des Paradieses, da Du geboren wurdest unter dem Baume der Erkenntnis in der ersten Rose, küßte Dich Gott und gab Dir Deinen rechten Namen – Poesie.

Herzeleid

Herzeleid

Es ist eigentlich eine Geschichte in zwei Teilen, mit der wir hier aufwarten; der erste Teil könnte recht gut fortfallen, – aber er gibt uns die Vorkenntnisse, und die sind nützlich!

Wir hielten uns weiter drinnen auf dem Lande auf einem Herrenhofe auf. Da traf es sich, daß die Herrschaft dort für einen Tag fortfuhr und an demselben Tage aus dem benachbarten Flecken eine Frau mit ihrem Mops kam. Sie kam, wie sie sagte, um Aktien auf ihre Gerberei aufzunehmen. Ihr Papiere hatte sie mitgebracht und wir rieten ihr, einen Umschlag darum zu tun und den Namen des Gutsbesitzers darauf zu schreiben: „Generalkriegskommissar, Ritter etc.“

Sie tat, wie wir ihr sagten, sie ergriff die Feder, stockte und bat uns, die Aufschrift noch einmal zu wiederholen, aber langsam. Wir taten es und sie schrieb. Aber mitten im „Generalkriegs“ blieb sie stecken, seufzte und sagte: „Ich bin nur ein Frauenzimmer.“ Den Mops hatte sie auf den Fußboden gesetzt, während sie schrieb, und er knurrte. Er war wegen seiner Gesundheit und um seines Vergnügens willen mitgenommen worden, und dann will man nicht auf den Fußboden gesetzt werden. Stumpfnase und Speckrücken waren seine äußeren Kennzeichen.

„Er beißt nicht!“ sagte die Frau, „er hat keine Zähne. Er ist wie jemand, der zur Familie gehört, treu und bissig, aber dazu ist er von meinen Enkelkindern gebracht worden. Sie spielen immer Hochzeit, und er soll Brautjungfer sein, das strengt ihn zu sehr an, das alte Tier!“

Und sie ließ ihre Papiere da und nahm den Mops auf den Arm. Das ist der erste Teil der eigentlich entbehrlich war. „Der Mops starb!“ das ist der zweite Teil.

Es war eine Woche später; wir kamen in den Flecken und zogen in einen Gasthof. Unsere Fenster gingen auf den Hof hinaus, der durch einen Bretterzaun in zwei Teile geteilt war. In dem einen hingen Felle und Häute, rohe und gegerbte, und hier standen auch alle Materialien zu einer Gerberei; sie gehörte der Witwe. – Der Mops war an diesem Morgen gestorben und hier im Hofe begraben worden. Der Witwe Enkelkinder, daß heißt also der Gerberwitwe, denn der Mops war nicht verheiratet gewesen, klopften das Grab zu. Es war ein schönes Grab, es mußte wahrlich ein Vergnügen sein, darin zu ruhen.

Das Grab war mit Topfscherben eingefaßt und mit Sand bestreut. Oben darauf hatten sie eine kleine Bierflasche mit dem Halse nach oben gesetzt, aber es war nicht allegorisch gemeint.

Die Kinder tanzten rund um das Grab und der älteste der Knaben, ein praktischer Jüngling von sieben Jahren, schlug vor, daß das Grab des Mopses ausgestellt werden solle, und zwar für alle Kinder aus der Straße. Der Eintritt mußte mit einem Knopf bezahlt werden, das war etwas, was jeder Knabe besaß und was er auch den kleinen Mädchen liefern konnte, und der Vorschlag wurde einstimmig angenommen.

Und alle Kinder aus der Straße und der Nebenstraße kamen und gaben ihren Knopf. Da kam mancher dazu, den ganzen Nachmittag lang mit nur einem Hosenträger herumzulaufen, aber dafür hatte man auch des Mopses Grab gesehen, und das war es wohl wert.

Doch draußen vor dem Gerberhofe, dicht an der Pforte, stand ein kleines zerlumptes Mädchen, so hübsch und niedlich, mit dem schönsten Lockenhaar und Augen so blau und so klar, daß es eine Lust war. Sie sagte nicht ein Wort, sie weinte auch nicht, aber sie machte so lange Augen, wie sie nur konnte, jedesmal, wenn die Tür geöffnet wurde. Sie wußte genau, daß sie keinen Knopf besaß und blieb deshalb traurig draußen stehen. Dort stand sie, bis alle fortgegangen waren; dann setzte sie sich nieder, hielt die kleinen, braunen Händchen vor die Augen und brach in Tränen aus. Sie allein hatte des Mopses Grab nicht gesehen. Das war ein Herzeleid, so groß wie es oft die Erwachsenen nicht haben.

Wir sahen es von oben – und von oben gesehen – ja, über diese, wie über viele unserer und anderer Sorgen – konnten wir lächeln! Das ist die Geschichte, und wer sie nicht versteht, kann Aktien auf die Gerberei der Witwe nehmen.

Etwas

Etwas

„Ich will etwas sein“, sagte der älteste von fünf Brüdern, „ich will etwas nützen in de Welt; mag es eine noch so geringe Stellung sein, wenn nur das, was ich ausrichte, etwas Gutes ist, dann ist es in der Tat etwas. Ich will Ziegelsteine machen, die sind nicht zu entbehren, und ich habe wirklich etwas gemacht!“

„Aber etwas gar zuwenig!“ sprach der zweite Bruder. „Das, was du tun willst, ist so gut wie gar nichts, das ist Handlangerarbeit und kann durch eine Maschine ausgeführt werden. Nein, dann lieber Maurer sein, das ist doch etwas, das will ich sein. Das ist ein Stand! Durch den wird man in die Zunft aufgenommen, wird Bürger, bekommt seine eigene Fahne, seine Herberge; ja, wenn alles gut geht, kann ich Gesellen halten, werde ich Meister, und meine Frau wird Frau Meisterin heißen; das ist doch etwas!“

„Das ist gar nichts“, sagte der dritte, „das ist doch außerhalb der eigentlichen Stände, und es gibt viele in einer Stadt, die weit über einen Handwerksmeister stehen. Du kannst ein braver Mann sein, allein du gehörst als „Meister“ doch nur zu denen, die man den „gemeinen“ Mann nennt, nein, da weiß ich etwas Besseres! Ich will Baumeister erden, will mich auf das Gebiet der Kunst, auf das des Denkens begeben, will zu den Höherstehenden im Reiche des Geistes zählen. Zwar muß ich von der Pike auf dienen, je, daß ich es geradeheraus sage: ich muß als Zimmerlehrling anfangen, muß als Bursche mit der Mütze einhergehen, obgleich ich daran gewöhnt bin, einen seidenen Hut zu tragen, muß den gewöhnlichen Gesellen Schnaps und Bier holen, und diese werden mich „du“ nennen, das ist beleidigend! Aber ich werde mir einbilden, daß das Ganze ein Mummenschanz, daß es Narrenfreiheit ist! Morgen – das heißt, wenn ich Geselle bin, gehe ich meinen eigenen Weg, die andern gehen mich nichts an! Ich gehe auf die Akademie, bekomme Zeichenunterricht und heiße Architekt! Das ist etwas, das ist viel! Ich kann Wohl-, ja Hochwohlgeboren werden, ja, gar noch etwas mehr bekommen vorn und hinten, und ich baue und baue, ganz wie die andern vor mir gebaut. Das ist immer etwas, worauf man eben bauen kann! Das Ganze ist etwas!“

„Ich aber mache mir aus diesem Etwas gar nichts“, sprach der vierte, „ich will nicht im Kielwasser anderer segeln, nicht eine Kopie werden; ich will ein Genie werden, will tüchtiger dastehen als ihr alle miteinander! Ich werde der Schöpfer eines neuen Stils, ich gebe die Idee zu einem Gebäude, passend für das Klima und das Material des Landes, für die Nationalität des Volkes, für die Entwicklung des Zeitalters, und gebe außerdem noch ein Stockwerk zu für mein eigenes Genie!“

„Wenn nun aber das Klima und das Material nichts taugen“, sagte der fünfte, „das wäre unangenehmem, denn die üben ihren Einfluß aus! Die Nationalität kann auch dermaßen übertrieben werden, daß sie affektiert wird, die Entwicklung des Zeitalters kann mit dir durchgehen. Ich sehe es schon kommen, daß keiner von euch eigentlich etwas werden wird, wie sehr ihr es auch selber glaubt! Aber tut, was ihr wollt, ich werde euch nicht ähnlich sein, ich stelle mich außerhalb der Dinge, ich will über das räsonieren, was ihr ausrichtet! An jeder Sache klebt etwas, das nicht richtig ist, etwas Verkehrtes, das werde ich heraustüfteln und besprechen, das ist etwas!“

Und das tat er dann auch, und die Leute sagten von dem fünften: „An dem ist bestimmt etwas! Er ist ein kluger Kopf! Aber er tut nichts!“ Doch gerade dadurch war er etwas!

Seht, das ist nur eine kleine Geschichte, und doch hat sie kein Ende, solange die Welt steht!

Aber wurde denn weiter nichts aus den fünf Brüdern? Das war ja nichts und nicht etwas!

Hören wir weiter, es ist ein ganzes Märchen.

Der älteste Bruder, der Ziegelsteine fabrizierte, wurde bald inne, daß von jedem Ziegel, wenn er fertig war, eine kleine Münze, wenn auch nur von Kupfer, abfiel; doch viele Kupferpfennige, aufeinandergelegt, machen einen blanken Taler, und wo man mit so einem anklopft, sei es beim Bäcker, beim Schlachter, Schneider, ja bei allen, dort fliegt die Tür auf, und man bekommt, was man braucht; seht, das werfen die Ziegel ab; einige zerbröckelten zwar oder sprangen entzwei, aber selbst die konnte man brauchen.

Auf dem hohen Erdwall, dem schützenden Deich an der Meeresküste, wollte Margarethe, die arme Frau, sich ein Häuschen bauen; sie bekam all die zerbröckelten Ziegel und dazu noch einige ganz denn ein gutes Herz hatte der älteste Bruder, wenn er es auch in der Tat nicht weiterbrachte, als Ziegelsteine anzufertigen. Die arme Frau baute selbst ihr Häuschen; es war schmal und eng, das eine Fenster saß ganz schief, die Tür war zu niedrig, und das Strohdach hätte besser gelegt werden können, aber Schutz bot es immerhin, und weit über das Meer, das sich mit Gewalt am Wall brach, konnte man von dem Häuschen hinausschauen; die salzigen Wogen spritzten ihren Schaum über das ganze Haus, das noch dastand, als der, der die Mauersteine dazu fabriziert hatte, schon tot und begraben war.

Der zweite Bruder, ja der verstand nun das Mauern besser, war er doch auch dazu angelernt. Als er die Gesellenprüfung bestanden hatte, schnürte er seinen Ranzen und stimmte das Lied des Handwerkers an:

Weil ich jung bin, will ich wandern,
draußen will ich Häuser baun,
ziehen von einem Ort zum andern;
Jugendsinn gibt mir Vertrauen.
Und kehr ich heim ins Vaterland,
wo mein die Liebst harrt!
Hurra, der brave Handwerksstand!
Wie bald ich Meister ward!

Und das war er dann auch. Als er zurückgekehrt und Meister geworden war, baute er in der Stadt ein Haus neben dem andern, eine ganze Straße, und als die Straße vollendet war, sich gut ausnahm und der Stadt zur Zierde gereichte, bauten die Häuschen ihm wieder ein Haus, das sein Eigentum sein sollte. Doch wie können die Häuser wohl bauen? Frage sie, und sie werden dir die Antwort schuldig bleiben; aber die Leute antworten und sagen: „Allerdings hat ihm die Straße sein Haus gebaut!“ Klein war es und der Fußboden war mit Lehm belegt, aber als er mit seiner Braut über den Lehmboden dahintanzte, da wurde dieser blank wie poliert, und aus jedem Stein in der Wand sprang eine Blume hervor und schmückte das Zimmer wie die kostbarste Tapete. Es war ein hübsches Haus und ein glückliches Ehepaar. Die Fahne der Innung flatterte vor dem Hause, Gesellen und Lehrburschen schrieen: „Hurra!“ Ja, war der etwas! Und dann starb er, das war auch etwas!

Nun kam der Architekt, der dritte Bruder, der erst Zimmermannslehrling gewesen und mit der Mütze gegangen war und den Laufburschen gemacht hatte, aber von der Akademie bis zum Baumeister aufgestiegen war, „Hoch- und Wohlgeborner Herr!“ Ja, hatten die Häuser der Straße den Bruder, der Maurermeister gewesen war, ein Haus gebaut, so erhielt nun die Straße seinen, des Architekten Namen, und das schönste Haus der Straße wurde sein Eigentum; das war etwas, und er war etwas – und das mit einem langen Titel vorn und hinten. Seine Kinder hieß man „vornehme“ Kinder, und als er starb, war seine Witwe eine „Witwe von Stand“ – das ist etwas! Und sein Name blieb für immer an der Straßenecke geschrieben und lebte in aller Munde als Straßenname – ja, das ist etwas!

Darauf kam das Genie, der vierte Bruder, der etwas Neues, etwas Apartes und noch ein Stockwerk darüber erfinden wollte, aber das fiel herunter, und er selbst fiel auch herunter und brach sich das Genick – allein er bekam ein schönes Begräbnis mit Zunftfahnen und Musik, Blumen in der Zeitung und auf der Straße über das Pflaster hin, und man hielt ihm drei Leichenreden, eine länger als die andere, und das hätte ihn sehr erfreut, denn er hatte es sehr gern, wenn von ihm geredet wurde; auch ein Monument wurde ihm auf seinem Grab errichtet, zwar nur ein Stockwerk hoch, aber das ist immerhin etwas!

Er war nun gestorben wie die drei anderen Brüder; der letzte aber, der, welcher räsonierte, überlebte sie alle, und das war ja eben richtig so, wie es sein sollte, denn dadurch hatte er ja das letzte Wort, und ihm war es von großer Wichtigkeit, das letzte Wort zu haben. War er doch ein kluger Kopf, wie die Leute sagten. Endlich schlug aber auch seine Stunde, er starb und kam an die Pforten des Himmels. Dort treten stets je zwei heran; er stand da mit einer anderen Seele, die auch gern hineinwollte, und das war gerade die alte Frau Margarethe aus dem Haus auf dem Deich.

„Das geschieht wohl des Kontrastes halber, daß ich und diese elende Seele hier zu gleicher Zeit antreten müssen!“ sprach der Räsoneur. „Nur, wer ist Sie, Frauchen? Will Sie auch hier hinein?“ fragte er.

Und die alte Frau verneigte sich, so gut sie es vermochte, sie glaubte, es sei Sankt Petrus selber, der zu ihr sprach. „Ich bin eine alte, arme Frau ohne alle Familie, bin die alte Margarethe aus dem Haus auf dem Deich.“

„Nun, was hat Sie getan, was hat Sie ausgerichtet dort unten?“

„Ich habe wahrscheinlich gar nichts in dieser Welt ausgerichtet! Nichts, wodurch mir könnte aufgeschlossen werden! Es ist wahre Gnade, wenn man erlaubt, daß ich durchs Tor hineinschlüpfe!“

„Auf welche Weise hat Sie diese Welt verlassen?“ fragte er weiter, um doch von etwas zu reden, da es ihm Langeweile machte, dort zu stehen und zu warten.

„Ja, wie ich sie verlassen habe, das weiß ich nicht! Krank und elend war ich ja während der letzten Jahre, und ich habe es wohl nicht verragen können, aus dem Bett zu kriechen und in Frost und Kälte so plötzlich hinauszukommen. Es war ein harter Winter, doch jetzt habe ich ihn ja überstanden. Es war einige Tage ganz stilles Wetter, aber sehr kalt, wie Euer Ehrwürden ja selbst wissen, die Eisdecke ging so weit ins Meer hinaus, als man nur schauen konnte; alle Leute aus der Stadt spazierten aufs Eis hinaus, dort war, wie sie sagten, Schlittschuhlaufen und Tanz, glaube ich, große Musik und Bewirtung war auch da; die Musik schallte in mein ärmliches Stübchen hinein, wo ich lag. Und dann war es so gegen Abend, der Mond war schön aufgegangen, aber noch nicht in seinem vollen Glanze, ich blickte von meinem Bett über das ganze weite Meer hinaus, und dort draußen, grade am Rande zwischen Himmel und Meer, tauchte eine wunderliche Wolke empor; ich lag da und sah die Wolke an, ich sah auch das schwarze Pünktchen inmitten der Wolke, das immer größer und größer wurde, und da wußte ich, was das zu bedeuten hatte; ich bin alt und erfahren, obwohl man das Zeichen nicht oft sieht. Ich kannte es, und ein Grausen überkam mich. Habe ich doch zweimal früher bei Lebzeiten das Ding kommen sehen, und wußte ich doch, daß es einen entsetzlichen Sturm mit Springflut geben würde, die über die armen Menschen draußen käme, die jetzt tranken, umhersprangen und jubilierten; jung und alt, die ganze Stadt war ja draußen; wer sollte sie warnen, wenn niemand dort das sah und zu deuten wußte, was ich wohl kannte. Mir wurde ganz angst, ich wurde so lebendig wie seit langer Zeit nicht mehr. Aus dem Bett heraus kam ich zum Fenster hin, weiter konnte ich mich vor Mattigkeit nicht schleppen. Es gelang mir aber doch, das Fenster zu öffnen; ich sah die Menschen draußen auf dem Eis laufen und springen, ich sah auch die schönen Flaggen, die im Winde wehten, ich hörte die Knaben Hurra schreien, Knechte und Mägde sangen, es ging fröhlich her, aber – die weiße Wolke mit dem schwarzen Punkt! Ich rief, so laut ich konnte, aber niemand hörte mich; ich war zu weit weg von den Leuten entfernt. Bald mußte das Unwetter losbrechen, das Eis platzen und alles, was draußen war, ohne Rettung verloren sein. Mich hören konnten sie nicht, zu ihnen hinauskommen konnte ich nicht; oh, könnte ich sie doch an Land führen! Da gab der gute Gott mir den Gedanken, mein Bett anzuzünden, lieber das Haus niederzubrennen, als daß die Vielen so jämmerlich umkommen sollten. Es gelang mir, ein Licht anzuzünden; die rote Flamme loderte hoch empor – ja, ich entkam glücklich durch die Tür, aber davor blieb ich liegen, ich konnte nicht weiter; die Flamme leckte nach mir heraus, flackerte aus den Fenstern, loderte hoch aus dem Dach empor; die Menschen alle draußen auf dem Eis wurden sie gewahr, und alle liefen sie, was sie konnten, um einer Armen zu Hilfe zu eilen, die sie lebendig verbrennen wähnten; nicht einer war da, der nicht lief; ich hörte sie kommen, aber ich vernahm auch, wie es mit einemmal in der Luft brauste, ich hörte es dröhnen wie schwere Kanonenschüsse; die Springflut hob die Eisdecke, die in tausend Stücke zerschellte; aber die Leute erreichten den Damm, wo die Funken über mir dahinflogen; ich rettete sie alle! Doch ich habe wohl die Kälte nicht vertragen können und auch nicht den Schrecken, und so bin ich nun hier herauf an das Tor des Himmels gekommen; man sagt ja, es wird auch so einem armen Menschen, wie ich es bin, aufgetan, und jetzt habe ich ja kein Haus mehr auf dem Deich, doch das gibt mir wohl noch keinen Eintritt hier!“

Da öffnete sich des Himmels Pforte, und der Engel führte die alte Frau hinein; sie verlor einen Strohalm draußen, einen der Strohhalme, die in ihrem Lager gewesen waren, als sie es anzündete, um die vielen zu retten, und das hatte sich in das reinste Gold verwandelt, und zwar in Gold, das wuchs und sich in den schönsten Blumen und Blättern emporrankte.

„Sieh, das brachte die arme Frau!“ sagte der Engel. „Was bringst du? Ja, ich weiß es wohl, daß du nichts ausgerichtet hast, nicht einmal einen Ziegelstein hast du gemacht; wenn du nur wieder zurückgehen und es wenigstens so weit bringen könntest; wahrscheinlich würde der Stein, wenn du ihn gemacht hättest, nicht viel wert sein, doch mit gutem Willen gemacht, wäre es doch immerhin etwas; aber du kannst nicht zurück, und ich kann nichts für dich tun!“

Da legte die arme Seele, das Mütterchen aus dem Haus auf dem Deich, ein gutes Wort für ihn ein: „Sein Bruder hat mir die Ziegelsteine und Brocken geschenkt, aus denen ich mein armseliges Haus zusammengebaut habe, und das war sehr viel für mich Arme! Könnten nun nicht all die Brocken und ganzen Ziegelsteine als ein Ziegelstein für ihn gelten? Es ist ein Akt der Gnade gewesen. Er ist ihrer jetzt bedürftig, und hier ist ja der Urquell der Gnade!“

„Dein Bruder, der, den du den Geringsten nanntest“, sagte der Engel, „der, dessen ehrliches Tun dir am niedrigsten erschien, schenkt dir seine Himmelsgabe. Du sollst nicht abgewiesen werden, es soll dir erlaubt sein, hier draußen zu stehen und nachzusinnen und deinem Leben dort unten aufzuhelfen, aber hinein gelangst du nicht, bevor du nicht in guter Tat – etwas ausgerichtet hast!“

„Das hätte ich besser sagen können“, dachte der Räsoneur, aber er sprach es nicht laut aus, und das war wohl schon „Etwas“.

Eine Rose von Homers Grab

Eine Rose von Homers Grab

In allen Liedern des Orients erklingt die Liebe der Nachtigall zu der Rose. In den schweigenden, sternklaren Nächten bringt der geflügelte Sänger seiner duftenden Blume eine Serenade dar.

Nicht weit von Smyrna, unter den hohen Platanen, wo der Kaufmann seine belasteten Kamele treibt, die stolz ihre langen Hälse erheben und schwerfällig über eine Erde stampfen, die heilig ist, sah ich eine blühende Rosenhecke. Wilde Tauben flogen zwischen den Zweigen der hochstämmigen Bäume, und die Flügel der Tauben glänzten, wenn ein Sonnenstrahl darüber hinglitt, als seien sie aus Perlmutter gemacht.

In der Rosenhecke war eine Blüte von allen die schönste, und für sie sang die Nachtigall von ihrem Liebesschmerz, aber die Rose war stumm, nicht ein Tautropfen lag, wie eine Träne des Mitleidens, auf ihren Blättern, sie neigte sich auf ihrem Zweige über einige große Steine.

„Hier ruht der Erde größter Sänger!“ sagte die Rose, „über seinem Grabe will ich duften, meine Blätter will ich darauf verstreuen, wenn der Sturm sie mir abstreift. Der Ilias‘ Sänger ward zu Erde in dieser Erde, aus der ich sprieße! – Ich, eine Rose von Homers Grab, bin zu heilig, um für eine armselige Nachtigall zu blühen!“

Und die Nachtigall sang sich zu Tode!

Der Kameltreiber kam mit seinen beladenen Kamelen und seinen schwarzen Sklaven. Sein kleiner Sohn fand den toten Vogel und beerdigte ihn in des großen Homers Grab; und die Rosen bebten im Winde. Der Abend kam. Die Rose faltete ihre Blätter dichter zusammen und träumte,- sie träumte, es wäre ein herrlicher Sonnentag. Eine Schar fremder fränkischer Männer kam her, sie hatten eine Pilgerreise zu Homers Grab gemacht. Unter den Fremden war ein Sänger aus dem Norden, aus der Heimat der Nebel und Nordlichter. Er brach die Rose, preßte sie in einem Buche und nahm sie so mit sich nach einem anderen Weltteil hinüber, mit nach seinem fernen Vaterland. Und die Rose welkte vor Kummer und lag in dem engen Buche, das er in seinem Heim öffnete, und er sagte: „Hier ist eine Rose von Homers Grab.“

Sieh, das träumte die Blume und sie erwachte und zitterte im Windel Ein Tautropfen fiel von ihren Blättern auf des Sängers Grab; da ging die Sonne auf, und die Rose blühte schöner als zuvor. Der Tag wurde heiß, es war ja im heißen Asien. Da schallten Fußtritte, fremde Franken kamen, wie sie die Rose im Traume gesehen hatte, und unter diesen Fremden war ein Dichter aus dem Norden; er brach die Rose, drückte einen Kuß auf ihren frischen Mund, und führte sie mit sich in die Heimat der Nebel und der Nordlichter. Wie eine Mumie ruht nun die Blumenleiche in seiner llias, und wie im Traume hört sie ihn das Buch öffnen und sagen: „Hier ist eine Rose von Homers Grab!“

Das Feuerzeug

Es kam ein Soldat auf der Landstraße dahermarschiert: eins, zwei; eins, zwei! Er hatte seinen Tornister auf dem Rücken und einen Säbel an der Seite, denn er war im Krieg gewesen und wollte nun nach Hause.

Da begegnete er einer alten Hexe; sie war widerlich, ihre Unterlippe hing ihr gerade bis auf die Brust hinunter. Sie sagte: „Guten Abend, Soldat! Was hast du doch für einen schönen Säbel und großen Tornister! Du bist ein wahrer Soldat! Nun sollst du so viel Geld haben, wie du willst.“

„Ich danke dir, du alte Hexe!“ sagte der Soldat.

„Siehst du den großen Baum da?“ sagte die Hexe und zeigte auf eine Eiche, die ihnen zur Seite stand. „Er ist inwendig ganz hohl; da musst du den Wipfel erklettern, dann findest du ein Loch, durch das du dich hinabgleiten lassen und tief in den Erdboden gelangen kannst. Ich werde dir einen Strick um den Leib binden, damit ich dich wieder heraufziehen kann, wenn du mich rufst!“

„Was soll ich denn da unten?“ fragte der Soldat.

„Geld holen!“ sagte die Hexe. „Wisse, wenn du auf den Boden hinunterkommst, so bist du in einer großen Halle; da ist es ganz hell, denn da brennen über hundert Lampen. Dann erblickst du drei Türen. Du kannst sie öffnen, der Schlüssel steckt daran. Gehst du in die erste Kammer hinein, so siehst du mitten auf dem Fußboden eine große Kiste. Auf ihr sitzt ein Hund; er hat ein Paar Augen, so groß wie Teetassen, doch darum brauchst du dich nicht zu kümmern! Ich gebe dir meine blaue Schürze, die kannst du auf dem Fußboden ausbreiten, geh dann rasch hin und nimm den Hund, setze ihn auf meine Schürze, öffne die Kiste und nimm soviel Geld, wie du willst; es ist lauter Kupfer. Willst du lieber Silber haben, so musst du in das nächste Zimmer hineingehen; da sitzt ein Hund, der hat ein Paar Augen, so groß wie Mühlräder; doch das soll dich nicht kümmern. Setze ihn auf meine Schürze und nimm von dem Gelde! Willst du hingegen Gold haben, so kannst du es auch bekommen, und zwar soviel, wie du tragen willst, wenn du in die dritte Kammer hineingehst. Aber der Hund, der auf dem Goldkasten sitzt, hat zwei Augen, jedes so groß wie ein Turm. Glaube mir, das ist ein ordentlicher Hund; aber daran sollst du dich nicht kehren. Setze ihn auf meine Schürze, so tut er dir nichts, und nimm aus der Kiste soviel Gold, wie du willst!“

„Das ist nicht übel!“ sagte der Soldat. „Aber was soll ich dir geben, du alte Hexe, denn etwas willst du doch auch wohl haben?“

„Nein“, sagte die Hexe, „nicht einen einzigen Groschen will ich haben! Für mich sollst du nur ein altes Feuerzeug nehmen, das meine Großmutter vergaß, als sie das letzte Mal da unten war!“

„Nun, so binde mir den Strick um den Leib!“ sagte der Soldat.

„Hier ist er“, sagte die Hexe, „und hier ist meine blaue Schürze.“

Dann kletterte der Soldat auf den Baum hinauf, ließ sich in das Loch hinuntergleiten und stand nun, wie die Hexe gesagt hatte, unten in der großen Halle, wo die vielen Lampen brannten.

Nun öffnete er die erste Tür. Uh, da saß der Hund mit den Augen, so groß wie Teetassen, und glotzte ihn an.

„Du bist ein netter Kerl!“ sagte der Soldat, setzte ihn auf die Schürze der Hexe und nahm soviel Kupfergeld, als seine Tasche fassen konnte, schloss dann die Kiste, setzte den Hund wieder darauf und ging in das andere Zimmer hinein. Wahrhaftig, da saß der Hund mit den Augen, so groß wie Mühlräder.

„Du solltest mich lieber nicht so ansehen“, sagte der Soldat, „du könntest Augenschmerzen bekommen!“ Und dann setzte er den Hund auf die Schürze der Hexe. Aber als er das viele Silbergeld in der Kiste erblickte, warf er all das Kupfergeld, was er hatte, fort und füllte die Taschen und den Tornister nur mit Silber. Nun ging er in die dritte Kammer. Das war hässlich! Der Hund darin hatte wirklich zwei Augen, so groß wie ein Turm, und die drehten sich im Kopfe, gerade wie die Flügel von Windmühlen.

„Guten Abend!“ sagte der Soldat und berührte die Mütze, denn einen solchen Hund hatte er früher nie gesehen; aber als er ihn etwas genauer betrachtet hatte, dachte er: ‚Nun ist es genug!‘ hob ihn auf den Fußboden herunter und machte die Kiste auf. Was war da für eine Menge Gold! Er konnte dafür die ganze Stadt und die Zuckerferkel der Kuchenfrauen, alle Zinnsoldaten, Peitschen und Schaukelpferde in der ganzen Welt kaufen! Ja, das war einmal Gold! Nun warf der Soldat alles Silbergeld, womit er seine Taschen und seinen Tornister gefüllt hatte, fort und nahm dafür Gold; ja, alle Taschen, der Tornister, die Mütze und die Stiefel wurden gefüllt, so dass er kaum gehen konnte; nun hatte er Geld! Den Hund setzte er auf die Kiste, schlug die Türe zu und rief dann durch den Baum hinauf:

„Zieh mich jetzt in die Höhe, du alte Hexe!“

„Hast du auch das Feuerzeug?“ fragte die Hexe.

„Wahrhaftig“, sagte der Soldat, „das habe ich vergessen.“ Und er ging und holte es. Die Hexe zog ihn hinauf, und da stand er wieder auf der Landstraße, die Taschen, Stiefel, Tornister und Mütze voll Gold.

„Was willst du mit dem Feuerzeug?“ fragte der Soldat.

„Das geht dich nichts an!“ sagte die alte Hexe. „Nun hast du ja Geld bekommen! Gib mir nur das Feuerzeug!“

„Ach was!“ sagte der Soldat. „Willst du mir gleich sagen, was du damit willst, oder ich ziehe ganz einfach meinen Säbel aus der Scheide und schlage dir ohne zu zögern den Kopf ab!“

„Nein!“ sagte die Hexe.

Da schlug der Soldat ihr den Kopf ab. Da lag sie. Aber er band all sein Geld in ihre Schürze, nahm es wie ein Bündel auf seinen Rücken, steckte das Feuerzeug ein und ging gerade nach der Stadt.

Das war eine prächtige Stadt, und in den prachtvollsten Wirtshäusern kehrte er ein, verlangte die allerbesten Zimmer und seine Lieblingsspeisen, denn nun war er ja reich, da er soviel Geld hatte.

Dem Diener, der seine Stiefel putzen sollte, kam es freilich vor, als seien es recht jämmerliche, alte Stiefel, die ein so reicher Herr besaß, aber er hatte sich noch keine neuen gekauft; am nächsten Tage bekam er anständige Stiefel und schöne Kleider. Nun war aus dem Soldaten ein vornehmer Herr geworden, und man erzählte ihm von all den Herrlichkeiten, die in der Stadt waren, und von dem König und was für eine niedliche Prinzessin seine Tochter sei.

„Wo kann man sie zu sehen bekommen?“ fragte der Soldat.

„Sie ist gar nicht zu Gesicht zu bekommen!“ antwortete man. „Sie wohnt in einem großen Schlosse, von vielen Mauern und Türmen umgeben. Niemand außer dem König darf bei ihr ein und aus gehen, denn es ist prophezeit, dass sie an einen ganz gemeinen Soldaten verheiratet wird, und das kann der König nicht zugeben.“

‚Ich möchte sie wohl sehen!‘ dachte der Soldat, aber dazu konnte er ja durchaus keine Erlaubnis erhalten.

Nun lebte er recht lustig, besuchte das Theater, fuhr in des Königs Garten und gab den Armen viel Geld, und das war hübsch von ihm; er wusste noch von früheren Zeiten her, wie schlimm es ist, nicht einen Groschen zu besitzen! Er war immer noch reich, hatte schöne Kleider und bekam viele Freunde, die alle sagten, er sei ein vortrefflicher Mensch, ein wahrer Edelmann, und das hatte der Soldat gern! Aber da er jeden Tag Geld ausgab und nie etwas einnahm, so blieben ihm zuletzt nicht mehr als zwei Groschen übrig. Er musste die schönen Zimmer verlassen und oben in einer ganz kleinen Kammer wohnen, dicht unter dem Dache, seine Stiefel selbst bürsten und sie mit einer Stopfnadel zusammennähen, und keiner seiner Freunde kam zu ihm, denn es waren viele Treppen hinaufzusteigen.

Es war ein ganz dunkler Abend, er konnte sich nicht einmal ein Licht kaufen, aber da fiel es ihm ein, dass ein kleines Stückchen in dem Feuerzeuge liege, das er aus dem hohlen Baume, in den die Hexe ihm hinuntergeholfen, genommen hatte. Er holte das Feuerzeug und das Lichtstückchen vor; aber gerade als er Feuer schlug, sprang die Tür auf, und der Hund, der Augen so groß wie ein paar Teetassen hatte und den er unten unter dem Baume gesehen hatte, stand vor ihm und fragte: „Was befiehlt mein Herr?“

„Was ist das?“ fragte der Soldat. „Das ist ja ein lustiges Feuerzeug, wenn ich so bekommen kann, was ich haben will! Schaffe mit etwas Geld“, sagte er zum Hunde, und schnell war er fort und wieder da, und hielt einen großen Beutel voll Geld in seinem Maule.

Nun wusste der Soldat, was für ein prächtiges Feuerzeug das war! Schlug er einmal, so kam der Hund, der auf der Kiste mit Kupfergeld saß, schlug er zweimal, so kam der, der das Silbergeld bewachte, und schlug er dreimal, so kam der, der das Gold hatte. Nun zog der Soldat wieder in die schönen Zimmer, erschien wieder in schönen Kleidern, und da erkannten ihn sogleich alle seine Freunde und hielten sehr viel von ihm.

Da dachte er einmal: ‚Es ist doch etwas recht Sonderbares, dass man die Prinzessin nicht zu sehen bekommen kann. Sie soll sehr schön sein; aber was kann das helfen, wenn sie immer in dem großen Schlosse sitzen soll! Kann ich sie denn gar nicht zu sehen bekommen? Wo ist mein Feuerzeug? Er schlug Feuer, und da kam der Hund mit den Augen, so groß wie Teetassen.

„Es ist freilich mitten in der Nacht“, sagte der Soldat, „aber ich möchte herzlich gern die Prinzessin nur einen Augenblick sehen!“

Der Hund war gleich aus der Tür, und ehe der Soldat daran dachte, sah er ihn schon mit der Prinzessin wieder. Sie saß und schlief auf dem Rücken des Hundes und war so lieblich, dass jedermann sehen konnte, dass es eine wirkliche Prinzessin war; der Soldat konnte es durchaus nicht unterlassen, sie zu küssen, denn er war ganz und gar Soldat.

Darauf lief der Hund mit der Prinzessin zurück. Doch als es Morgen wurde und der König und die Königin kamen, sagte die Prinzessin, sie habe in der vorigen Nacht einen ganz sonderbaren Traum von einem Hunde und einem Soldaten gehabt. Sie sei auf dem Hunde geritten, und der Soldat habe sie geküsst.

„Das wäre wahrlich eine schöne Geschichte!“ sagte die Königin.

Nun sollte in der nächsten Nacht eine der alten Hofdamen am Bette der Prinzessin wachen, um zu sehen, ob es ein Traum sei oder was sonst.

Der Soldat hatte eine außerordentliche Sehnsucht, die Prinzessin wiederzusehen, und so kam denn der Hund in der Nacht, nahm sie und lief, was er konnte; aber die alte Hofdame lief ebenso schnell hinterher. Als sie nun sah, dass der Hund mit der Prinzessin in einem großen Hause verschwand, dachte sie: ‚Nun weiß ich, wo er ist‘, und machte mit einem Stück Kreide ein großes Kreuz an die Tür. Dann ging sie nach Hause und legte sich nieder, und der Hund kam auch mit der Prinzessin wieder. Aber als er sah, dass ein Kreuz an der Tür, wo der Soldat wohnte, gemacht war, nahm er auch ein Stück Kreide und machte Kreuze an alle Türen in der ganzen Stadt. Das war klug getan, denn nun konnte ja die Hofdame die richtige Tür nicht finden, da Kreuze an allen waren.

Frühmorgens kamen der König und die Königin, die alte Hofdame und alle Offiziere, um zu sehen, wo die Prinzessin gewesen war.

„Da ist es!“ sagte der König, als er die erste Tür mit einem Kreuze erblickte.

„Nein, dort ist es, lieber Mann!“ sagte die Königin, als sie die zweite Tür mit einem Kreuze darauf gewahr wurde.

„Aber da ist eins und dort ist eins!“ sagten alle; wohin sie blickten, waren Kreuze an den Türen. Da begriffen sie denn wohl, dass ihnen das Suchen nichts helfen würde.

Aber die Königin war eine äußerst kluge Frau, die mehr konnte als in einer Kutsche fahren. Sie nahm ihre große, goldene Schere, schnitt ein großes Stück Seidenzeug in Stücke und nähte einen kleinen, niedlichen Beutel; den füllte sie mit feiner Buchweizengrütze, band ihn der Prinzessin auf den Rücken, und als das getan war, schnitt sie ein kleines Loch in den Beutel, so dass die Grütze den ganzen Weg bestreuen konnte, den die Prinzessin nahm.

In der Nacht kam nun der Hund wieder, nahm die Prinzessin auf den Rücken und lief mit ihr zu dem Soldaten hin, der sie lieb hatte und gern ein Prinz hätte sein mögen, um sie zur Frau bekommen zu können.

Der Hund merkte nicht, wie die Grütze gerade vom Schlosse bis zum Fenster des Soldaten, wo er mit der Prinzessin die Mauer hinauflief, sich ausstreute. Am Morgen sahen der König und die Königin nun wohl, wo ihre Tochter gewesen war, und da nahmen sie den Soldaten und setzten ihn ins Gefängnis.

Da saß er. Hu, wie dunkel und hässlich war es da! Und dazu sagte man ihm: „Morgen wirst du gehängt werden.“ Das zu hören, war eben nicht ergötzlich, und sein Feuerzeug hatte er zu Hause im Gasthofe gelassen. Am Morgen konnte er durch das Eisengitter vor dem kleinen Fenster sehen, wie sich das Volk beeilte, aus der Stadt zu kommen, um ihn hängen zu sehen. Er hörte die Trommeln und sah die Soldaten marschieren. Alle Menschen liefen hinaus; unter ihnen war auch ein Schuhmacherjunge mit Schurzfell und Pantoffeln; er lief so im Galopp, dass einer seiner Pantoffeln gerade gegen die Mauer abflog, hinter der der Soldat saß und durch das Eisengitter hinaussah.

„Ei, du Schuhmacherjunge! Du brauchst nicht solche Eile zu haben“, sagte der Soldat zu ihm; „es wird nichts daraus, bevor ich komme! Willst du aber hinlaufen, wo ich gewohnt habe, und mir mein Feuerzeug holen, so sollst du vier Groschen haben! Aber du musst schnell machen!“ Der Schuhmacherjunge wollte gern die vier Groschen haben und lief fort nach dem Feuerzeuge, brachte es dem Soldaten und – ja, nun werden wir hören!

Außerhalb der Stadt war ein großer Galgen gemauert, ringsherum standen die Soldaten und viele tausend Menschen. Der König und die Königin saßen oben auf einem prächtigen Thron, den Richtern und dem ganzen Rat gegenüber.

Der Soldat stand schon oben auf der Leiter; aber als sie ihm den Strick um den Hals legen wollten, sagte er, dass man ja immer einem armen Sünder, bevor er seine Strafe erdulde, die Erfüllung eines unschuldigen Wunsches gewähre. Er möchte eine Pfeife Tabak rauchen, es sei ja die letzte Pfeife, die er in dieser Welt bekomme.

Das wollte der König ihm denn auch nicht abschlagen, und so nahm der Soldat sein Feuerzeug und schlug Feuer, ein-, zwei-, dreimal! Da standen alle drei Hunde, der mit den Augen, so groß wie Teetassen, der mit den Augen wie Mühlräder und der, dessen Augen so groß waren wie ein Turm.

„Helft mir, dass ich nicht gehängt werde“, sagte der Soldat, und da fielen die Hunde über die Richter und den ganzen Rat her, nahmen den einen bei den Beinen und den andern bei der Nase und warfen sie viele Ellen hoch in die Luft, dass sie beim Niederfallen sich in Stücke zerschlugen.

„Ich will nicht“, sagte der König, aber der größte Hund nahm sowohl ihn wie die Königin und warf sie den andern nach; da erschraken die Soldaten, und alles Volk rief: „Guter Soldat, du sollst unser König sein und die schöne Prinzessin haben!“

Dann setzten sie den Soldaten in des Königs Kutsche, und alle drei Hunde tanzten vorauf und riefen Hurra, und die Knaben pfiffen auf den Fingern, und die Soldaten präsentierten das Gewehr. Die Prinzessin kam aus dem Schlosse und wurde Königin, und das gefiel ihr wohl! Die Hochzeit währte acht Tage lang, und die Hunde saßen mit bei Tische und machten große Augen.