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Der Kaiserssohn und sein Pate

Der Kaiser Joseph war schon sehr alt und hatte noch immer keine Kinder. Da sagte er eines Tags in seiner Betrübnis darüber: wenn er einen Buben bekäme, dann solle der ärmste Mann, der ihm begegne, bei dem Kind zum Gevatter stehen, und siehe da, es war noch kein Jahr vergangen, so hatte er schon einen kleinen Buben. Alsbald ging er aus, um einen Paten zu suchen, und als ihm in der Stadt nur vornehme Leute begegneten, da spazierte er vors Tor und kam in den Wald. Da fand er einen armen alten Mann mit weißen Haaren und in einen ärmlichen Kittel gekleidet; den fragte er, ob er sein Gevatter werden wolle und wie er heiße? „Ich heiße Joseph“, sagte der Mann „und will schon Pate des Buben werden.“ Da war der Kaiser froh und nahm den Greis mit sich in sein Schloss, und als die Taufe vorüber war, gab er ihm eine Menge Geld und sagte, wenn das alle sei, solle er nur wiederkommen. Der Greis bedankte sich und nahm Abschied von dem Kaiser, der seitdem nichts mehr von ihm hörte, noch sah.
Als der Kaiserssohn älter ward, gewann er die Jagd sehr lieb. Eines Tags pirschte er im Walde, da begegnete ihm sein Pate (den er gleich an den weißen Haaren und dem Kittel erkannte), der grüßte und fragte ihn, ob er schon ordentlich schießen könne? „Gewiss“, antwortete der Prinz, und da grade ein Rudel Hirsche vorbeilief, legte er an und schoss, aber es fiel nicht einer. „Du kannst noch nicht schießen“, sprach der Pate, „ich will es dich lehren.“ Und er gab ihm ein Buch und sprach, das solle er mitten auf die Brust legen, dann werde er Alles treffen und zugleich solche Stärke haben, dass ihn Keiner überwinden könne. Außerdem schenkte der Pate ihm noch einen Degen, der ihm, obgleich er so schwer war, federleicht in der Hand lag und womit er aus jedem Kampf siegreich hervorgehen sollte; warnte ihn aber, Niemanden zu sagen, woher er seine Stärke habe, denn sonst werde es ihm schlecht ergehen. „Drittens“, sagte der Pate, „schenk ich dir, dass ich immer bei dir bin um dir in der Not zu helfen, wenn du recht fest an mich denkst.“ Der Prinz dankte dem Paten voller Freuden und versuchte gleich darauf sein Glück mit der Jagd. Da schoss er so viel Wild, dass ein großer Wagen es kaum fassen konnte. Als er damit nach Hause kam, wusste der Kaiser vor Verwunderung nicht, was er sagen sollte und fragte ihn, wo er denn so gut schießen gelernt habe und ebenfalls, wer ihm den schönen schweren Degen gegeben, den er mitbringe? „Den Degen fand ich im Walde“, sagte der Prinz, „und das Schießen, nun das habe ich eben gelernt.“ Als am andern Tage Übung im Ringen und Kämpfen war, da warf der Prinz alle nieder, die sich mit ihm versuchten. Der Kaiser war sehr erstaunt darüber und fragte ihn abermals, woher er die Kraft habe? „Das weiß ich nicht“, erwiderte der Prinz, „ich hab sie eben.“ Da sagte der Kaiser: „Weil du denn ein so starker Held bist, so magst du deine Mutter begleiten und mit ihr deinen Großvater besuchen, der weit von hier in der Fremde wohnt.“ „Gut“, sprach der Prinz; da ward der Wagen angespannt und sie reisten ab, nachdem sie von dem Kaiser einen sehr traurigen Abschied genommen hatten. Unterwegs mussten sie durch einen großen Wald und darin verirrten sie sich und kamen an ein Schloss, worin sechs Riesen wohnten. Als diese den Wagen gewahrten, sprangen sie hervor und schlugen den Kutscher tot und wollten auch dem Prinzen ans Leben, aber der machte Fünfen gleich den Garaus und den Sechsten zwang er, die Pferde auszuspannen und zu füttern und ließ ihm das Leben nur, nachdem der Riese ihm gelobt hatte, ihm als ein treuer Knecht zu dienen. Alsdann ging er mit seiner Mutter in das Schloss und ließ sich’s wohl sein und blieb drei Tage da. Unterdessen aber verliebte sich die Kaiserin in den Riesen, weil er so groß und stark war, und der beredete sie, dass der Prinz aus dem Wege geschafft werden müsse. „Wie fangen wir das an?“ fragte die Kaiserin. „Stelle du dich krank“, sprach der Riese, „und wenn er in Sorgen kommt, dann sage, dir habe geträumt, wenn du die Zauberrose aus dem Schloss habest, welches hundert Stunden von hier liegt, und daran röchest, dann würdest du gesund.“ In dem Schloss waren nämlich zwölf Riesen, alle noch viel stärker als die sechse, und der treulose Riese meinte, die würden dem Prinzen die Rückkehr wohl verleiden. Während die Beiden dies verabredeten, war der Prinz auf der Jagd. Als er nun heimkam, fand er seine Mutter zu Bette liegend, als ob sie sterbenskrank wäre. Da war er ganz untröstlich und außer sich vor Jammer und Leid, denn er hatte seine Mutter von Herzen lieb. Als er recht mitten im Weinen war, da fing die Kaiserin von dem Traum und der Rose an, und kaum hatte sie das Wort aus dem Munde, als er auch schon dem Riesen befahl, alsbald ein Pferd zu satteln, damit er die Zauberrose hole. Der lachte in die Faust, dass der Anschlag so gut glückte, führte bald das Pferd fix und fertig vor die Tür, und der Prinz schwang sich auf und sprengte davon. Als er nun hundert Stunden weit geritten war, kam er an das Schloss, und kaum sahen ihn die zwölf Riesen, als sie hervorstürzten, ihn zu töten, aber er schwang sein Schwert so schnell, dass in weniger als zehn Minuten keiner von ihnen seinen Kopf mehr fühlte. Dann ging er in das Schloss und das Erste, was er erblickte, war eine wunderschöne Königstochter, die ihm voller Freuden entgegeneilte und ihn als ihren Erretter pries. Sie erzählte ihm, wie die Riesen sie ihrem Vater geraubt hätten, und je mehr sie erzählte, um so besser gefiel sie dem Prinzen und er gefiel ihr auch so gut, dass sie nicht mehr Eins ohne das Andere leben konnten. Darum sprach er: „Gib mir jetzt nur die Zauberrose aus dem Garten, ich trage sie zu meiner Mutter, und wenn sie gesund ist, hole ich dich ab und führe dich in mein Schloss.“ Da war sie wohl sehr betrübt, aber der Prinz tat es nicht anders, und nachdem er ausgeruht hatte, ritt er mit der Rose fort. Daheim erzählte er seiner Mutter Alles und sie tat, als freue sie sich sehr, aber in ihrem Herzen war sie doch ärgerlich. Als der Prinz nun schlief, sagte sie dem Riesen Alles wieder, und der sann jetzt noch mehr auf Anschläge, den Prinzen zu verderben, weil er seine zwölf Gesellen getötet hatte. Endlich sprach er: „Sage, die Rose habe dich nur halb gesund gemacht und es habe dir geträumt, wenn er dir sage, wo seine Stärke sei, dann würdest du ganz gesund und könntest mit ihm reisen.“ Das tat die gottlose Mutter, und weil der Prinz sie so lieb hatte, sagte er es ihr auf der Stelle, und das Weib klatschte es noch vor Abend dem Riesen, der nicht wusste, was er vor Freuden machen solle. Als der Prinz nun schlief, machte er sich eilig über ihn und riss ihm das Buch von der Brust; dann packte er ihn am Genick und fragte ihn, was er jetzt mit ihm machen solle? Der Prinz sah wohl, dass er ganz in des Riesen Gewalt war, darum antwortete er: „Mach mit mir, was du willst.“ Er hatte nämlich im ersten Schreck vergessen, was ihm sein Pate zum Dritten geschenkt; hätte er daran gedacht, dann wäre er gerettet gewesen. Da griff ihm der treulose Riese in die Augen und riss sie ihm aus, hackte ihm die Hände ab und stieß ihn so in den Wald, und das garstige Weib hatte gar noch seine Freude dran, so dass es den armen Prinzen verhöhnte und verspottete.
So irrte der Prinz in dem weiten Walde umher und rannte überall an und zerstieß und verwundete sich so, dass in wenigen Tagen an seinem ganzen Körper kein heiles Fleckchen war. Wohl zwanzig Tage hatte er so im Walde zugebracht, und sich nur von Wurzeln und Kräutern genährt, als er eines Morgens in der Ferne Hunde bellen hörte. Er kroch nach der Gegend hin und kam an das Schloss, worin die schöne Königstochter wohnte und mit Schmerzen auf ihn wartete. Als er Stimmen hörte, bat er ein paar Leute, die vorübergingen, dass sie ihn unter Dach und zu mitleidigen Menschen bringen möchten, da er gar schwach sei und so großen Hunger habe. Da führten sie ihn ins Schloss, wo alsbald Alle zusammenliefen, den armen Verstümmelten zu sehen, doch kannte ihn Niemand. Als die Königstochter aber dazu kam, erkannte sie ihn auf den ersten Blick und stürzte ihm laut weinend um den Hals; dann wusch sie ihn und pflegte sein mit großer Treue. Da war er wohl auch erfreut, doch nicht so recht aus ganzem Herzen, denn er gedachte seiner verlornen Augen und Hände und wie er nun keine wackern Taten mehr verrichten könne. Darüber seufzte er oft tief und schwer, und besonders des Nachts, und wenn er an den Paten gedachte. „Ach lieber Pate, was hab ich getan!“ rief er da einstens aus. Alsbald stand der Pate neben ihm und sprach: „Nun, was hab ich dir gesagt? Aber weil du nur aus Liebe so unglücklich bist, will ich dir helfen.“ So sprach er, erzählte ihm Alles von seiner Mutter, dann führte er ihn an den Bach, der am Schloss vorüberfloss und wusch ihn mit dem Wasser. Davon wuchsen ihm die Augen wieder, dass er die hellen Sterne sah, und die Hände kamen ihm wie angeflogen. Das war eine Freude im Schloss! Am folgenden Tag wurde die Hochzeit mit Lust und Jubel gefeiert, dann fuhr das junge Ehepaar zu dem Vater der Königstochter und mit ihm zum Kaiser Joseph. Der fragte den Prinzen, wo er denn seine Mutter gelassen habe? Da musste der Prinz wohl erzählen und der Kaiser erschrak so sehr darüber, dass er vor Schrecken und Trauer tot niederstürzte. Das erzürnte den Prinzen über die Maßen, er setzte sich mit seinem Schwiegervater gleich in einen Wagen und fuhr nach dem Riesenschloss, wo das Weib wohnte. Als die ihren Sohn ankommen sah, fiel sie in Ohnmacht. Der Riese wollte sich zwar zur Wehr setzen, aber es half ihm nichts, denn er hatte keine Stärke durch das Buch erlangt, und der Prinz war jetzt doppelt so stark, wie vorher. Mit einem Schlag traf er den Riesen, dass er zusammensank; dann band er das Weib mit den Füßen hinten an den Wagen und hieß den Kutscher zufahren. Als sie ein paar Stunden weiter waren, schnitt er den Strick durch und ließ sie im Walde liegen. Er bestieg jetzt den Thron und herrschte lang und glücklich, und seine Frau blieb bis in ihr hohes Alter die schönste Frau von der Welt.

Der Metzgergesell

Eines armen Sauhirten Sohn hatte die Metzgerei gelernt, weil er höher hinauswollte als sein Vater und nicht zufrieden damit war, die Stelle von dem Alten zu erben. Da der Junge nun ausgelernt und es zu etwas Rechtem in seinem Handwerk gebracht hatte ging er hinaus auf die Wanderschaft. Als er noch nicht weit von seinem Ort weg war und über eine große Heide ging, sah er einen gefallenen Ochsen am Wege liegen und fünf Tiere dabei stehen die ihn untereinander teilen wollten und nicht einig darüber werden konnten. Das war aber erstens eine Biene, zweitens ein Fuchs, dann noch ein Windhund, ein Falk und ein Löwe; die gingen ihm entgegen und baten ihn er sollte ihnen aus der Not helfen. Da zog er sein großes Schlachtmesser, zerlegte den Ochsen ordentlich nach der Handwerksregel und teilte dann die Stücke unter die fünf Tiere aus. Die Biene bekam den Kopf um hinein zu bauen, und also ein jedes nach seiner Art dasjenige Teil, welches sich am besten für es schickte.
Der Metzger ging nun wieder seines Weges, während sich die Tiere über das Fleisch hermachten; er war aber kaum tausend Schritte gegangen, so kam der Windhund hinter ihm hergelaufen, holte ihn ein und sprach, er solle noch ein Mal mit ihm umkehren zu den Andern. Als sie wieder hinkamen, wo die Tiere waren, da sprachen sie alle, sie hätten vergessen, sich bei ihm zu bedanken, Geld hätten sie keines, aber das wollten sie ihm verleihen, dass er die Gestalt von einem jeden der fünf Tiere annehmen könnte, so oft er sich in Gedanken dazu wünschen wollte. Das war er zufrieden, bedankte sich und nahm den Weg zwischen die Beine. – Nicht lange darnach kam er in das große Königreich Sizilien, und als er gerade zum Stadttor der Hauptstadt hineinging, hörte er einen Ausrufer verkündigen, dass jeder des Todes sein solle, der einen Apfel von des Königs Granatbäumen hole. Denn es waren nur zwei solcher Bäume im Land, die standen vor des Königs Fenster und er hielt große Stücke darauf.
Weil nun nichts so gut schmeckt, als das Verbotene, so dachte der Metzgerbursch gleich in seinem Vorwitz, er müsse die Granatäpfel versuchen, ob sie wirklich so gut seien. Also wünschte er sich, dass er ein Falk wäre und bei dem bloßen Gedanken schon war es geschehen. Er schwang sich in die Luft, flog auf einen von des Königs Granatbäumen, fraß von den Äpfeln und schaute zum Fenster hinein. Drinnen in dem Schloss saßen sie gerade an der Tafel und hatten vor sich Gesottenes und Gebratenes stehen; als ihm das in die Nase kam, wollten ihm die Äpfel nicht mehr schmecken. Da ward sein Vorwitz so groß, dass er zum Fenster hineinflog, ein gebratenes Huhn von der Schüssel nahm und wieder damit hinauswollte. Doch des Königs Töchterlein schlug schnelle den Fensterflügel zu, und nun war er gefangen.
Das sollte ihm aber zum Glück gereichen, denn die Prinzessin ließ ihrem Vogel Nichts zu leide tun, sondern hing ihn in einem schönen Bauer in ihrer eignen Schlafkammer auf. Die Nacht nun, da sie im Bette lag und schlief, flog er als Biene durch das Käfichtgitter, trat dann in Menschengestalt zu ihrem Lager und umarmte und küsste sie auf ihren roten Mund. Die Königstochter fuhr aus dem Schlaf empor und schrie nach Hülfe – doch bis der alte König mit seinem Hofstaat hereingelaufen kam, saß er schon wieder als Falk in seinem Bauer, hatte den Kopf unterm Flügel und tat, als ob er schliefe, also dass der König glaubte, die Prinzessin hätte nur geträumt, und sie tüchtig ausschalt wegen ihrer Ängstlichkeit.
Kaum waren die Anderen wieder weg, so wünschte er sich wieder zur Biene, kroch aus dem Käfig und trat als Mann zu der Königstochter und küsste sie wiederum. Anfangs wehrte sie sich seiner, getraute aber nicht zu schreien; bald jedoch, als sie merkte, dass er ihr Nichts zu Leide tat, wurden sie eins miteinander und blieben wonneselig beisammen bis zum Morgen.
Also war er heimlich mit der Prinzessin vermählt und lebten sie zusammen fast ein Jahr lang, ohne dass jemand im Hause dessen gewahr wurde. Endlich trug es sich zu, dass die Prinzessin einen Knaben gebar, und nun war die Sache freilich nicht mehr zu verheimlichen. Sie gestand ihrem Vater Alles. Der König war Anfangs sehr erzürnt, doch was war noch zu machen? Es war zu spät, um es zu ändern, also gab er seinen Segen dazu, ließ das Paar ordentlich trauen und ernannte den Schwiegersohn zu seinem Nachfolger.
Mit der Königstochter hatte es aber eine eigene Bewandtnis, denn der junge Erbprinz ward nun ernstlich verwarnt, nicht mit seiner jungen Frau in den Wald spazieren zu fahren. Sonst überall hin, aber im Wald würde der Wind sie hinwegführen.
Darüber lachte der Metzgerbursch; seine Neugierde und sein Vorwitz ließen ihn auch nicht eher ruhen, als bis er in dem Walde war. Sie fuhren ganz vergnügt unter den grünen Bäumen her. Da kam es aber mit einem Male heran wie ein starker Sturm, und ehe er es sich versah war seine Frau von dem Wind aus dem Wagen gehoben und hinweggeführt.
„Wiederhaben muss ich sie“ sprach er, „sie mag stecken wo sie will.“ Also ließ er die Kutsche leer nach Hause fahren, verwandelte sich in einen Windhund und lief so schnell er konnte davon, in der Richtung, in der er sie hatte verschwinden sehen. Er lief und lief bis ihn die Beine nicht mehr tragen wollten, und gelangte endlich vor einen Berg. Den betrachtete er auf und ab, konnte aber in der glatten Felsenwand kein Tor und keine Tür finden, nur einen ganz engen Riss sah er endlich zwischen dem Gestein. Da wünschte er sich wieder die Bienengestalt und kroch so in die dunkle Felsenspalte und immer tiefer in den Berg hinein. Als er aber ganz darinnen war, nahm er die Gestalt des Falken wieder an und flog hinab bis in die unterste Welt. Die Stelle, wo er niederkam bezeichnete er sich vorsichtig mit einem Stein, um den Weg auch wieder hinauf zu finden und lief dann als Windhund weiter.
Da er ein gutes Stück gelaufen war, kam er vor ein wunderschönes Schloss, es war aber rings so wohl mit starken Toren verschlossen, dass er anfangs nicht wusste hineinzukommen; nur einen freien Eingang gab es, das Schlüsselloch nämlich; durch das kroch er denn auch in Bienengestalt hinein. Wer aber drinnen in dem wunderschönen Schlosse saß das war Niemand Anderes als seine liebe Frau, da nahm er seine natürliche Gestalt an und ging zu ihr. „Bist du es oder bist du es nicht?“ sprach er. „Ich bin es“ sagte sie, „aber ich bin hier in eines Riesen Gewalt, der kommt einmal bei Tag und einmal bei Nacht, jedes Mal um elf Uhr und dann muss ich ihm den Kopf kraulen bis um zwölf.“
Es dauerte nicht gar lang so kam der Riese nach Haus. Der Metzgerbursch aber verwandelte sich schnell wieder in die Biene und setzte sich auf den Tisch unter die Brotkrumen. „Wie kommt das Tier herein?“ sprach der Riese und schlug darnach, doch die Biene war flinker, als er. Da brummte der Riese etwas in den Bart, legte sich dann hin, mit dem Kopf in den Schoß der Königstochter und ließ sich den Kopf von ihr kraulen bis um zwölf Uhr.
Als er wieder fortgegangen war, gab der Erbprinz seiner Frau einen guten Rat und sprach also zu ihr: „Wenn er wiederkommt, so stelle dich, als ob du schliefest und wenn er dich dann weckt, so erzähle ihm, du hättest einen schlimmen Traum gehabt. Fragt er dann weiter nach dem Traum, so erzähl‘ ihm, es sei dir im Schlafe vorgekommen, als wäre er gestorben und du wüsstest nicht, wie du herauskommen solltest aus dem Schloss.“
Also wie er geraten tat sie am andern Tage und es gelang wohl, denn da sie der Riese nach ihrem Traum fragte, fing sie an zu weinen, erzählte ihm, was sie im Schlafe für einen Schrecken ausgestanden hätte über seinen Tod und fragte ihn, ob sie denn all ihr Lebtag hier in dem Schlosse müsse gefangen bleiben, wenn er wirklich ein Mal sterben sollte?
„Ei du Närrin“ sprach er, „ich kann ja gar nicht sterben. Aber bei dem König von Sizilien ist ein Drache mit drei Köpfen, wer den erschlägt kann auch mich totschlagen, sonst Keiner, und von selber sterbe ich nicht.“
Das merkte sich der Prinz, der als Biene zuhörte, und freute sich, dass er nun das Geheimnis heraus hatte; die junge Frau musste dem Riesen wieder eine Stunde lang den Kopf im Schoß kraulen, dann ging er hinweg. Da sprach der Prinz zu ihr, er sei nun fest entschlossen, den Drachen in Sizilien aufzusuchen; sie nahm mit vielen Tränen Abschied von ihm und er kroch dann als Biene zum Schlüsselloch hinaus wie er hereingekommen war. Draußen ward er zum Windhund und lief bis an den Stein, den er sich zum Zeichen hingelegt hatte, ward dann zum Falken und flog hinauf und kroch zuletzt wieder als Biene aus der Felsenspalte hervor.
Nach Sizilien war es weit; er musste lange wandern, über Strom und Meer, über Berg und Tal bis er hinkam. Als er sich nun erkundigte, wie es mit dem Drachen eigentlich aussehe, erfuhr er, dass er allerdings drei Köpfe hatte und dass ihm jeden Tag, Morgens um 9 Uhr, des Königs Schweinherde musste vor die Stadt getrieben werden, damit er sich neun Stück davon auslesen konnte. Es waren aber jetzt in dem ganzen Land nur noch 36 Stück Schweine und Alles hatte Angst, dass der Drache anfinge Menschen zu fressen, wenn er sein richtig Futter nicht mehr bekäme. Da ging der Metzgerbursch vor den König und bat sich die Erlaubnis aus, dass er des anderen Tages die Schweine hinaustreiben dürfte. Das erlaubte der König gern und versprach noch dazu die Hälfte seines Königreichs und seine Tochter zur Frau, wenn er das Ungetüm aus der Welt schaffen könnte.
Punkt 9 Uhr des anderen Morgens war der fremde Hirt mit den Schweinen vor dem Tor und gleich darauf kam auch schon der Drache, hatte wirklich drei Köpfe, einen immer schrecklicher als den andern und schrie den Prinzen an: „Du Sauhirt, gib mir neun von deinen besten Säuen.“ „Keine neun Sauborsten“ sprach der Metzger, verwandelte sich in einen Löwen und riss dem Drachen in einem Nu ein Haupt herunter, dass er mit schrecklichem Geheul davon lief. Als der Prinz heim kam ward er freudig vom König empfangen. „Weil du dem Drachen einen Kopf abgehauen hast, sollst du ein großes Fass voll Wein haben.“ Am zweiten Tage war er wieder Punkt 9 Uhr mit seiner Herde vor dem Tor; der Drache ließ auch nicht auf sich warten, kam noch trotziger einher, als des Tages zuvor und fuhr ihn mit lautem Gebrüll an.- „Du Sauhirt, gib mir achtzehn von deinen besten Säuen!“ „Noch keine achtzehn Sauborsten“ sprach der Metzgerbursch, ward zum Löwen und riss dem Drachen auch das zweite Haupt herunter. „Morgen kommen wir wieder zusammen!“ brüllte das Ungetüm und lief davon.
Sie kamen wieder zusammen am anderen Tage, aber der Drache verlor seinen letzten Kopf und hatte nun ein für alle Mal den Appetit nach Schweinefleisch verloren. Der Metzgergesell oder der Prinz, wie ihrs haben wollt, sollte nun auf der Stelle mit des Königs Tochter kopuliert werden. „Nichts für ungut“ sprach er, „aber ich habe schon eine Frau; sie sitzt tausend Stunden von hier in dem Berg.“ Darnach erzählte er dem König Alles, wie es sich mit ihm zugetragen und wie er jetzt sich wieder den weiten Weg suchen müsse nach dem verwunschenen Schlosse in der Erde drin.
„Willst du meine Tochter nicht“ sagte der König, „so will ich dir einen Wagen schenken, um hinzufahren zu deiner Frau“ und hieß ihn alsbald aus der Remise ziehen. Eine eigene Bewandtnis hatte es mit der Kutsche, die der Prinz zum Geschenk bekam; denn auf der rechten Seite steckte eine Peitsche, wenn man die auf die linke Seite herüber steckte so fing der Wagen an zu fahren, als wenn tausend Pferde daran gezogen hätten, bis man die Peitsche wieder hinübersteckte auf die rechte Seite, dann stand er mit einem Schlage still und man konnte aussteigen.
So war es dem Erbprinzen ein leichtes, wieder an den verzauberten Berg zu kommen – schon am zweiten Tage war er dort, kroch als Biene hinein, flog als Falke hinab, lief als Windhund zum Schloss, kam wieder als Biene hinein zu seiner Frau und ward bei ihr zum Menschen. Als aber der Riese wieder heimkam, so verwandelte er sich nicht mehr in die Biene vor ihm, sondern in den Löwen und riss ihm das Haupt von den Schultern ab. Nun war sie erlöst und fuhr mit ihrem Manne in dem Zauberwagen zuerst nach Hause zu ihrem Vater, dann aber auf Besuch zum König von Sizilien.

Der Traum des Wolfes

Der Wolf lag in einer Nacht in seinem Loche, da klang es ihm im linken Ohr. „Das bedeutet eine hochzeitliche Speise“ sprach er, ließ morgens alle Brocken liegen, welche er noch übrig hatte und marschierte weg. Da kam er auf eine Wiese, wo zwei Widder weideten; er ging zu ihnen und sprach: „Einen von euch muss ich fressen.“ „Herr wie du willst“, sprach der älteste von den Widdern, „wir können gegen dich nichts ausrichten, aber du bist ein guter Landmesser und könntest vorher die Weide abmessen, wie viel jedem von uns gehört, dann gibt es keine Erbstreitigkeiten.“ „Das soll geschehen“ sprach der Wolf, dem dies schmeichelte, und er lief die Nase an der Erde rund um die Wiese herum und stellte sich dann in die Mitte. „Stellt euch auf die beiden Ecken“, rief der Wolf, „du dahin, du dorthin und laufet auf mich zu, dann werdet ihr finden, dass ich recht gemessen habe.“ Das geschah, die Widder liefen auf ihn zu und stießen ihn so unsanft mit den Hörnern, dass ihm der Appetit nach ihnen verging und er für tot liegen blieb.
Als er wieder zu sich kam, sprach er: „Die Schmerzen achte ich nicht, ich traue auf mein Ohr“, und er ging weiter und kam an eine andere Wiese, da weidete ein Pferd mit einem Füllen. „Eins von euch muss ich fressen“ rief er. Das Pferd sprach: „Herr wie du willst, du bist der Stärkere, aber ich habe mir einen Dorn in den Fuß getreten, frisst du mir mein Füllen, dann habe ich Niemand, der mir den Dorn aus dem Fuße zieht; darum bitte ich dich, tu mir zuvor den Liebesdienst, du bist als ein geschickter Feldscherer bekannt.“ „Das soll geschehen“, sprach der Wolf, dem der Mund nach dem jungen Füllenfleisch wässerte, und dem das Lob außerdem wohl tat. „Heb nur den Fuß auf und sage mir, wo der Dorn steckt, ich hole ihn eins zwei drei heraus.“ Das Pferd hob einen Hinterhuf, der Wolf trat hinzu; als er aber recht genau zuguckte, schlug ihn das Pferd vor den Kopf, dass ihm grün und gelb vor den Augen wurde und er für tot liegen blieb.
Als er wieder zur Besinnung kam, sprach er: „Die Schmerzen achte ich nicht, ich traue meinem Ohr und muss meine hochzeitliche Speise finden.“ Er schritt, Anfangs matt, dann immer rüstiger weiter und kam an ein Dorf. Vor dem Dorf stand der Backofen und glühte, und vor dem Backofen stand eine alte Geiß mit sieben jungen Geißchen, die meckerten, dass es eine Art hatte. Der Wolf lief auf sie zu und rief: „Eins von euch muss ich fressen.“ „Muss ist ein bitter Kraut“, sprach die Geiß, „aber Herr wie du willst, denn du bist der Stärkere. Nur könntest du uns zuvor noch einen Gefallen tun.“ „Was ist das?“ fragte der Wolf. „Wir sangen so eben das Lied „Eine feste Burg“ aber die Melodie will nicht recht heraus; da du ein so guter Sänger bist, könntest du sie uns einmal vorsingen, dann magst du sogleich eins von meinen Geißerchen fressen und kannst es dir aussuchen.“ Das schmeichelte dem Wolf nicht wenig, denn er hörte sich gar zu gern loben. Er setzte sich auf seine Hinterbeine, fegte mit den Vorderpfoten in der Luft herum als schlüge er den Takt und hub an zu heulen, dass alle Bauern im Dorfe zusammenliefen und ihm das Fell so zergerbten, dass ihm die Lust nach Geißenfleisch ganz und gar verging.
Da schlich er betrübt und hungrig in den Wald, legte sich unter einen Eichbaum und rief: „Ach was bin ich doch für ein dummer Kerl! Ach Gott, wirf dein scharfes Schwert von deinem elfenbeinernen Turm und strafe mich um meiner Dummheit willen, dass ich meinem linken Ohr so viel getraut habe!“ Nun saß auf der Eiche ein Bauer, der mit seinem Beil im Walde gearbeitet hatte, und als er den Wolf kommen sah, auf den Baum geklettert war. Als der den Wolf also rufen hörte, fasste er das Beil und warf es ihm grade zwischen die Ohren. „Uh“ schrie der Wolf, „die Stätte ist gar zu heilig, da wird jede Bitte alsbald erhört“ und er schleppte sich schachmatt und halbtot zu seiner Höhle. Da fand er kein Bröcklein mehr von seinem Vorrat und er sprach trostlos zu sich selbst: „Mein Vater war kein Landmesser, drum kann ich auch keiner sein; mein Vater war kein Feldscherer, drum kann ich auch keiner sein; mein Vater war kein Sänger, drum kann ich auch keiner sein und kann mir mein Brot nicht verdienen.“ Und darüber quälte er sich so, dass er sich hinlegte und starb.

Die eisernen Stiefel

Ein König hatte ein großes Schloss, darin wohnte er mit seiner Frau. Sie waren aber gar nicht glücklich darin, denn sie hatten wohl Reichtümer genug, Dienerschaft die Menge und große Ställe voll Pferde, aber das Beste und Schönste fehlte ihnen, sie hatten keine Kinder. Das machte ihnen ihr Leben recht bitter und das Herz oft so schwer, dass sie weinen mussten. Aber es schien ihnen noch viel mehr Trübsal und Leid bestimmt, denn eines Tages brach ein großes Feuer aus, welches das ganze Schloss verzehrte. Der König und die Königin kamen zwar mit dem Leben davon, aber von all ihren Schätzen und all ihrer Habe retteten sie nur eine eiserne Kiste voll Gold. Damit bauten sie das schöne Schloss wieder auf, aber die Freude währte nicht lange. Ein zweiter Brand verschlang das neue Schloss und es wurde nichts gerettet, als die eiserne Kiste, die aber war leer. So war der König plötzlich so arm geworden, wie der ärmste Mann in seinem Lande, und noch ärmer, denn ein armer Mann kann wenigstens arbeiten und sich sein Brot verdienen, das aber konnte der König nicht. Seine Diener und Hofherren waren im Nu wie fortgeblasen, denn in des Königs Haus geht nicht viel Treue ein und aus und ein König kann noch viel eher sagen als unser eins: der Freunde in der Not gehen hundert auf ein Lot. Da nahm er seine Frau an der Hand und die Beiden gingen tief betrübt in den Wald. Da stand ein verlassenes Hirtenhäuschen, dies bezogen sie und wirtschafteten darin, wie geringe Leute. Der König trug selbst sein Brennholz nach Hause und die Königin machte selber Feuer an und kochte Suppe und Kartoffeln. Das war sehr ungewohnte Arbeit für sie, darum wurde es ihnen Anfangs recht sauer, aber nach und nach ging es immer besser und sie hatten sich mit jedem Tage lieber, viel lieber als da, wo sie noch auf dem Throne saßen und Alles vollauf hatten.
Eines Tages, als der König im Walde Holz fällte, trat ein fremder unbekannter Mann zu ihm, der fragte ihn, wie es ihm gehe? „Nicht allzu gut“ sprach der König. „Es will immer noch nicht so recht vorwärts mit der Arbeit.“ Sprach der Fremde: „Ihr habt nicht nötig zu arbeiten, ihr könnt es besser haben, das liegt nur an euch.“ „Wie meint ihr das?“ „Wenn ihr mir schriftlich versprecht, was ihr nicht wisst, dann fülle ich euch eure eiserne Kiste mit Gold.“ Der König dachte: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß, und gab dem Fremden das Versprechen auf ein Stück Papier. Der aber lachte boshaft und sprach: „Dann lasset Beil und Holz nur hier liegen und geht nach Hause.“
Als der König nach Hause kam, sprang seine Frau ihm schon von weitem entgegen und rief: „Ein Glück kommt selten allein, denke dir, die eiserne Kiste ist voll Gold und was wir uns seit Jahren schon gewünscht haben, unser größtes Glück das sollen wir auch bekommen.“ Wie war der König da so froh! Er ließ alsbald alle möglichen Handwerker kommen, Maurer und Zimmermann, Schlosser und Schreiner und es dauerte nicht lange, da stand an der Stelle des Hüttchens das schönste Schloss von der Welt im Walde. Noch wohnte er keine drei Wochen darin, da erfüllte sich auch das andere Glück, denn die Königin genas eines schönen Söhnchens; so dass dem Könige nichts zu wünschen übrig blieb.
Am folgenden Tage ließ sich ein fremder Mann bei dem König melden. Als derselbe hereintrat, begrüßte ihn der König mit vieler Freude und wollte ihm von seinem Glück erzählen, aber der Fremde sprach: „Ich weiß schon Alles, dein Sohn ist ja das, was du mir versprochen hast, ohne es zu wissen. Sobald er fünfzehn Jahre alt ist, muss er in den Wald kommen, da wo ich dich gefunden habe, da will ich ihn holen und mit mir nehmen.“ Mit den Worten war der Fremde verschwunden, der König stand aber da, wie vom Donner gerührt. Da lagen nun alle seine Hoffnungen, und viel lieber wäre er wieder im Waldhäuschen gewesen, als in seinem großen und prächtigen Schloss, denn um den Preis hatte er ja seinen Sohn verkauft. In der ersten Zeit sagte er der Königin nichts davon, als sie es aber später erfuhr, da weinte sie Tag und Nacht und wollte sich nicht trösten lassen. Der König suchte sie zu beruhigen und sagte: „Wer weiß, ob es nicht besser geht, als wir glauben. Es wird sich wohl ein Mittel finden, unser Kind zu retten. Warum sollen wir uns jetzt schon darüber quälen und uns alle Freude verbittern; Gott wird schon helfen, wenn wir das Unsrige tun.“ Eine Zeit lang schlugen diese Reden wenig an, später aber wurde die Königin immer ruhiger und endlich ganz heiter, denn sie hatte Gott Alles anheim gestellt.
Als das Kind größer wurde, gaben es die Ältern einem frommen Priester zur Erziehung, dass er es in Allem unterrichte, was ein Prinz wissen muss. Sie verschwiegen ihm zwar, was es mit dem Knaben für eine gefährliche Bewandtnis hatte, denn der König schämte sich zu sagen, dass er sich mit dem Teufel eingelassen habe und sich von ihm betrügen lassen, doch der Priester merkte es dem Kinde alsbald an, dass es dem Bösen verschrieben und verkauft war. Darum erzog er den Knaben vor Allem in der Gottesfurcht, ließ es aber dabei an andern Künsten und gelehrten Dingen nicht fehlen. Als der Knabe das vierzehnte Jahr erreicht hatte, sprach er zu ihm: „Gehe zu deinen Ältern und frage sie, an welchem Tage du in dem Walde sein musst, da wo dein Vater stand, als ihm der fremde Mann zuerst erschienen ist, und bringe mir Antwort um jeden Preis.“ Der Knabe ging in das Schloss und fragte zuerst seine Mutter, dann seinen Vater, doch Beide wollten es ihm nicht sagen, bis er sie bedrohte; da gestand der König Alles, wie es war, und dass er an seinem fünfzehnten Geburtstage auf der Waldwiese sein müsse. Getrost kehrte der Prinz zurück, denn er fürchtete sich vor nichts; er blieb nun bei seinem Lehrer, dem er Alles wieder erzählte, und während des ganzen Jahres war nicht einmal die Rede von dem Abenteuer, welches ihm bevorstand.
Am Morgen seines fünfzehnten Geburtstages trat der Prinz zu dem Priester und sprach: „Ich komme, um Abschied von euch zu nehmen und euch für Alles zu danken, was ich hier gelernt habe. Mit Gottes Hülfe werde ich wohl des Teufels Meister werden.“ „Das geht nicht so leicht“, sagte der Priester; „wenn du mir aber folgen willst, kann es dir nicht fehlen.“ Er gab ihm einen Stab und unterrichtete ihn in Allem, was er zu tun hatte, begleitete ihn noch bis zum Rande des Waldes und schied von ihm mit seinem Segen und vielen guten Wünschen.
Der Prinz schritt wacker zu und kam bald an den Platz, wo er des Bösen warten sollte. Er schaute sich nach allen Seiten um, aber da war nichts zu hören noch zu sehn. Der Wald lag totenstill da, kein Vogel sang darin, nur manchmal raschelte ein Eichhörnchen durch die Zweige oder ein Reh lief scheu vorüber. Da fing ihm wohl das Herz an zu pochen, doch fasste er all seinen Mut zusammen und sang ein frisches frommes Lied. Da schallen plötzlich helle Töne, wie von vieler Musik aus der Luft, Trommeln und Pfeifen, Hörner und Geigen. Er schaute empor, da fuhr ein Schiff durch die Luft daher und auf ihn zu, darin saß eine Menge von Teufeln, die musizierten und sangen und schrieen dazwischen:
„Die Zeit und Stunde die ist aus,
Ferdinand, Ferdinand komm herauf!“
Dabei streckten sie die Klauen nach ihm aus, um ihn zu greifen, aber er nicht faul schlug ihnen mit dem Stabe drauf, da heulten sie ganz erbärmlich und fuhren weiter, als ob ein Gewitter hinter ihnen drein gewesen wäre.
Der Prinz atmete frisch auf, doch nicht lange, denn da kam ein zweites Schiff gefahren, darin saßen noch viel ärgere und größere Teufel als in dem ersten; sie machten eine so durchdringende Musik, dass er sich fast die Ohren zuhalten musste, und schrieen:
„Die Zeit und Stunde die ist aus,
Ferdinand, Ferdinand komm herauf!“
griffen auch mit ihren Klauen und Krallen nach ihm. Er teilte ihnen aber so gründliche Schläge aus, dass sie heulend zurückfuhren und das Schiff schoss weiter, wie ein Pfeil vom Bogen.
Jetzt war des Prinzen Mut gewachsen, denn da er die zwei Schiffe voll Teufel bestanden hatte, meinte er auch das dritte noch bestehen zu können, wenn ja ein solches noch kommen sollte. Nun kam zwar kein Schiff weiter, doch sein Mut litt eine noch härtere Probe. Es fuhr nämlich ein goldner Wagen heran, der mit feurigen Pferden bespannt war, daraus erscholl eine so sinnverwirrende Musik, dass Ferdinand seiner Besinnung nur schwer Meister blieb. Wie in den Schiffen, so saßen auch in dem Wagen Teufel die Menge, zu oberst aber der Altteufel, der lehnte sich weit aus dem Wagen heraus und rief mit gräulicher Stimme:
„Die Zeit und Stunde die ist aus,
Ferdinand, Ferdinand komm herauf!“
Dabei hielt er dem Prinzen das Papier vor, welches der König unterschrieben hatte. Ferdinand nahm aber all seine Kraft zusammen und schlug den Altteufel, als derselbe nach ihm greifen wollte, mit dem Stabe tüchtig auf seine Pfote. Da ließ er die Handschrift fallen und schrie, dass der ganze Wald widerhallte; die Pferde schnaubten Feuer und der Wagen zischte durch die Luft dahin schneller wie der Blitz.
Nun stand Ferdinand allein im Walde da, aber sein Herz war leicht und fröhlich und auch der Wald wurde jetzt lebendig; wie nach einem schweren Gewitter, so kamen die Vöglein aller Orten hervor und sangen und jubilierten, die Hirsche und Rehe sprangen munter daher, als hätten sie gar keine Scheu vor ihm, und das Bächlein hüpfte frisch über die weißen Kiesel. Der Prinz eilte zu seinem Lehrer zurück, welcher ihn mit banger Spannung erwartete und sich gar sehr freute, ihn wiederzusehen. „Du bist zu großen und schönen Dingen berufen“, sprach der Priester da, „darum kannst du nicht länger bei mir bleiben und musst nun fort in die Welt.“ Der Prinz erwiderte: „Nun ich mit dem Teufel fertig geworden bin, habe ich eine wahre Sehnsucht in mir nach dem Himmelreich, darum bitte ich euch, dass ihr mir ferner helfet und saget, wie ich dahin gelangen kann.“ „Davon kann ich dir wenig sagen“, sprach der Priester. „Gehe aber im Walde fort, bis du an das große Wasser kommst, welches jenseits desselben liegt; da wohnt ein Einsiedel, der kann dir mehr davon sagen, wie ich.“
Da nahm Ferdinand Abschied von dem Priester und wanderte in den Wald hinein. Er hatte schon manchen Schritt und Tritt getan, da wurde es eines Tages lichter und immer lichter, der Wald öffnete sich vor ihm und er kam an ein großes Wasser, dessen Ende er gar nicht absehen konnte. Am Ufer lag ein Häuschen von Holz und Moos mit einem Kreuzchen drauf, da klopfte er an. Die Tür ging auf und der Einsiedel mit seinem langen grauen Bart und der braunen Kutte trat heraus. Der Prinz grüßte ihn bescheidentlich und fragte ihn: „Könnt ihr mir sagen, wie ich den Weg zum Himmelreich finde?“ Der Einsiedel antwortete: „Ich kann dir das nicht sagen, ich wohne schon dreihundert Jahre hier und sah in all der Zeit keinen Menschen; aber mein Bruder weiß es wohl, der wohnt dreihundert Meilen von hier, jenseits des Wassers, wenn du ihn fragen willst, wird er es dir sagen.“ „Wie soll ich aber über das Wasser kommen?“ fragte der Prinz weiter und der Einsiedel ging mit ihm zum Ufer, wo ein Kahn lag und sprach: „Setze dich hinein und du wirst den Weg bald gemacht haben.“ Ferdinand dankte dem frommen Manne, setzte sich in den Kahn und sogleich begann die Reise. Der Kahn schoss leicht und schnell über die Wellen daher, als ob sechs Rudrer gerudert hätten und der Wind in volle Segel geblasen hätte. Ehe er es sich versah, war der Prinz am andern Ufer und sprang aus dem Kahn ans Land. Er schritt heitern Gemütes weiter, bis er abermals an ein großes Wasser kam. Da stand am Ufer wiederum ein Häuschen von Holz und Moos mit einem Kreuzchen drauf und drinnen saß der Einsiedel mit weißem Bart und brauner Kutte und las in einem großen Buch; vor ihm stand ein Totenkopf und sein Wasserkrüglein. Ferdinand grüßte ihn und fragte: „Könnt ihr mir nicht sagen, wie ich den Weg in das Himmelreich finde?“ Der Einsiedel antwortete: „Ich kann es dir nicht sagen, ich wohne schon dreihundert Jahre hier und habe in der Zeit keinen Menschen gesehen, aber mein Bruder, der jenseits des Wassers wohnt, ist älter und klüger als ich, der kann es dir wohl sagen, wenn du ihn fragen willst.“ „Wie soll ich aber über das Wasser kommen?“ fragte der Prinz. „Dazu will ich dir verhelfen“, sprach der Einsiedel und ging mit ihm zum Ufer, wo ein Kahn lag: „Setze dich nur in diesen Kahn und du wirst bald dort sein.“ Ferdinand dankte ihm, stieg in den Kahn und fort ging es, wie der Wind. Bald landete der Kahn und er sprang ans Land. In der Ferne sah er schon das Haus des dritten Einsiedels, es war aber viel höher und größer, wie das der beiden andern. Der Prinz trat zu der Tür und klopfte, da kam der Einsiedel heraus. Ferdinand grüßte ihn bescheidentlich und fragte: „Könnt ihr mir nicht sagen, wie ich den Weg zum Himmelreich finde?“ Der Einsiedel sprach: „Ich wohne bereits seit dreihundert Jahren hier, aber noch hat mich keiner nach dem Himmelreich gefragt; ich kann es dir nicht sagen, aber droben im andern Stock des Hauses wohnen allerlei Vögel, die können es dir jedenfalls sagen.“ Der Prinz dankte dem Einsiedel für seinen Rat, stieg in den obern Stock, wo die Vögel waren und fragte sie: „Wisset ihr nicht, wie ich den Weg ins Himmelreich finde?“ Da schrieen alle die Vögel durcheinander: „Wir wissen es nicht, wir wissen es nicht, aber wir sind nicht alle beisammen. Der Vogel Greif ist ausgeflogen, wenn der wiederkommt, kann er es dir sagen, er ist eben im himmlischen Paradies.“ Es dauerte dem Prinzen gar lange, bis der Vogel Greif kam, auch war da ein Lärm und Geschrei von den Vögeln, dass er sich die Ohren zuhalten musste. Endlich schrieen sie: „Da kommt er! da kommt er!“ Der Prinz trat ans Fenster und sah, wie von fernher eine große Wolke heranflog, als sie näher kam, wurde sie immer größer und dabei rauschte es, wie ein starker Wind. Das war der Vogel Greif, er flog auf das Haus zu und ließ sich vor demselben nieder. Ferdinand trat zu ihm und fragte: „Kannst du mir sagen, wie ich in das Himmelreich komme?“ „Sagen kann ich es dir wohl“, sprach der Greif, „aber das Sagen allein hilft dir nichts, denn du kannst weder zu Wasser noch zu Lande hinein. Ich will dir aber helfen und dich hineintragen.“ Ferdinand wollte ihm danken, aber ehe er noch sprechen konnte, fasste der Greif ihn schon mit seinen ungeheuren Klauen und flog mit ihm auf, immer höher und höher, bis er ihn im Himmelreich niedersetzte.
Der Prinz schaute sich erfreut um. Er stand in einem herrlichen Garten voll der prächtigsten Blumen und Bäume; in der Mitte erhob sich ein hohes stolzes Schloss, das leuchtete in der Sonne wie von purem Gold. Vor dem Schlosse lag ein großer, großer Teich und in dem Teich eine große furchtbare Schlange. Die hätte manchen Andern in Furcht und Schrecken versetzt, der Prinz aber hatte längst verlernt, was es heiße Furcht haben. Er ging keck auf den Teich los und betrachtete sie, da hob sie ihr Haupt aus dem Wasser empor, sah ihn mit klugen Augen an und sprach: „Ferdinand, ich habe schon lange auf dich gehofft und geharrt, denn du sollst mich erlösen und kein Anderer kann es, als du allein.“ Der Prinz fragte: „Wie soll ich dies denn anfangen?“ Die Schlange antwortete: „Du musst drei Nächte im Schlosse schlafen. Da wird dir allerhand begegnen, aber du darfst dich nichts anfechten lassen, was auch komme. Bestehst du diese Zeit, dann bin ich erlöst und wir sind Beide glücklich, du und ich.“ Der Prinz versprach ihr gerne das Beste, denn er dachte, wenn er so viel ausgehalten habe, dann könne er auch noch die drei Nächte aushalten. Da gab ihm die Schlange noch allerlei Ratschläge, wie er sich zu verhalten habe, dann tauchte sie ihr Haupt nieder unter das Wasser und war verschwunden.
Ferdinand ging in dem Garten umher, die wunderbaren Bäume und Blumen zu beschauen und betrat zuletzt auch das Schloss. Da stand ein reich gedeckter Tisch im schönsten Saale, den man mit Augen sehen kann. Er setzte sich hinzu und ließ es sich wohl schmecken, und je mehr er aß und trank, um so mehr neue und köstlichere Speisen wurden von unsichtbaren Händen herbeigetragen. Gegen Abend legte er sich zu Bette, aber er konnte nicht schlafen, denn er war allzu neugierig, was wohl in der Nacht vorgehen werde.
Gegen zwölf Uhr fuhr die Tür auf und eine große Gesellschaft von prächtig gekleideten Herren und Frauen kam herein. Viele Diener mit Kerzen gingen ihnen zur Seite und hinterher kam eine zahlreiche Bande von Musikanten, welche lustige Tänze spielten. Hei, war das ein Leben! Ferdinand sah ihnen verwundert zu, wie sie tanzten und sprangen, aber er hütete sich wohl mit ihnen herum zu springen. Da kamen sie alle nach der Reihe an sein Bett und luden ihn ein, mit zu tanzen und sich mit ihnen zu freuen, aber er tat, als höre und sehe er nichts und blieb unbeweglich da liegen, wie ein Stock. Das dauerte so fort, bis die Glocke Eins schlug, da verschwand der ganze Spuk. Zugleich ringelte sich die große Schlange herein und sprach: „Ferdinand, mein Erlöser, eine Nacht hast du ausgehalten und zwei stehen dir noch bevor; fürchte dich aber nicht, es geschieht dir nichts und Niemand kann dir am Leben schaden.“
In der zweiten Nacht hatte es wiederum kaum Zwölf geschlagen, als dieselbe Gesellschaft mit Dienern und Musikanten in das Zimmer trat und ihre Tänze begann. Sie kamen an sein Bett und riefen, er solle heraus kommen und mit ihnen tanzen, doch er blieb liegen und hörte nicht auf sie. Da drohten sie ihm und als er auch da noch liegen blieb, zerrten sie ihn heraus, schlugen ihn und traten ihn mit Füßen, doch er ließ es sich ruhig gefallen und das wurde ihm nicht schwer, denn er fühlte nichts davon. Also ging es fort, bis es Eins schlug, da verschwand die ganze Sippschaft. Die Schlange kam wieder herein und sprach: „Ferdinand, Erlöser, zwei Nächte hast du glücklich ausgehalten und eine steht dir noch bevor; das ist die härteste von allen. Fürchte dich aber nicht, es geschieht dir nichts und Niemand kann dir am Leben schaden.“
Der Prinz erwartete mutig in der dritten Nacht die zwölfte Stunde. Als es schlug erschien auch das gespenstische Volk wieder und begann seine alten Streiche. Zuerst tanzte es allein, dann wollte es ihn verlocken mit zu tanzen. Als er standhaft blieb und sich nicht rührte, da rissen sie ihn aus dem Bette heraus und schlugen ihn und als auch das nicht helfen wollte, da schnitten sie ihn in Stücke und tanzten darauf im Zimmer herum, bis es Eins schlug. Da verstoben sie wie ein Rauch. Zugleich öffnete sich aber die Tür und herein kam – nicht die Schlange, sondern die allerschönste Königstochter. Die ging im Zimmer umher, las die Stücke zusammen und fügte sie aneinander. Als das letzte Stückchen dabei war, da sprang der Prinz auf und war so frisch und gesund wie vorher und schaute die Königstochter mit erstaunten Augen an. Da sprach sie: „Ferdinand, mein Erlöser, jetzt hast du dein Werk vollbracht und ich bin dein auf ewig; wir bleiben nun beisammen und du hast Alles, was dein Herz begehrt.“ Da umarmte sie der Prinz und küsste sie und Beide waren froh und glückselig. Sie führte ihn in dem ganzen Schloss umher und da wimmelte es von Bedienten und Hofherren, überall war ein neues Leben eingekehrt. Nachdem sie ihm das Schloss gezeigt hatte, führte sie ihn auch in den wunderherrlichen Garten, wo jetzt Alles noch viel schöner als vorher stand; nur an einem kleinen Gartenhäuschen ging sie vorüber und schloss es nicht auf. Da fragte der Prinz, was in dem Häuschen sei, aber sie sprach: „Da frage nicht und schließe es auch nie auf, wenn du mich lieb hast, denn wenn du dies tust, ist es dein Unglück.“ Da drang er nicht weiter in sie und versprach ihr, er wolle nie hinein schauen.
Eine Zeitlang lebte der Prinz mit der schönen Königstochter in Glück und Freude; nach und nach aber musste er stets, wenn er in dem Garten war, auf das Gartenhäuschen schauen, und er wurde mit jedem Tage neugieriger zu wissen, was wohl darin sein möge. Er sagte der Königstochter nichts davon, denn er schämte sich, ihr wieder davon anzufangen, nachdem er ihr doch das Versprechen gegeben hatte, nicht hineinschauen zu wollen. Wenn er allein im Garten war, ging er um das Häuschen herum, ob er eine Ritze fände, durch die er hineingucken könnte, aber die Fenster und die Türe waren ganz dicht. Zuletzt aber konnte er seine Neugier nicht mehr bändigen, trat hinzu und schloss kurz und gut die Türe auf. Da sah er tief, tief hinab und unter sich die Welt, auf der Welt aber seines Vaters Schloss. Alsbald überfiel ihn ein schmerzliches Heimweh und er musste immer denken: „Ach wäre ich doch nur Einmal wieder zu Hause, sähe ich meine Ältern doch nur Einmal wieder.“ Anfangs ließ er sich nichts davon merken, denn er schämte sich, sein Versprechen gebrochen zu haben, aber er wurde von Tag zu Tage stiller und betrübter. Da bat ihn seine Frau eines Morgens, er solle ihr doch sagen, was ihm fehle und sofort wolle sie es ihm gewähren. „Ich möchte meine lieben Ältern einmal wieder sehn, ich habe sie so lange nicht gesehen“, sprach er. Da seufzte sie tief auf und sagte: „So hast du dein Versprechen nicht gehalten. Da es nun aber nicht anders sein kann, so fahre hin und besuche sie, nur merke dir das Eine: Wenn du in Not geraten solltest, dann rufe mich bei meinem Namen Katharina Magdalena, so bin ich alsbald bei dir. Hüte dich jedoch, es ohne Not zu tun, denn dann würdest du mein und dein Unglück vollenden und uns Beide in bitteres Leiden bringen.“ Der Prinz versprach ihr in seiner Freude Alles, was sie wollte und wie bald er wieder zurückkehren werde. Dann nahm er Abschied von ihr, setzte sich in einen prächtigen Wagen mit sechs Schimmeln bespannt und fuhr hinab zur Erde und geraden Wegs nach seines Vaters Schloss.
Ach da fand er unterdessen gar vieles verändert. Seine liebe Mutter war gestorben und sein Vater hatte eine andere Frau genommen, welche noch sehr jung und dabei überaus schön war. Der alte König war über alle Maßen glücklich, als er seinen Sohn nach so langer Zeit wiedersah, und veranstaltete ein Fest über das andere zur Feier seiner Rückkehr. Als nun alle Gäste bei Tische saßen und die junge Königin gar so schön in ihrem Schmuck glänzte, da sprach der König: „Du bist nun viel in der Welt herumgekommen und hast manche schöne Frau gesehen, gib aber einmal der Wahrheit die Ehre und sage mir, ob du je ein so schönes Weib gesehen hast, wie meine Gemahlin ist.“ Der Prinz sprach: „Deren gibt es wohl wenige, aber ich weiß doch eine, welche noch tausendmal schöner ist.“ „Das ist nicht möglich!“ rief der König, „und das glaubt dir kein Mensch, bevor er sie sieht. Ich möchte aber wissen, wo sie denn zu finden wäre.“ „Das will ich dir sagen“, sprach der Prinz, „es ist meine Frau, und die hat ihres Gleichen nicht und neben ihr kann keine andere aufkommen.“ Das ärgerte den König und er bestand darauf, es sei unmöglich und wenn es wahr wäre, dann hätte Ferdinand sie wohl mitgebracht. Also stritten sie und erhitzen sich immer mehr, bis der Prinz rief: „Nun so muss sie herbei und mag es gehen wie es will. Katharina Magdalena!“ Da trat die wunderschöne Frau herein, und Alle verstummten, weil sie so überschön war, dass ihr nichts verglichen werden konnte; aber sie sah gar blass und traurig aus. Sie kam schweigend an den Tisch und schrieb mit ihrem feinen schneeweißen Finger darauf; das gab goldene Buchstaben und lautete also:
„Es ist dir unmöglich, ein Paar eiserne Stiefel zu zerreißen
Und ebenso unmöglich, wieder ins himmlische Paradies zu reisen.“
Und als sie das geschrieben hatte seufzte sie tief auf und verschwand. Der Prinz war schon erschrocken, als sie so blass und traurig hereintrat, und seine Schuld lag ihm schon in dem Augenblick schwer auf dem Herzen. Jetzt aber, wo er sah, dass er durch seinen Leichtsinn sein ganzes Glück verscherzt und seine liebe Frau verloren hatte, war er ganz trostlos. Er fasste sich aber bald einen Mut und sprach zu sich selber: Was ich verbrochen habe, dafür will ich auch Buße tun, und ging aus dem Saal, ohne einem der Gäste Lebewohl zu sagen. Diese waren Alle so sehr von der Erscheinung getroffen, dass ihnen die Lust zum Essen und Trinken ganz vergangen war und einer nach dem andern sich leise fortschlich.
Ferdinand ging aber zu einem Schmied, der musste ihm ein Paar eiserne Stiefel an die Füße schmieden, damit wanderte er in die weite Welt hinaus. Jahr aus, Jahr ein zog er also herum, von Land zu Land, von Stadt zu Stadt und gönnte sich kaum die allernötigste Ruhe. Da war ihm kein Sommer zu heiß und kein Winter zu kalt, kein Berg zu steil und kein Weg zu schlecht, er wanderte immer und immer zu und war da kein Halten an ihm.
Als nun einmal nach einem gar harten und kalten Winter, worin er viel Mühsal ausgestanden hatte, der liebe Gott die große warme Stube wieder aufschloss, schaute er eines Morgens nach seiner Gewohnheit nach den Stiefeln, ob er sie nicht bald zu Schanden gelaufen habe. Da sah er, dass die Sohlen so dünn waren, dass sie keine acht Tage mehr halten konnten. Das war die erste frohe Stunde, welche er seit vielen Jahren wieder hatte und er dankte Gott auf seinen Knien dafür. Sein erster Weg war nach dem Walde zu, an dessen Ende der Einsiedel am großen Wasser wohnte. Er bat ihn, dass er ihm nur einmal noch den Kahn gebe, der ihn über das große Wasser trüge und der gute Einsiedel führte ihn zum Ufer und hieß ihn einsteigen. Ebenso schnell wie das erstemal war er am andern Ufer. Der zweite Einsiedel half ihm dort in den andern Kahn, also kam er zu dem dritten Einsiedel, welcher ihn zu den Vögeln schickte. Es dauerte nicht lange, da flog der Vogel Greif wieder heran und Ferdinand bat ihn flehentlich, er möge ihn noch einmal in das Himmelreich tragen.. Da fasste der Greif ihn mit seinen starken Klauen und erhob sich in die Luft und flog immer höher und höher, bis er den Prinzen in dem wunderschönen Paradiesgarten niedersetzte. Unterwegs fragte Ferdinand, wie es der schönen Prinzessin ergehe? Da sprach der Greif: „Seitdem du fort warst, ist sie sehr traurig gewesen, nun aber feiert sie ihre Hochzeit mit ihrem neuen Gemahl.“ Das schnitt dem armen Prinzen durch das Herz, und er bat den Greif, doch nur schnell zu fliegen, bevor die Prinzessin mit ihrem neuen Gemahl in ihre Kammer gehe.
Als der Prinz an das Schloss kam, da erscholl ihm herrliche Musik entgegen und Alles war Freude und Lust. Leise schlich er durch das Tor und die Treppen hinan zu der Kammertür seiner lieben Frau. Da zog er seine jetzt ganz zerrissenen Stiefel aus und stellte sie hin; an die Türe schrieb er:
„Es ist möglich, ein Paar eiserner Stiefel zu zerreißen,
Und ist auch möglich ins himmlische Paradies zu reisen.“
Er selber aber stellte sich nebenan in eine dunkle Ecke. Abends als die Königstochter mit ihrem neuen Gemahl in ihre Kammer eingehen wollte, stieß sie an die eisernen Stiefel. Da erschrak sie freudig, aber noch mehr, als sie das Haupt erhob und auf der Tür las, was der Prinz geschrieben hatte. Sie erkannte daraus, dass ihr geliebter Ferdinand wieder zurückgekehrt sei, hieß ihren neuen Gemahl auf den andern Abend warten und ging allein in ihre Kammer. Wie war der Prinz so glücklich, als er sie in ihrer ganzen Schönheit wiedersah und nun wusste, dass sie ihn doch lieber habe, als ihren neuen Gemahl. Er regte sich aber nicht in seiner Ecke, bis sie in ihrem Zimmer war, dann ging er und offenbarte sich den Bedienten, befahl ihnen jedoch, keinem Menschen etwas von seiner Rückkehr zu sagen. Er wurde nun in seine prächtige Kammer geführt, wo er die Nacht blieb, er schlief aber nicht vor lauter Freude.
Am folgenden Tage wurde auf Befehl der Prinzessin ein herrliches Mahl bereitet und alle Hochzeitsgäste dazu geladen. Als nun die Speisen aufgetragen waren, erhob sich die Prinzessin und sprach: „Ich habe eine eiserne Kiste, worin ich meine Perlen und Edelsteine verschlossen halte. Durch Unvorsichtigkeit verlor ich den Schlüssel dazu. Ich suchte lange vergebens darnach, als ich ihn nicht finden konnte, ließ ich den Schlosser kommen und bestellte einen neuen Schlüssel. Nun habe ich glücklicherweise den alten Schlüssel wieder gefunden und möchte euren Rat hören, welchen der Beiden ich nehmen soll, den alten oder den neuen?“ „Natürlich den alten!“ riefen alle Gäste einstimmig. Da öffnete sich die Türe und der Prinz trat in den Saal und alle Gäste eilten ihm entgegen, ihn willkommen zu heißen, nur der neue Bräutigam nicht. Der schlich sich leise fort und Niemand hörte noch sah jemals wieder etwas von ihm. Zuerst vor allen aber flog die Prinzessin ihrem geliebten Gemahl an die Brust und ein glücklicheres Paar mag wohl nie gewesen sein, als die Beiden waren.

Vom Stiefelputzer Hinkelbrühe

Ein Handwerksbursche konnte nirgendwo Arbeit finden, da ging er endlich in das Schloss und verdingte sich dem König als Stiefelputzer. Der König fragte ihn: „Wie heißt du denn?“ „Ich heiße Vorgestern“ sprach er. „Das ist ein sonderbarer Name“ sprach der König.
Als er den folgenden Morgen der Prinzessin ihre Schuhe blank gewichst brachte, fragte sie ihn: „Wie heißt du denn?“ „Ich heiße Hinkelbrühe“ sprach er. Da lachte sie laut auf und rief: „Ach was ist das ein wunderlicher Name!“
Im Lauf des Tages begegnete er der Königin im Garten. Als sie den neuen Diener sah, fragte sie: „Wie heißt du denn?“ „Ich heiße Gestern“ sprach er. „Das ist ein sonderbarer Name“ sprach die Königin.
Die andern Bedienten hätten auch gern seinen Namen gewusst und fragten ihn: „Wie heißt du denn?“ „Ich heiße Heute“ sprach er und sie lachten ihn aus, dass er einen so sonderbaren Namen habe.
Ein Handwerksbursch weiß auch, was lieben ist, das kann man alle Tage hören, wenn sie aus dem Tore ziehen und ihre Abschiedslieder an die Schätze singen, die klingen oft gar betrübt. Der Stiefelwichser wusste das nicht minder als seine Kameraden und verliebte sich in niemand Geringeres, als in die Königstochter. Mit seinem Lieben allein war ihm aber nicht gedient, die Prinzessin sollte ihn auch wieder lieben und das schien sie nicht zu wollen, denn wenn er meinte, das Herz müsse ihm vor lauter Liebe brechen und oft ein recht betrübtes Gesicht machte, dann fragte sie noch nicht einmal: „Was fehlt dir Hinkelbrühe?“ Das trug er eine Zeitlang, aber endlich wurde es ihm zu arg und er sprach zu sich selbst: „Was ich mit Güte nicht erlangen kann, das will ich schon mit List und Gewalt bekommen.“
Eines Tages sah er in der Küche, wie die Köchin vom Schlosse Hinkel schlachtete und sie in den Kessel warf, um für die Prinzessin Suppe davon zu kochen. „Merkst du, Hinkelbrüh? Sie will dich haben“, sprach er zu sich selbst, und als es gegen Abend ging, da war sein Plan schon gemacht. Er ging zum Kutscher und sprach: „Du, die Prinzessin hat mir befohlen, ihre Kammerjungfer um zwölf Uhr über die Grenze zu schaffen, denn die ist plötzlich narrig geworden, und du sollst uns fahren.“ Dasselbe sagte er später auch den andern Bedienten, welche ihn darüber verspotteten und sprachen: „Ein Narr wird den andern wohl fortbringen.“
Als es gegen zwölf Uhr ging, schlich sich mein Stiefelputzer in das Zimmer der Prinzessin, stopfte seine Taschen voll Gold und Geld, fasste dann rasch das arme Mädchen in ihren Decken und lief mit ihr Hals über Kopf die Treppe hinab auf den Hof, wo der Wagen schon stand. Ehe er aber noch aus dem Schlafzimmer war, rief die Prinzessin: „Hülfe, Mutter, Hülfe!“ „Was ist dir mein Kind?“ fragte die Königin erschrocken. „Ach, Hinkelbrüh, Hinkelbrüh!“ schrie die Prinzessin. „Die kann es nicht sein“, sprach die Königin, „die Hinkelbrühe war kräftig und ist dir gesund“, denn sie dachte an die Hinkelbrühe, welche am Mittag gegessen worden war. Als sie aber aufstand und in das Schlafzimmer der Prinzessin kam, war das Bett leer. Sie lief ans Fenster, da sah sie wie der Stiefelputzer ihre Tochter in den Wagen legte und dem Kutscher winkte fortzufahren. „Hülfe“ schrie sie, „Gestern hat die Prinzessin geraubt.“ „Was tobst du nur“, rief der König, der jetzt auch erwachte, „gestern war sie ja bei uns bis spät Abends.“ Als er aber aufstand und ans Fenster zu seiner Frau trat, da schrie er gleichfalls: „Herbei, zu Hülfe, Vorgestern hat meine Tochter entführt!“ Da stürzten die Diener hinzu, liefen Treppen auf, Treppen ab und suchten den Vorgestern. Auf dem Hof wünschten sie dem Heute noch eine gute Reise mit der narrigen Kammerjungfer, denn je mehr die Prinzessin sich sträubte und schrie, um so mehr lachten sie über ihn und sprachen: „Seht nur, wie narrig sie ist, der wird Not mit ihr haben.“ Mein Stiefelputzer fuhr aber was gibst du, was hast du auf der Landstraße dahin und ruhte nicht, bis er jenseits der Grenze war. Dort mietete er sich ein prächtiges Haus, kaufte sich und der Prinzessin herrliche Kleider und wusste sich bald so bei ihr in Gunst zu setzen, dass sie meinte, sie könne nicht ohne ihn leben.
Der König und die Königin grämten sich unterdessen sehr um ihre einzige Tochter und ließen dem Stiefelputzer große Summen anbieten, wenn er sie zurück nach Hause lassen wolle; er ließ ihnen aber wieder sagen, sie käme nur heim, wenn sie ihn heirate. Was blieb da übrig? Die Ältern gaben ihre Einwilligung notgezwungen, die Prinzessin aber von Herzen gern, denn sie gewann ihn mit jedem Tage lieber und zudem hätte sie ja schwerlich noch einen Prinzen zum Manne bekommen, nachdem sie so lange bei dem Stiefelputzer gelebt hatte.

Die Schlange im brennenden Wald

Es war in einem heißen Sommer, da zündeten zwei Hirtenknaben ein Feuerchen im Walde an, um sich Kartoffeln zu braten. Aber das Feuer erfasste das dürre Laub, dann das dürre und endlich auch das grüne Holz, und da der Wind heftig wehte, so stand bald der ganze Wald in Flammen. Am Rande des Waldes arbeitete ein Bauer auf seinem Felde. Als er dem Feuer so zusah, wie es an den Bäumen emporleckte, das grüne Laub fraß und endlich Zweig um Zweig ergriff, hörte er plötzlich, wie eine Stimme aus dem Feuer ihn beim Namen rief. Er eilte darauf zu, da sah er ein Schlänglein, welches sich auf einen Baum gerettet hatte, das schaute ihn mit flehenden Augen an und rief: „Ach hilf mir doch aus dem Feuer!“ Der Bauer nahm eine lange Stange und hielt sie ihm dar, da verließ es den Baum und ringelte sich um die Stange. Der Bauer aber legte es ins Gras, machte eine Grube in die Erde und sprach: „Komm, dass ich dich in das Kühle lege, das ist gut für Brandwunden.“ Da wand das Schlänglein sich von der Stange los und kroch in die Grube und der Bauer deckte es mit Erde zu, so dass ihm nur der Kopf herausschaute. Als es eine Weile so dagelegen hatte, sprach es: „Ein Dienst ist des andern wert, plagt dich nicht ewiger Magenschmerz?“ „Das weiß der Himmel“, sprach der Bauer, „ich habe Tag und Nacht keine Ruhe davor.“ „Dann lege dich hier neben mich auf die Erde, drück die Augen zu und sperre den Mund auf“, sprach das Schlänglein. Der Bauer tat es, husch schlüpfte das Schlänglein aus der Grube heraus, dem Bauern durch Mund und Schlund und holte aus seinem Magen sieben junge Eidechsen heraus, welche ihn schon Jahr und Tag geplagt hatten. Als der Mann die Tiere sah und seinen Magen so frei fühlte, wusste er vor lauter Dankbarkeit nicht, was machen. Da sprach das Schlänglein: „Du kannst mir einen großen Dienst erweisen und es kostet dich gar nichts.“ „Ach so sag es doch schnell“, rief der glückliche Bauer, „Alles was du willst, sag es nur.“ „Nun so nimm dein Beil und haue mir den Kopf ab“, sprach das Schlänglein. „Gott behüte mich“, rief der Bauer, „das tue ich nun und nimmermehr.“ Da bat das Schlänglein aber so flehentlich darum und hielt ihm vor, er solle doch nicht sein Glück verscherzen, bis er endlich sein Beil nahm, den Kopf herumdrehte und einen kräftigen Schlag tat. Da fuhr das Schlangenhaupt weit weg, aber aus dem Leib stieg die schönste Prinzessin heraus, die sprach: „Hast du mich aus meiner Verwünschung erlöst, so will ich dich aus deiner Armut erlösen.“ Der Bauer musste sie ins Schloss fahren, da war große Freude, als der König und die Königin sie wiedersahen. Zum Lohne wurde der Wagen, womit der Bauer sie heimgebracht hatte, mit Gold beladen, so schwer als die Pferde ziehen konnten, da war der gute Bauer der reichste Mann im ganzen Königreich.

Der goldene Hirsch

Johann Wilhelm Wolf
Der goldene Hirsch

Ein König hatte seine größte Freude an großen stolzen Soldaten und schönen weißen Schilderhäuschen und konnte es ums Leben nicht ausstehn, wenn Namen oder Sprüche oder Reimchen auf die Schilderhäuschen geschrieben waren; das hatte er bei Todesstrafe verboten.

In seiner Leibgarde hatte er einen Soldaten, der war der größte Mann im Lande, so dass für ihn ein eigenes Schilderhäuschen gebaut werden musste. Als der eines Tages auf Wache vor dem Schlosse stand, wurde ihm die Zeit lang und er schrieb auf das Schilderhäuschen: „Geld macht Alles aus.“ Der König lag zufällig im Fenster und sah das, kam sogleich herunter in den Schlosshof und an das Schilderhäuschen. Da stellte er den Soldaten scharf zur Rede, las ihm den Text und sprach: „Diesmal lass ich es dir noch einmal hingehen, aber das nächste Mal nicht mehr.“ Und damit der Soldat nicht wieder in Versuchung käme, an das Schilderhäuschen zu schreiben, musste er von jetzt an im Schloss vor der Tür der Prinzessin auf Wache stehen.

Ein Soldat hat auch ein Herz und er stand nicht manchen Tag da, als er sich sterblich in die Prinzessin verliebte. Sie war aber auch so schön, wie man nur ein Mädchen sehen konnte und dazu gar freundlich und gut, nicht hochfahrend oder stolz. „Ach“, dachte da der Soldat, „wenn ich jetzt Geld hätte, dann wäre Alles gut, dann käme ich mit vielen Wagen und Bedienten und großem Hofstaat und bäte den König um ihre Hand, statt dass ich nun wie ein armer Sünder dastehe und sie kaum anblicken darf, die schöne Prinzessin.“ Und er zog sein Bleistift aus dem Sack und schrieb sein Sprüchlein mitten auf die Tür: „Geld macht Alles aus.“

Am folgenden Morgen, als der König zu seiner Tochter gehen wollte, stand der Spruch da. Sogleich wurde der Soldat vor ihn in sein Zimmer geführt und der König fragte ihn, warum er sich unterstanden habe, solches an die Tür der Prinzessin zu schreiben. Der Soldat dachte: „Sterben muss ich doch, da mag der König auch Alles wissen“ und er gestand ihm, dass er die Prinzessin liebe und ohne sie nicht leben könne, darum sei ihm der Tod am Ende ein willkommener Gast. „Wenn du meinst, dass Geld Alles ausmache“, sprach der König, „dann sollst du dessen haben, soviel dein Herz begehrt; hast du aber binnen Jahresfrist die Liebe der Prinzessin nicht gewonnen, dann lasse ich dir den Kopf abschlagen.“ Da fiel der Soldat dem König zu Füssen und dankte ihm hunderttausendmal. Der König hielt sein Wort, er ließ den Soldaten aber in einen Turm sperren und stellte zehn Mann Schildwache davor. Nun bekam der Soldat jeden Tag Tonnen voll Gold, aber was ihm fehlte war die Freiheit. Da fiel ihm wohl das Herz in die Schuhe, meinst du, aber ein rechter Mann verliert nicht den Mut, dem sitzt das Herz fester, als dass es so leicht zu Falle käme.

Der Soldat sann vor Allem nach, wie er seine Freiheit wiedergewinnen könnte. Er mochte die Schildwachen nicht bestechen, denn wie leicht hätte das herauskommen können und die armen Kerle wären unglücklich gewesen; das litt sein gutes Herz nicht. Sein Weg musste viel sicherer und kürzer sein und er fand ihn bald. Er hatte nämlich einen Zwillingsbruder, der ihm ganz ähnlich sah; den ließ er kommen, vertraute ihm die ganze Sache und versprach ihm fest und heilig, wenn sein Plan und Vorhaben nicht gelinge, vor Jahresfrist wieder im Kerker zu sein. Da wechselten sie die Kleider, der Soldat ging frei aus dem Turme und damit war schon viel gewonnen. Als er aber nach der Königstochter fragte, hieß es, sie sei auf Reisen, Niemand wisse wohin und sie komme vor Monatsfrist nicht zurück. Er beschloss ihr nachzureisen; wenn er sie auch nicht finde, so sei es doch anderswo besser und sicherer für ihn, als in der Hauptstadt, und er könne unterdessen auf Mittel denken, ihre Liebe zu gewinnen.

Also zog er aus der Hauptstadt weg und kam in eine andere große Stadt, wo er in einem vornehmen Wirtshaus einkehrte. Da dachte er Tag und Nacht nach, was er machen solle, aber was er auch herausbrachte, nichts schien ihm so recht sicher, und er dachte so viel, dass er von lauter Denken ganz mager wurde, denn er war gar nicht daran gewohnt und verstand viel besser zu kommandieren: Gewehr an! Schultert’s Gewehr und wie das Alles heißt.

Der Wirt war ein gar freundlicher und guter, dabei auch ein grundgescheiter Mann und er sah mit Schmerzen, wie sein Gast immer kränker und bleicher wurde. Oft versuchte er es, den Soldaten zum Bekenntniss zu bringen, was ihn drücke, aber der war nicht so leicht zum Sprechen zu bewegen. Endlich aber platzte er dennoch los und vertraute dem Wirt seine ganze Geschichte. „Wenn’s nichts weiter ist“, sprach der Wirt, „dann ist dir leicht zu helfen; schaffe mir nur zwei Tönnlein Gold; ich verlange für mich keinen Deut davon, denn ich bin reich genug, ich muss sie aber haben, um die nötigsten Auslagen für dich bestreiten zu können.“ Da war dem Soldaten leicht ums Herz; er schrieb seinem Bruder ins Gefängnis, dass er ihm sogleich die zwei Tönnlein Gold in das Wirtshaus sende und es währte keine acht Tage, da kamen sie schon an.

Nun ließ der Wirt zwei sehr geschickte Goldschmiede kommen, die mussten einen großen, großen Hirsch von Gold machen, der bekam Augen von dunklem Glas, fein zum Horchen aufgerichtete Ohren und war innen hohl; auf dem Rücken war aber zwischen den dichten goldnen Haaren eine Türe so fein angebracht, dass man sie unmöglich sehen konnte. Dann musste auch ein Glockenmeister herbei; der machte aus lauter kleinen und großen silbernen Glöckchen ein Glockenspiel, welches so wunderbar schöne Lieder spielte, dass es das größte Meisterstück war, welches man noch gehört hatte. Das wurde in dem Kopf des goldnen Hirsches angebracht und war ein Schnürchen daran, welches in das Innere lief; zog man einmal daran, so fing das Werk an zu spielen, zog man aber zweimal dran, so hörte es auf. Als der Hirsch fertig war, lief die ganze Stadt herbei ihn zu sehn. Der Wirt steckte den Soldaten aber in den Hirsch hinein und schloss das Türchen. Wenn nun der Wirt sagte: „Goldhirsch, spiel dein Stücklein“, so zog der Soldat einmal am Schnürchen, sagte der Wirt aber: „Goldhirsch, es ist genug“, dann zog er zweimal daran. So spielte der Hirsch, so oft der Wirt es befahl, und keiner konnte begreifen wie das zuging.

Wer war jetzt glücklicher als der Soldat. Schnell ließ er seinen Vater kommen, gab ihm die nötigen Weisungen und nachdem er dem guten Wirte noch von Herzen gedankt hatte, zogen sie ab geraden Weges zur Hauptstadt, wo die Prinzessin unterdessen wieder angekommen war. Dort war der Ruf von dem wunderbaren Goldhirsch schon weit verbreitet und jeder wollte das große Kunstwerk sehen. Des Soldaten Vater aber – denn der Soldat selbst war in dem Hirsch versteckt – sprach, es dürfe keiner den Goldhirsch sehen, bevor der König ihn gesehen habe und er fuhr mit dem prächtigen Tier in den Schlosshof hinein. Dort nahm er die Decken ab, welche es verhüllten und da leuchtete der Hirsch so herrlich in der Sonne, dass man den Glanz kaum aushalten konnte. Der König kam mit seiner Tochter herbei und Beide hatten nicht Worte genug, ihre Verwunderung auszusprechen über das stolze Tier und wie Alles daran so fein gearbeitet war. Als der Vater des Soldaten aber erst rief: „Goldhirsch, spiel dein Stücklein“ und die schönen Lieder erklangen, da konnte sich die Königstochter vor Entzücken nicht länger halten und rief: „Vater, ich will den Hirsch haben, koste er was es wolle.“ Der König hatte seine Tochter allzu lieb, als dass er ihr etwas hätte abschlagen können, darum fragte er den Vater des Soldaten, was der Hirsch koste und ließ die Summe gleich bezahlen und noch mehr dazu, denn auch er hatte große Freude an dem prächtigen Goldhirsch. Der wurde jetzt ins Schloss getragen und zwar in das Schlafzimmer der Königstochter. Dort musste der Hirsch den ganzen Abend spielen bis spät in die Nacht hinein, und die Königstochter wurde gar nicht müde zuzuhören.

Als alles im Schlosse zur Ruhe war und die Königstochter auch, da öffnete der Soldat das Türchen, stieg aus dem Hirsch und trat vor das Lager der schönen Königstochter. Der Mond schien hell in das Zimmer herein und da lag sie so schön und holdseelig da; leise beugte er sich über sie und gab ihr einen Kuss. Sie schrak vom Schlafe auf und schaute empor; als sie den schönen fremden Mann an ihrem Lager sah, stieß sie einen lauten Angstschrei aus und hüllte den Kopf in die Decke. Rasch sprang der Soldat in den Hirsch und schloss leise das Türchen hinter sich zu. Kaum war er wieder in seinem Versteck, als die Kammerfrauen und endlich selbst der König hereinstürzten und fragten, was der Prinzessin fehle? Da erzählte sie zitternd und bebend Alles, man durchsuchte das Zimmer in allen Ecken, durchsuchte die Gänge und das ganze Schloss, aber Niemand war zu finden und das ist leicht begreiflich. Sprach der König zu der Prinzessin, sie habe gewiss geträumt und solle sich nur beruhigen; es könne Niemand in ihr Zimmer hinein. Das tat sie auch und schlief bald wieder fest wie vorher.

Als der Soldat dies merkte, öffnete er wiederum das Türchen, trat zu ihrem Lager und küsste sie von neuem auf ihre schöne weiße Stirn. Erschrocken fuhr sie auf und da stand der stolze schöne Mann wieder vor ihr und hatte die Hände flehend zu ihr gefalten; sie schrie noch lauter, wie das Erstemal und verbarg sich wieder unter der Decke. Ehe man eine Hand umdreht war der Soldat verschwunden. Das ganze Schloss lief zusammen, der König kam hinzu, man fragte, man suchte, aber da war keine Spur von einem fremden Manne zu finden. Nun wurde der König böse, denn er war nicht gern im Schlafe gestört; er verwies der Prinzessin mit harten Worten ihr grundloses Geschrei und drohte, ihr den Hirsch wegzunehmen, wenn sie noch einmal schreie. Da musste sie sich wohl zufrieden geben.

Sie beschloss nun, nicht mehr einzuschlafen, denn sie wollte wissen, woher der schöne Mann komme, und stellte sich nur, als ob sie schliefe. Es dauerte nicht lange, so hörte sie ein leises Knarren an dem Goldhirsch und gleich darauf stand der Soldat vor ihr und küsste sie auf die Stirn. Sie schaute ihn groß an, aber da stürzte er zu ihren Füssen und sprach ihr so viel von seiner Liebe und wie er sein Leben für sie gewagt habe, dass die Prinzessin ihm hold wurde und versprach ihn nicht zu verraten.

Seitdem lebte er herrlich und in Freuden in dem Zimmer der Königstochter; nur wenn manchmal der alte König kam, um den Goldhirsch spielen zu hören, musste er wieder in sein Versteck hinein. So ging es fort bis zum Ende des Jahres, welches der König ihm festgesetzt hatte, die Liebe der Prinzessin zu erwerben. Da sprach er, jetzt müsse er in sein Gefängnis zurück und nahm von der Königstochter Abschied. Als diese ihn um seinen Namen fragte, sagte er: „Ich heiße Gold-macht-Alles-aus.“ „Das ist ein sonderbarer Name“, sprach die Königstochter, „aber wenn du ihn einmal hast, ist es nicht zu ändern.“

Also ging er in den Turm und erlöste seinen Bruder. Kaum war er acht Tage dahin zurückgekehrt, als die Königstochter eines schönen Knäbleins genas; dies hielt sie aber gar heimlich, so dass kein Mensch im Schloss davon wusste außer ihrer Kammerfrau. Es wurde auch heimlich getauft und bekam den Namen Goldhirsch.

Am Tage nachdem das Jahr abgelaufen war, ließ der König den Soldaten kommen und sprach: „Ich habe dir nun ein ganzes Jahr lang Gold gegeben, so viel du gewollt hast; weißt du, dass du jetzt sterben musst, weil du die Liebe der Prinzessin nicht gewonnen hast?“ „Ach das weiß ich wohl, aber ich möchte sie doch vorher noch einmal sehen“, sprach der Soldat. „Schenket mir die Gnade Herr König und führet mich zu ihr.“ „Das will ich dir gewähren“ sprach der König.

Als sie die Türe des Zimmers der Prinzessin öffneten, stand sie da und trug ihr wunderschönes Kind auf dem Arm. Frateg der König erstaunt: „Wem gehört das Kind?“ Antwortete sie: „es ist mein Kind und dem Geld-macht-Alles-aus seins“ und damit fielen Beide dem König zu Füssen und baten ihn um Verzeihung und das Kind erhob seine Händchen, als bäte es auch um Gnade.

Da stand der König starr und stumm, aber er musste wohl gute Miene zum bösen Spiel machen, denn er konnte doch sein Wort nicht brechen. So bekam der Soldat die Hand der Königstochter und nach dem Tode ihres Vaters auch das Königreich.

Des Toten Dank

Johann Wilhelm Wolf
Des Toten Dank

Es war einmal ein reicher Kaufmann, der hatte einen einzigen Sohn und handelte in die Türkei. Jedes Jahr fuhr er auf einem großen Schiff ins Morgenland, und wenn er wiederkam, war es immer mit den kostbarsten Gütern beladen. Als er nun ein alter Mann geworden war und ihm das Seereisen zu beschwerlich vorkam, dachte er, er könne es doch wohl mit seinem Sohn probieren und ihn einmal statt seiner fortschicken.

Der junge Kaufmannssohn bekam ein schönes Schiff und einen großen Beutel voll Geld und allerlei gute Rathschläge mit auf den Weg. Vor Allem aber warnte ihn sein Vater, dass er ja kein Menschenfleisch kaufen solle.

Der Kaufmannssohn segelte mit gutem Winde über das Meer und legte in der Türkei sein Schiff ans Land. Dann steckte er seinen Beutel ein und ging in die Stadt, um zu sehen, was es Gutes zu kaufen gebe. Da standen unter dem Thore eine Menge Leute und wie er hinkam, sah er den Leichnam eines schwarzen Sklaven, den hatte sein Herr da einmauern lassen, weil er ihm gestorben war, statt zu arbeiten und er ihm keinen größeren Tort mehr anzutun wusste. Wie nun der junge Mensch ein gutes Herz hatte, ging er gleich hin und fragte, ob er denn den armen Kerl nicht loskaufen könne zu ehrlichem Begräbnis. Anfangs wollte der schlimme Türke Nichts davon wissen, doch durch vieles Lamentieren und Supplicieren brachte es der Kaufmannssohn endlich dahin, dass man ihm für sein ganzes Geld den Leichnam gab, den er sogleich ehrlich und ordentlich begraben ließ.

Nun kann man sich leicht denken, was der alte Kaufmann für einen Lärm anschlug, als sein Sohn mit leerem Schiff wiederkam und erzählte, für was er sein Geld ausgegeben hatte. Er verschwor sich, dass er ihn nie mehr auf den Handel schicken wolle; doch als ein Jahr herum war, hatte ihm seine Frau so zugeredet, dass er ihn doch noch einmal gehen ließ. Als er nun wieder hinübergefahren war und in die Stadt kam, da sah er einen großen, herrlichen Garten, darin war eine wunderschöne Dame eingesperrt. Er fragte sie, wie sie dahin komme, und sie erzählte ihm, wie sie auf dem Wasser gefangen und von einem reichen Türken gekauft worden sei; sie werde zwar recht gut gehalten, aber gefangen sei sie eben doch. Gleich lief er zu ihrem Herrn und sagte, er wolle die Dame kaufen, es koste, was es wolle. Da half anfangs kein Bitten und kein Lamentieren, endlich kam es aber doch so weit, dass er sie bekam, dafür musste er freilich sein Schiff verkaufen und Alles hergeben, so dass er gerade genug übrig behielt, um mit seiner Frau auf einem andern Schiff überzufahren. Sie kamen nach Haus, er getraute sich aber nicht, seinem Vater unter die Augen zu treten. Er mietete sich ein Zimmer bei einem Bekannten und ließ nur seiner Mutter heimlich sagen, er wäre da. Die Mutter war bald wieder gut und schickte den jungen Eheleuten Essen und Geld und in einer guten Stunde trug sie auch ihrem Mann die Sache vor. Der aber wollte Nichts mehr von seinem Sohne wissen. Da gab die junge Frau ihrem Mann zehn Gulden, er solle Das und Jenes dafür kaufen, hernach schloss sie sich mit den Sachen, die er geholt hatte, ein und sagte, jetzt müsse er sie acht Tage lang allein lassen. Als die acht Tage herum waren, hatte sie eine wunderschöne Schabracke gestickt, mit der schickte sie ihn auf den Markt, er dürfe sie aber nicht anders geben als für fünfhundert Gulden.

Als er auf dem Markte saß, blieb Alles stehen und betrachtete die schöne Schabracke. Auch der alte Kaufmann kam, und die Stickerei gefiel ihm so gut, dass er seinem Sohn gleich sechshundert Gulden dafür bot; der aber sagte: „Willst du mich nicht, so sollst du auch die Schabracke nicht haben“, und da war’s auf immer vorbei mit der Freundschaft. Als er nun die Schabracke an einen Andern verkauft hatte, brachte er seiner Frau das Geld und erzählte ihr, wie es jetzt Alles ab sei zwischen ihm und seinem Vater. Da musste er ihr für zwanzig Gulden Sachen holen und sie vierzehn Tage allein lassen. Als aber die Zeit herum war, sagte sie zu ihm: „War ich mit dir bei deinen Leuten, so gehe jetzt mit mir zu meinen Leuten.“ Sie mieteten sich auf ein Schiff ein, die junge Frau aber holte eine Fahne herbei, die sie in den vierzehn Tagen gemacht und worein sie gestickt hatte, wer sie war und wie es ihr gegangen. Die Fahne ließ sie oben an den Mast nageln, damit jeder gleich sehen könne, wer da komme.

Jetzt muss ich aber gestehen, dass sie eigentlich eine Königstochter war. Ihr Vater hatte drei wunderschöne Töchter gehabt, die waren ihm alle drei gestohlen worden und seit drei Jahren schon segelten des Königs Schiffe in der Welt umher und suchten. Solch ein Schiff kam nun heran geschwommen und sah die Fahne. Gleich war es da. Unter großem Vivatrufen stieg die Prinzessin mit ihrem Mann hinein und rasch ging es fort nach Haus zu.

Die Befehlshaber des Schiffs waren aber drei große Bösewichter, die hätten den Lohn für die Erlösung der Prinzessin viel lieber selber gehabt und so wurden sie eins, dass sie, als es dunkel wurde, den jungen Kaufmann im Schlafe beim Kopf nahmen und hinunterwarfen in die See.

Der hatte aber kaum das Wasser berührt, so war ein kohlschwarzer Kerl neben ihm, der hielt ihn, dass er nicht sinken konnte: er glaubte es wäre der Teufel. Gegen Morgen tat ihn der Schwarze wieder ins Schiff und als seine Frau da saß und sich grämte, weil ihr die Bösewichter erzählt hatten, wie er aus Versehen über Bord gefallen sei, ging auf einmal die Tür auf und er trat frisch und gesund herein. Die drei Mörder glaubten, er sei unbemerkt am Schiff wieder in die Höhe geklettert und stellten sich, als wenn sie sich sehr über seine Rettung freuten. Sie bauten ihm nun eine Falle und lockten ihn darauf, dass er auf einmal durch ein Loch wieder in das Wasser hinab fiel und diesmal kam er nicht wieder. Dann fuhren sie mit gutem Winde weiter und landeten daheim bei dem alten König. Der hatte eine gar zu große Freude und fragte, wer denn seine Tochter erlöst habe? „Das haben wir getan!“ sagten die Mörder und weil sie der Königstochter einen Schwur abgenommen hatten, dass sie nichts sagen durfte, so wurden sie große Männer im Land und der reichste von ihnen sollte die Prinzessin heiraten. Da sie sah, dass es nicht anders ging, bat sie sich Jahr und Tag Frist aus und als die Frist um war, sagte sie, jetzt wolle sie heiraten, vorher aber müsste ihr Bräutigam die drei Brautzimmer nach ihren Gedanken ausmalen lassen. Es wurden nun aus der ganzen Welt die besten Maler herbeigerufen, aber keiner konnte es ihr recht machen, immer sagte sie, es sei nicht nach ihren Gedanken.

Jetzt müssen wir wieder nach dem Kaufmannssohn sehen. Wie der zum zweitenmal ins Wasser fiel, hatte ihn auch gleich der Schwarze wieder beim Arm und führte ihn mit sich fort durch die Luft. Unterwegs aber sagte er zu ihm, er sehe jetzt, wie schlimm seine Sachen stünden, doch könne ihm noch geholfen werden, wenn er ihm das erste Kind, das er dereinst von seiner Frau bekomme, auf seinen zwölften Geburtstag zu eigen geben wolle. In seiner Not versprach der Kaufmannssohn Alles und war nur froh, dass es nichts Größeres war. Der Schwarze flog noch lang mit ihm fort und setzte ihn endlich in ein warmes Mooshüttchen, das weit, weit an dem steinigen Meerufer stand. Da lag er nun und hatte Hunger und Durst und dachte: ach wenn du nur ein gutes Stück Braten und einen Schoppen Wein hättest! Und noch hatte er’s nicht fertig gedacht, da stand es schon da. Als er gegessen und getrunken hatte, wünschte er sich eine Pfeife Tabak, und gleich hatte er sie im Munde. So lebte er fort, Jahr und Tag, und aß und trank zu was er Lust hatte und betrachtete die weite Aussicht. Nach langer Zeit endlich kam der Schwarze und fragte ihn, ob er nicht Lebkuchenbäcker werden wolle in einer großen schönen Stadt? Er verstand sich zwar nicht auf die Bäckerei, weil er sich nie damit abgegeben, doch um nur einmal fortzukommen aus dem langweiligen Hüttchen, sagte er zu. Der Schwarze packte ihn auf, flog wieder weit, weit mit ihm fort und setzte ihn endlich in die große schöne Stadt, einem Lebkuchenbäcker vor die Tür, der gerade einen Gesellen nötig hatte und den Kaufmannssohn deswegen mit Freuden annahm. Der machte sich gleich an die Arbeit und die Sache ging ihm so gut von der Hand, dass man bald in der ganzen Stadt von dem geschickten Lebkuchenbäcker sprach. Es kam auch vor den König, der ließ ihn kommen und da er großes Wohlgefallen an ihm und seinen Bäckereien fand, so sagte er: wenn er die Lebkuchen so schön malen könne mit Bildern und Verslein, so könne er vielleicht auch seiner Tochter die Zimmer ausmalen, wie sie es haben wolle nach ihren Gedanken.

Er war gern dazu bereit und malte die drei Zimmer, eins schöner als das andere und in das dritte malte er an die Decke, wie er die Königstochter erlöst hatte und wie er verraten worden war. Als er fertig und wieder nach Haus gegangen war, kam die Prinzessin mit dem ganzen Hofstaate zur Besichtigung. Im ersten Zimmer stutzte sie, im zweiten sagte sie, es wäre recht so, aber als sie im dritten die Bilder sah, stürzte sie hin wie tot. Als sie wieder zu sich kam, fiel sie mit großem Weinen ihrem Vater zu Füßen und sagte, das habe kein Anderer gemalt, als ihr wahrhaftiger Erlöser und rechter Gemahl, und länger könne sie den Schwur nicht halten und somit gestand sie Alles.

Zugleich aber sah der König, wie die ganze Sache in dem Zimmer abgemalt war, – kam in großen Zorn und ließ die falschen Diener radbrechen, von unten herauf. Im Schloss aber gab er ein großes Fest und das ganze Land musste sich mitfreuen; der Kaufmannssohn hatte seine liebe Frau wieder und das Königreich dazu.

Er lebte von selbigem Tage an glücklich und in Freuden; seine Eltern wurden auch hergeholt und seine Frau genas eines Knäbleins, bei dem stand der alte Kaufmann zu Gevatter und es wuchs heran zu einem wunderschönen Prinzlein. Doch als das Kind zehn Jahr alt war, fiel sein Vater in Trauer, denn er gedachte seines Versprechens, das er dem Schwarzen gegeben, als er mit ihm davonflog durch die Luft.

Freilich hatte er immer den Trost: lieber König und im Schloss, als beim Teufel im Hüttchen; doch als das Kind elf Jahr alt war und ins zwölfte ging, da konnte er’s nicht mehr aushalten, und gestand Alles seiner Frau. Die hatte darob noch viel größeren Jammer als er und als des Kindes zwölfter Geburtstag herankam, da legten sie es jede Nacht zwischen sich ins Bett und hielten es fest von beiden Seiten.

Als nun die letzte Nacht da war und es auf dem Schlossturm zwölf Uhr schlug, da klopfte es dreimal ans Fenster. Die Eltern sprangen mit großem Klagen und Weinen aus dem Bett und der Vater nahm das Kind und hielt es hinaus vors Fenster, draußen aber stand der Schwarze und fragte ihn, was er denn eigentlich glaubte und für wen er ihn eigentlich hielte, gewiss für den Teufel? „Für nichts Anderes“, sagte der König. Da sprach der Schwarze: „Nein, ich bin der, den du in der Türkei hast ehrlich begraben lassen, und dir zu Gefallen bin ich noch über der Erde geschwebt, bis auf diesen Tag; jetzt magst du dein Kind behalten, ich aber will schlafen bis zum jüngsten Gericht.“

Die erlöste Schlange

Johann Wilhelm Wolf
Die erlöste Schlange

Ein Bauer ging eines Morgens in aller Frühe ins Feld zur Arbeit. Die Sonne stieg auf und es wurde immer heißer, da legte er sein Wams ab und neben sich auf die Erde. Als die Glocke Elf schlug, wollte er es wieder anziehen um nach Hause zu gehen, da sah er zu seinem Schrecken, dass eine Schlange darauf lag. Er schüttelte das Wams, doch sie war nicht wegzubringen, sie war wie angezaubert. Schon wollte der Bauer einen derben Fluch ausstoßen, da sprach die Schlange: „Ich weiche nicht von deinem Wams und von dir, bis du mir versprochen hast, mich zu heiraten.“ Das schien dem Bauer doch bedenklich und er sprach: „Das Heiraten ist eine wichtige Sache, welche man nicht also ohne Weiteres abmacht. Ich muss mich darüber besinnen und will dir Antwort sagen.“

Er ging ins Dorf und zum Pfarrer, fragte ihn, was er in der Sache zu tun habe? Der Pfarrer besann sich lange, las in einem großen Buche und sprach: „Gehe zurück und versprich der Schlange sie zu heiraten. Sie wird alsdann heute Nacht zu dir kommen und hast du Mut, so ist dein Glück gemacht. Du musst sie mit dem Schlage Zwölf mit beiden Händen fassen und über deinen Kopf in die Höhe halten, darfst sie aber nicht los lassen, komme, was da wolle.“ Rasch kehrte der Bauer in das Feld zurück und sprach zur Schlange: „Ich will dich heiraten.“ Da war sie ganz außer sich vor Freude und zappelte lustig, dann machte sie einen schönen Ring und war verschwunden.

Kaum hatte sich der Bauer Abends zu Bette gelegt, da kam die Schlange in die Kammer und legte sich zu ihm. Er lag ganz ruhig bis zwölf Uhr, da packte er sie fest und hielt sie hoch über seinen Kopf. Sogleich flog die Tür auf und sechs große dicke Schlangen schnellten herein und auf das Bett zu. Da wurde es dem Bauern warm und kalt, aber er fasste sich ein Herz und hielt aus, auch als die Schlangen sich an dem Bett heraufringelten und ihn mit ihren doppelten Zungen umzischten, als wollten sie all ihr Gift auf ihn speien. Das dauerte bis es Eins schlug, da waren sie plötzlich verschwunden. Die Schlange aber sprach: „Ich danke dir, mein Erlöser, dass du mich so treulich beschützt hast. Halte nur noch zwei Nächte also aus, dann bist du glücklich und ich noch mehr.“ Damit verschwand sie und war keine Spur mehr von ihr zu sehen.

Als der Bauer am folgenden Abend zu Bette ging, war die Schlange wieder bei ihm. Um zwölf Uhr fasste er sie abermals und hielt sie hoch empor. Da flog die Tür auf und zwölf dicke schwarze Schlangen wanden sich herein und an seinem Bett herauf und ringelten sich um ihn, bissen nach ihm und seiner Schlange. Obwohl er diesmal mehr Mut hatte, wurde ihm doch fast schlecht, als er das kalte Gewürm an sich fühlte, aber er nahm sich doch zusammen, so gut er konnte und hielt aus bis die Glocke Eins schlug, da waren die Schlangen wie weggeblasen. Seine Schlange aber sprach: „Ich danke dir, mein Erlöser, dass du so treulich ausgehalten hast, jetzt ist nur noch eine Nacht übrig, dann bin ich erlöst und du bist glücklich auf Lebenszeit.“ Als sie das gesagt hatte, war sie verschwunden.

Abends lag sie wieder bei ihm und sah ihn so recht flehentlich an mit ihren klugen Augen. Da schwoll ihm der Mut und er sprach zu sich selbst: „Ehe ich sie dem garstigen Gezücht preis gebe, lasse ich mich lieber selbst von ihm fressen.“ Als es zwölf Uhr schlug fasste er sie und hielt sie hoch empor. Da sprang die Tür auf und in einem Augenblick war die ganze Kammer voll von den hässlichsten Schlangen, die zappelten und zischten und ringelten sich unter einander, dass es nicht zum Ansehen war. Der Bauer drückte die Augen zu und tat als höre und sehe er nicht. Sie wanden sich ihm um Leib und Arme und Hals, zischten ihm ins Gesicht und bissen nach seiner Schlange, aber er ließ sich das Alles nicht anfechten. So dauerte es bis ein Uhr, da tat es einen schweren Schlag in dem nahen Walde und die Ungeheuer waren verschwunden. Auch die Schlange war ihm aus der Hand entschlüpft, dafür aber lag eine wunderschöne Königstochter neben ihm in seinem harten Bett, die sprach mit freundlichen Blicken. „Ich danke dir tausendmal, mein lieber und getreuer Erlöser, dass du mich gerettet hast. Nun wähle dir, willst du mein Gemahl werden, oder hundert Wagen Gold haben.“ Der Bauer rieb sich die Augen, denn er glaubte nicht anders, als das müsse ein Traum sein. Endlich sprach er: „Wenn ihr mich zum Gemahl haben wollt, allerschönste Prinzessin, dann möchte ich das lieber, als alles Gold auf der ganzen Welt.“ Da bot sie ihm die Hand und er umarmte und küsste sie. Am folgenden Morgen, als er die Fensterläden öffnete, da stand sein Häuschen in einem prächtigen Garten mit den schönsten Blumen und Bäumen und nicht weit davon lag ein Königsschloss und eine große Stadt. Er wusste nicht, wo er stand und ob er wiederum seinen Augen trauen könne. Da sprach die Prinzessin: „Was du da siehst, ist alles dein, dein Schloss und dein Garten und dein Königreich.“ Und sie führte ihn in das Schloss und Beide wohnten darin und waren glücklich auf Lebenszeit.

Die getreue Frau

Johann Wilhelm Wolf
Die getreue Frau

Ein König hatte eine Tochter, die war überaus schön und klar und hatte eine gar feine und zarte Haut; wenn sie roten Wein trank, konnte man sehen, wie er ihr durch den Hals herunter lief. Die Welt war so erfüllt mit dem Ruf von ihrer Schönheit, dass selbst des Sultans Sohn aus der Türkei kam und um ihre Hand anhielt. Sie wollte jedoch nichts von ihm wissen und sprach, sie wolle keinen Heiden heiraten, der sei ihr zu schlecht nur ihre Schuhe zu putzen.

Zu gleicher Zeit lebte in einem andern Königreich ein König, welcher drei Söhne hatte. Da er nicht wusste, welchem von ihnen er nach seinem Tode das Königreich übergeben solle, so sprach er: „Gehet auf Reisen und wer von euch mir das Schönste mitbringt, der wird König.“ Sie zogen sofort aus, doch gereute es sie schon am dritten Tage und die beiden Jüngsten sprachen zum Ältesten: „Lieber Bruder, gehe du nach Hause zurück und tritt die Regierung an, wir wollen in die Welt hinaus ziehen und sehen, wo unser Glück blüht.“ Sprach der Ältere: „Ich kann euch nicht ziehen lassen, wenn ihr mir nicht versprechet, treu zusammen zu halten in Freud und Leid und euch nicht von einander zu trennen, auch sobald ihr euer Glück gefunden habet, zurück zu kommen, damit ich mich mit euch darüber freue.“ Darauf gaben sie sich die Hände und schieden von einander.

Nach langem Reisen kamen sie in das Königreich, wo die schöne Prinzessin wohnte. Da gefiel es ihnen so gut, dass sie beschlossen, dort zu bleiben, der eine wollte den Seedienst lernen, der andere unter die Landarmee treten. Da sie so schöne Leute waren, nahm der König sie alsbald an und sie waren so gewandt und geschickt, dass sie in kurzer Zeit der eine Major und der jüngste Oberst wurden. Sie hatten so viel Geld von Hause mitgenommen, dass sie nicht zu knausern brauchten und ein herrliches Leben führen konnten. Da war kein Mangel an Dienerschaft und Pferden und Wagen; jeden Tag fuhren sie um Mittag aus und jeden Tag der Woche in einem andern Wagen mit sechs andern Pferden und andern Bedienten. Sie kamen dabei stets an dem Schlosse des Königs vorüber, und da wurde die schöne Prinzessin aufmerksam auf sie und kam jedes Mal an das Fenster. Das bemerkten die zwei Prinzen bald, aber sie merkten nicht, wie die Liebe nach und nach in dem Herzen der Prinzessin Platz nahm und sie endlich nicht mehr ruhen ließ bei Tag und Nacht. Der Jüngste der beiden Prinzen, welcher auch der schönste war, gefiel ihr nämlich so gut, dass sie meinte, nicht ohne ihn leben zu können; sie mochte es aber Niemand sagen, denn sie war gar stolz und da sie Alles so in sich verbergen musste fiel sie zuletzt in eine schwere Krankheit. Alle Ärzte im Lande mussten herbei, doch ihre Arzneien halfen nichts und es wurde von Tag zu Tage schlimmer mit ihr. Da ließ sich endlich ein uralter Mann am Hofe melden, der hatte sein ganzes Leben hindurch die Welt bereist und kannte alle Kräuter; er hatte einen Trank ausgefunden, der jede Krankheit auf der Stelle heilte, wenn sie auch noch so gefährlich war. Der König führte ihn zu der Prinzessin und kaum hatte der Alte sie gesehen, so sprach er: „Ich kann ihr helfen, aber ich muss mit ihr allein sein.“ Als der König fortgegangen war, gab ihr der Alte einen stärkenden Trank, dann sagte er: „Ihr habt kein körperliches Leiden, sondern eine Herzenskrankheit und ich kann euch nur helfen, wenn ihr mir aufrichtig bekennt, was euch drückt.“ Anfangs wollte die Prinzessin nicht mit der Sprache heraus, aber der Alte wusste ihr Vertrauen so zu gewinnen, dass sie ihm endlich Alles bekannte, doch bat sie ihn, er solle sich nur nichts davon merken lassen.

Da ging der Alte zum König und sprach: „Ich habe die Krankheit wohl überwunden, aber es bleibt noch eine Schwäche zurück. Wenn die Prinzessin jetzt viel Leute sieht und die rechten Leute, die ihr schön zu erzählen und sie zu unterhalten wissen, dann ist die Schwäche auch bald gehoben, denn dann denkt sie nicht darüber nach.“ „Wen will sie denn sehen?“ fragte der König. „Von all meinen Hofherren will sie nichts wissen.“ „Wen, das weiß ich nicht“, sprach der Alte, „aber es sind zwei vornehme Herren in der Stadt, einer ist Major und der andre Oberst; die könntet ihr einladen.“ Der König freute sich des guten Rates und sandte sogleich einen Bedienten zu den beiden Prinzen, um sie zum Mittagessen einzuladen. Als der Bediente seinen Auftrag ausrichtete, gaben die Prinzen ihm keine Antwort; sie sagten zu dem Wirt, er solle ihnen das Essen wie jeden Tag bereit halten. Sie aßen wie immer zu Mittag, dann fuhren sie nach Gewohnheit aus und an dem Schlosse des Königs vorbei. Als der König das sah, fuhr er den Bedienten an, er habe wohl die Einladung nicht gehörig ausgerichtet, doch der sagte, das sei geschehen, die Herren hätten ihm aber keine Antwort gegeben. Da setzte sich der König des andern Morgens in seinen Wagen und fuhr selber zu den Prinzen, lud sie zu sich zu Tische und fragte auch, warum sie am vorigen Tage nicht gekommen seien. „Man kann auf anderer Leute Reden nicht gehen“, sprachen sie. „Wenn wir so etwas auszurichten haben, tun wir es selbst.“ Das freute den König, denn er dachte, da sie so stolz seien, müssten sie wohl von vornehmer Herkunft sein und er fragte sie, wer sie denn eigentlich seien? Als er nun ihre Abstammung vernahm, da war er gar außer sich vor Freude und sprach, sie dürften nicht mehr in dem Wirtshaus wohnen, sondern müssten in seinen Palast ziehen. Dies geschah noch am selben Tage und Niemand war glücklicher darüber, als die schöne Prinzessin. Als der Jüngste sie nun so jeden Tag in ihrer ganzen Holdseeligkeit sah, da erwachte auch in seinem Herzen die Liebe zu ihr und da war es nicht weit mehr bis zur Verlobung und die Vermählung ließ auch nicht lang warten; also wurden die Beiden das glücklichste Paar auf Gottes Erdboden.

Ein paar Jahre hatten sie also beisammen gelebt, da sprach der Ältere: „Lieber Bruder, ich habe den Seedienst nicht umsonst gelernt und kann es auf dem Lande nicht länger aushalten. Zudem finde ich hier mein Glück nicht, darum muss ich es anderswo suchen und will nächstens mit einem Schiffe gegen die Seeräuber ziehen.“ „Tue das nicht“, sprach der Jüngste, „du weißt doch wohl, dass wir unserm Bruder versprochen haben, nicht von einander zu weichen in Freud und Leid, lass uns darum Wort halten und treu zusammen bleiben. Wenn du dein Glück finden sollst, dann kannst du es hier so gut finden, wie in einem andern Weltteil.“ Der Ältere bestand aber darauf, er wolle fort, da sprach der Jüngere: „Wenn du gehest, dann kann ich nicht bleiben, denn ich halte mein Versprechen, wie hart es mir auch ankommt.“ Und er ging zu seiner Frau und sprach: „Binnen acht Tagen verreise ich mit meinem Bruder, um ein wenig die Welt zu sehen; in Jahresfrist sind wir aber wieder zurück.“ Ach wie da die arme Prinzessin weinte und jammerte; es brach ihm fast das Herz, doch er ließ sich in seinem Entschluss nicht irre machen, denn sein Wort war ihm allzu heilig. Als nun die Schiffe zur Abfahrt gerüstet da lagen, zog der Prinz sein Schwert und gab es seiner lieben Frau, indem er sprach: „Behalte dies Schwert als ein Zeichen von mir; so lange es blank bleibt, geht es mir gut, und so lange du keinen Rost oder Flecken darauf siehst, bin ich dir getreu und das bleibe ich bis in den Tod.“ Da gab ihm die Prinzessin ihr schneeweißes Gewand und sprach: „Dafür schenke ich dir diesen Mantel als ein Zeichen von mir; so lange er weiß bleibt, so lange bleibt meine Treue unverletzt.“ Da küssten und umarmten sie sich unter vielen Tränen und die beiden Brüder gingen zu Schiffe. Die Prinzessin aber schaute ihnen noch lange nach, bis die weißen Segel fern auf dem Meer verschwanden.

Als sie etwa acht Wochen auf dem Meere waren, da kamen eines Morgens drei Schiffe mit Seeräubern gefahren, welche für den Sultan Beute machten. Die umzingelten das Schiff, worauf die beiden Brüder sich befanden und machten sie und alle Andere, welche mit ihnen fuhren, zu Gefangenen. Am folgenden Tage wurden sie vor den Sultan geführt. Als der ihre reichen und prächtigen Kleider sah, freute er sich über den Fang und fragte sie, woher sie kämen und wer sie seien. Da erzählten sie ihm ihre Geschichte und baten, er möge sie doch wieder frei geben, sie wollten ihm schweres Geld senden, so viel, als er verlange. Jetzt war aber seine Freude erst recht groß, als er hörte, dass einer von ihnen der Gemahl der Prinzessin sei, welche ihn so schimpflich abgewiesen hatte, und er sprach: „Ich gäbe euch nicht um alles Gold auf der ganzen Welt, denn ich will mich an euch dafür rächen, dass die Prinzessin meinen Thron verschmäht hat; jetzt wird sie aber wohl zahm werden. Ihr seid Hunde und sollt bei den andern Hunden sitzen und mit ihnen fressen und schlafen.“ Da ging ein trauriges Leben für die Brüder an und hundertmal beklagte der Ältere, dass er seinem Bruder nicht gefolgt und ihn auch ins Unglück gestürzt hätte. Jeden Tag mussten sie die schimpflichsten Arbeiten verrichten; dazu bekamen sie kein anderes Essen, als die Brocken, welche vom Tische fielen, denn sobald die Glocke zum Mittagessen läutete, mussten sie mit den Hunden in das Speisezimmer laufen und sich unter den Tisch setzen. Die besten Brocken schnappten die Hunde ihnen dazu noch weg, so dass sie manchmal bittern Hunger litten. Oft mussten sie sich auch vor den Sultan legen, der alsdann seine Füße auf sie setzte und sie trat und schimpfte, wenn sie sich nur rührten. Das Schlimmste war ihr Lager im Hundestall, der sehr unrein war und nie gefegt werden durfte. Darum musste der ältere Bruder jeden Morgen seine Kleider sämtlich waschen, der Jüngere hatte dies jedoch nicht nötig, denn an dem Gewande seiner Frau, welches er beständig trug, blieb kein Stäubchen hängen und es war immer schloßenweiß, wie der frischgefallene Schnee; das war sein einziger und größter Trost in diesen schweren Tagen.

Die Prinzessin hatte unterdessen fleißig nach dem Schwerte geschaut und war von Herzen froh, dass es stets so hell und blank blieb. Eines Morgens aber, als sie es erfreut darüber in der Hand hielt und betrachtete, lief ein trüber Hauch darüber und wie sie auch putzte und wischte, er wollte nicht weichen. Da ergriff ein schwerer Kummer ihr Herz, denn sie erkannte nun, dass ihrem lieben Gemahl ein Unglück begegnet sein müsse, und sie beschloss ihm nachzureisen, um ihn zu retten, koste es, was es wolle.

Als sie sich eben zur Abfahrt rüstete, kamen Boten in das Schloss, welche ihr meldeten, dass der Sultan aus der Türkei angekommen sei, der wolle zu ihr, da er viel mit ihr zu sprechen habe und wolle gegen Abend kommen. Sie ließ ihm wieder sagen, er könne kommen, jedoch nicht zu einer andern Zeit, als zwei Stunden vor Mittag und sechs Stunden nach Mittag. Es dauerte nicht lange, da war er schon im Schlosse, trat mit heimtückischer Freude in ihr Zimmer und sprach: „Vor Zeiten habet ihr meine Hand verschmäht, um euch mit einem armen Königssohn zu versprechen und den zum Gemahl zu nehmen. Der sitzt jetzt als Hund unter meinem Tische bei den andern Hunden und frisst die Brocken, welche herunter fallen. Ich habe euch aber immer noch lieb und frage euch, ob ihr jetzt meine Frau werden wollt und die mächtigste Fürstin auf der Welt. Bedenket, dass ihr ein solches Glück euer Leben lang nicht wieder findet, denn ihr bekommt die größten Schätze, die je Augen sahen und es ist kein Wunsch, der euch nicht sofort erfüllt würde.“ Die Prinzessin meinte vor Schmerz zu vergehen, als sie hörte, wie der Sultan von ihrem lieben Manne sprach, und welch ein schreckliches Loos demselben zu Teil gefallen war. Sie fasste sich jedoch und sagte: „Eure Gemahlin kann ich nie werden und wäret ihr selbst Kaiser der ganzen Welt“, und sie ging schnell in ihr Kämmerlein und ließ ihn stehen. Dort weinte sie sich recht aus, dann aber warf sie sich auf ihre Kniee nieder und betete zu Gott, er möge ihr Kraft und Mut in ihren Leiden geben und ihr Vorhaben segnen, damit sie ihren lieben Gemahl aus seiner schmählichen Gefangenschaft befreie. Gott erhörte ihr Gebet und stärkte sie so wunderbar, dass sie sich stark fühlte, Alles zu wagen und zu unternehmen.

Vor der Stadt lag eine Kapelle und ein Häuschen, da kehrten die Pilger ein, welche nach Jerusalem gingen. Dahin schickte sie ihre treueste Dienerin und ließ einem der Pilger seine Kleider abkaufen. Diese zog sie an, nahm ihre Harfe, welche sie meisterlich spielte, und ging Abends an den Strand, wo des Sultans Schiffe lagen. Da setzte sie sich hin, schlug ihre Harfe und sang:

„Was fehlet dir, mein Herz,
Dass du in mir so schlägest?
Wie kommt es, dass du dich
So heftig in mir regest?
Du störst bei finstrer Nacht
Mir alle meine Ruh,
Am Tag, bei finstrer Nacht.“

Der Sultan, welcher grade auf seinem Schiffe stand, horchte auf und ließ den Harfner zu sich rufen, sprach: „Wie kommst du zu diesen Liedern?“ „Das sind so meine Träume“, antwortete der Harfner und sang weiter:

„Es schlagen über mich
Die Unglückswellen her,
Ich schweb in Todesangst
Auf einem wilden Meer,
Die stört bei finstrer Nacht
Mir alle meine Ruh,
Am Tag, bei finstrer Nacht.“

Dann fuhr er fort und sang in schönen Versen Alles, was dem Sultan mit der Prinzessin begegnet war. Da fragte der Sultan abermals: „Wie kommst du zu diesen Liedern?“ „Das sind so meine Träume“, sprach der Harfner. Da rief der Sultan erstaunt: „Du musst mit mir ziehen, magst du dafür fordern, was du willst.“ „Hier kann ich nichts fordern“, sprach der Harfner. „Ich will aber mit euch ziehen und ein Jahr bei euch bleiben. Wenn es mir dann bei euch gefällt, bleibe ich, gefällt es mir nicht, so gehe ich, doch müsst ihr mir zuvor schwören, dass ihr mir drei Wünsche erfüllen und mich ziehen lassen wollt.“ Da sprach der Sultan: „Ich gebe dir Alles, was dein Herz begehrt, das schwöre ich dir beim Feuer und meinem Bart“, und das ist der höchste Schwur, den die Türken tun. So blieb der Harfner auf dem Schiffe und fuhr am folgenden Tage frühmorgens mit dem Sultan ab. Dieser gewann ihn immer lieber wegen seiner wunderschönen Lieder, so dass der Harfner ihn endlich, wie man zu sagen pflegt, um einen Finger wickeln konnte und nichts begehrte, was nicht sogleich erfüllt worden wäre.

Als sie in dem Schlosse des Sultans ankamen, musste der Harfner gleich am folgenden Tage bei der Tafel spielen und alle Gäste waren darüber außer sich vor Entzücken, nur nicht des Sultans Mutter, ein böses altes Heidenweib, welche stets nur Ränke und Böses sann und spann. Diese zankte fortwährend, wozu das Geleier diene und sie könne den Singsang nicht ausstehen, aber Niemand hörte auf sie und Alle wurden von Stunde zu Stunde lustiger. Als die Tafel fast zu Ende war, öffneten sich die Türen und da kamen die Hunde und mit ihnen die beiden Prinzen herein, der Jüngere in seinem schneeweißen Gewand und sein armer Bruder. „Das sind Alles meine Hunde“ sprach der Sultan und warf den Prinzen ein paar Brocken zu; doch da sprangen die andern Hunde herbei und schnappten sie ihnen weg. Der Harfner musste sich sehr Gewalt antun, als er dies jammervolle Schauspiel ansah, aber er ließ sich nichts merken und sprach nur: „Mir scheint, ihr füttert eure Hunde schlecht, die beiden großen Menschenhunde sehen gar mager aus.“ Dann warf er ihnen große Brocken hin, welche die beiden Prinzen gierig verschlangen, denn ein so reiches Mahl hatten sie lange nicht bekommen. Das ärgerte die alte Sultanin noch mehr, als sie aber darüber poltern wollte, fing der Harfner an zu singen und da ging sie voller Wut weg. Aber auch der Sultan ärgerte sich darüber, darum stand er schnell von der Tafel auf, als das Lied zu Ende war. Zugleich kamen die Diener und schwangen ihre langen Peitschen, da wurde das Zimmer bald leer.

Am folgenden Tage sonnte sich der Sultan in seinem Rosengarten, wo die Sklaven arbeiteten, und er ließ den Harfner kommen, dass er vor ihm spiele. Da schlug er die Harfe gar schön und sang dazu:

„Ich kam in kurzer Zeit
In einen schönen Garten,
Da sah ich also schöne stehen
Viel Blumen aller Arten;
Darunter sah ich eine Rose blühen,
Ich wollt, ich könnte sie für mich erziehen.

„Das ist ein wunderliches Lied“ sprach der Sultan, „aber sage mir nur welche Rose du meinst, ich will sie dir sogleich schenken.“ „Ach das sind meine Gesänge so, ich habe keine von euren Rosen gemeint“, sprach der Harfner und fuhr fort:

„Jetzt muss ich ganz betrübt
Aus diesem Garten gehen;
Niemand kommt fragen mich,
Wie es mir wird ergehn.
Die Unglückswellen fallen
Zu schwer über mich herein.“

„Welche Unglückswellen meinst du denn?“ fragte der Sultan und der Harfner antwortete: „Ach das sind meine Lieder so.“ Da sprach der Sultan und wies dabei auf die beiden Prinzen bin, welche im Schweiß ihres Angesichtes graben mussten: „Kennst du die Hunde dort? die sind aus deinem Lande, gehe und sprich mit ihnen.“ „Ich kenne sie nicht“ erwiderte der Harfner, „aber ich bin auch nicht aus dem Lande, wo du mich gefunden hast, ich bin viel weiter her, will aber doch mit ihnen sprechen, ob sie meine Muttersprache verstehen.“ Da ging er zu ihnen und machte allerlei Wischi waschi durcheinander daher, als ob er eine ganz fremde Sprache rede, doch die Prinzen sprachen: „Wir verstehen dich nicht“ und das war ihnen nicht zu verdenken, denn das hätte kein Heidenkind verstanden. Der Harfner kam zum Sultan zurück und sprach: „Sie verstehen meine Sprache nicht, aber aus welchem Lande sind sie denn?“ „Diese Hunde sind zwei Prinzen, welche ich gefangen halte, weil die Frau des einen meine Liebe verschmäht hat.“ „Da geschieht ihnen recht“ sprach der Harfner, „wenn sie aber mein wären, ließe ich sie feine Arbeiten machen, welches die andern Sklaven nicht können. Sie müssten mir schöne Körbe flechten, Käfige schnitzen und solche Dinge, womit ich mein Haus und meinen Garten verzierte.“ Das sagte er aber, weil er wusste, dass die Prinzen solches in ihrer Jugend gelernt hatten und damit sie nicht mehr so harte Arbeit tun müssten. „Das ist ein guter Gedanke“, sprach der Sultan, „aber sie können es schwerlich.“ „Es kommt auf eine Probe an“, erwiderte der Harfner. Da wurden ihnen Weiden und Messer und Holz gegeben und sie flochten und schnitzten so schön, dass der Sultan außer sich vor Freude war.

Mittags musste der Harfner wieder bei Tische spielen und man setzte ihm ein reiches, kostbares Mahl vor, doch aß er nur sehr wenig davon. Als die Hunde aber herein gelassen wurden, da lockte er die zwei Prinzen zu sich und warf ihnen große Bissen zu. Das ärgerte die alte Sultanin und sie hetzte an dem Sultan und sprach: „Sieh doch, wie das gute Essen verschwendet wird. Es ist eine Schande, dass die Hunde es bekommen. Mach dem doch ein Ende.“ Anfangs sprach der Sultan wohl, man solle den Harfner gewähren lassen, aber sie hörte nicht auf zu hetzen bis er ärgerlich rief: „Ich will nicht haben, dass du den Hunden dein Mahl gibst.“ „Verzeiht, Herr Sultan“, sprach der Harfner, „die Hunde können nichts fordern, darum muss man ihnen geben. Wenn ihr aber nicht haben wollt, dass ich den armen Hunden eine gute Mahlzeit gebe, dann lasset mich in mein Vaterland zurück gehen.“ Da schwieg der Sultan und ließ ihn gewähren.

Als aber jeden Mittag dieselbe Geschichte war, wurde der Sultan dessen endlich müde, denn die Alte sprach stets: „Lass ihn nur laufen, er verdirbt dir die Hunde durch Leckerbissen und wer weiß, was er noch im Schilde führt. Den Christen ist nicht zu trauen.“ Er sprach eines Tages: „Ich kann dem nicht länger zusehen, gehe sobald es dir geliebt.“ „Dann will ich gleich morgen gehen“, sprach der Harfner und freute sich und lobte Gott in seinem Herzen. „Vorher aber müsset ihr mir euer Versprechen lösen und mir meine drei Wünsche gewähren.“ „Tue das nur nicht“, raunte die Alte dem Sultan ins Ohr, aber der sprach: „Ich muss es tun, denn ich habe es geschworen beim Feuer und meinem Bart. Sage mir, was du dir für drei Dinge wünschest und ich will sie dir gewähren.“ Da tat der Harfner, als ob er sich besänne und sprach alsdann: „Fürs erste wünsche ich mir den weißen Hund, (das war nämlich der Prinz, welcher das weiße Gewand trug) fürs zweite den andern Hund, welcher immer bei ihm ist und fürs dritte ein Schiff mit Geld und Mannschaft, um in mein Vaterland zu fahren.“

Da machte der Sultan ein saures Gesicht, die Alte aber sprang und tanzte vor Wut und rief: „Das geht nicht, die Hunde bekommst du nicht, du hast Hundes genug an dir selbst.“ Der Harfner aber sprach: „Bedenket euren Schwur, Herr Sultan, ich verlange nur, was mir zukommt.“ Der Sultan erwiderte. „Du forderst das Größte, was ich habe, aber da du mein Versprechen hast, sollst du Alles bekommen“ und er ließ den Prinzen die Ketten abnehmen und sie auf das Schiff des Harfners führen. Der Harfner fiel ihm zu Füßen und dankte ihm für das Geschenk, doch der Sultan wollte nichts von Dank wissen und ging zornig weg.

Wer da glücklicher war, die Prinzessin, d. i. der Harfner, oder die beiden Prinzen, das ist schwer zu sagen. Gern hätten sie ihr für ihre Rettung gedankt, aber sie ging auf dem Schiffe nicht aus ihrer Kammer, ließ auch Niemanden zu sich herein, außer einem Mädchen, welches ihr das Essen brachte. Sie lag Tag und Nacht auf den Knieen und dankte Gott für alle Gnaden, welche er ihr erwiesen hatte, bat ihn, ihr ferner auch beizustehn und sie nicht zu verlassen in Leid und Freude. Das Schiff flog schnell über das Meer dahin und landete bald in einem Hafen ihres Königreiches. Da ging sie aus ihrer Kammer hervor und ließ die beiden Prinzen zu sich kommen. Sie wollten sich vor ihr auf die Kniee werfen, aber sie sprach: „Ihr brauchet mir nicht zu danken, danket Gott dem Herrn. Ich schenke euch eure Freiheit und Alles was im Schiffe ist, aber bevor ihr ans Land tretet, sollet ihr hier niederknieen und Gott die Ehre geben.“ Da knieten die Prinzen und beteten inbrünstig, sie aber schlich sich unterdessen in ihren Harfnerkleidern leise fort und ging auf heimlichen Wegen der Hauptstadt zu.

Unterwegs traf sie einen Pilger, der ging desselben Wegs. Sie fragte ihn, was man sich Alles in der Stadt erzähle und wie es der Prinzessin ergehe. Der Pilger antwortete: „Man weiß nichts von ihr, sie ist weggegangen, seitdem der Sultan da war, und kein Mensch kann sagen wohin. Die Minister haben ihrem Vater aber gesagt, sie gehe auf schlechten Wegen und ihm so lange zugeredet, bis er an allen Straßenecken hat bekannt machen lassen, wer sie überliefere, der erhalte eine große Belohnung. Man will nämlich Gericht über sie halten und dann könnte es leicht ein schlechtes Ende mit ihr nehmen.“ Die Prinzessin sprach: „Du kannst dir diese Belohnung verdienen, wenn du Alles tust, was ich dir sage, und du bekommst noch viel mehr dazu.“ „Wie sollte das möglich sein?“ fragte der Pilger. „Ich bin die Prinzessin“ sprach sie und verabredete sich mit ihm, was er zu tun habe. Dann ging sie mit ihm in das Haus vor der Stadt, wo die Pilger einzukehren pflegten und wechselte dort die Kleider; darauf band er sie und führte sie in das Gefängnis.

Am selben Abend langten die beiden Prinzen gleichfalls in der Hauptstadt an und wurden mit großen Freuden empfangen. Das erste was der Jüngste aber sprach, war: „Wo ist meine liebe getreue Frau?“ Da traten die Minister zu ihm und antworteten: „Wir möchten lieber von ihr schweigen, aber da wir reden müssen, so müssen wir auch die Wahrheit sagen. Sie ist als eine feile Dirne im Lande herumgefahren und erst heute eingefangen und ins Gefängnis gebracht worden.“ „Das ist nicht wahr“, sprach der Prinz, „denn ihr Gewand ist so weiß, wie mein Schwert blank ist, darum kann ich es nicht glauben.“ Da brachten sie aber Zeugen, welche aussagten, dass die Prinzessin zur Zeit wo der Sultan da gewesen, plötzlich verschwunden sei und dass Niemand sie seit dem Tage gesehen habe. Der Prinz sah sein Gewand an und es dünkte ihm weißer als je zuvor, doch da sprachen die Minister: „Das Gewand kann euch trügen, denn da sie so lange herumstreichen konnte, versteht sie sich gewiss auch auf Zauberkünste, darum darf man dem Gewande nicht trauen und dem Recht muss sein Lauf gelassen werden.“ Der Prinz meinte, das Herz müsse ihm vor Leid zerspringen, ab er das hörte, ach er hätte Alles so gern nicht geglaubt und er konnte doch am Ende nicht anders.

Am folgenden Tage wurde Gericht gehalten und da sich die Prinzessin gar nicht verteidigte und kein Wort sprach, so wurde sie zum Tode am Galgen verurteilt. Als der Tag herankam, wo das Urteil sollte vollstreckt werden und man die schöne Prinzessin in groben Kleidern auf den Richtplatz führte, da war Trauer in der ganzen Stadt und wurde mehr geweint als gelacht. Auf dem Richtplatz war ein schwarzer Thron aufgeschlagen, worauf der Prinz saß, denn es war Sitte im Lande, dass Niemand hingerichtet werden durfte, als in Gegenwart des Königs oder eines Prinzen. Als er seine Frau sah, da brach er in Tränen aus, denn er glaubte immer noch sie müsse unschuldig sein und hielt sich beide Hände vors Gesicht, damit das Volk nicht sähe, wie bitterlich er weinte. Sie bat aber, man möge ihr nur eine Gnade schenken, bevor sie sterbe. Das wurde ihr zugesagt und sie sprach. „Dann lasset mich einen Augenblick mit dem frommen Pilger, der dort steht, in dem Kapellchen allein beten und mich zum Tod vorbereiten.“ Da schloss man ihr dies Kapellchen auf und sie trat mit dem Pilger hinein. Der hatte aber ihre Harfe unter seinem Mantel verborgen und auch die Kleider, in welchen sie vor dem Sultan gespielt und die beiden Prinzen erlöst hatte. Diese zog sie in der Sakristei rasch an, färbte ihr Gesicht und nahm die Harfe in die Hand. Also trat sie heraus und vor den Prinzen; der sah sie aber nicht, weil er so sehr weinte. Sie sang:

„Kennst du den Harfner nicht,
Der dich ja hat erlöst?
Erlöset hat er dich
Aus Kerker und aus Banden
Und hat dich heimgebracht
Wohl in dein Vaterland.

Ich falle nieder hier
Auf meine beiden Knie,
Ach du mein liebster Herr,
Verzeihe dieses mir,
Ich wollte dich ja nur
Für mich allein erziehn.“

Als der Prinz die Stimme hörte und die Harfentöne dazu, hob er erstaunt sein Haupt, da erkannte er den Harfner und sprang von seinem Thron, um ihn zu umarmen und willkommen zu heißen. In demselben Augenblick aber warf der Harfner die falschen Kleider ab, da stand die Prinzessin da in ihrer ganzen Schönheit. Was das für Freude und Glückseligkeit war, das könnten tausend Schreiber in hundert Jahren nicht ausschreiben. Der Prinz erzählte vor allem Volke, dass er sein Leben einzig und allein seiner lieben Frau verdanke und da ging erst der Jubel recht los. Beide wurden im Triumph durch die Straßen der Stadt geführt und die Festlichkeiten wollten gar kein Ende nehmen.