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Die drei lustigen Brüder (Sächsisches Lügenmärchen aus Schäßburg)

Es waren einmal drei Brüder; der eine war stockblind, der andere lendenlahm und der dritte splitternackt. Diese drei gingen eines Tages in den Wald, um Vogelnester auszunehmen. Als sie so im Walde hingingen, sah der Blinde plötzlich aus dem Gestrüpp einen Hasen hervorspringen. Kaum hatte er dies seinen Brüdern gesagt, war auch schon der Lahme wie der Wind hinter dem Hasen her und hielt ihn, eh‘ man’s gedacht, an den Hinterbeinen. Nun aber wußten sie nicht, wie sie den gefangenen Hasen nach Hause schaffen sollten. Da sprach der Nackte: „Gebt ihn her!“ und steckte ihn in seine Tasche. In der Freude über diesen Fang vergaßen sie, Vogelnester zu suchen, und gingen heimwärts. Auf dem Wege aber entspann sich ein Streit unter ihnen darüber, wem der Hase gehöre. Und das war nicht so leicht zu entscheiden, wie ihr denkt. „Ich habe ihn zuerst gesehen!“ sprach der Blinde. „Was hilft das Sehen!“ entgegnete der Lahme, „ich habe ihn gefangen, mir gehört der Hase.“ — „Hätte ich ihn nicht in die Tasche gesteckt“, sagte der Nackte, „ihr hättet ihn im Walde müssen laufen lassen, der Hase gehört mir!“ So stritten die drei Brüder untereinander, und keiner wollte nachgeben, endlich kamen sie auf den klugen Gedanken, den Streit durch den Richter entscheiden zu lassen; sie gingen schnurstracks zu diesem und fanden ihn auch zum großen Glück daheim. Dem mußte nun jeder von den dreien den Hergang der Sache erzählen, und als der letzte mit seiner Erzählung zu Ende war, sprach der Richter: „Ihr braven Leute! Ich höre, daß ihr alle drei gut lügen könnt, wer mir von euch die dickste Lüge sagen kann, dem soll der Hase gehören.“
Da hüb der Blinde an: „Mein Vater hatte einmal gar viele Schafe, die mußte ich alle Tage zur Tränke treiben. Als ich sie einmal wieder austrieb an den Bach, da war dieser zugefroren. Ich stand lange ratlos am Ufer; ungetränkt durfte ich meinem Vater die Schafe nicht nach Hause bringen, und eine Axt, die Eisdecke durchzuhauen, war in der Nähe auch nicht zu finden. Ich dachte lange nach; endlich hatte ich’s; ich legte mich platt aufs Eis und schlug mit meinem Kopfe eine große Lumme (en griß Leam) ins Eis, so daß alle Schafe sich satttrinken konnten. Als ich nun meine Herde heimwärts trieb, sah ich auf den Weidenbäumen, welche am Bachufer standen, Drescher, die droschen Erbsen, so daß die Körner weit umherflogen wie der Hagel. ,Gott greß ich, ir earetlich Drescher!‘ rief ich ihnen zu. ,Mer danken der, tea Ohnenhiwdijer!‘ war die Antwort. Verwundert und erschrocken griff ich mit beiden Händen nach meinem Kopfe und fühlte, daß ich keinen Kopf mehr hatte. ,Weh kann er dir nun nicht mehr tun, dachte ich; allein du kannst ihn ja vielleicht sonst noch brauchen. Wo solltest du ihn wohl gelassen haben? Sollte er dir nicht, als du damit das Loch in das Eis schlugst, heruntergefallen und in Gedanken da liegen geblieben sein?‘ Eilig (nor ni dich) kehrte ich um und sah zu meiner Freude schon von weitem meinen Kopf neben der Lumme auf dem Eise liegen. Es hatte mir aber inzwischen eine Henne, da der Mund offengestanden, viele Eier in denselben gelegt. Schnell setzte ich mir ihn wieder auf, kehrte um und gelangte wohlbehalten mit meinen Schafen nach Hause, und mein Vater war mit mir zufrieden, und siehe da, auch etwas Merkwürdiges ereignete sich noch. Die Eier in meinem Kopfe waren durch die Wärme ausgegangen, und flogen mir aus Mund und Nase die jungen Hühnchen heraus, und wir bekamen den Hof auf einmal voll Hühner, was meiner Mutter eine große Freude war.“
Als der Blinde geendet hatte, sprach der Richter: „Wenn das alles wahr ist, so ist es eine dicke Lüge! Doch wollen wir auch die andern hören.“ Der Lahme begann hierauf: „Mein Vater hatte einmal ein altes Pferd (en alt Jep); das borgten von ihm die Nachbarn, sooft sie in den Wald gingen, um Holz zu holen. Einmal waren wieder zwei Nachbarn mit meines Vaters Pferd in den Wald gezogen. Sie banden das Tier an einen Baum und hieben nun auf den Baum, um ihn zu fällen, mit ihren Äxten gewaltig ein. Da entglitt dem einen die Axt und fuhr dem Pferd in die Seite. Von jähem Schreck ergriffen, stand der Mann vor dem getroffenen Pferd und betrachtete rat- und tatlos die blutende Wunde und rief: ,Ach härrje! Wäll dät nea net ist äfhiren!‘ — ,Habe keine Angst!‘ tröstete ihn der andere: ,Wir hauen Reiser und flechten (stiewen) ihm die Wunde zu.‘ Bald hatten die beiden einen ganzen Haufen Reiser zusammengehauen und flochten damit dem Pferde die Wunde zu. Damit war zwar das Pferd kuriert; es wuchs ihm aber über Nacht in der Seite ein so großer Wald, daß bald die Zigeuner: der Midi und der Dodi, der Tutzu und der Willa und wie sie alle heißen, kamen, um darin Holz zu stehlen, und daraus entstand meinem Vater große Not und viel Verdruß. ,So geht es‘, sprach er, wenn man sein Pferd ausleiht; ich will es aber nicht bald wieder tun!'“
Also erzählte der Lahme. Der Richter aber rief: „Du hast ebenso wahr gesprochen als dein Bruder; nun wollen wir sehen, was der letzte von euch kann!“ Da hüb der Nackte an; „Mein Vater hatte einmal unzählige Bienenstöcke, und alle waren voll mit Bienen; diese mußte ich jeden Abend, wenn sie vom Felde heimkehrten, zählen. Eines Abends hatte ich wieder die heimkehrenden Bienen gezählt, mußte aber meinem Vater melden, daß eine fehle, Zornig rief mein Vater; ,Gehe, suche die Biene, sonst geht es dir schlecht (licht).‘ Was war zu tun? Da war freilich guter Rat teuer, wohin ich mich wenden sollte. Ich lief ängstlich aufs Feld und suchte, und suchte auf sieben Hatterten, fand aber die verirrte Biene nicht. Endlich traf ich auf dem achten Hattert einen Bauer[n], der hatte eine Biene neben seinen Ochsen an den Pflug gespannt und knallte eben mit der Peitsche über das Zugvieh hin. ,Wie untersteht Ihr Euch‘, rief ich aufgebracht, ,mit fremdem Vieh zu pflügen (mät fremde Gettern ze ackern)?‘ Der Bauer bat um Verzeihung und erzählte mir, einer seiner Ochsen sei ihm gestürzt (gestäckt), da habe er zum guten Glück die Biene gesehen und gleich an die Stelle des fehlenden Ochsen eingespannt; er habe sie jedoch nicht als sein Eigentum behalten wollen, sondern nur gedacht, wozu solle sie so mir nichts, dir nichts müßig auf dem Felde herumirren; zum Danke dafür, daß er sie abends ihrem Herrn heimbrächte, könne sie ihm wohl auch einen kleinen Dienst verrichten.
Ich verzieh dem Manne zwar auf so gegründete Entschuldigung, er aber mußte mir die Biene sogleich ausspannen, und ich machte ihm aufs neue Vorwürfe, als ich sie näher untersuchte und fand, daß das Joch ihren Nacken ganz wund gerieben hatte. In solchem Zustande durfte ich meinem Vater die Biene nicht nach Hause bringen, denn ich wäre ihm schön angekommen;
ich ging daher auf den Rat des Mannes, der sich unserer Biene bedient hatte, zu einem Nußbaum, um ein paar Blätter desselben als schnelles Heilmittel auf den wunden Nacken der Biene zu legen. In der Eile hatte ich mit den Blättern zugleich eine Nuß vom Boden aufgerafft und dieselbe samt den Blättern der Biene auf den Nacken gebunden. Davon wuchs über Nacht auf dem Nacken der Biene ein großer Nußbaum, und als die Nüsse reif geworden, da warfen die Knaben, wie das ja zu geschehen pflegt, so oft sie an meines Vaters Garten vorüber in die Schule gingen, mit Erdschollen nach den Nüssen. Das gefiel meinem Vater, wie man sich denken kann, nicht; allein es hatte doch auch sein Gutes. Die Knaben hatten nach einiger Zeit einen so großen Haufen (Tuppes) Erde in unsern Garten geworfen, daß mein Vater sagte: ,Warum sollen wir diesen Haufen (Tuppes) nur so unbenutzt lassen? Wir pflügen ihn um und säen darauf, wenn auch nur (mehr nor) Hafer.‘ Das geschah. Als nun der Hafer reif geworden, gab mir mein Vater die Sichel in die Hand und befahl mir, den Hafer zu schneiden. Das Schneiden und insbesondere das Haferschneiden ist nun keine so leichte Sache; deshalb lassen so viele unserer Landleute durch andere schneiden; allein ich mußte mich dazu bequemen, denn mein Vater war sehr streng; bei ihm galt keine Widerrede, und wehe dem, der nicht aufs Wort folgte! Kaum hatte ich jedoch begonnen, als neben mir zu meiner großen Freude ein Hase aufsprang. Da dachte ich mir’s leicht zu machen; sofort (an em Witz) schleuderte ich die Sichei mit solchem Geschick und Glück auf meinen Hasen, daß der Griff durchs Hinterbein ging und stecken blieb und die Schneide wie zum Schnitt gerichtet hervorstand. Der Getroffene mußte mir nun das Haferfeld auf- und ablaufen, und im Nu war der Hafer bis auf den letzten Halm geschnitten!“
„War das“, fragte der Richter, „nicht derselbe Hase, den du heute in der Tasche hierher gebracht hast?“
„O ja!“ antwortete der Nackte, „gerade derselbe.“ — „Nun denn“, entschied der Richter, „so war und ist er auch fürderhin unbestritten dein Eigentum; aber willst du dich gütig erweisen, so gib davon jedem deiner Brüder auch einen Strempel;
sie haben ihn auch redlich verdient!“

Die drei Schwestern bei dem Menschenfresser

Es waren einmal drei Schwestern im Walde und suchten Erdbeeren; wie sie nun abends heimkehren wollten, verirrten sie sich und fanden keinen Ausweg. Da kam nur einmal ein wilder Hüne, und das war ein Menschenfresser, auf sie los und rief:
„Ha, jetzt habe ich euch!“ und rührte sie zu seinem Schlosse. Da fragte er die Älteste: „Willst du lieber mein Weib werden oder sterben?“ — „Lieber sterben!“ sagte diese. Ebenso fragte er die zweite; auch die antwortete: „Lieber sterben!“ Die Jüngste aber war pfiffig genug, und als der Hüne sie fragte, sprach sie: „Oh, von Herzen gerne, nur bin ich noch zu blutjung, wartet noch ein Jahr!“
Der Hüne war damit zufrieden und gab der Kleinen sogleich die Schlüssel von allen Zimmern; da solle sie jetzt schon Gewalt haben über alles; ihre beiden Schwestern jedoch sperrte er in einen Stall und befahl seiner alten Mutter, sie solle sie mit Nüssen und Striezeln inästen, bis sie recht fett wären, und dann braten. Jeden Morgen ging der Hüne aus und kam nur gegen Mittag oder gegen Abend wieder heim, und seiner alten Mutter befahl er jedesmal, auf die im Stall und auf seine liebe Braut Sorge zu tragen. Eines Tages, als die Alte ihnen wieder Striezeln und Nüsse gebracht hatte, wollte sie sehen, ob sie nun endlich fett wären. „Langt heraus euern Finger!“ rief sie mit krächzender Stimme. Die Jüngste aber war auch zum Stall gekommen, wie sie es jeden Tag mehrmals tat, wo sie dann ihre Schwestern tröstete; jetzt reichte sie von der Seite jeder ihrer Schwestern ein langes Hölzchen hin und flüsterte ihnen zu: „Die Alte ist triefäugig und sieht nicht recht, reicht diese Hölzchen hin statt der Finger!“ So taten sie auch. Die Alte hatte ein Messer und schnitt an den Hölzchen: „Ei daß dich!“ rief sie, „das ist ja wie purer Knochen so hart; ihr werdet am Ende vor Sehnsucht nur immer magerer statt fetter; das darf nicht länger anstehen; morgen kommt ihr in den Ofen “
Als am anderen Tage ganz früh der Hüne ausging, sagte die Alte: „Komme heute mittags nach Hause; es erwartet dich ein guter Braten!“ Dann ging sie zu dem Ofen und heizte ihn tüchtig. Als er heiß genug war, rief sie die Jüngste zu dem Ofen und sprach: „Sorge hier, bis ich komme!“ Sie ging zum Stall und führte die beiden Schwestern zum Feuer, die jammerten und klagten, daß sie nun so elendiglich sterben sollten. Da befahl ihnen die Alte, so und so auf die Brotschüssel zu sitzen;
die Jüngste aber, die Braut des Hünen, hatte wieder den klugen Einfall und sagte: ,,Sie wissen ja nicht, wie sie’s machen sollen; zeiget es ihnen; ich will an diesem Ende halten!“ Da ging die dumme Alte und setzte sich auf die Brotschüssel;
alsbald erfaßten auf einen Wink der Jüngsten auch die beiden
andern Mädchen die Stange und schoben die Alte schnell in den Ofen, setzten das Eisen vors Ofenloch und liefen, nachdem sie noch alle Türen verschlossen und die Schlüssel in den Brunnen geworfen hatten, eiligst davon.
Als gegen Mittag der Hüne nach Hause kam, tobte und polterte er an der Türe; aber er konnte nicht hinein, bis er sie einschlug. Sein großer Hunger trieb ihn zum Ofen; er riß das Eisen fort und wollte den Braten herausziehen; doch siehe, es war seine alte Mutter, ganz geröstet und verbrannt. Da lief er wütend zum Stall; doch er war leer; er suchte in allen Zimmern seine junge Braut, auch die war nirgends zu finden. „Ha! die sind alle fort, nu wartet, gleich will ich euch zurückholen!“ Er schnallte geschwind seine Siebenmeilenstiefel sich an und schritt ihnen nach.
Die drei armen Mädchen aber hatte ein alter Mann gesehen, wie sie so voller Angst vor dem Unhold flohen, und hatte ihnen den rechten Weg nach Hause gezeigt und ihnen drei Dinge gegeben: eine Nadel, eine Glasscherbe und ein Fläschchen mit Wasser; wenn sie den Hünen hinter sich sähen, so sollten sie so und so davon Gebrauch machen. Der Hüne hatte nur einige Schritte getan, so war er schon an ihnen. Da steckten sie die Nadel hinter sich, und auf einmal war die ganze Straße weit und breit mit spitzen Nadeln besteckt: „Wie seid ihr da hinübergekommen?“ rief ihnen der Hüne nach. „Wir haben uns die Schuhe ausgezogen!“ rief gleich die Jüngste, seine Braut. Das tat er sofort und zerstach sich die Füße ganz, bis er hinüberkam; aber die Siebenmeilenstiefel hatte er zurückgelassen, ging darum wieder über die Nadeln zurück und brachte nun auch die Schuhe. Indessen waren die Mädchen ein gutes Stück fortgelaufen, bald war er jedoch mittelst seiner Siebenmeilenstiefel an ihnen. Da warfen sie die Glasscherbe in den Weg, und auf einmal war die Straße weit und breit voll schneidiger Glasscherben. „Wie seid ihr da hinübergekommen?“ rief er ihnen nach. „Ja, wir sind auf vieren gegangen!“ rief
die Jüngste, seine Braut, gleich. So machte er’s auf der Stelle;
aber es ging schwer und langsam, und er zerschnitt sich dabei die Hände ganz, bis er hinüberkam. Die Mädchen waren wieder ein gutes Stück vorausgeeilt; aber der Hüne war ihnen doch bald auf dem Fuße. Da gossen sie das Wasser aus, und gleich wurde zwischen ihnen und dem Hünen ein mächtiger Fluß. „Wie seid ihr da hinüber?“ rief er ihnen nach. „Ja“, rief gleich die Jüngste, seine Braut, „wir hängten uns einen großen Stein an den Hals, der trug uns!“ Der Hüne hängte sich gleich einen mächtigen Mühlstein an den Hals und stürzte sich hinein; da zog ihn der Stein hinunter, also daß er beinahe ertrank. Mit schwerer Not schleppte er sich hinaus. Jetzt aber war sein Zorn auf das höchste gestiegen; er eilte zurück nach Hause, nahm drei mächtige Donnerkeile und sprang auf eine hohe Bergspitze, wo er weithin bis zur Morgen- und Abendsonne sehen konnte; er sah noch die Fliehenden und schleuderte die Donnerkeile ihnen nach; allein es war umsonst, sie fielen an der Grenze des Hünenlandes nieder, und jene waren schon im Reich der Menschenwohnungen und gelangten nun glücklich nach Hause. Der Hüne hatte nicht lange das Nachsehen, denn er zerbarst vor Ärger und Grimm.

Die faule Kathrin

Es war einmal eine Frau, die hieß Kathrin und war faul wie ein Klumpen Blei; sie ging aber jeden Tag, um nicht zu Hause arbeiten zu müssen, in den Weinberg; hier tat sie gar nichts, sondern nahm nur ihre Haue, schlug in die Erde und sprach:
„Jetzt grabe, Haue!“ Dann legte sie sich nieder und schlief bis zur Essenszeit. „Wenn sie der Hunger weckte, erhob sie sich ein wenig, aß gehörig und kehrte sich dann auf die andere Seite und schlief bis es Abend und Zeit war zum Heimgehen. Dann nahm sie ihre Haue, ging schnell nach Hause und stellte sich, als ob sie von der Arbeit so schwitze, und aß auch wieder gut zum Nachtmahl. Eines Tages ging ihr Mann heimlich ihr nach in den Weingarten, um zu sehen, was sie vorgebe; aber da sah er weder etwas von Arbeit noch seine Frau; endlich fand er sie unter dem dicken Nußbaum schlafen. „Ha“, dachte er, „vielleicht kannst du auf eine kluge Art von dem faulen Tier frei werden.“ Er schlich leise zu ihr hin, nahm seine Hippe, schnitt ihr den langen Zopf ab, ohne daß sie es merkte, nahm dann die Haue und ging nach Hause. Hier sagte er seinen Kindern, die noch klein waren: „Wenn eine Frau kommt ohne Zopf und ohne Haue und fragt: ,Ist eure Mutter zu Hause?‘ so sagt nur: Ja!‘ “ Damit ging er fort in die Mühle und schloß hinter sich die Türe zu.
Als die Frau im Weingarten gegen Mittag erwachte, rieb sie sich die Augen und schüttelte den Kopf. Da fand sie ihn so ungewöhnlich leicht; sie griff nach ihrem Zopf, allein der war nicht da. „Am Ende bin nicht ich es!“ dachte sie, „denn als ich mich schlafen legte, hatte ich doch einen Zopf; du willst dich aber gleich überzeugen, du hattest ja auch eine Haue mit!“ Als sie die Haue nicht fand, erstaunte sie und rief: „Nein, wahrlich, das bin ich nicht! Du willst dich aber noch besser überzeugen, bevor du aburteilst!“
Damit ging sie so schnell oder so langsam, als nur eine faule, verschlafene Frau, wenn man sie nicht sieht, zu gehen pflegt, nach Hause. Im Gehen aber sprach sie immer vor sich hin: „Bin ich es oder bin ich es nicht!“ Weil sie aber daheim die Türe zugesperrt fand, so ging sie ans Fenster und klopfte. Die Kinder sprangen gleich hin und sahen die Frau ohne Zopf und ohne Haue, wie sie ihr Vater beschrieben hatte, und als diese nun fragte: „Ist eure Mutter zu Hause?“ so sagten sie: „Ja, ja!“ – „Jetzt“, sprach sie bei sich, „ist es klar, daß nicht ich es bin; ich will aber gehen und mich suchen; am langen Zopf und an der Haue im Weinberg und an der Mutter, die nicht zu Hause ist, bin ich leicht zu erkennen!“ So ging sie nun in die weite Welt, um sich zu suchen, und geht bis heute noch und kann sich nimmer finden.
Als aber ihr Mann abends aus der Mühle nach Hause kam und hörte, daß eine Frau so und so da gewesen und fortgegangen sei, sprach er vergnügt; „Gelobt sei Gott, der mich erlöst hat! Denn ich will tausendmal lieber allein im Schweiße meines Angesichts mich und meine Kinder ernähren, als so ein faules Aas in meinem Hause länger erhalten.“

Die Geschenke der beiden Liebhaber

Es war einmal ein schönes Mädchen, das hatte zwei Liebhaber, von denen war der eine reich, der andere arm. Jeder aber dachte bei sich und sagte zum andern: „Es wird mich lieber haben, es wird mich lieber haben!“ Da beschlossen sie, jeder solle ihr ein Geschenk kaufen, und der solle sie bekommen, dessen Geschenk von ihr mehr geschätzt würde. Der Reiche kaufte nun einen schönen und teuern Rock, der Arme aber ein Paar neue Schuhe. Als am nächsten Sonntag das Mädchen in die Kirche ging, paßten schon die beiden Liebhaber. Es war aber sehr kotig, und so hatte das Mädchen, wie es ja zu geschehen pflegt, bis zur Kirche sich den Rock aufgehoben, um ihn nicht zu bespritzen. Da lachte schon der Reiche im Herzen, als er sah, wie besorgt sie um sein Geschenk war. Aber vor der Kirchtüre stand das Mädchen nur einmal still, bückte sich und wischte
mit dem Rocksaum den Kot von den neuen Schuhen hübsch ab. Als der Arme das sah, frohlockte er und sprach: „Ich habe gewonnen!“ Der Reiche ließ die Nase hängen und machte sich fort, und so bekam jener das Mädchen. Wißt ihr nun, warum die Mädchen so lange vor der Kirchentüre stehen? Um ihren Liebhabern zu zeigen, ob ihnen ihr neuer Rock oder die neuen Schuhe besser gefallen.

Der törichte Hans

Eine Frau hatte endlich erlangt, was sie lange vergeblich sich gewünscht: einen Mann; aber das war ein Mann, um den sie keine andere Frau beneiden durfte. In der Wirtschaft im Hause war er zu gar nichts zu gebrauchen, denn alles stellte er verkehrt und töricht an. Da dachte die Frau, sie wolle ihn wenigstens auf den Markt schicken, um eines und das andere durch ihn einkaufen zu lassen, während sie daheim das Hauswesen besorgte. Am nächsten Donnerstag schickte sie ihn aus, um eine Stecknadel zu kaufen. Hans – so hieß der Mann – lief auf den Markt und fragte jeden, der ihm begegnete, ob er ihm nicht eine Nadel verkaufen wolle, und zeigte dabei seinen Groschen. Endlich verkaufte ihm ein verschmitzter Armenier eine große und schlechte Nadel, die nicht einen Kreuzer wert war, um den Groschen. Hans war sehr froh, nahm sie zwischen beide Hände und rieb diese immerfort und lief heimwärts. Es war aber sehr kalt und ihn fror an die Finger; da kam ihm ein gescheiter Gedanke ein; vor ihm fuhr ein Wagen mit Stroh zum Schweineabsengen, auf diesen warf er seine Nadel und lief hinterher. Als der Wagen an seiner Wohnung angelangt war, rief er dem Fuhrmann zu: „Ho! ho! (im Regner Dialekt heißt Ho auch Heu). Der Fuhrmann blickte zurück, und als er den törichten Hans sah, sprach er: „Ei, warum nicht gar, Stroh, Stroh!“ und fuhr weiter. „O weh, meine Nadel, meine Nadel, halte doch still!“ Nun erzählte Hans, wie er die Nadel ihm auf das Stroh geladen; der Fuhrmann war aber nicht dazu aufgelegt, sein Stroh herabzuwerfen und die Nadel zu suchen und fuhr lachend von dannen, und Hans lief weinend hinein und klagte das Unglück seiner Frau. „Oh, du törichter Mensch!“ rief sie, „wenn man so etwas kauft, steckt man’s hübsch auf den Hut.“ – „Nu warte, jetzt weiß ich’s, ich will es das nächste Mal gewiß so machen!“
Am folgenden Donnerstag ging er auf den Markt und kaufte zwei Eisenschienen zum Radbeschlagen, steckte sie mit großer Mühe auf seinen Hut und band sie mit einem Seil fest; dann setzte er den Hut auf und ging; aber die schweren Stangen zogen ihm den Kopf bald nasen-, bald nackenwärts, bald rechts, bald links, und er taumelte fort wie ein Betrunkener und mußte mit beiden Händen den Hut am Kopfe festhalten. Die Leute, die zum Markte gingen und vom Markte kamen, standen still und lachten, und die Kinder, die aus der Schule heimkehrten, liefen dem Hans nach und verlachten und verspotteten ihn. Dem war der Nacken aber zuletzt krumm und steif geworden, und er konnte es kaum länger aushalten. Als er endlich daheim anlangte und ins Zimmer trat, seufzte er:
„Nu, Frau, du hast mich schön gelehrt! Da hat man’s !“ – „Oh, du törichter Mensch; wenn man so etwas kauft, so bindet man’s an ein Seil und zieht es hinter sich nach!“ – „Nu warte, jetzt weiß ich’s; das nächste Mal will ich’s so machen!“ Am folgenden Donnerstag schickte ihn seine Frau wieder auf den Markt, er solle einen Bachen (zwei ungetrennte Speckseiten) kaufen. Das tat er auch und band an das Kopfstück („den Zanjderleng“) ein langes Seil und zog den Bachen hinter sich her. Das machte aber Staub und Geräusch, und die Hunde liefen hinterher und zerrten sich Stücke herunter, und als Hans zu Hause anlangte, war nur das Kopfstück noch am Seil. Die Leute und Schulkinder hatten aber wieder etwas zum Lachen gehabt.
Als er zu seiner Frau kam, sprach er: „Nu, du hast mich wieder schön gelehrt! Die Hunde haben mir fast alles gefressen.“ – „Oh, du törichter Mensch, wenn man so etwas kauft, bindet man einen Strang vorn und hängt es sich auf den Rücken!“ – „Nu warte, jetzt weiß ich’s; das nächste Mal will ich’s so machen.“ Am folgenden Donnerstag wurde er wieder auf den Markt geschickt; er kaufte jetzt ein kleines Kalb, band ihm den Strang um den Hals und nahm es auf den Rücken; dieses
aber reckte bald die Zunge heraus und war tot. „Du armes Kalb, du bist hungrig!“ dachte Hans in seinem Herzen, denn er war zu seinem Zeichen sonst sehr mitleidig, „warte nur, du sollst zu Hause gleich fressen!“ Als er nach Hause ankam, war er froh und sprach: „Nu, Frau, jetzt wirst du nichts zu tadeln finden!“- „Oh, du törichter Mensch!“ rief sie, „du hast ja das arme Kalb erwürgt! Wenn man so etwas kauft, bindet man ein Seil an den Hals und führt es schön neben sich her und streichelt es sanft und bindet es daheim in den Stall an die Krippe und legt ihm Gras und Grummet vor!“ – „Jetzt weiß ich’s genau, warte nur, ich will es zum nächsten Mal so machen!“ Am nächsten Donnerstag ging er wieder auf den Markt und kaufte einen Windhund; dem band er denn ein Seil um den Hals, führte ihn schön nach Hause, band ihn in den Stall an die Krippe und legte ihm Gras und Grummet vor. Als aber seine Frau dazukam, schlug sie die Hände übereinander und rief: „Oh, du törichter Mensch, was hast du gekauft? Das ist ja ein Jagdhund, wer mit dem geht, ruft: ,Haihai! haihai!‘, dann läuft der Hund und fängt den Hasen; aber der gehört nicht in den Stall, sondern in die Stube, und der frißt nichts von Gras und Grummet sondern Brotkrumen und Knochen!“ Damit schnitt sie den Hund frei und brachte ihn in ihr Zimmer und gab ihm zu fressen. Weil er aber so dünn und schmal war, nannte sie ihn Petersilie.
Von jetzt an wollte sie aber ihren Mann nicht mehr zum Einkaufen schicken: denn er hatte ja die Sache immer verkehrt gemacht und ihrem Hauswesen großen Schaden zugefügt. Am nächsten Donnerstag ging sie denn wieder selbst auf den Markt, wie sie es anfangs getan hatte. Ihrem Mann aber sagte sie: „Sorge du auf das Kind in der Wiege, daß es ruhig schläft und lege in den Topf beim Feuer Petersilie.“ – „Ich weiß es jetzt, ich will es schon gut machen!“ sprach Hans. Kaum war seine Frau fort, so ließ er die Wiege stehen, ging hinaus, nahm die Axt und zerhieb den Hund in kleine Stücke und legte
davon in den Topf. Als er aber ins Zimmer trat, schrie das Kind und ward unruhig. Da fing er an, die Wiege zu schwingen, allein es schrie noch ärger, denn es war hungrig; da merkte Hans, daß dem Kinde der Scheitel zuckte, das waren aber die Weichen, die bei der Aufregung des Kindes erzitterten. Hans aber dachte, das sei eine bösartige Blase, nahm eine große Nadel und stach sie durch und durch; das Kind zuckte nur einigemal und war tot; Hans war froh und dachte, es schlafe.
Als seine Frau nach Hause kam, erzählte er ihr, daß er den Petersilie nicht ganz in den Topf habe stecken können und zeigte ihr noch einige Stücke vom Windhund, ferner wie das Kind nur einmal laut geschrien und wie er es endlich zum Schweigen gebracht, daß es dann immer wie jetzt geschlafen habe. Als die Frau ihr Kind in der Wiege erblickte, so entsetzte sie sich, denn sie sah, daß es tot war. „Wehe, wehe!“ rief sie, „du törichter Mensch, was hast du getan?“
Sie rang in ihrem Schmerze die Hände und konnte sich lange nicht fassen und trösten; endlich sprach sie zu ihrem Manne: „Gehe hinaus und siehe nach Brettern, daß wir einen Sarg machen lassen!“ Hans lief fort und sah überall nach Brettern hin und fand keine; zuletzt kam er an eine Plankenumfriedung, da steckte er seinen Kopf in eine große Öffnung zwischen zwei Brettern, um die obern Bretter herauszuheben; allein wie diese bewegt wurden, fielen sie bei ihrer Schwere ihm in den Nacken und zwängten ihn ein, und er konnte den Kopf gar nicht herausziehen und war daran zu erwürgen. Da sahen ihn einige Knaben, die meldeten es seiner Frau, und diese kam mit Hilfe herbei und zog ihn heraus. „O du törichter Mensch, gehe nach Hause, ich will schon Bretter schaffen!“ Da bestellte sie den Sarg und ordnete das Leichenbegängnis an. Weil sie aber fürchtete, daß ihr Mann durch seine Torheit die ernste Leichenfeier stören könnte, so versteckte sie ihm seinen Hut, damit er gezwungen sei, daheim zu bleiben. Kaum war aber der Leichenzug vom Hause fort, so nahm Hans, als er seinen Hut lange vergebens gesucht, statt des Hutes ein langes, hutähnliches Buttergefäß, setzte es auf, sperrte die Türe zu und lief hinterher. Als die Leute in solchem Aufzug ihn sahen, konnten sie sich des Lachens nicht erwehren; Hans aber lief zu seiner Frau und rief ganz fröhlich: „Ich komme doch mit, siehst du es, du wolltest gut, ich solle nichts sehen und zu Hause bleiben!“ – „Hans, kehre schnell um, das Haus brennt l“ rief seine Frau und wollte ihn auf so feine Art heimschicken. Er aber rief: „O du närrisches Weib, das kann ja nicht sein, ich habe ja den Schlüssel in meiner Tasche!“ Jetzt war der Frau der lange Geduldsfaden gerade ausgegangen und riß kurz ab: „Gehe mir aus den Augen, du törichter Mann, daß ich dich nimmer sehe!“ Hans ließ sich das nicht zweimal sagen und lief fort.
Als aber die Frau ihr Kind begraben hatte und nun einsam in ihre Wohnung zurückkehrte, sprach sie: „Es ist besser, sich einen Mühlstein an den Hals zu hängen und ins Wasser zu springen, als so einen Toren zum Manne zu haben; wehe der Frau, über welche unser Herrgott eine solche Strafe verhängt!“
Der törichte Mann aber lief in die Welt mit dem Butterfäßchen auf dem Kopfe, damit ihn seine Frau nicht sehe, und läuft noch immerfort, wenn er nicht bei den klugen Männern, die stets Licht und Luft in Säcken zusammentragen, um Glasscheiben an ihren Fenstern daraus zu machen, in Dummhannesdorf angelangt ist und sich da seßhaft niedergelassen hat.

Die kluge Meise und der Fuchs

Der Fuchs hatte lange nichts gefressen und kam heißhungrig an einen Baum, wo eine Meise ihr Nest hatte. „Gib deine Jungen gleich her!“ rief er der alten Meise zu, „sonst schlage ich mit meinem Schwanz den Baum um und fresse dich!“ Die Meise erschrak sehr und konnte lange kein Wort sprechen; endlich, als sie sich erholt hatte, sagte sie: „Aber, lieber Fuchs, lasse mir meine Jungen, sie sind ja so winzig klein, daß du an ihnen deinen Hunger doch nicht stillen kannst; willst du mir folgen, so verschaffe ich dir reichliche Speise!“ – „Laß sehen!“ sprach der Fuchs. Die Meise flog nun an die Landstraße, der Fuchs folgte von weitem nach. Da saßen zwei Frauen, die hatten neben sich Körbe mit Backwerk. Die Meise flog in die Nähe und hüpfte hin und her, als ob sie nicht recht fliegen könne. Die Frauen bekamen Lust, das kleine Vöglein zu fangen, um ihren Kindern damit eine Freude zu machen; sie standen auf und eilten demselben nach, um es zu erhaschen; doch das hüpfte immer weiter fort. Der Fuchs schlich indes zu den Körben heran, fraß alles, was drinnen war, und wurde satt. Als das die Meise gesehen hatte, hob sie sich hoch in die Luft und flog zu ihrem Nest; die beiden Frauen machten lange Gesichter, und als sie ihre Körbe umgeworfen und leer fanden, da erst ärgerten sie sich über ihre Torheit.
Der Fuchs aber kam zum Baum und rief der Meise zu: „Hoho! du bist noch nicht frei, schaffe mir nun auch zu trinken!“ – „So folge mir!“ sprach die Meise und flog wieder an die Landstraße; da fuhr eben ein Mann und hatte auf dem Wagen ein Faß voll Wein. Die Meise setzte sich seitwärts auf das Faß und fing an zu picken. Der Mann schlug nach ihr mit der Geißel;
allein sie huschte glücklich weg und war gleich wieder da. Nun ward er zornig, nahm seine Axt und wollte sie totschlagen;
aber die Meise entkam, und er schlug das Faß ein, und der Wein strömte zu Boden. Als er weiter gefahren, kam der Fuchs heran und soff sich voll. „Bist du jetzt zufrieden?“ fragte die Meise. „Hoho! noch nicht!“ rief der Fuchs, „jetzt will ich auch einmal lachen!“ – „So folge mir!“ sprach die Meise zum Fuchs, und sie flog zu einer sächsischen Tenne; der Fuchs schlich heran und kroch auf den Hahnenbalken; da droschen zwei ungarische Drescher, ein junger und ein alter mit einem Kahlkopf. Die Meise setzte sich nun dem Alten auf die Glatze; vergebens griff und schlug er nach ihr; sie huschte flink fort, und wie er anfing zu dreschen, saß sie ihm wieder auf der Glatze. Da ward er ärgerlich und rief seinem jungen Kameraden zu:
„Üset, Pista!“ (ungarisch: Schlage, Stefan!)
Der schlug mit dem Dreschflegel nach der Meise; allein die entkam glücklich, und er traf den Alten auf die Glatze, daß der gleich zu Boden fiel. Da lachte der Fuchs oben auf dem Hahnenbalken so gewaltig, daß er sich nicht mehr halten konnte; er plumpste hinab in die Tenne, und der Pista, nicht faul, klopfte ihm mit dem Dreschflegel den Pelz aus, daß ihm das Lachen verging. Nur mit genauer Not kam er davon; die Meise aber flog vergnügt zu ihrem Nest.

Der Wolf und das Menschenkind

Der Wolf rühmte sich einmal gegen den Fuchs, er sei der Stärkste auf Erden, er fürchte sich vor niemand. Da sprach der Fuchs:
„Ich kenne doch wohl einen, der stärker ist, das ist das Menschenkind.“ – „Was?“ rief der Wolf, „dem möcht ich doch alle Knochen zerknatschen und zerbeißen, wenn ich es sähe!“ – „Ich will dich zu einem hinführen“, sagte der Fuchs. Als sie so hingingen, kam ein alter Mann ganz krumm und gebückt. „Ist das ein Mensch?“ rief der Wolf. „Das war einer!“ sagte der Fuchs. Sie gingen ein wenig weiter, da spielte ein Kind im Felde. „Ist das ein Mensch?“ – „Das wird einer!“ sagte der Fuchs. Sie machten nur einige Schritte, da trat der Jäger aus dem Wald hervor. „Nun, das ist ein Mensch“, sprach der Fuchs ängstig und schlich auf der Stelle seitwärts. Der Wolf aber war ganz wild und trotzig, ging auf den Jäger los und sprach: „Dem will ich bald die Nieren prüfen!“ Der Jäger stand ruhig und wartete; als der Wolf schußgerecht war, zielte er und drückte los. Der Wolf stutzte über das Krachen, und sogleich kitzelte ihn etwas so unangenehm ins Gesicht, und das Blut rann ihm von der Stirne. Er ging aber dennoch auf den Jäger zu; der griff nach dem Hirschfänger, und als der Wolf ihn packen wollte, stocherte er ihm einige Male in die Seite, daß diesem die Lust dazu verging und er laut heulte und fortlief. Der Fuchs lachte sich in den Bauch, als er den Wolf kommen sah. „Nun, wer ist stärker, Gevatter?“ – „Der Teufel!“ sprach der Wolf, „das war mir so ein Kerl, der hatte ein langes, krummes Holz, hinten rauchte es und vorne fuhr das Donnerwetter heraus, dann nahm er eine Handvoll Steinchen und warf mir ins Gesicht, und zuletzt zog er eine Rippe aus seiner Seite und stocherte mir in den Magen, das war noch das ärgste. Ja, so einen habe ich nicht mehr gesehen!“

Die Mär von den fünf Fingern

Der Picki (Zeigefinger), der Licki (Mittelfinger), der Tschicki (Goldfinger) und der kleine Micki (kleine Finger) gingen einmal ins Feld und ließen ihren Bruder Tocki (den Daumen) zu Hause. Dieser sagte ihnen umsonst, sie sollten ohne ihn nicht ausgehen, sie würden in Gefahr kommen; sie gingen aber doch. Der Picki sprach: „Ich will den Weg weisen“ ; der Licki, als der größte: „Ich will vorstehen und befehlen“; der Tschiki: „Ich will die Schätze nachtragen“; der kleine Micki: „Ich will mit klugem Rat helfen!“ So gingen sie: der Picki voran, dann kam der Licki, dann folgte mit Ringlein beladen der Tschicki, und den Schluß machte der kleine Micki; sie gelangten nach gar nicht langer Zeit an ein Wasser, aber da war die Brücke weggerissen. Nun standen sie eine gute Weile und warteten, das Wasser solle abfließen, allein das floß immer fort und sah nicht darnach aus, als wolle es aufhören.
Da sprach der kleine Micki zum Licki: „Du Großhans mit den langen Beinen, gehe du am Ufer auf und ab und sieh, ob du nicht den Weg und Steg über den Fluß findest; indes wollen wir andern einen Kahn bauen!“ Da gingen die drei Kleinen und suchten Holz zu einem Kahn; glücklicherweise fanden sie eine große welsche Nuß. „Wenn wir die nur aufmachen könnten!“ sprach der kleine Micki, „so hätten wir den Kahn gleich fertig!“ Da mußten der Picki und Tschicki die Nuß an beiden Flügeln anpacken, und siehe, wie sie einmal alle ihre ganze Kraft anstrengten und rissen, ging die Nuß auseinander; sie nahmen gleich eine Schale, höhlten sie gut aus und trugen sie zum Fluß; indem kam auch der Licki und sprach: „Kein Weg und Steg ist zu finden!“ – „Es ist jetzt auch nicht mehr nötig!“ sprach der kleine Micki. Sie setzten sich alle in die Nußschale; der Kleine lenkte, die andern ruderten, und so kamen sie glücklich ans andere Ufer. Sie stiegen aus und wanderten weiter fort und kamen nur einmal an einen großen Garten; sie traten gleich hinein und sahen da ein großes Schaff voll Honig; der Picki langte ins Schaff und kostete, und weil es so süß schmeckte, so langte er immer wieder hinein und leckte fort. Die andern wurden endlich sehr unwillig und wollten weitergehen; allein der Picki wollte nicht kommen und den Weg weisen; der Licki befahl umsonst; der Tschicki fürchtete sich vor Räubern, und der kleine Micki sprach; „Der Picki tut seine Schuldigkeit schlecht, es wird uns übel ergehen!“ Da kam, ehe sie sich’s versahen, der große garstige Bär, der brummte erschrecklich: „Ha, ihr Diebsgesichter, jetzt habe ich euch! Wartet, ich will euch Honig geben! Gleich fresse ich euch alle!“
Da waren die Kleinen so erschrocken, daß sie nicht „eins“ sagen konnten; endlich kam ihnen die Sprache wieder; sie fielen vor dem Bären nieder und baten um Gnade; sie hätten ja nicht gewußt, daß dieser Honiggarten ihm gehöre! Aber das war alles umsonst; der Bär wollte schon dran, eins nach dem andern zu verschlucken. Indem kam dem kleinen Micki ein kluger Einfall: „Lieber Bär!“ sprach er, „wir sind fünf Brüder; unser ältester Bruder, Tocki, ist zu Hause, wenn wir denn einmal sterben sollen, so wartet, daß ich ihn auch hierher rufe, daß wir alle miteinander sterben!“ Das gefiel dem lüsternen Bären, und er hatte nichts dawider, daß er einen guten Bissen mehr bekommen sollte. Also lief der kleine Stubedinzi nach Hause und rief den Tocki zu Hilfe. Dieser war anfangs sehr zornig und sprach: „Warum seid ihr ausgegangen, habe ich euch’s nicht gesagt? Jetzt könnt ihr zappeln!“ Aber der Kleine bat so sehr, daß er sich endlich erbarmte, eine große Keule nahm und mitging. Als er mit dem Kleinen im Honiggarten ankam, fielen alle über den Bären her, und der dicke Tocki schlug ihn mit seiner Keule tot. Dann gingen alle nach Hause und waren froh.
Von da an zogen die vier andern Finger nie ohne den starken Tocki aus, und es ist ihnen auch weiter kein Unglück zugestoßen. Der Licki aber blieb immer in der Mitte, und deshalb heißt man ihn auch Mittelfinger; der dicke Tocki und der kleine Micki gehen als Wächter an beiden Enden; jener, weil er durch seine Kraft, dieser, weil er durch seine Pfiffigkeit die andern beschützt. Der Kleine wird noch immer zu Rate gezogen, wenn man etwas Gescheites anstellen will, und deshalb spricht man noch heute, wenn jemand einen klugen Einfall hat: „Das hat ihm sein kleiner Finger gesagt !“

Der Wolf und die beiden Böcke

Lange Zeit lag der Wolf wie in Ohnmacht; aber er hatte nicht himmlische, sondern wirre Träume; endlich erwachte er und damit auch sein gewaltiger Hunger. Wie er nun seine Blicke hin und her wandte, sah er im Tal zwei Böcke gegeneinander laufen. „Aha!“ rief er freudig, „da hast du gleich doppelte Beute! Die sind jetzt blind in ihrem Grimm und in ihrer Wut, die kannst du leicht haben.“ Er lief sturmstracks hinab auf sie los; die Böcke aber hatten den Wolf gesehen, noch ehe er an ihnen war. „Lassen wir jetzt unsern Streit“, sprachen sie, „und sehen, wie wir uns vor dem Wolf schützen, denn der hat
Böses im Schilde.“ – „Ha!“ schrie der Wolf, als er angelangt war, „darf man so die Gemeindeweide zertreten?“ – „Aber lieber Wolf!“ sprachen sie, „wie könnt Ihr das sagen? Sehet nur recht, das ist ja nicht Gemeindegrund; wir sind hier auf unserm väterlichen Erbe und wollten es uns teilen. Da Ihr aber so aussehet wie ein weiser Teilherr, so müßt Ihr die Sache besser verstehen als wir; helfet uns daher lieber den Streit austragen.“ Der Wolf wollte nicht sagen: „Was verstehe denn ich von Teilung!“, da man ihm einmal die Ehre angetan, und sprach: „Nun, so ist es mir recht, fahret also fort, dann will ich entscheiden!“ – „Lieber Wolf!“ sprachen die Böcke, „stellet Euch denn in die Mitte des Grundstückes, dann geht jeder von uns an ein Ende. Wer nun zuerst im Laufe zu Euch gelangt, soll der künftige rechtmäßige Besitzer sein!“ – „So soll es sein!“ sprach der Wolf. Da rannten die Böcke gleichmäßig wie der Blitz von beiden entgegengesetzten Seiten heran und bohrten dem Wolf ihre Homer durch die Weichen so tief, daß der Mond in den leeren Magen hineinscheinen konnte; er sank bewußtlos zu Boden; die Böcke aber liefen schnell nach Hause und wollten nicht abwarten, bis der Grimmige sich erklaube.

Die Schwanenfrau

Eine arme Frau hatte einen Sohn, der war nun groß und stark und wollte in die Fremde gehen, um etwas zu verdienen. Er verdingte sich bei einem Herrn auf ein Jahr und sollte dessen Schafe hüten. Als er einmal zur Zeit der Ernte auf dem Felde war, sah er einen schönen weißen Vogel im Kornfelde; er lief hin, um ihn zu fangen; der Vogel aber erhob sich langsam und flog in einen Wald; der Junge lief ihm immer nach, doch es war umsonst, er konnte ihn nicht erreichen. Er wollte umkehren; aber er wußte sich aus dem Wald nicht mehr herauszufinden. Schon fing es an dunkel zu werden, da sah er in der Ferne ein Licht; er ging darauf los und kam in ein Schloß; da saß ein alter Mann am Feuer und kochte sich eine Suppe. Der Junge bat um Herberge und erzählte dem Alten, wie er in den Wald gekommen sei. ,,Wenn du mir ein Jahr treu dienst, so will ich dir zu dem Vogel verhelfen!“ Der Junge willigte gern ein, um den Vogel zu bekommen.
Am folgenden Morgen sprach der Alte: ,,Jetzt gehe ich aus und kehre nur spät abends heim; sorge du hier; da hast du alle Schlüssel, in jedes Zimmer darfst du gehen, nur in das letzte nicht!“ Der Junge folgte genau dem Gebot, und als der alte Mann abends heimkehrte, war er mit ihm zufrieden; so geschah es auch den andern und alle folgenden Tage, daß der Alte ausging und dem Jungen den nämlichen Auftrag machte. Lange Zeit dachte der Junge nicht einmal an das verbotene Zimmer; aber in der letzten Woche des Jahres kam ihn doch die Neugierde an: ,,Du bist ein ganzes Jahr hier gewesen und ziehst nun bald von dannen und sollst nicht wissen, was für Schätze dort sind“, sprach er bei sich, und es ließ ihm keine Ruhe. Am letzten Tage ging er bis zur Türe und wollte auch nicht. Endlich steckte er den Schlüssel ein und öffnete.
Da war ein großer Saal und in der Mitte ein blauer Teich und darüber der freie Himmel; im Teiche aber waren drei wunderschöne Schwanenjungfrauen, die badeten. Kaum hatten sie den Jungen erblickt, husch, flogen sie alle drei als weiße Schwäne auf und fort. Voll Angst kehrte der Junge zurück und hatte keine Ruhe. Als der alte Mann heimkam, fiel er gleich vor ihm nieder und sprach: ,,Herr, strafe mich, ich habe dein Gebot übertreten!“ Der Alte sagte freundlich: ,,Weil du deinen Fehler gestanden hast und bereuest, will ich dir verzeihen; aber du mußt jetzt noch ein Jahr treu dienen, willst du den Vogel haben.“ Da fiel es dem Jungen wie ein Stein vom Herzen; gern willigte er ein, und |von nun an hatte die Neugierde keine Gewalt mehr über ihn.
Als das Jahr vergangen war, trat der Alte zu ihm und sprach: ,,Jetzt folge mir!“ Er führte ihn in das verbotene Zimmer, da waren die drei wunderschönen Jungfrauen und badeten. Alsbald aber verwandelten sie sich in weiße Schwäne, hoben sich aufwärts und flogen fort. Der alte Mann fragte den Jungen, welche ihm am besten gefallen habe. ,,Die Jüngste!“ sprach er. ,,Wohlan, so gehe heute abends in jenes Zimmer; da findest du unter dem Bett drei Schachteln; bringe die, welche in der Ecke liegt, dann zu mir.“ Der Junge konnte den Abend kaum erwarten, eilte dann hin und brachte sie. ,,So nimm jetzt diese Schachtel und gehe damit nach Hause, die auserwählte Jungfrau wird dir auf dem Fuße folgen; aber siehe ja nicht hinter dich, bis du zu Hause angelangt bist; dann magst du mit der Jungfrau bei deiner Mutter Hochzeit halten; aber besorge die Schachtel wie deinen Augapfel, und nicht unterstehe dich und gib sie deiner Braut in die Hand, wie sehr sie dich auch bittet, sonst verlierst du sie auf immer!“ Der Junge versprach alles so zu machen. Das erste wurde ihm leicht; er sah nicht zurück, obgleich er gern gewollt hätte; denn er hatte ja für die Neugierde hart gebüßt, und daran dachte er jetzt.
Als er endlich daheim war bei seiner Mutter, wandte er sich rasch um und sah die Jungfrau, fiel ihr um den Hals und küßte sie. Sie aber hatte ein schneeweißes Kleid an und war schön wie der heitere Tag, und der Junge konnte sich nicht sattsehen an ihr. Da wurde die Verlobung gehalten, und der Junge war ganz selig; aber die Jungfrau war traurig und niedergeschlagen. Der Junge gab sich alle erdenkliche Mühe, sie zu erheitern, doch umsonst. ,,0 was gäbe ich nicht dafür, wenn ich dich jetzt fröhlich sähe!“ sprach er zuletzt. ,,So gib mir meine schönen Kleider, die in der Schachtel sind!“
Da wurde der Junge bleich vor Schrecken; wie hatte er so unbesonnen und töricht versprochen, was zu seinem Unglück führen sollte. Er zögerte lange, lange; endlich siegte die Treue und übergroße Liebe zu seiner Braut. Er überredete und tröstete sich auch: ,,Das wird doch nicht gleich ihr Tod sein!“ sprach er bei sich, ,,und fort soll sie mir auch nicht können“, denn er verschloß vorsichtig alle Türen und Fenster. Kaum hatte er die Schachtel geöffnet und sie das Kleid hastig ergriffen und umgeworfen, so war sie sogleich ein Schwan und flog durch den Ofen zum Schornstein hinaus. Da ergriff den Jungen ein unendlicher Schmerz; er lief hinaus, sah dem Vogel nach und eilte in einem fort bis in den Wald zu dem alten Manne und klagte ihm seinen Jammer. ,,Ist sie nicht hier“, sprach er zuletzt, ,,so sage mir, wo ich sie finden kann; ich will sie suchen bis ans Weltende, denn ich habe sie gar zu lieb!“ Da sagte der Alte; ,,Sie ist weit weg auf einer Insel über dem Meer und wird von einem siebenhäuptigen Drachen bewacht, und dahin ist schwer hinzukommen; wenn du aber auch hingelangen solltest, wird dich der Drache umbringen!“ Aber der Junge ließ sich nicht abschrecken; er nahm alle seine Kleider und Schuhe mit und wanderte sieben Jahre lang in einem fort und hatte schon alle Kleider und Schuhe zerrissen und konnte vor Müdigkeit nicht weiter; aber noch war weit und breit kein Meer zu sehen. Er fiel an einem Hügel nieder und gedachte schon da zu sterben. Da hörte er nur einmal in der Ferne einen Lärm, der kam immer näher und näher;
endlich sah er drei mächtige Hünen, welche einander hin und herzerrten. Er fragte sie alsbald, was Ursache ihr Streit hätte. ,,0h“, sagten sie, ,,es handelt sich um das Kostbarste in der Welt, um einen Mantel, der unsichtbar macht den, der ihn trägt, um einen Hut, der überall hinführt den, der ihn aufsetzt, und um ein Schwert, womit der alles besiegen kann, der es schwingt. Wer diese drei Stücke besitzt, kann die schönste Jungfrau, die auf der Insel über dem Meer gefangen liegt, erretten und mit ihr das größte Königreich erwerben.“ Der Junge freute sich auf diese Nachricht wieder in seinem Herzen und hegte Hoffnung. ,,Wenn es euch recht ist, so will ich den Streit entscheiden; bringt her jene Stücke und kämpfet ihr dann miteinander.“ Die einfältigen Hünen brachten sogleich Mantel, Hut und Schwert zu ihm hin und fielen nun einander in die Haare. Der Junge ergriff schnell das Schwert, warf den Mantel um und setzte den Hut auf und sprach: ,,Wäre ich doch nur gleich auf der Insel!“ Husch! war er fort, und die dummen Hünen hatten das Nachsehen.
Als der Junge auf der Insel ankam, legte er Hut und Mantel ab, nahm nur das Schwert und ging auf die Burg los. Der Drache sonnte sich eben vor derselben, und die schöne Jungfrau mußte ihn lausen. Nur einmal roch der Drache Menschenfleisch, da brauste er auf und ringelte sich vor Wut. Aber der Junge kam unerschrocken heran und hieb ihm auf einmal alle Häupter ab. Er hüllte sich darauf schnell wieder in seinen Mantel, eilte ins Schloß, nahm die Schachtel mit den Kleidern und warf sie ins Meer, dann legte er den Mantel ab und zeigte sich der Jungfrau, seiner Braut, und die erkannte ihn auch gleich und war nun über die Maßen froh. Der Junge zog mittelst des Wunschhutes schnell zu seiner Mutter und brachte sie auch nach der fernen Insel in die Drachenburg; dann feierte er mit seiner Braut in Lust die Hochzeit und war König und Herr über alles Land und alle Schätze, welche der Drache besessen hatte.