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Der heilige Joseph im Walde

Es war einmal eine Mutter, die hatte drei Töchter, davon war die älteste unartig und bös, die zweite schon viel besser, obgleich sie auch ihre Fehler hatte, die jüngste aber war ein frommes gutes Kind. Die Mutter war aber so wunderlich, dass sie gerade die älteste Tochter am liebsten hatte und die jüngste nicht leiden konnte. Daher schickte sie das arme Mädchen oft hinaus in einen grossen Wald, um es sich vom Hals zu schaffen, denn sie dachte, es würde sich verirren und nimmermehr wiederkommen. Aber der Schutzengel, den jedes fromme Kind hat, verliess es nicht, sondern brachte es immer wieder auf den rechten Weg. Einmal indessen tat das Schutzenglein, als wenn es nicht bei der Hand wäre, und das Kind konnte sich nicht wieder aus dem Walde herausfinden. Es ging immer fort, bis es Abend wurde, da sah es in der Ferne ein Lichtlein brennen, lief darauf zu und kam vor eine kleine Hütte. Es klopfte an, die Türe ging auf, und es gelangte zu einer zweiten Türe, wo es wieder anklopfte. Ein alter Mann, der einen schneeweissen Bart hatte und ehrwürdig aussah, machte ihm auf, und das war niemand anders als der heilige Joseph. Er sprach ganz freundlich ‚komm, liebes Kind, setze dich ans Feuer auf mein Stühlchen und wärme dich, ich will dir klar Wässerchen holen, wenn du Durst hast; zu essen aber hab ich hier im Walde nichts für dich als ein paar Würzelcher, die musst du dir erst schaben und kochen.‘ Da reichte ihm der heilige Joseph die Wurzeln: das Mädchen schrappte sie säuberlich ab, dann holte es ein Stückchen Pfannkuchen und das Brot, das ihm seine Mutter mitgegeben hatte, und tat alles zusammen in einem Kesselchen beis Feuer und kochte sich ein Mus. Als das fertig war, sprach der heilige Joseph ‚ich bin so hungrig, gib mir etwas von deinem Essen.‘ Da war das Kind bereitwillig und gab ihm mehr, als es für sich behielt, doch war Gottes Segen dabei, dass es satt ward. Als sie nun geges sen hatten, sprach der heilige Joseph ’nun wollen wir zu Bett gehen: ich habe aber nur ein Bett, lege du dich hinein, ich will mich ins Stroh auf die Erde legen.‘ ‚Nein,‘ antwortete es, ‚bleib du nur in deinem Bett, für mich ist das Stroh weich genug.‘ Der heilige Joseph aber nahm das Kind auf den Arm und trug es ins Bettchen, da tat es sein Gebet und schlief ein. Am andern Morgen, als es aufwachte, wollte es dem heiligen Joseph guten Morgen sagen, aber es sah ihn nicht. Da stand es auf und suchte ihn, konnte ihn aber in keiner Ecke finden: endlich gewahrte es hinter der Tür einen Sack mit Geld, so schwer, als es ihn nur tragen konnte, darauf stand geschrieben, das wäre für das Kind, das heute nacht hier geschlafen hätte. Da nahm es den Sack und sprang damit fort und kam auch glücklich zu seiner Mutter, und weil es ihr alle das Geld schenkte, so konnte sie nicht anders, sie musste mit ihm zufrieden sein.

Am folgenden Tag bekam das zweite Kind auch Lust, in den Wald zu gehen. Die Mutter gab ihm ein viel grösseres Stück Pfannkuchen und Brot mit. Es erging ihm nun gerade wie dem ersten Kinde. Abends kam es in das Hüttchen des heiligen Joseph, der ihm Wurzeln zu einem Mus reichte. Als das fertig war, sprach er gleichfalls zu ihm ‚ich bin so hungrig, gib mir etwas von deinem Essen.‘ Da antwortete das Kind ‚iss als mit.‘ Als ihm danach der heilige Joseph sein Bett anbot und sich aufs Stroh legen wollte, antwortete es ’nein, leg dich als mit ins Bett, wir haben ja beide wohl Platz darin.‘ Der heilige Joseph nahm es auf den Arm, legte es ins Bettchen und legte sich ins Stroh. Morgens, als das Kind aufwachte und den heiligen Joseph suchte, war er verschwunden, aber hinter der Türe fand es ein Säckchen mit Geld, das war händelang, und darauf stand geschrieben, es wäre für das Kind, das heute nacht hier geschlafen hätte. Da nahm es das Säckchen und lief damit heim, und brachte es seiner Mutter, doch behielt es heimlich ein paar Stücke für sich.

Nun war die älteste Tochter neugierig geworden und wollte den folgenden Morgen auch hinaus in den Wald. Die Mutter gab ihr Pfannkuchen mit, so viel sie wollte, Brot und auch Käse dazu. Abends fand sie den heiligen Joseph in seinem Hüttchen gerade so, wie ihn die zwei andern gefunden hatten. Als das Mus fertig war und der heilige Joseph sprach ‚ich bin so hungrig, gib mir etwas von deinem Essen,‘ antwortete das Mädchen ‚warte, bis ich satt bin, was ich dann überig lasse, das sollst du haben.‘ Es ass aber beinah alles auf, und der heilige Joseph musste das Schüsselchen ausschrappen. Der gute Alte bot ihm hernach sein Bett an und wollte auf dem Stroh liegen, das nahm es ohne Widerrede an, legte sich in das Bettchen und liess dem Greis das harte Stroh. Am andern Morgen, wie es aufwachte, war der heilige Joseph nicht zu finden, doch darüber machte es sich keine Sorgen: es suchte hinter der Türe nach einem Geldsack. Es kam ihm vor, als läge etwas auf der Erde, doch weil es nicht recht unterscheiden konnte, was es war, bückte es sich und stiess mit seiner Nase daran. Aber es blieb an der Nase hangen, und wie es sich aufrichtete, sah es zu seinem Schrecken, dass es noch eine zweite Nase war, die an der seinen festhing. Da hub es an zu schreien und zu heulen, aber das half nichts, es musste immer auf seine Nase sehen, wie die so weit hinausstand. Da lief es in einem Geschrei fort, bis es dem heiligen Joseph begegnete, dem fiel es zu Füssen und bat so lange, bis er aus Mitleid ihm die Nase wieder abnahm und noch zwei Pfennige schenkte. Als es daheim ankam, stand vor der Türe seine Mutter und fragte ‚was hast du geschenkt kriegt?‘ Da log es und antwortete ‚einen grossen Sack voll Gelds, aber ich habe ihn unterwegs verloren.‘ ‚Verloren!, rief die Mutter, ‚o den wollen wir schon wiederfinden,‘ nahm es bei der Hand und wollte mit ihm suchen. Zuerst fing es an zu weinen und wollte nicht mitgehen, endlich aber ging es mit, doch a uf dem Wege kamen so viele Eidechsen und Schlangen auf sie beide los, dass sie sich nicht zu retten wussten, sie stachen auch endlich das böse Kind tot, und die Mutter stachen sie in den Fuss, weil sie es nicht besser erzogen hatte.

Der goldene Schlüssel

Zur Winterszeit, als einmal ein tiefer Schnee lag, musste ein armer Junge hinausgehen und Holz auf einem Schlitten holen. Wie er es nun zusammengesucht und aufgeladen hatte, wollte er, weil er so erfroren war, noch nicht nach Haus gehen, sondern erst Feuer anmachen und sich ein bisschen wärmen. Da scharrte er den Schnee weg, und wie er so den Erdboden aufräumte, fand er einen kleinen goldenen Schlüssel. Nun glaubte er, wo der Schlüssel wäre, müsste auch das Schloss dazu sein, grub in der Erde und fand ein eisernes Kästchen. Wenn der Schlüssel nur passt! dachte er, es sind gewiss kostbare Sachen in dem Kästchen. Er suchte, aber es war kein Schlüsselloch da, endlich entdeckte er eins, aber so klein, dass man es kaum sehen konnte. Er probierte, und der Schlüssel passte glücklich. Da drehte er einmal herum, und nun müssen wir warten, bis er vollends aufgeschlossen, und den Deckel aufgemacht hat, dann werden wir erfahren, was für wunderbare Sachen in dem Kästchen lagen.

Der Stiefel von Büffelleder

Ein Soldat, der sich vor nichts fürchtet, kümmert sich auch um nichts. So einer hatte seinen Abschied erhalten, und da er nichts gelernt hatte und nichts verdienen konnte, so zog er umher und bat gute Leute um ein Almosen. Auf seinen Schultern hing ein alter Wettermantel, und ein Paar Reiterstiefeln von Büffelleder waren ihm auch noch geblieben. Eines Tages ging er, ohne auf Weg und Steg zu achten, immer ins Feld hinein und gelangte endlich in einen Wald. Er wusste nicht, wo er war, sah aber auf einem abgehauenen Baumstamm einen Mann sitzen, der gut gekleidet war und einen grünen Jägerrock trug. Der Soldat reichte ihm die Hand, liess sich neben ihm auf das Gras nieder und streckte seine Beine aus. ‚Ich sehe, du hast feine Stiefel an, die glänzend gewichst sind,‘ sagte er zu dem Jäger, ‚wenn du aber herumziehen müsstest wie ich, so würden sie nicht lange halten. Schau die meinigen an, die sind von Büffelleder und haben schon lange gedient, gehen aber durch dick und dünn.‘ Nach einer Weile stand der Soldat auf und sprach ‚ich kann nicht länger bleiben, der Hunger treibt mich fort. Aber, Bruder Wichsstiefel, wo hinaus geht der Weg?‘ ‚Ich weiss es selber nicht,‘ antwortete der Jäger, ‚ich habe mich in dem Wald verirrt.‘ ‚So geht dirs ja wie mir,‘ sprach der Soldat, ‚gleich und gleich gesellt sich gern, wir wollen beieinander bleiben und den Weg suchen.‘ Der Jäger lächelte ein wenig, und sie gingen zusammen fort, immer weiter, bis die Nacht einbrach. ‚Wir kommen aus dem Wald nicht heraus,‘ sprach der Soldat, ‚aber ich sehe dort in der Ferne ein Licht schimmern, da wirds etwas zu essen geben.‘ Sie fanden ein Steinhaus, klopften an die Türe, und ein altes Weib öffnete. ‚Wir suchen ein Nachtquartier,‘ sprach der Soldat, ‚und etwas Unterfutter für den Magen, denn der meinige ist so leer wie ein alter Tornister.‘ ‚Hier könnt ihr nicht bleiben,‘ antwortete die Alte, ‚das ist ein Räuberhaus, und ihr tut am klügsten, dass ihr euch fortmacht, bevor sie heim kommen, denn finden sie euch, so seid ihr verloren.‘ ‚Es wird so schlimm nicht sein,‘ antwortete der Soldat, ‚ich habe seit zwei Tagen keinen Bissen genossen, und es ist mir einerlei, ob ich hier umkomme oder im Wald vor Hunger sterbe. Ich gehe herein.‘ Der Jäger wollte nicht folgen, aber der Soldat zog ihn am Ärmel mit sich ‚komm, Bruderherz, es wird nicht gleich an den Kragen gehen.‘ Die Alte hatte Mitleiden und sagte ‚kriecht hinter den Ofen, wenn sie etwas übrig lassen und eingeschlafen sind, so will ichs euch zustecken.‘ Kaum sassen sie in der Ecke, so kamen zwölf Räuber hereingestürmt, setzten sich an den Tisch, der schon gedeckt war, und forderten mit Ungestüm das Essen. Die Alte trug einen grossen Braten herein, und die Räuber liessen sichs wohl schmecken. Als der Geruch von der Speise dem Soldaten in die Nase stieg, sagte er zum Jäger ‚ich halts nicht länger aus, ich setze mich an den Tisch und esse mit.‘ ‚Du bringst uns ums Leben,‘ sprach der Jäger und hielt ihn am Arm. Aber der Soldat fing an laut zu husten. Als die Räuber das hörten, warfen sie Messer und Gabel hin, sprangen auf und entdeckten die beiden hinter dem Ofen. ‚Aha, ihr Herren,‘ riefen sie, ’sitzt ihr in der Ecke? was wollt ihr hier? seid ihr als Kundschafter ausgeschickt? wartet, ihr sollt an einem dürren Ast das Fliegen lernen.‘ ‚Nur manierlich,‘ sprach der Soldat, ‚mich hungert, gebt mir zu essen, hernach könnt ihr mit mir machen, was ihr wollt.‘ Die Räuber stutzten, und der Anführer sprach ‚ich sehe, du fürchtest dich nicht, gut, Essen sollst du haben, aber hernach musst du sterben.‘ ‚Das wird sich finden,‘ sagte der Soldat, setzte sich an den Tisch und fing an tapfer in den Braten einzuhauen. ‚Bruder Wichsstiefel, komm und iss,‘ rief er dem Jäger zu, ‚du wirst hungrig sein so gut als ich, und einen bessern Braten kannst du zu Haus nicht haben;‘ aber der Jäger wollte nicht essen. Die Räuber sahen dem Soldaten mit Erstaunen zu und sagten ‚der Kerl macht keine Umstände.‘ Hernach sprach er ‚das Essen wäre schon gut, nun schafft auch einen guten Trunk herbei.‘ Der Anführer war in der Laune, sich das auch noch gefallen zu lassen, und rief der Alten zu ‚hol eine Flasche aus dem Keller, und zwar von dem besten.‘ Der Soldat zog den Pfropfen heraus, dass es knallte, ging mit der Flasche zu dem Jäger und sprach ‚gib acht, Bruder, du sollst dein blaues Wunder sehen: jetzt will ich eine Gesundheit auf die ganze Sippschaft ausbringen.‘ Dann schwenkte er die Flasche über den Köpfen der Räuber, rief ‚ihr sollt alle leben, aber das Maul auf und die rechte Hand in der Höhe,‘ und tat einen herzhaften Zug. Kaum waren die Worte heraus, so sassen sie alle bewegungslos, als wären sie von Stein, hatten das Maul offen und streckten den rechten Arm in die Höhe. Der Jäger sprach zu dem Soldaten ‚ich sehe, du kannst noch andere Kunststücke, aber nun komm und lass uns heim gehen.‘ ‚Oho, Bruderherz, das wäre zu früh abmarschiert, wir haben den Feind geschlagen und wollen erst Beute machen. Die sitzen da fest und sperren das Maul vor Verwunderung auf: sie dürfen sich aber nicht rühren, bis ich es erlaube. Komm, iss und trink.‘ Die Alte musste noch eine Flasche von dem besten holen, und der Soldat stand nicht eher auf, als bis er wieder für drei Tage gegessen hatte. Endlich, als der Tag kam, sagte er ’nun ist es Zeit, dass wir das Zelt abbrechen, und damit wir einen kurzen Marsch haben, so soll die Alte uns den nächsten Weg nach der Stadt zeigen.‘ Als sie dort angelangt waren, ging er zu seinen alten Kameraden und sprach ‚ich habe draussen im Wald ein Nest voll Galgenvögel aufgefunden, kommt mit, wir wollen es ausheben.‘ Der Soldat führte sie an und sprach zu dem Jäger ‚du musst wieder mit zurück: und zusehen, wie sie flattern, wenn wir s ie an den Füssen packen.‘ Er stellte die Mannschaft rings um die Räuber herum, dann nahm er die Flasche, trank einen Schluck, schwenkte sie über ihnen her und rief ‚ihr sollt alle leben!, Augenblicklich hatten sie ihre Bewegung wieder, wurden aber niedergeworfen und an Händen und Füssen mit Stricken gebunden. Dann hiess sie der Soldat wie Säcke auf einen Wagen werfen und sagte ‚fahrt sie nur gleich vor das Gefängnis.‘ Der Jäger aber nahm einen von der Mannschaft beiseite und gab ihm noch eine Bestellung mit.

‚Bruder Wichsstiefel,‘ sprach der Soldat, ‚wir haben den Feind glücklich überrumpelt und uns wohl genährt, jetzt wollen wir als Nachzügler in aller Ruhe hinterher marschieren.‘ Als sie sich der Stadt näherten, so sah der Soldat, wie sich eine Menge Menschen aus dem Stadttor drängten, lautes Freudengeschrei erhuben und grüne Zweige in der Luft schwangen. Dann sah er, dass die ganze Leibwache herangezogen kam.

‚Was soll das heissen?‘ sprach er ganz verwundert zu dem Jäger. ‚Weisst du nicht,‘ antwortete er, ‚dass der König lange Zeit aus seinem Reich entfernt war, heute kehrt er zurück, und da gehen ihm alle entgegen.‘ ‚Aber wo ist der König?‘ sprach der Soldat, ‚ich sehe ihn nicht.‘ ‚Hier ist er,‘ antwortete der Jäger, ‚ich bin der König und habe meine Ankunft melden lassen.‘ Dann öffnete er seinen Jägerrock, dass man die königlichen Kleider sehen konnte. Der Soldat erschrak, fiel auf die Knie und bat ihn um Vergebung, dass er ihn in der Unwissenheit wie seinesgleichen behandelt und ihn mit solchem Namen angeredet habe. Der König aber reichte ihm die Hand und sprach ‚du bist ein braver Soldat und hast mir das Leben gerettet. Du sollst keine Not mehr leiden, ich will schon für dich sorgen. Und wenn du einmal ein Stück guten Braten essen willst, so gut als in dem Räuberhaus, so komm nur in die königliche Küche. Willst du aber eine Gesundheit ausbringen, so sollst du erst bei mir Erlaubnis dazu holen.‘

Jungfrau Maleen

Es war einmal ein König, der hatte einen Sohn, der warb um die Tochter eines mächtigen Königs, die hiess Jungfrau Maleen und war wunderschön. Weil ihr Vater sie einem andern geben wollte, so ward sie ihm versagt. Da sich aber beide von Herzen liebten, so wollten sie nicht voneinander lassen, und die Jungfrau Maleen sprach zu ihrem Vater ‚ich kann und will keinen andern zu meinem Gemahl nehmen.‘ Da geriet der Vater in Zorn und liess einen finstern Turn bauen, in den kein Strahl von Sonne oder Mond fiel. Als er fertig war, sprach er ‚darin sollst du sieben Jahre lang sitzen, dann will ich kommen und sehen, ob dein trotziger Sinn gebrochen ist.‘ Für die sieben Jahre ward Speise und Trank in den Turn getragen, dann ward sie und ihre Kammerjungfer hineingeführt und eingemauert, und also von Himmel und Erde geschieden. Da sassen sie in der Finsternis, wussten nicht, wann Tag oder Nacht anbrach. Der Königssohn ging oft um den Turn herum und rief ihren Namen, aber kein Laut drang von aussen durch die dicken Mauern. Was konnten sie anders tun als jammern und klagen? Indessen ging die Zeit dahin, und an der Abnahme von Speise und Trank merkten sie, dass die sieben Jahre ihrem Ende sich näherten. Sie dachten, der Augenblick ihrer Erlösung wäre gekommen, aber kein Hammerschlag liess sich hören und kein Stein wollte aus der Mauer fallen: es schien, als ob ihr Vater sie vergessen hätte. Als sie nur noch für kurze Zeit Nahrung hatten und einen jämmerlichen Tod voraussahen, da sprach die Jungfrau Maleen ‚wir müssen das letzte versuchen und sehen, ob wir die Mauer durchbrechen.‘ Sie nahm das Brotmesser, grub und bohrte an dem Mörtel eines Steins, und wenn sie müd war, so löste sie die Kammerjungfer ab. Nach langer Arbeit gelang es ihnen, einen Stein herauszunehmen, dann einen zweiten und dritten, und nach drei Tagen fiel der erste Lichtstrahl in ihre Dunkelheit, und endlich war die Öffnung so gross, dass sie hinausschauen konnten. Der Himmel war blau, und eine frische Luft wehte ihnen entgegen, aber wie traurig sah ringsumher alles aus: das Schloss ihres Vaters lag in Trümmern, die Stadt und die Dörfer waren, soweit man sehen konnte, verbrannt, die Felder weit und breit verheert: keine Menschenseele liess sich erblicken. Als die Öffnung in der Mauer so gross war, dass sie hindurchschlüpfen konnten, so sprang zuerst die Kammerjungfer herab, und dann folgte die Jungfrau Maleen. Aber wo sollten sie sich hinwenden? Die Feinde hatten das ganze Reich verwüstet, den König verjagt und alle Einwohner erschlagen. Sie wanderten fort, um ein anderes Land zu suchen, aber sie fanden nirgend ein Obdach oder einen Menschen, der ihnen einen Bissen Brot gab, und ihre Not war so gross, dass sie ihren Hunger an einem Brennesselstrauch stillen mussten. Als sie nach langer Wanderung in ein anderes Land kamen, boten sie überall ihre Dienste an, aber wo sie anklopften, wurden sie abgewiesen, und niemand wollte sich ihrer erbarmen. Endlich gelangten sie in eine grosse Stadt und gingen nach dem königlichen Hof. Aber auch da hiess man sie weitergehen, bis endlich der Koch sagte, sie könnten in der Küche bleiben und als Aschenputtel dienen.

Der Sohn des Königs, in dessen Reich sie sich befanden, war aber gerade der Verlobte der Jungfrau Maleen gewesen. Der Vater hatte ihm eine andere Braut bestimmt, die ebenso hässlich von Angesicht als bös von Herzen war. Die Hochzeit war festgesetzt und die Braut schon angelangt, bei ihrer grossen Hässlichkeit aber liess sie sich vor niemand sehen und schloss sich in ihre Kammer ein, und die Jungfrau Maleen musste ihr das Essen aus der Küche bringen. Als der Tag herankam, wo die Braut mit dem Bräutigam in die Kirche gehen sollte, so schämte sie sich ihrer Hässlichkeit und fürchtete, wenn sie sich auf der Strasse zeigte, würde sie von den Leuten verspottet und ausgelacht. Da sprach sie zur Jungfrau Maleen ‚dir steht ein grosses Glück bevor, ich habe mir den Fuss vertreten und kann nicht gut über die Strasse gehen: du sollst meine Brautkleider anziehen und meine Stelle einnehmen: eine grössere Ehre kann dir nicht zuteil werden.‘ Die Jungfrau Maleen aber schlug es aus und sagte ‚ich verlange keine Ehre, die mir nicht gebührt.‘ Es war auch vergeblich, dass sie ihr Gold anbot. Endlich sprach sie zornig ‚wenn du mir nicht gehorchst, so kostet es dir dein Leben: ich brauche nur ein Wort zu sagen, so wird dir der Kopf vor die Füsse gelegt.‘ Da musste sie gehorchen und die prächtigen Kleider der Braut samt ihrem Schmuck anlegen. Als sie in den königlichen Saal eintrat, erstaunten alle über ihre grosse Schönheit, und der König sagte zu seinem Sohn ‚das ist die Braut, die ich dir ausgewählt habe, und die du zur Kirche führen sollst.‘ Der Bräutigam erstaunte und dachte ’sie gleicht meiner Jungfrau Maleen, und ich würde glauben, sie wäre es selbst, aber die sitzt schon lange im Turn gefangen oder ist tot.‘ Er nahm sie an der Hand und führte sie zur Kirche. An dem Wege stand ein Brennesselbusch, da sprach sie

‚Brennettelbusch, Brennettelbusch so klene,
wat steist du hier allene? ik hef de Tyt geweten,
da hef ik dy ungesaden ungebraden eten.‘

‚Was sprichst du da?‘ fragte der Königssohn. ‚Nichts,‘ antwortete sie, ‚ich dachte nur an die Jungfrau Maleen.‘ Er verwunderte sich, dass sie von ihr wusste, schwieg aber still. Als sie an den Steg vor dem Kirchhof kamen, sprach sie

‚Karkstegels, brik nich,
bün de rechte Brut nich.‘

‚Was sprichst du da?‘ fragte der Königssohn. ‚Nichts,‘ antwortete sie, ‚ich dachte nur an die Jungfrau Maleen.‘ ‚Kennst du die Jungfrau Maleen?‘ ‚Nein,‘ antwortete sie, ‚wie sollte ich sie kennen, ich habe nur von ihr gehört.‘ Als sie an die Kirchtüre kamen, sprach sie abermals

‚Karkendär, brik nich,
bün de rechte Brut nich.‘

‚Was sprichst du da?‘ fragte er. ‚Ach,‘ antwortete sie, ‚ich habe nur an die Jungfrau Maleen gedacht.‘ Da zog er ein kostbares Geschmeide hervor, legte es ihr an den Hals und hakte die Kettenringe ineinander. Darauf traten sie in die Kirche, und der Priester legte vor dem Altar ihre Hände ineinander und vermählte sie. Er führte sie zurück, aber sie sprach auf dem ganzen Weg kein Wort. Als sie wieder in dem königlichen Schloss angelangt waren, eilte sie in die Kammer der Braut, legte die prächtigen Kleider und den Schmuck ab, zog ihren grauen Kittel an und behielt nur das Geschmeide um den Hals, das sie von dem Bräutigam empfangen hatte.

Als die Nacht herankam und die Braut in das Zimmer des Königssohns sollte geführt werden, so liess sie den Schleier über ihr Gesicht fallen, damit er den Betrug nicht merken sollte. Sobald alle Leute fortgegangen waren, sprach er zu ihr ‚was hast du doch zu dem Brennesselbusch gesagt, der an dem Wege stand?‘ ‚Zu welchem Brennesselbusch?‘ fragte sie, ‚ich spreche mit keinem Brennesselbusch.‘ ‚Wenn du es nicht getan hast, so bist du die rechte Braut nicht,‘ sagte er. Da half sie sich und sprach

‚mut heruet na myne Maegt,‘
de my myn Gedanken draegt.‘

Sie ging hinaus und fuhr die Jungfrau Maleen an ‚Dirne, was hast du zu dem Brennesselbusch gesagt?‘ ‚Ich sagte nichts als

Brennettelbusch,
Brennettelbusch so klene,
wat steist du hier allene?
ik hef de Tyt geweten,
da hef ik dy ungesaden
ungebraden eten.‘

Die Braut lief in die Kammer zurück und sagte ‚jetzt weiss ich, was ich zu dem Brennesselbusch gesprochen habe,‘ und wiederholte die Worte, die sie eben gehört hatte. ‚Aber was sagtest du zu dem Kirchensteg, als wir darübergingen?‘ fragte der Königssohn. ‚Zu dem Kirchensteg?‘ antwortete sie, ‚ich spreche mit keinem Kirchensteg.‘ ‚Dann bist du auch die rechte Braut nicht.‘ Sie sagte wiederum

‚mut heruet na myne Maegt,
de my myn Gedanken draegt.‘

Lief hinaus und fuhr die Jungfrau Maleen an ‚Dirne, was hast du zu dem Kirchsteg gesagt?‘ ‚Ich sagte nichts als

Karkstegels, brik nich,
bün de rechte Brut nich.‘

‚Das kostet dich dein Leben,‘ rief die Braut, eilte aber in die Kammer und sagte ‚jetzt weiss ich, was ich zu dem Kirchensteg gesprochen,‘ und wiederholte die Worte. ‚Aber was sagtest du zur Kirchentür?‘ ‚Zur Kirchentür?‘ antwortete sie, ‚ich spreche mit keiner Kirchentür.‘ ‚Dann bist du auch die rechte Braut nicht.‘ Sie ging hinaus, fuhr die Jungfrau Maleen an ‚Dirne, was hast du zu der Kirchentür gesagt?‘ ‚Ich sagte nichts als

Karkendär, brik nich,
bün de rechte Brut nich.‘

‚Das bricht dir den Hals,‘ rief die Braut und geriet in den grössten Zorn, eilte aber zurück in die Kammer und sagte ‚jetzt weiss ich, was ich zu der Kirchentür gesprochen habe,‘ und wiederholte die Worte. ‚Aber wo hast du das Geschmeide, das ich dir an der Kirchentür gab?‘ ‚Was für ein Geschmeide?‘ antwortete sie, ‚du hast mir kein Geschmeide gegeben.‘ ‚Ich habe es dir selbst um den Hals gelegt und selbst eingehakt: wenn du das nicht weisst, so bist du die rechte Braut nicht.‘ Er zog ihr den Schleier vom Gesicht, und als er ihre grundlose Hässlichkeit erblickte, sprang er erschrocken zurück und sprach ‚wie kommst du hierher? wer bist du?‘ ‚Ich bin deine verlobte Braut, aber weil ich fürchtete, die Leute würden mich verspotten, wenn sie mich draussen erblickten, so habe ich dem Aschenputtel befohlen, meine Kleider anzuziehen und statt meiner zur Kirche zu gehen.‘ ‚Wo ist das Mädchen?‘ sagte er, ‚ich will es sehen, geh und hol es hierher.‘ Sie ging hinaus und sagte den Dienern, das Aschenputtel sei eine Betrügerin, sie sollten es in den Hof hinabführen und ihm den Kopf abschlagen. Die Diener packten es und wollten es fortschleppen, aber er schrie so laut um Hilfe, dass der Königssohn seine Stimme vernahm, aus seinem Zimmer herbeieilte und den Befehl gab, das Mädchen augenblicklich loszulassen. Es wurden Lichter herbeigeholt, und da bemerkte er an ihrem Hals den Goldschmuck, den er ihm vor der Kirchentür gegeben hatte. ‚Du bist die rechte Braut,‘ sagte er, ‚die mit mir zur Kirche gegangen ist: komm mit mir in meine Kammer.‘ Als sie beide allein waren, sprach er ‚du hast auf dem Kirchgang die Jungfrau Maleen genannt, die meine verlobte Braut war: wenn ich dächte, es wäre möglich, so müsste ich glauben, sie stände vor mir: du gleichst ihr in allem.‘ Sie antwortete ‚ich bin die Jungfrau Maleen, die um dich sieben Jahre in der Finsternis gefangen gesessen, Hunger und Durst gelitten und so lange in Not und Armut gelebt hat: aber heute bescheint mich die Sonne wieder. Ich bin dir in der Kirche angetraut und bin deine rechtmässige Gemahlin.‘ Da küssten sie einander und waren glücklich für ihr Lebtag. Der falschen Braut ward zur Vergeltung der Kopf abgeschlagen.

Der Turn, in welchem die Jungfrau Maleen gesessen hatte, stand noch lange Zeit, und wenn die Kinder vorübergingen, so sangen sie

‚kling klang kloria
wer sitt in dissen Toria?
Dar sitt en Königsdochter in,
die kann ik nich to seen krygn.
De Muer, de will nich bräken,
de Steen, de will nich stechen.
Hänschen mit de bunte Jak,
kumm unn folg my achterna.‘

Die Kristallkugel

Es war einmal eine Zauberin, die hatte drei Söhne, die sich brüderlich liebten: aber die Alte traute ihnen nicht und dachte, sie wollten ihr ihre Macht rauben. Da verwandelte sie den ältesten in einen Adler, der musste auf einem Felsengebirge hausen, und man sah ihn manchmal am Himmel in grossen Kreisen auf- und niederschweben. Den zweiten verwandelte sie in einen Walfisch, der lebte im tiefen Meer, und man sah nur, wie er zuweilen einen mächtigen Wasserstrahl in die Höhe warf. Beide hatten nur zwei Stunden jeden Tag ihre menschliche Gestalt. Der dritte Sohn, da er fürchtete, sie möchte ihn auch in ein reissendes Tier verwandeln, in einen Bären oder einen Wolf, so ging er heimlich fort. Er hatte aber gehört, dass auf dem Schloss der goldenen Sonne eine verwünschte Königstochter sässe, die auf Erlösung harrte: es müsste aber jeder sein Leben daran wagen, schon dreiundzwanzig Jünglinge wären eines jämmerlichen Todes gestorben und nur noch einer übrig, dann dürfte keiner mehr kommen. Und da sein Herz ohne Furcht war, so fasste er den Entschluss, das Schloss von der goldenen Sonne aufzusuchen. Er war schon lange Zeit herumgezogen und hatte es nicht finden können, da geriet er in einen grossen Wald und wusste nicht, wo der Ausgang war. Auf einmal erblickte er in der Ferne zwei Riesen, die winkten ihm mit der Hand, und als er zu ihnen kam, sprachen sie ‚wir streiten um einen Hut, wem er zugehören soll, und da wir beide gleich stark sind, so kann keiner den andern überwältigen: die kleinen Menschen sind klüger als wir, daher wollen wir dir die Entscheidung überlassen.‘ ‚Wie könnt ihr euch um einen alten Hut streiten?, sagte der Jüngling. ‚Du weisst nicht, was er für Eigenschaften hat, es ist ein Wünschhut, wer den aufsetzt, der kann sich hinwünschen, wohin er will, und im Augenblick ist er dort.‘ ‚Gebt mir d en Hut,‘ sagte der Jüngling, ‚ich will ein Stück Wegs gehen, und wenn ich euch dann rufe, so lauft um die Wette, und wer am ersten bei mir ist, dem soll er gehören.‘ Er setzte den Hut auf und ging fort, dachte aber an die Königstochter, vergass die Riesen und ging immer weiter.

Einmal seufzte er aus Herzensgrund und rief ‚ach, wäre ich doch auf dem Schloss der goldenen Sonne!‘ Und kaum waren die Worte über seine Lippen, so stand er auf einem hohen Berg vor dem Tor des Schlosses.

Er trat hinein und ging durch alle Zimmer, bis er in dem letzten die Königstochter fand. Aber wie erschrak er, als er sie anblickte: sie hatte ein aschgraues Gesicht voll Runzeln, trübe Augen und rote Haare. ‚Seid Ihr die Königstochter, deren Schönheit alle Welt rühmt?‘ rief er aus. ‚Ach,‘ erwiderte sie, ‚das ist meine Gestalt nicht, die Augen der Menschen können mich nur in dieser Hässlichkeit erblicken, aber damit du weisst, wie ich aussehe, so schau in den Spiegel, der lässt sich nicht irre machen, der zeigt dir mein Bild, wie es in Wahrheit ist.‘ Sie gab ihm den Spiegel in die Hand, und er sah darin das Abbild der schönsten Jungfrau, die auf der Welt war, und sah, wie ihr vor Traurigkeit die Tränen über die Wangen rollten. Da sprach er ‚wie kannst du erlöst werden? ich scheue keine Gefahr.‘ Sie sprach ‚wer die kristallne Kugel erlangt und hält sie dem Zauberer vor, der bricht damit seine Macht, und ich kehre in meine wahre Gestalt zurück. Ach,‘ setzte sie hinzu, ’schon so mancher ist darum in seinen Tod gegangen, und du junges Blut, du jammerst mich, wenn du dich in die grossen Gefährlichkeiten begibst.‘ ‚Mich kann nichts abhalten,‘ sprach er, ‚aber sage mir, was ich tun muss.‘ ‚Du sollst alles wissen,‘ sprach die Königstochter, ‚wenn du den Berg, auf dem das Schloss steht, hinabgehst, so wird unten an einer Quelle ein wilder Auerochs stehen, mit dem musst du kämpfen. Und wenn es dir glückt, ihn zu töten, so wird sich aus ihm ein feuriger Vogel erheben, der trägt in seinem Leib ein glühendes Ei, und in dem Ei steckt als Dotter die Kristallkugel. Er lässt aber das Ei nicht fallen, bis er dazu gedrängt wird, fällt es aber auf die Erde, so zündet es und verbrennt alles in seiner Nähe, und das Ei selbst zerschmilzt und mit ihm die kristallne Kugel, und all deine Mühe ist vergeblich gewesen.‘

Der Jüngling stieg hinab zu der Quelle, wo der Auerochse schnaubte und ihn anbrüllte. Nach langem Kampf stiess er ihm sein Schwert in den Leib, und er sank nieder. Augenblicklich erhob sich aus ihm der Feuervogel und wollte fortfliegen, aber der Adler, der Bruder des Jünglings, der zwischen den Wolken daherzog‘ stürzte auf ihn herab, jagte ihn nach dem Meer hin und stiess ihn mit seinem Schnabel an, so dass er in der Bedrängnis das Ei fallen liess. Es fiel aber nicht in das Meer, sondern auf eine Fischerhütte, die am Ufer stand, und die fing gleich an zu rauchen und wollte in Flammen aufgehen. Da erhoben sich im Meer haushohe Wellen, strömten über die Hütte und bezwangen das Feuer. Der andere Bruder, der Walfisch, war herangeschwommen und hatte das Wasser in die Höhe getrieben. Als der Brand gelöscht war, suchte der Jüngling nach dem Ei und fand es glücklicherweise: es war noch nicht geschmolzen, aber die Schale war von der pIötzlichen Abkühlung durch das kalte Wasser zerbröckelt, und er konnte die Kristallkugel unversehrt herausnehmen.

Als der Jüngling zu dem Zauberer ging und sie ihm vorhielt, so sagte dieser ‚meine Macht ist zerstört, und du bist von nun an der König vom Schloss der goldenen Sonne. Auch deinen Brüdern kannst du die menschliche Gestalt damit zurückgeben.‘ Da eilte der Jüngling zu der Königstochter, und als er in ihr Zimmer trat, so stand sie da in vollem Glanz ihrer Schönheit, und beide wechselten voll Freude ihre Ringe miteinander.

Oll Rinkrank

Dar war mal ’n König wän, un de har ’n Dochter hat: und de har ’n glasen Barg maken laten, un har segt, de dar över lopen kun, an to vallen, de schull sin Dochter to ’n Fro hebben. Do is dar ok en, de mag de Königsdochter so gärn liden, de vragt den König, of he sin Dochter nich hebben schal. ‚Ja,‘ segt de König, ‚wenn he dar över den Barg lopen kan, an dat he valt, den schal he är hebben.‘ Do segt de Königsdochter, den wil se dar mit hüm över lopen und wil hüm hollen, wen he war vallen schul. Do lopt se dar mit ,nanner över, un as se dar miden up sünt, do glit de Königsdochter ut un valt, un de Glasbarg, de deit sick apen, un se schütt darin hendal: un de Brögam, de kan nich sen, war se herdör kamen is, den de Barg het sick glick wär to dan. Do jammert un went he so väl, un de König is ok so trorig un let den Barg dar wedder weg bräken un ment, he wil är wedder ut krigen, man se könt de Stä ni finnen, wär se hendal vallen is. Ünnertüsken is de Königsdochter ganz dep in de Grunt in ’n grote Höl kamen. Do kumt är dar ’n ollen Kärl mit ’n ganzen langen grauen Bart to möt, un de segt, wen se sin Magd wäsen wil und all don, wat he bevelt, den schal se läven bliven, anners will he är ümbringen. Do deit se all, war he är segt. ,s Morgens, den kricht he sin Ledder ut de Task un legt de an den Barg un sticht darmit to ’n Barg henut: un den lukt he de Ledder na sick ümhoch mit sick henup. Un den mut se sin Äten kaken und sin Bedd maken un all sin Arbeit don, un den, wen he wedder in Hus kumt, den bringt he alltit ’n Hüpen Golt un Sülver mit. As se al väl Jaren bi em wäsen is un al ganz olt wurden is, da het he är Fro Mansrot, un se möt hüm oll Rinkrank heten. Do is he ok ins enmal ut, do makt se hüm sin Bedd un waskt sin Schöttels, un do makt se de Dören un Vensters all dicht to, un do is dar so ’n Schuf wäsen, war ‚t Lecht herin schint het, da let se apen. As d‘ oll Rinkrank do wedder kumt, so klopt he an sin Dör und röpt ‚Fro Mansrot, do mi d‘ Dör apen.‘ ‚Na,‘ segt se, ‚ik do di, oll Rinkrank, d‘ Dör nich apen.‘ Do segt he

‚hir sta ik arme Rinkrank
up min söventein senen lank‘
up min en vergüllen Vot,
Fro Mansrot, wask mi d‘ Schöttels.‘

‚Ik heb din Schöttels al wusken,‘ segt se. Do segt he wedder

‚hir sta ik arme Rinkrank
up min söventein Benen lank,
up min en vergüllen Vot,
Fro Mansrot, mak mi ‚t Bedd.‘

‚Ik heb din Bedd all makt,‘ segt se. Do segt he wedder

‚hir sta ik arme Rinkrank
up min söventein senen lank,
up min en vergüllen Vot,
Fro Mansrot, do mi d‘ Dör apen.

Do löpt he all runt üm sin Hus to un süt, dat de lütke Luk dar apen is, do denkt he ‚du schast doch ins tosen, wat se dar wol makt, warüm dat se mi d‘ Dör wol nich apen don wil.‘ Do wil he dar dör kiken un kan den Kop dar ni dör krigen van sin langen Bart. Do stekt he sin Bart dar erst dör de Luk, un as he de dar hendör het, do geit Fro Mansrot bi un schuft de Luk grad to mit’n Bant, de se dar an bunnen het, un de Bart blift darin vast sitten. Do fangt he so jammerlik an to kriten, dat deit üm so sär: un do bidd’t he är, se mag üm wedder los laten. Do segt se, er nich as bet he är de Ledder deit, war he mit to’n Barg herut sticht. Do mag he willen oder nich, he mot är seggen, war de Ledder is. Do bint se ’n ganzen langen Bant dar an de Schuf, un do legt se de Ledder an un sticht to ’n Barg herut: un as se baven is, do lukt se de Schuf apen. Do geit se na är Vader hen und vertelt, wo dat är all gan is. Do freut de König sick so, un är Brögam is dar ok noch, un do gat se hen un gravt den Barg up un finnt den ollen Rinkrank mit all sin Golt ün Sülver darin. Do let de König den ollen Rinkrank dot maken, und all sin Sülver un Golt nimt he mit. Do kricht de Königsdochter den ollen Brögam noch ton Mann, un se lävt recht vergnögt un herrlich un in Freuden.

Der Grabhügel

Ein reicher Bauer stand eines Tages in seinem Hof und schaute nach seinen Feldern und Gärten: das Korn wuchs kräftig heran und die Obstbäume hingen voll Früchte. Das Getreide des vorigen Jahrs lag noch in so mächtigen Haufen auf dem Boden, dass es kaum die Balken tragen konnten. Dann ging er in den Stall, da standen die gemästeten Ochsen, die fetten Kühe und die spiegelglatten Pferde. Endlich ging er in seine Stube zurück und warf seine Blicke auf die eisernen Kasten, in welchen sein Geld lag. Als er so stand und seinen Reichtum übersah, klopfte es auf einmal heftig bei ihm an. Es klopfte aber nicht an die Türe seiner Stube, sondern an die Türe seines Herzens. Sie tat sich auf und er hörte eine Stimme, die zu ihm sprach ‚hast du den Deinigen damit wohlgetan? hast du die Not der Armen angesehen? hast du mit den Hungrigen dein Brot geteilt? war dir genug, was du besassest, oder hast du noch immer mehr verlangt?‘ Das Herz zögerte nicht mit der Antwort ‚ich bin hart und unerbittlich gewesen und habe den Meinigen niemals etwas Gutes erzeigt. Ist ein Armer gekommen, so habe ich mein Auge weggewendet. Ich habe mich um Gott nicht bekümmert, sondern nur an die Mehrung meines Reichtums gedacht. Wäre alles mein eigen gewesen, was der Himmel bedeckte, dennoch hätte ich nicht genug gehabt.‘ Als er diese Antwort vernahm, erschrak er heftig: die Knie fingen an ihm zu zittern und er musste sich niedersetzen. Da klopfte es abermals an, aber es klopfte an die Türe seiner Stube. Es war sein Nachbar, ein armer Mann, der ein Häufchen Kinder hatte, die er nicht mehr sättigen konnte. ‚Ich weiss,‘ dachte der Arme, ‚mein Nachbar ist reich, aber er ist ebenso hart: ich glaube nicht, dass er mir hilft, aber meine Kinder schreien nach Brot, da will ich es wagen.‘ Er sprach zu dem Reichen ‚Ihr gebt nicht leicht etwas von dem Eurigen weg, aber ich stehe da wie einer, dem das Wasser bis an den Kopf geht: meine Kinder hungern , leiht mir vier Malter Korn.‘ Der Reiche sah ihn lange an, da begann der erste Sonnenstrahl der Milde einen Tropfen von dem Eis der Habsucht abzuschmelzen. ‚Vier Malter will ich dir nicht leihen,‘ antwortete er, ’sondern achte will ich dir schenken, aber eine Bedingung musst du erfüllen.‘ ‚Was soll ich tun?, sprach der Arme. ‚Wenn ich tot bin, sollst du drei Nächte an meinem Grabe wachen.‘ Dem Bauer ward bei dem Antrag unheimlich zumut, doch in der Not, in der er sich befand, hätte er alles bewilligt: er sagte also zu und trug das Korn heim.

Es war, als hätte der Reiche vorausgesehen, was geschehen würde, nach drei Tagen fiel er plötzlich tot zur Erde; man wusste nicht recht, wie es zugegangen war, aber niemand trauerte um ihn. Als er bestattet war, fiel dem Armen sein Versprechen ein: gerne wäre er davon entbunden gewesen, aber er dachte ‚er hat sich gegen dich doch mildtätig erwiesen, du hast mit seinem Korn deine hungrigen Kinder gesättigt, und wäre das auch nicht, du hast einmal das Versprechen gegeben und musst du es halten.‘ Bei einbrechender Nacht ging er auf den Kirchhof und setzte sich auf den Grabhügel. Es war alles still, nur der Mond schien über die Grabhügel, und manchmal flog eine Eule vorbei und liess ihre kläglichen Töne hören. Als die Sonne aufging, begab sich der Arme ungefährdet heim, und ebenso ging die zweite Nacht ruhig vorüber. Den Abend des dritten Tags empfand er eine besondere Angst, es war ihm, als stände noch etwas bevor. Als er hinauskam, erblickte er an der Mauer des Kirchhofs einen Mann, den er noch nie gesehen hatte. Er war nicht mehr jung, hatte Narben im Gesicht, und seine Augen blickten scharf und feurig umher. Er war ganz von einem alten Mantel bedeckt, und nur grosse Reiterstiefeln waren sichtbar. ‚Was sucht Ihr hier?‘ redete ihn der Bauer an, ‚gruselt Euch nicht auf dem einsamen Kirchhof?, ‚Ich suche nichts,‘ antwortete er, ‚aber ich fürchte auch nichts. Ich bin wie der Junge, der ausging, das Gruseln zu lernen, und sich vergeblich bemühte, der aber bekam die Königstochter zur Frau und mit ihr grosse Reichtümer, und ich bin immer arm geblieben. Ich bin nichts als ein abgedankter Soldat und will hier die Nacht zubringen, weil ich sonst kein Obdach habe.‘ ‚Wenn Ihr keine Furcht habt,‘ sprach der Bauer, ’so bleibt bei mir und helft mir dort den Grabhügel bewachen.‘ ‚Wacht halten ist Sache des Soldaten,‘ antwortete er, ‚was uns hier begegnet, Gutes oder Böses, das wollen wir gemeinsc haftlich tragen.‘ Der Bauer schlug ein, und sie setzten sich zusammen auf das Grab.

Alles blieb still bis Mitternacht, da ertönte auf einmal ein schneidendes Pfeifen in der Luft, und die beiden Wächter erblickten den Bösen, der leibhaftig vor ihnen stand. ‚Fort, ihr Halunken,‘ rief er ihnen zu, ‚der in dem Grab liegt, ist mein: ich will ihn holen, und wo ihr nicht weggeht, dreh ich euch die Hälse um.‘ ‚Herr mit der roten Feder,‘ sprach der Soldat, ‚Ihr seid mein Hauptmann nicht, ich brauch Euch nicht zu gehorchen, und das Fürchten hab ich noch nicht gelernt. Geht Eurer Wege, wir bleiben hier sitzen.‘ Der Teufel dachte ‚mit Gold fängst du die zwei Haderlumpen am besten,‘ zog gelindere Saiten auf und fragte ganz zutraulich, ob sie nicht einen Beutel mit Gold annehmen und damit heimgehen wollten. ‚Das lässt sich hören,‘ antwortete der Soldat, ‚aber mit einem Beutel voll Gold ist uns nicht gedient: wenn Ihr so viel Gold geben wollt, als da in einen von meinen Stiefeln geht, so wollen wir Euch das Feld räumen und abziehen.‘ ‚So viel habe ich nicht bei mir,‘ sagte der Teufel, ‚aber ich will es holen: in der benachbarten Stadt wohnt ein Wechsler, der mein guter Freund ist, der streckt mir gerne so viel vor.‘ Als der Teufel verschwunden war, zog der Soldat seinen linken Stiefel aus und sprach ‚dem Kohlenbrenner wollen wir schon eine Nase drehen: gebt mir nur Euer Messer, Gevatter.‘ Er schnitt von dem Stiefel die Sohle ab und stellte ihn neben den Hügel in das hohe Gras an den Rand einer halb überwachsenen Grube. ‚So ist alles gut‘ sprach er, ’nun kann der Schornsteinfeger kommen.‘

Beide setzten sich und warteten, es dauerte nicht lange, so kam der Teufel und hatte ein Säckchen Gold in der Hand. ‚Schüttet es nur hinein,‘ sprach der Soldat und hob den Stiefel ein wenig in die Höhe, ‚das wird aber nicht genug sein.‘ Der Schwarze leerte das Säckchen, das Gold fiel durch und der Stiefel blieb leer. ‚Dummer Teufel,‘ rief der Soldat, ‚es schickt nicht: habe ich es nicht gleich gesagt? kehrt nur wieder um und holt mehr.‘ Der Teufel schüttelte den Kopf, ging und kam nach einer Stunde mit einem viel grösseren Sack unter dem Arm. ‚Nur eingefüllt,‘ rief der Soldat, ‚aber ich zweifle, dass der Stiefel voll wird.‘ Das Gold klingelte, als es hinabfiel, und der Stiefel blieb leer. Der Teufel blickte mit seinen glühenden Augen selbst hinein und überzeugte sich von der Wahrheit. ‚Ihr habt unverschämt starke Waden,‘ rief er und verzog den Mund. ‚Meint Ihr,‘ erwiderte der Soldat, ‚ich hätte einen Pferdefuss wie Ihr? seit wann seid Ihr so knauserig? macht, dass Ihr mehr Gold herbeischafft, sonst wird aus unserm Handel nichts.‘ Der Unhold trollte sich abermals fort. Diesmal blieb er länger aus, und als er endlich erschien, keuchte er unter der Last eines Sackes, der auf seiner Schulter lag. Er schüttete ihn in den Stiefel, der sich aber so wenig füllte als vorher. Er ward wütend und wollte dem Soldat den Stiefel aus der Hand reissen, aber in dem Augenblick drang der erste Strahl der aufgehenden Sonne am Himmel herauf, und der böse Geist entfloh mit lautem Geschrei. Die arme Seele war gerettet.

Der Bauer wollte das Gold teilen, aber der Soldat sprach ‚gib den Armen, was mir zufällt: ich ziehe zu dir in deine Hütte, und wir wollen mit dem übrigen in Ruhe und Frieden zusammen leben, solange es Gott gefällt.‘

Die Kornähre

Vorzeiten, als Gott noch selbst auf Erden wandelte, da war die Fruchtbarkeit des Bodens viel grösser als sie jetzt ist: damals trugen die Ähren nicht fünfzig- oder sechzigfältig, sondern vier- bis fünfhundertfältig. Da wuchsen die Körner am Halm von unten bis oben hinauf: so lang er war, so lang war auch die Ähre. Aber wie die Menschen sind, im Überfluss achten sie des Segens nicht mehr, der von Gott kommt, werden gleichgültig und leichtsinnig. Eines Tages ging eine Frau an einem Kornfeld vorbei, und ihr kleines Kind, das neben ihr sprang, fiel in eine Pfütze und beschmutzte sein Kleidchen. Da riss die Mutter eine Handvoll der schönen Ähren ab und reinigte ihm damit das Kleid. Als der Herr, der eben vorüberkam, das sah, zürnte er und sprach ‚fortan soll der Kornhalm keine Ähre mehr tragen: die Menschen sind der himmlischen Gabe nicht länger wert.‘ Die Umstehenden, die das hörten, erschraken, fielen auf die Knie und flehten, dass er noch etwas möchte an dem Halm stehen lassen: wenn sie selbst es auch nicht verdienten, doch der unschuldigen Hühner wegen, die sonst verhungern müssten. Der Herr, der ihr Elend voraussah, erbarmte sich und gewährte die Bitte. Also blieb noch oben die Ähre übrig, wie sie jetzt wächst.

Der Trommler

Eines Abends ging ein junger Trommler ganz allein auf dem Feld und kam an einen See, da sah er an dem Ufer drei Stückchen weisse Leinewand liegen. „Was für feines Leinen,“ sprach er und steckte eins davon in die Tasche. Er ging heim, dachte nicht weiter an seinen Fund und legte sich zu Bett. Als er eben einschlafen wollte, war es ihm, als nennte jemand seinen Namen. Er horchte und vernahm eine leise Stimme, die ihm zurief: „Trommeler, Trommeler, wach auf!“ Er konnte, da es finstere Nacht war, niemand sehen, aber es kam ihm vor, als schwebte eine Gestalt vor seinem Bett auf und ab. „Was willst du?“ fragte er. „Gib mir mein Hemdchen zurück,“ antwortete die Stimme, „das du mir gestern abend am See weggenommen hast.“ – „Du sollst es wiederhaben,“ sprach der Trommler, „wenn du mir sagst, wer du bist.“ – „Ach,“ erwiderte die Stimme, „ich bin die Tochter eines mächtigen Königs, aber ich bin in die Gewalt einer Hexe geraten und bin auf den Glasberg gebannt. Jeden Tag muss ich mit meinen zwei Schwestern im See baden, aber ohne mein Hemdchen kann ich nicht wieder fortfliegen. Meine Schwestern haben sich fortgemacht, ich aber habe zurückbleiben müssen. Ich bitte dich, gib mir mein Hemdchen wieder.“ – „Sei ruhig, armes Kind,“ sprach der Trommler, „ich will dir’s gerne zurückgeben.“ Er holte es aus seiner Tasche und reichte es ihr in der Dunkelheit hin. Sie erfasste es hastig und wollte damit fort. „Weile einen Augenblick,“ sagte er, „vielleicht kann ich dir helfen.“ – „Helfen kannst du mir nur, wenn du auf den Glasberg steigst und mich aus der Gewalt der Hexe befreist. Aber zu dem Glasberg kommst du nicht, und wenn du auch ganz nahe daran wärst, so kommst du nicht hinauf.“ – „Was ich will, das kann ich,“ sagte der Trommler, „ich habe Mitleid mit dir, und ich fürchte mich vor nichts. Aber ich weiss den Weg nicht, der nach dem Glasberg führt.“ – „Der Weg geht durch den grossen Wald, in dem die Menschenfresser hausen,“ antwortete sie, „mehr darf ich dir nicht sagen.“ Darauf hörte er, wie sie fortschwirrte.

Bei Anbruch des Tages machte sich der Trommler auf, hing seine Trommel um und ging ohne Furcht geradezu in den Wald hinein. Als er ein Weilchen gegangen war und keinen Riesen erblickte, so dachte er: „Ich muss die Langschläfer aufwecken,“ hing die Trommel vor und schlug einen Wirbel, dass die Vögel aus den Bäumen mit Geschrei aufflogen. Nicht lange, so erhob sich auch ein Riese in die Höhe, der im Gras gelegen und geschlafen hatte, und war so gross wie eine Tanne. „Du Wicht,“ rief er ihm zu, „was trommelst du hier und weckst mich aus dem besten Schlaf?“ – „Ich trommle,“ antwortete er, „weil viele Tausende hinter mir herkommen, damit sie den Weg wissen.“ – „Was wollen die hier in meinem Wald?“ fragte der Riese. „Sie wollen dir den Garaus machen und den Wald von einem Ungetüm, wie du bist, säubern.“ – „Oh,“ sagte der Riese, „ich trete euch wie Ameisen tot.“ – „Meinst du, du könntest gegen sie etwas ausrichten?“ sprach der Trommler, „wenn du dich bückst, um einen zu packen, so springt er fort und versteckt sich, wie du dich aber niederlegst und schläfst, so kommen sie aus allen Gebüschen herbei und kriechen an dir hinauf. Jeder hat einen Hammer von Stahl am Gürtel stecken, damit schlagen sie dir den Schädel ein.“ Der Riese ward verdriesslich und dachte: Wenn ich mich mit dem listigen Volk befasse, so könnte es doch zu meinem Schaden ausschlagen. Wölfen und Bären drücke ich die Gurgel zusammen, aber vor den Erdwürmern kann ich mich nicht schützen. „Hör, kleiner Kerl,“ sprach er, „zieh wieder ab, ich verspreche dir, dass ich dich und deine Gesellen in Zukunft in Ruhe lassen will, und hast du noch einen Wunsch, so sag’s mir, ich will dir wohl etwas zu Gefallen tun.“ – „Du hast lange Beine,“ sprach der Trommler, „und kannst schneller laufen als ich, trag mich zum Glasberge, so will ich den Meinigen ein Zeichen zum Rückzug geben, und sie sollen dich diesmal in Ruhe lassen.“ – „Komm her, Wurm,“ sprach der Riese, „setz dich auf meine Schulter, ich will dich tragen, wohin du verlangst.“ Der Riese hob ihn hinauf, und der Trommler fing oben an nach Herzenslust auf der Trommel zu wirbeln. Der Riese dachte: Das wird das Zeichen sein, dass das andere Volk zurückgehen soll. Nach einer Weile stand ein zweiter Riese am Weg, der nahm den Trommler dem ersten ab und steckte ihn in sein Knopfloch. Der Trommler fasste den Knopf, der wie eine Schüssel gross war, hielt sich daran und schaute ganz lustig umher. Dann kamen sie zu einem dritten, der nahm ihn aus dem Knopfloch und setzte ihn auf den Rand seines Hutes; da ging der Trommler oben auf und ab und sah über die Bäume hinaus, und als er in blauer Ferne einen Berg erblickte, so dachte er, Das ist gewiss der Glasberg, und er war es auch. Der Riese tat noch ein paar Schritte, so waren sie an dem Fuss des Berges angelangt, wo ihn der Riese absetzte. Der Trommler verlangte, er sollte ihn auch auf die Spitze des Glasberges tragen, aber der Riese schüttelte mit dem Kopf, brummte etwas in den Bart und ging in den Wald zurück.

Nun stand der arme Trommler vor dem Berg, der so hoch war, als wenn drei Berge aufeinandergesetzt wären, und dabei so glatt wie ein Spiegel, und wusste keinen Rat, um hinaufzukommen. Er fing an zu klettern, aber vergeblich, er rutschte immer wieder herab. Wer jetzt ein Vogel wäre, dachte er, aber was half das Wünschen, es wuchsen ihm keine Flügel. Indem er so stand und sich nicht zu helfen wusste, erblickte er nicht weit von sich zwei Männer, die heftig miteinander stritten. Er ging auf sie zu und sah, dass sie wegen eines Sattels uneins waren, der vor ihnen auf der Erde lag, und den jeder von ihnen haben wollte. „Was seid ihr für Narren,“ sprach er, „zankt euch um einen Sattel und habt kein Pferd dazu.“ – „Der Sattel ist wert, dass man darum streitet,“ antwortete der eine von den Männern, „wer darauf sitzt und wünscht sich irgendwohin, und wär’s am Ende der Welt, der ist im Augenblick angelangt, wie er den Wunsch ausgesprochen hat. Der Sattel gehört uns gemeinschaftlich, die Reihe, darauf zu reiten, ist an mir, aber der andere will es nicht zulassen.“ – „Den Streit will ich bald austragen,“ sagte der Trommler, ging eine Strecke weit und steckte einen weissen Stab in die Erde. Dann kam er zurück und sprach: „Jetzt lauft nach dem Ziel, wer zuerst dort ist, der reitet zuerst.“ Beide setzten sich in Trab, aber kaum waren sie ein paar Schritte weg, so schwang sich der Trommler auf den Sattel, wünschte sich auf den Glasberg, und ehe man die Hand umdrehte, war er dort. Auf dem Berg oben war eine Ebene, da stand ein altes steinernes Haus; und vor dem Haus lag ein grosser Fischteich, dahinter aber ein finsterer Wald. Menschen und Tiere sah er nicht, es war alles still, nur der Wind raschelte in den Bäumen, und die Wolken zogen ganz nah über seinem Haupt weg. Er trat an die Türe und klopfte an. Als er zum drittenmal geklopft hatte, öffnete eine Alte mit braunem Gesicht und roten Augen die Türe; sie hatte eine Brille auf ihrer langen Nase und sah ihn scharf an, dann fragte sie, was sein Begehren wäre. „Einlass, Kost und Nachtlager,“ antwortete der Trommler. „Das sollst du haben,“ sagte die Alte, „wenn du dafür drei Arbeiten verrichten willst.“ – „Warum nicht?“ antwortete er, „ich scheue keine Arbeit, und wenn sie noch so schwer ist.“ Die Alte liess ihn ein, gab ihm Essen und abends ein gutes Bett. Am Morgen, als er ausgeschlafen hatte, nahm die Alte einen Fingerhut von ihrem dürren Finger, reichte ihn dem Trommler hin und sagte: „Jetzt geh an die Arbeit und schöpfe den Teich draussen mit diesem Fingerhut aus, aber ehe es Nacht wird, musst du fertig sein, und alle Fische, die in dem Wasser sind, müssen nach ihrer Art und Grösse ausgesucht und nebeneinandergelegt sein.“ – „Das ist eine seltsame Arbeit,“ sagte der Trommler, ging aber zu dem Teich und fing an zu schöpfen. Er schöpfte den ganzen Morgen, aber was kann man mit einem Fingerhut bei einem grossen Wasser ausrichten, und wenn man tausend Jahre schöpft? Als es Mittag war, dachte er: „Es ist alles umsonst, und ist einerlei, ob ich arbeite oder nicht,“ hielt ein und setzte sich nieder. Da kam ein Mädchen aus dem Haus gegangen, stellte ihm ein Körbchen mit Essen hin und sprach: „Du sitzest da so traurig, was fehlt dir?“ Er blickte es an und sah, dass es wunderschön war. „Ach,“ sagte er, „ich kann die erste Arbeit nicht vollbringen, wie wird es mit den andern werden? Ich bin ausgegangen, eine Königstochter zu suchen, die hier wohnen soll, aber ich habe sie nicht gefunden; ich will weitergehen.“ – „Bleib hier,“ sagte das Mädchen, „ich will dir aus deiner Not helfen. Du bist müde, lege deinen Kopf in meinen Schoss und schlaf. Wenn du wieder aufwachst, so ist die Arbeit getan.“ Der Trommler liess sich das nicht zweimal sagen. Sobald ihm die Augen zufielen, drehte sie einen Wunschring und sprach „Wasser herauf, Fische heraus.“ Alsbald stieg das Wasser wie ein weisser Nebel in die Höhe und zog mit den andern Wolken fort, und die Fische schnalzten, sprangen ans Ufer und legten sich nebeneinander, jeder nach seiner Grösse und Art. Als der Trommler erwachte, sah er mit Erstaunen, dass alles vollbracht war. Aber das Mädchen sprach: „Einer von den Fischen liegt nicht bei seinesgleichen, sondern ganz allein. Wenn die Alte heute abend kommt und sieht, dass alles geschehen ist, was sie verlangt hat, so wird sie fragen: Was soll dieser Fisch allein? Dann wirf ihr den Fisch ins Angesicht und sprich: Der soll für dich sein, alte Hexe.“ Abends kam die Alte, und als sie die Frage getan hatte, so warf er ihr den Fisch ins Gesicht. Sie stellte sich, als merkte sie es nicht, und schwieg still, aber sie blickte ihn mit boshaften Augen an. Am andern Morgen sprach sie: „Gestern hast du es zu leicht gehabt, ich muss dir schwerere Arbeit geben. Heute musst du den ganzen Wald umhauen, das Holz in Scheite spalten und in Klaftern legen, und am Abend muss alles fertig sein.“ Sie gab ihm eine Axt, einen Schläger und zwei Keile. Aber die Axt war von Blei, der Schläger und die Keile waren von Blech. Als er anfing zu hauen, so legte sich die Axt um, und Schläger und Keile drückten sich zusammen. Er wusste sich nicht zu helfen, aber mittags kam das Mädchen wieder mit dem Essen und tröstete ihn. „Lege deinen Kopf in meinen Schoss,“ sagte sie, „und schlaf, wenn du aufwachst, so ist die Arbeit getan.“ Sie drehte ihren Wunschring, in dem Augenblick sank der ganze Wald mit Krachen zusammen, das Holz spaltete sich von selbst und legte sich in Klaftern zusammen; es war als ob unsichtbare Riesen die Arbeit vollbrächten. Als er aufwachte, sagte das Mädchen: „Siehst du, das Holz ist geklaftert und gelegt; nur ein einziger Ast ist übrig, aber wenn die Alte heute abend kommt und fragt, was der Ast solle, so gib ihr damit einen Schlag und sprich: Der soll für dich sein, du Hexe.“ Die Alte kam: „Siehst du,“ sprach sie, „wie leicht die Arbeit war; aber für wen liegt der Ast noch da?“ – „Für dich, du Hexe,“ antwortete er und gab ihr einen Schlag damit. Aber sie tat, als fühlte sie es nicht, lachte höhnisch und sprach: „Morgen früh sollst du alles Holz auf einen Haufen legen, es anzünden und verbrennen.“ Er stand mit Anbruch des Tages auf und fing an das Holz herbeizuholen, aber wie kann ein einziger Mensch einen ganzen Wald zusammentragen? Die Arbeit rückte nicht fort. Doch das Mädchen verliess ihn nicht in der Not, es brachte ihm mittags seine Speise, und als er gegessen hatte, legte er seinen Kopf in den Schoss und schlief ein. Bei seinem Erwachen brannte der ganze Holzstoss in einer ungeheuern Flamme, die ihre Zungen bis in den Himmel ausstreckte. „Hör mich an,“ sprach das Mädchen, „wenn die Hexe kommt, wird sie dir allerlei auftragen, tust du ohne Furcht, was sie verlangt, so kann sie dir nichts anhaben, fürchtest du dich aber, so packt dich das Feuer und verzehrt dich. Zuletzt, wenn du alles getan hast, so packe sie mit beiden Händen und wirf sie mitten in die Glut.“ Das Mädchen ging fort, und die Alte kam herangeschlichen: „Hu! Mich friert,“ sagte sie „aber das ist ein Feuer, das brennt, das wärmt mir die alten Knochen, da wird mir wohl. Aber dort liegt ein Klotz, der will nicht brennen, den hol mir heraus. Hast du das noch getan, so bist du frei und kannst ziehen, wohin du willst. Nur munter hinein!“ Der Trommler besann sich nicht lange, sprang mitten in die Flammen, aber sie taten ihm nichts, nicht einmal die Haare konnten sie ihm versengen. Er trug den Klotz heraus und legte ihn hin. Kaum aber hatte das Holz die Erde berührt, so verwandelte es sich, und das schöne Mädchen stand vor ihm, das ihm in der Not geholfen hatte, und an den seidenen, goldglänzenden Kleidern, die es anhatte, merkte er wohl, dass es die Königstochter war. Aber die Alte lachte giftig und sprach: „Du meinst, du hättest sie, aber du hast sie noch nicht.“ Eben wollte sie auf das Mädchen losgehen und es fortziehen, da packte er die Alte mit beiden Händen, hob sie in die Höhe und warf sie den Flammen in den Rachen, die über ihr zusammenschlugen, als freuten sie sich, dass sie eine Hexe verzehren sollten.

Die Königstochter blickte darauf den Trommler an, und als sie sah, dass es ein schöner Jüngling war, und bedachte, dass er sein Leben daran gesetzt hatte, um sie zu erlösen, so reichte sie ihm die Hand und sprach: „Du hast alles für mich gewagt, aber ich will auch für dich alles tun. Versprichst du mir deine Treue, so sollst du mein Gemahl werden. An Reichtümern fehlt es uns nicht, wir haben genug an dem, was die Hexe hier zusammengetragen hat.“ Sie führte ihn in das Haus, da standen Kisten und Kasten, die mit ihren Schätzen angefüllt waren. Sie liessen Gold und Silber liegen und nahmen nur die Edelsteine. Sie wollte nicht länger auf dem Glasberg bleiben, da sprach er zu ihr: „Setze dich zu mir auf meinen Sattel, so fliegen wir hinab wie Vögel.“ – „Der alte Sattel gefällt mir nicht,“ sagte sie, „ich brauche nur an meinem Wunschring zu drehen, so sind wir zu Haus.“ – „Wohlan,“ antwortete der Trommler, „so wünsch uns vor das Stadttor.“ Im Nu waren sie dort, der Trommler aber sprach: „Ich will erst zu meinen Eltern gehen und ihnen Nachricht geben, harre mein hier auf dem Feld, ich will bald zurück sein.“ – „Ach,“ sagte die Königstochter, „ich bitte dich, nimm dich in acht, küsse deine Eltern bei deiner Ankunft nicht auf die rechte Wange, denn sonst wirst du alles vergessen, und ich bleibe hier allein und verlassen auf dem Feld zurück.“ – „Wie kann ich dich vergessen?“ sagte er und versprach ihr in die Hand, recht bald wiederzukommen. Als er in sein väterliches Haus trat, wusste niemand, wer er war, so hatte er sich verändert, denn die drei Tage, die er auf dem Glasberg zugebracht hatte, waren drei lange Jahre gewesen. Da gab er sich zu erkennen, und seine Eltern fielen ihm vor Freude um den Hals, und er war so bewegt in seinem Herzen, dass er sie auf beide Wangen küsste und an die Worte des Mädchens nicht dachte. Wie er ihnen aber den Kuss auf die rechte Wange gegeben hatte, verschwand ihm jeder Gedanke an die Königstochter. Er leerte seine Taschen aus und legte Hände voll der grössten Edelsteine auf den Tisch. Die Eltern wussten gar nicht, was sie mit dem Reichtum anfangen sollten. Da baute der Vater ein prächtiges Schloss, von Gärten, Wäldern und Wiesen umgeben, als wenn ein Fürst darin wohnen sollte. Und als es fertig war, sagte die Mutter: „Ich habe ein Mädchen für dich ausgesucht, in drei Tagen soll die Hochzeit sein.“ Der Sohn war mit allem zufrieden, was die Eltern wollten.

Die arme Königstochter hatte lange vor der Stadt gestanden und auf die Rückkehr des Jünglings gewartet. Als es Abend ward, sprach sie: „Gewiss hat er seine Eltern auf die rechte Wange geküsst und hat mich vergessen.“ Ihr Herz war voll Trauer, sie wünschte sich in ein einsames Waldhäuschen und wollte nicht wieder an den Hof ihres Vaters zurück. Jeden Abend ging sie in die Stadt und ging an seinem Haus vorüber: er sah sie manchmal, aber er kannte sie nicht mehr. Endlich hörte sie, wie die Leute sagten: „Morgen wird seine Hochzeit gefeiert.“ Da sprach sie: „Ich will versuchen, ob ich sein Herz wiedergewinne.“ Als der erste Hochzeitstag gefeiert ward, da drehte sie ihren Wunschring und sprach: „Ein Kleid so glänzend wie die Sonne.“ Alsbald lag das Kleid vor ihr und war so glänzend, als wenn es aus lauter Sonnenstrahlen gewebt wäre. Als alle Gäste sich versammelt hatten, so trat sie in den Saal. Jedermann wunderte sich über das schöne Kleid, am meisten die Braut, und da schöne Kleider ihre grösste Lust waren, so ging sie zu der Fremden und fragte, ob sie es ihr verkaufen wollte. „Für Geld nicht,“ antwortete sie, „aber wenn ich die erste Nacht vor der Türe verweilen darf, wo der Bräutigam schläft, so will ich es hingeben.“ Die Braut konnte ihr Verlangen nicht bezwingen und willigte ein, aber sie mischte dem Bräutigam einen Schlaftrunk in seinen Nachtwein, wovon er in tiefen Schlaf verfiel. Als nun alles still geworden war, so kauerte sich die Königstochter vor die Türe der Schlafkammer, öffnete sie ein wenig und rief hinein:

„Trommler, Trommler, hör mich an,
Hast du mich denn ganz vergessen?
Hast du auf dem Glasberg nicht bei mir gesessen?
Habe ich vor der Hexe nicht bewahrt dein Leben?
Hast du mir auf Treue nicht die Hand gegeben?
Trommler, Trommler, hör mich an.“

Aber es war alles vergeblich, der Trommler wachte nicht auf, und als der Morgen anbrach, musste die Königstochter unverrichteter Dinge wieder fortgehen. Am zweiten Abend drehte sie ihren Wunschring und sprach: „Ein Kleid so silbern als der Mond.“ Als sie mit dem Kleid, das so zart war wie der Mondschein, bei dem Fest erschien, erregte sie wieder das Verlangen der Braut und gab es ihr für die Erlaubnis, auch die zweite Nacht vor der Türe der Schlafkammer zubringen zu dürfen. Da rief sie in nächtlicher Stille:

„Trommler, Trommler, hör mich an,
Hast du mich denn ganz vergessen?
Hast du auf dem Glasberg nicht bei mir gesessen?
Habe ich vor der Hexe nicht bewahrt dein Leben?
Hast du mir auf Treue nicht die Hand gegeben?
Trommler, Trommler, hör mich an.“

Aber der Trommler, von dem Schlaftrunk betäubt, war nicht zu erwecken. Traurig ging sie den Morgen wieder zurück in ihr Waldbaus. Aber die Leute im Haus hatten die Klage des fremden Mädchens gehört und erzählten dem Bräutigam davon; sie sagten ihm auch, dass es ihm nicht möglich gewesen wäre, etwas davon zu vernehmen, weil sie ihm einen Schlaftrunk in den Wein geschüttet hätten. Am dritten Abend drehte die Königstochter den Wunschring und sprach: „Ein Kleid flimmernd wie Sterne.“ Als sie sich darin auf dem Fest zeigte, war die Braut über die Pracht des Kleides, das die andern weit übertraf, ganz ausser sich und sprach: „Ich soll und muss es haben.“ Das Mädchen gab es, wie die andern, für die Erlaubnis, die Nacht vor der Türe des Bräutigams zuzubringen. Der Bräutigam aber trank den Wein nicht, der ihm vor dem Schlafengehen gereicht wurde, sondern goss ihn hinter das Bett. Und als alles im Haus still geworden war, so hörte er eine sanfte Stimme, die ihn anrief:

„Trommler, Trommler, hör mich an,
Hast du mich denn ganz vergessen?
Hast du auf dem Glasberg nicht bei mir gesessen?
Habe ich vor der Hexe nicht bewahrt dein Leben?
Hast du mir auf Treue nicht die Hand gegeben?
Trommler, Trommler, hör mich an.“

Plötzlich kam ihm das Gedächtnis wieder. „Ach,“ rief er, „wie habe ich so treulos handeln können, aber der Kuss, den ich meinen Eltern in der Freude meines Herzens auf die rechte Wange gegeben habe, der ist schuld daran, der hat mich betäubt.“ Er sprang auf, nahm die Königstochter bei der Hand und führte sie zu dem Bett seiner Eltern. „Das ist meine rechte Braut,“ sprach er, „wenn ich die andere heirate, so tue ich grosses Unrecht.“ Die Eltern, als sie hörten, wie alles sich zugetragen hatte, willigten ein. Da wurden die Lichter im Saal wieder angezündet, Pauken und Trompeten herbeigeholt, die Freunde und Verwandten eingeladen wiederzukommen, und die wahre Hochzeit ward mit grosser Freude gefeiert. Die erste Braut behielt die schönen Kleider zur Entschädigung und gab sich zufrieden.

Der Meisterdieb

Eines Tages sass vor einem ärmlichen Hause ein alter Mann mit seiner Frau, und wollten von der Arbeit ein wenig ausruhen. Da kam auf einmal ein prächtiger, mit vier Rappen bespannter Wagen herbeigefahren, aus dem ein reichgekleideter Herr stieg. Der Bauer stand auf, trat zu dem Herrn und fragte, was sein Verlangen wäre, und worin er ihm dienen könnte. Der Fremde reichte dem Alten die Hand und sagte: „Ich wünsche nichts als einmal ein ländliches Gericht zu geniessen. Bereitet mir Kartoffel, wie Ihr sie zu essen pflegt, damit will ich mich zu Euerm Tisch setzen, und sie mit Freude verzehren.“ Der Bauer lächelte und sagte: „Ihr seid ein Graf oder Fürst, oder gar ein Herzog, vornehme Herren haben manchmal solch ein Gelüsten; Euer Wunsch soll aber erfüllt werden.“ Die Frau ging in die Küche, und sie fing an Kartoffeln zu waschen und zu reiben und wollte Klösse daraus bereiten, wie sie die Bauern essen. Während sie bei der Arbeit stand, sagte der Bauer zu dem Fremden: „Kommt einstweilen mit mir in meinen Hausgarten, wo ich noch etwas zu schaffen habe.“ In dem Garten hatte er Löcher gegraben und wollte jetzt Bäume einsetzen. „Habt Ihr keine Kinder,“ fragte der Fremde, „die Euch bei der Arbeit behilflich sein könnten?“ – „Nein,“ antwortete der Bauer; „ich habe freilich einen Sohn gehabt,“ setzte er hinzu, „aber der ist schon seit langer Zeit in die weite Welt gegangen. Es war ein ungeratener Junge, klug und verschlagen, aber er wollte nichts lernen und machte lauter böse Streiche; zuletzt lief er mir fort, und seitdem habe ich nichts von ihm gehört.“ Der Alte nahm ein Bäumchen, setzte es in ein Loch und stiess einen Pfahl daneben: und als er Erde hineingeschaufelt und sie festgestampft hatte, band er den Stamm unten, oben und in der Mitte mit einem Strohseil fest an den Pfahl. „Aber sagt mir,“ sprach der Herr, „warum bindet Ihr den krummen knorrichten Baum, der dort in der Ecke fast bis auf den Boden gebückt liegt, nicht auch an einen Pfahl wie diesen, damit er strack wächst?“ Der Alte lächelte und sagte „Herr, Ihr redet, wie Ihrs versteht: man sieht wohl, dass Ihr Euch mit der Gärtnerei nicht abgegeben habt. Der Baum dort ist alt und verknorzt, den kann niemand mehr gerad machen: Bäume muss man ziehen, solange sie jung sind.“ – „Es ist wie bei Euerm Sohn,“ sagte der Fremde, „hättet Ihr den gezogen, wie er noch jung war, so wäre er nicht fortgelaufen; jetzt wird er auch hart und knorzig geworden sein.“ – „Freilich,“ antwortete der Alte, „es ist schon lange, seit er fortgegangen ist; er wird sich verändert haben.“ – „Würdet Ihr ihn noch erkennen, wenn er vor Euch träte?“ fragte der Fremde. „Am Gesicht schwerlich,“ antwortete der Bauer, „aber er hat ein Zeichen an sich, ein Muttermal auf der Schulter, das wie eine Bohne aussieht.“ Als er dies gesagt hatte, zog der Fremde den Rock aus, entblösste seine Schulter und zeigte dem Bauer die Bohne. „Herr Gott,“ rief der Alte, „du bist wahrhaftig mein Sohn,“ und die Liebe zu seinem Kind regte sich in seinem Herzen. „Aber,“ setzte er hinzu, „wie kannst du mein Sohn sein, du bist ein grosser Herr geworden und lebst in Reichtum und Überfluss! Auf welchem Weg bist du dazu gelangt?“ – „Ach, Vater,“ erwiderte der Sohn, „der junge Baum war an keinen Pfahl gebunden und ist krumm gewachsen: jetzt ist er zu alt; er wird nicht wieder gerad. Wie ich das alles erworben habe? Ich bin ein Dieb geworden. Aber erschreckt Euch nicht, ich bin ein Meisterdieb. Für mich gibt es weder Schloss noch Riegel: wonach mich gelüstet, das ist mein. Glaubt nicht, dass ich stehle wie ein gemeiner Dieb, ich nehme nur vom Überfluss der Reichen. Arme Leute sind sicher: ich gebe ihnen lieber, als dass ich ihnen etwas nehme. So auch, was ich ohne Mühe, List und Gewandtheit haben kann, das rühre ich nicht an.“ – „Ach, mein Sohn,“ sagte der Vater, „es gefällt mir doch nicht, ein Dieb bleibt ein Dieb; ich sage dir, es nimmt kein gutes Ende.“ Er führte ihn zu der Mutter, und als sie hörte, dass es ihr Sohn war, weinte sie vor Freude, als er ihr aber sagte, dass er ein Meisterdieb geworden wäre, so flossen ihr zwei Ströme über das Gesicht. Endlich sagte sie: „Wenn er auch ein Dieb geworden ist, so ist er doch mein Sohn, und meine Augen haben ihn noch einmal gesehen.“

Sie setzten sich an den Tisch, und er ass mit seinen Eltern wieder einmal die schlechte Kost, die er lange nicht gegessen hatte. Der Vater sprach: „Wenn unser Herr, der Graf drüben im Schlosse, erfährt, wer du bist und was du treibst, so nimmt er dich nicht auf die Arme und wiegt dich darin, wie er tat, als er dich am Taufstein hielt, sondern er lässt dich am Galgenstrick schaukeln.“ – „Seid ohne Sorge, mein Vater, er wird mir nichts tun, denn ich verstehe mein Handwerk. Ich will heute noch selbst zu ihm gehen.“ Als die Abendzeit sich näherte, setzte sich der Meisterdieb in seinen Wagen und fuhr nach dem Schloss. Der Graf empfing ihn mit Artigkeit, weil er ihn für einen vornehmen Mann hielt. Als aber der Fremde sich zu erkennen gab, so erbleichte er und schwieg eine Zeitlang ganz still. Endlich sprach er: „Du bist mein Pate, deshalb will ich Gnade für Recht ergehen lassen und nachsichtig mit dir verfahren. Weil du dich rühmst, ein Meisterdieb zu sein, so will ich deine Kunst auf die Probe stellen, wenn du aber nicht bestehst, so musst du mit des Seilers Tochter Hochzeit halten, und das Gekrächze der Raben soll deine Musik dabei sein.“ – „Herr Graf,“ antwortete der Meister, „denkt Euch drei Stücke aus, so schwer Ihr wollt, und wenn ich Eure Aufgabe nicht löse, so tut mit mir, wie Euch gefällt.“ Der Graf sann einige Augenblicke nach, dann sprach er: „Wohlan, zum ersten sollst du mir mein Leibpferd aus dem Stalle stehlen, zum andern sollst du mir und meiner Gemahlin, wenn wir eingeschlafen sind, das Bettuch unter dem Leib wegnehmen, ohne dass wirs merken, und dazu meiner Gemahlin den Trauring vom Finger: zum dritten und letzten sollst du mir den Pfarrer und Küster aus der Kirche wegstehlen. Merke dir alles wohl, denn es geht dir an den Hals.“

Der Meister begab sich in die zunächst liegende Stadt. Dort kaufte er einer alten Bauerfrau die Kleider ab und zog sie an. Dann färbte er sich das Gesicht braun und malte sich noch Runzeln hinein, so dass ihn kein Mensch wiedererkannt hätte. Endlich füllte er ein Fässchen mit altem Ungarwein, in welchen ein starker Schlaftrunk gemischt war. Das Fässchen legte er auf eine Kötze, die er auf den Rücken nahm, und ging mit bedächtigen, schwankenden Schritten zu dem Schloss des Grafen. Es war schon dunkel, als er anlangte; er setzte sich in den Hof auf einen Stein, fing an zu husten wie eine alte brustkranke Frau und rieb die Hände, als wenn er fröre. Vor der Türe des Pferdestalls lagen Soldaten um ein Feuer; einer von ihnen bemerkte die Frau und rief ihr zu: „Komm näher, altes Mütterchen, und wärme dich bei uns. Du hast doch kein Nachtlager und nimmst es an, wo du es findest.“ Die Alte trippelte herbei, bat, ihr die Kötze vom Rücken zu heben, und setzte sich zu ihnen ans Feuer. „Was hast du da in deinem Fässchen, du alte Schachtel?“ fragte einer. „Einen guten Schluck Wein,“ antwortete sie, „ich ernähre mich mit dem Handel, für Geld und gute Worte gebe ich Euch gerne ein Glas.“ – „Nur her damit,“ sagte der Soldat, und als er ein Glas gekostet hatte, rief er: „Wenn der Wein gut ist, so trink ich lieber ein Glas mehr,“ liess sich nochmals einschenken, und die andern folgten seinem Beispiel. „Heda, Kameraden,“ rief einer denen zu, die in dem Stall sassen, „hier ist ein Mütterchen, das hat Wein, der so alt ist wie sie selber, nehmt auch einen Schluck, der wärmt euch den Magen noch besser als unser Feuer.“ Die Alte trug ihr Fässchen in den Stall. Einer hatte sich auf das gesattelte Leibpferd gesetzt, ein anderer hielt den Zaum in der Hand, ein dritter hatte den Schwanz gepackt. Sie schenkte ein, soviel verlangt ward, bis die Quelle versiegte. Nicht lange, so fiel dem einen der Zaum aus der Hand, er sank nieder und fing an zu schnarchen, der andere liess den Schwanz los, legte sich nieder und schnarchte noch lauter. Der, welcher im Sattel sass, blieb zwar sitzen, bog sich aber mit dem Kopf fast bis auf den Hals des Pferdes, schlief und blies mit dem Mund wie ein Schmiedebalg. Die Soldaten draussen waren schon längst eingeschlafen, lagen auf der Erde und regten sich nicht, als wären sie von Stein.

Als der Meisterdieb sah, dass es ihm geglückt war, gab er dem einen statt des Zaums ein Seil in die Hand und dem andern, der den Schwanz gehalten hatte, einen Strohwisch; aber was sollte er mit dem, der auf dem Rücken des Pferdes sass, anfangen? Herunterwerfen wollte er ihn nicht, er hätte erwachen und ein Geschrei erheben können. Er wusste aber guten Rat, er schnallte die Sattelgurt auf, knüpfte ein paar Seile, die in Ringen an der Wand hingen, an den Sattel fest und zog den schlafenden Reiter mit dem Sattel in die Höhe, dann schlug er die Seile um den Pfosten und machte sie fest. Das Pferd hatte er bald von der Kette losgebunden, aber wenn er über das steinerne Pflaster des Hofs geritten wäre, so hätte man den Lärm im Schloss gehört. Er umwickelte ihm also zuvor die Hufen mit alten Lappen, führte es dann vorsichtig hinaus, schwang sich auf und jagte davon.

Als der Tag angebrochen war, sprengte der Meister auf dem gestohlenen Pferd zu dem Schloss. Der Graf war eben aufgestanden und blickte aus dem Fenster. „Guten Morgen, Herr Graf,“ rief er ihm zu, „hier ist das Pferd, das ich glücklich aus dem Stall geholt habe. Schaut nur, wie schön Eure Soldaten daliegen und schlafen, und wenn Ihr in den Stall gehen wollt, so werdet Ihr sehen, wie bequem sichs Eure Wächter gemacht haben.“ Der Graf musste lachen, dann sprach er: „Einmal ist dirs gelungen, aber das zweitemal wirds nicht so glücklich ablaufen. Und ich warne dich, wenn du mir als Dieb begegnest, so behandle ich dich auch wie einen Dieb.“ Als die Gräfin abends zu Bette gegangen war, schloss sie die Hand mit dem Trauring fest zu, und der Graf sagte: „Alle Türen sind verschlossen und verriegelt, ich bleibe wach und will den Dieb erwarten; steigt er aber zum Fenster ein, so schiesse ich ihn nieder.“ Der Meisterdieb aber ging in der Dunkelheit hinaus zu dem Galgen, schnitt einen armen Sünder, der da hing, von dem Strick ab und trug ihn auf dem Rücken nach dem Schloss. Dort stellte er eine Leiter an das Schlafgemach, setzte den Toten auf seine Schultern und fing an hinaufzusteigen. Als er so hoch gekommen war, dass der Kopf des Toten in dem Fenster erschien, drückte der Graf, der in seinem Bett lauerte, eine Pistole auf ihn los: alsbald liess der Meister den armen Sünder herabfallen, sprang selbst die Leiter herab und versteckte sich in eine Ecke. Die Nacht war von dem Mond so weit erhellt, dass der Meister deutlich sehen konnte, wie der Graf aus dem Fenster auf die Leiter stieg, herabkam und den Toten in den Garten trug. Dort fing er an ein Loch zu graben, in das er ihn legen wollte. „Jetzt,“ dachte der Dieb, ist der günstige Augenblick gekommen,“ schlich behende aus seinem Winkel und stieg die Leiter hinauf, geradezu ins Schlafgemach der Gräfin. „Liebe Frau,“ fing er mit der Stimme des Grafen an, „der Dieb ist tot, aber er ist doch mein Pate und mehr ein Schelm als ein Bösewicht gewesen: ich will ihn der öffentlichen Schande nicht preisgeben; auch mit den armen Eltern habe ich Mitleid. Ich will ihn, bevor der Tag anbricht, selbst im Garten begraben, damit die Sache nicht ruchbar wird. Gib mir auch das Bettuch, so will ich die Leiche einhüllen und ihn wie einen Hund verscharren.“ Die Gräfin gab ihm das Tuch. „Weisst du was,“ sagte der Dieb weiter, „ich habe eine Anwandlung von Grossmut, gib mir noch den Ring; der Unglückliche hat sein Leben gewagt, so mag er ihn ins Grab mitnehmen.“ Sie wollte dem Grafen nicht entgegen sein, und obgleich sie es ungern tat, so zog sie doch den Ring vom Finger und reichte ihn hin. Der Dieb machte sich mit beiden Stücken fort und kam glücklich nach Haus, bevor der Graf im Garten mit seiner Totengräberarbeit fertig war.

Was zog der Graf für ein langes Gesicht, als am andern Morgen der Meister kam und ihm das Bettuch und den Ring brachte. „Kannst du hexen?“ sagte er zu ihm, „wer hat dich aus dem Grab geholt, in das ich selbst dich gelegt habe, und hat dich wieder lebendig gemacht?“ – „Mich habt Ihr nicht begraben,“ sagte der Dieb, „sondern den armen Sünder am Galgen,“ und erzählte ausführlich, wie es zugegangen war; und der Graf musste ihm zugestehen, dass er ein gescheiter und listiger Dieb wäre. „Aber noch bist du nicht zu Ende,“ setzte er hinzu, „du hast noch die dritte Aufgabe zu lösen, und wenn dir das nicht gelingt, so hilft dir alles nichts.“ Der Meister lächelte und gab keine Antwort.

Als die Nacht eingebrochen war, kam er mit einem langen Sack auf dem Rücken, einem Bündel unter dem Arm und einer Laterne in der Hand zu der Dorfkirche gegangen. In dem Sack hatte er Krebse, in dem Bündel aber kurze Wachslichter. Er setzte sich auf den Gottesacker, holte einen Krebs heraus und klebte ihm ein Wachslichtchen auf den Rücken, dann zündete er das Lichtchen an, setzte den Krebs auf den Boden und liess ihn kriechen. Er holte einen zweiten aus dem Sack, machte es mit diesem ebenso und fuhr fort, bis auch der letzte aus dem Sacke war. Hierauf zog er ein langes schwarzes Gewand an, das wie eine Mönchskutte aussah, und klebte sich einen grauen Bart an das Kinn. Als er endlich ganz unkenntlich war, nahm er den Sack, in dem die Krebse gewesen waren, ging in die Kirche und stieg auf die Kanzel. Die Turmuhr schlug eben zwölf: als der letzte Schlag verklungen war, rief er mit lauter gellender Stimme: „Hört an, ihr sündigen Menschen, das Ende aller Dinge ist gekommen, der jüngste Tag ist nahe: hört an, hört an. Wer mit mir in den Himmel will, der krieche in den Sack. Ich bin Petrus, der die Himmelstüre öffnet und schliesst. Seht ihr, draussen auf dem Gottesacker wandeln die Gestorbenen und sammeln ihre Gebeine zusammen. Kommt, kommt und kriecht in den Sack, die Welt geht unter.“ Das Geschrei erschallte durch das ganze Dorf. Der Pfarrer und der Küster, die zunächst an der Kirche wohnten, hatten es zuerst vernommen, und als sie die Lichter erblickten, die auf dem Gottesacker umherwandelten, merkten sie, dass etwas Ungewöhnliches vorging, und traten sie in die Kirche ein. Sie hörten der Predigt eine Weile zu, da stiess der Küster den Pfarrer an und sprach: „Es wäre nicht übel, wenn wir die Gelegenheit benutzten und zusammen vor dem Einbruch des jüngsten Tags auf eine leichte Art in den Himmel kämen.“ – „Freilich,“ erwiderte der Pfarrer, „das sind auch meine Gedanken gewesen: habt Ihr Lust, so wollen wir uns auf den Weg machen.“ – „Ja,“ antwortete der Küster, „aber Ihr, Herr Pfarrer, habt den Vortritt, ich folge nach.“ Der Pfarrer schritt also vor und stieg auf die Kanzel, wo der Meister den Sack öffnete. Der Pfarrer kroch zuerst hinein, dann der Küster. Gleich band der Meister den Sack fest zu, packte ihn am Bausch und schleifte ihn die Kanzeltreppe hinab: sooft die Köpfe der beiden Toren auf die Stufen aufschlugen, rief er: „Jetzt gehts schon über die Berge.“ Dann zog er sie auf gleiche Weise durch das Dorf, und wenn sie durch Pfützen kamen, rief er: „Jetzt gehts schon durch die nassen Wolken,“ und als er sie endlich die Schlosstreppe hinaufzog, so rief er: „Jetzt sind wir auf der Himmelstreppe und werden bald im Vorhof sein.“ Als er oben angelangt war, schob er den Sack in den Taubenschlag, und als die Tauben flatterten, sagte er: „Hört ihr, wie die Engel sich freuen und mit den Fittichen schlagen?“ Dann schob er den Riegel vor und ging fort.

Am andern Morgen begab er sich zu dem Grafen und sagte ihm, dass er auch die dritte Aufgabe gelöst und den Pfarrer und Küster aus der Kirche weggeführt hätte. „Wo hast du sie gelassen?“ fragte der Herr. „Sie liegen in einem Sack oben auf dem Taubenschlag und bilden sich ein, sie wären im Himmel.“ Der Graf stieg selbst hinauf und überzeugte sich, dass er die Wahrheit gesagt hatte. Als er den Pfarrer und Küster aus dem Gefängnis befreit hatte, sprach er: „Du bist ein Erzdieb und hast deine Sache gewonnen. Für diesmal kommst du mit heiler Haut davon, aber mache, dass du aus meinem Land fortkommst, denn wenn du dich wieder darin betreten lässt, so kannst du auf deine Erhöhung am Galgen rechnen.“ Der Erzdieb nahm Abschied von seinen Eltern, ging wieder in die weite Welt, und niemand hat wieder etwas von ihm gehört.