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Der Wolf und die Stute

Die Wunde, welche der Wolf empfangen, war nicht gefährlich; er steckte seinen Kopf in einen Haufen Sand, dadurch hörte das Blut auf zu fließen, und bald war der Hunger im Magen größer als der Schmerz im Haupte. Da sah er an einem Bergabhang einsam eine Stute mit ihrem Füllen weiden. Stracks lief er drauf los, und noch ehe sich die Stute versehen und retten konnte, war er bei ihr. „Ertappe ich Euch einmal auf verbotener Weide; ich bin hier Torbesvater (Feldhüteraufseher), Euer Kind nehme ich mit zum Pfande!“ Es half der Stute nichts, daß sie sich aufs Bitten verlegte. „Ach!“ seufzte sie, „mein armes unmündiges Kind würde sich in der Gefangenschaft zu Tode grämen!“ – „Wie alt ist denn Euer Kind?“ fragte der Wolf trotzig. „Ach, ich weiß es nicht mehr so ganz genau“, sprach die Stute, „sein Geburtstag ist aber mit seinem Namen bei der Taufe in meinen rechten Fuß eingeschrieben [worden], Ihr könnt doch wohl lesen? Ja, ja, wie kann ich so einfältig fragen, da Ihr Torbesvater seid, müßt Ihr ja auch lesen und schreiben können.“ Der Wolf wollte jetzt nicht sagen: „Nein, das kann ich nicht!“ Sein Ehrgeiz ließ das nicht zu. „Zeigt her einmal Euern Fuß!“ rief er barsch. Da hob die Stute den rechten und versetzte dem Wolf eins wider den Gehirnkasten, daß ihm gleich Sehen und Hören verging und er sich hinstreckte, wie lang er war; indes gewann die Stute Zeit, mit ihrem Pullen sich heimzutrollen.

Die versteckte Königstochter

Es war einmal ein junger Kaufmannssohn, den schickte sein Vater, weil er zum Geschäft nichts taugte und den ganzen Tag immer nur geigen wollte, fort. Als der Junge wegzog, sah er auf der Gasse einen Knaben, der mit zwei Hölzchen immer
geigte. Das gefiel ihm. „Willst du vielleicht auch geigen lernen?“ – „O ja!“ sprach der Knabe, „wenn nur jemand mich lehrte!“ – „So komme mit mir!“ sprach der Kaufmannssohn, „ich will dich lehren!“ und so tat er’s auch. Beide gingen nun in die Welt und ergeigten sich ihr Brot. Auf der Straße aber trafen sie einmal einen Mann mit einem Bären. Der Kaufmannssohn gab ihm all sein Geld für den Bären. Da sagte sein Schüler: „Warum hast du das getan, wovon sollen wir jetzt leben?“ – „Warte nur, wir wollen geigen, und der Bär soll tanzen; so bekommen wir schon wieder Geld! „. Als aber der Bär nicht recht tanzen wollte, schlug ihn der Kaufmannssohn tot und ließ sich selbst in die Haut nähen, und zwar so, daß man ihn für einen rechten Bären halten sollte. Darauf kamen sie auch in die Residenz; der Schüler geigte, und der Kaufmannssohn als Bär tanzte, und zwar so schön und künstlich, daß alle Leute herbeikamen und zusahen. Und wenn der Fiedler falsch griff und schlecht geigte, schlug ihn der Bär; denn er konnte ja selbst besser geigen, da er den Knaben gelehrt hatte; allein das wußten die Leute nicht; sie glaubten, es sei ein rechter Bär, und deshalb lachten sie dann so sehr, wenn er das Geigen besser verstehen wollte.
Nun bekam auch der König Kunde davon und ließ beide vor sich kommen und den Knaben geigen und den Bären tanzen;
da mußte er über die lustige Gestalt des Bären auch lachen. Er hatte aber auch eine sehr schöne Tochter, die war nun groß, und er wollte sie niemandem zum Weibe geben, damit er selbst sich immerfort an ihrer Schönheit erfreue. Er hatte sie aber in einen Berg versteckt, wo außer ihm und einem treuen Diener keine Seele den Zugang wußte; und er hatte ausschreiben lassen, wer sich um seine Tochter bewerbe, müsse sie suchen, und wer es dann unternähme und fände sie nicht, der verliere sein Leben. Dadurch hatte er gehofft, alle Freier abzuschrecken; allein es hatten doch einige Königssöhne das Wagstück unternommen, alle aber ihren Tod gefunden; jetzt kam lange keiner mehr, und das war dem König recht. Nun, da er den drolligen Bären gesehen, dachte er bei sich: „Deine Tochter hat so wenig Freude im Berge, du mußt ihr doch auch einmal ein Vergnügen gönnen!“ und er ließ durch seinen treuen Diener den Bären zu ihr hingeleiten. Es führten aber dahin drei Türen. Zu der ersten fand sich der Schlüssel unter einem Felsstein; der Diener nahm ihn und sperrte auf; vor der zweiten aber stand ein alter Jude mit einem langen Bart; der Diener zupfte ihn am Bart, und es fiel daraus der Schlüssel zur Türe. Darauf kamen sie an die dritte; hier hielt ein wilder Löwe Wache; der Diener zupfte ihn an den Mähnen, und der Schlüssel zur Türe fiel herunter; er öffnete und führte den Bären hinein. Die Königstochter saß eben in Gedanken, sang vor sich hin und spielte die Zither. Als der Bär die Musik hörte, fing er sogleich an zu tanzen, und die Königstochter mußte über die Maßen lachen, und der Bär machte ihr so viel Spaß, daß sie ihren Vater bitten ließ, er möge ihn längere Zeit bei ihr lassen. Kaum war der getreue Diener fort, so fing nur einmal der Bär an zu reden und sprach: „O schöne Königstochter, ich bin kein Bär, sondern ein Mensch wie du und ein junger Kaufmannssohn; komme nur und schnüre mir das Gesicht auf, so wirst du es sehen!“ Da pochte der Königstochter das Herz vor Freude, denn sie hatte außer ihrem alten Vater und dem alten Diener lange keinen Menschen gesehen. Sie schnürte ihn schnell auf und sah den schönen Jungen, und weil er ihr gefiel, so schnürte sie schnell wieder zu, noch ehe der Diener kommen konnte, und sagte ihm, wie er sie von ihrem grausamen Vater erwerben könne. Er wußte aber schon alles. Als der Diener zurückkam und die Erlaubnis brachte, daß der Bär noch länger dableiben könne, sagte die Königstochter: „Führe ihn nur gleich hinaus, ich bin seiner schon satt!“
Kaum war der Bär draußen dem Geiger übergeben worden, so zogen beide in den Wald; der Kaufmannssohn legte das Bärenfell ab und zog schöne Kleider an, ging darauf am andern Morgen in die Stadt und meldete sich beim König, er wolle seine Tochter suchen. Der König lachte und sprach: „Wenn du ein Narr sein und dein Leben verlieren willst, meinetwegen!“ Es war aber die zwölfte Stunde mittags bestimmt, bis zu der er sie finden sollte; sonst koste es sein Leben. Der Junge war lustig und guter Dinge, nahm eine Büchse und ging auf die Jagd, um sich die Zeit zu vertreiben. Da sah er ein Wildschwein und wollte gleich schießen: „Lasse das gut sein; ich will dir dafür einmal beistehen! Nimm hier diese Borste, und wenn du in Not bist, so drehe sie nur, und gleich bin ich da!“ Er setzte ab, nahm die Borste und ging weiter. Nun sah er bald einen Adler, der fraß an einem Hasen, gleich zielte er und wollte losdrücken; da rief der Adler: „Lasse das gut sein; ich will dir dafür helfen! Nimm hier diese Feder, und wenn du in Not bist, so drehe sie, und gleich bin ich bei dir!“ Er setzte ab, nahm die Feder und ging seines Weges. Nur einmal sah er den Tod, der lag nahe an einem tiefen Abgrund und schlief: „Ha!“ dachte er, „der Menschenverderber soll endlich doch mein Blei schmecken!“ Er legte an und wollte losdrücken; indem erwachte der Tod und sah die Gefahr, in der er schwebte. „Um des Himmels willen, schieße nicht, welch ein Unglück würde es sein auf Erden, wenn ich nicht mehr wäre! Siehe aber, ich will dir’s vergelten; nimm hier diesen Knochen, und wenn du in Not bist, so drehe ihn einmal, und gleich bin ich da!“ Er setzte ab, nahm den Knochen und ging. Er sah nach der Zeit, da fehlte nur eine halbe Stunde noch; da eilte er schnell zu dem Berg. Er holte den Schlüssel zur ersten Türe gleich unter dem Felsstein hervor und öffnete; er zupfte den Juden am Bart und schloß die zweite Türe auf; er schüttelte dem Löwen die Mähnen und nahm den dritten Schlüssel und kam zur Königstochter, die schon lange auf ihn gewartet hatte. Er nahm sie züchtig bei der Hand und führte sie zu ihrem Vater und sprach: „Das Meinige habe ich getan, jetzt ist es an Euch, Herr König, zu erfüllen, was Ihr versprochen habt!“
Aber der Alte wollte seine Tochter nicht verlieren und sagte daher zum Kaufmannssohn ganz zornig: „Noch nicht! Erst mußt du ein Zimmer voll verschimmelten Brotes in einer Nacht aufessen, wenn du meine Tochter haben willst!“ Der Kaufmannssohn wußte sich lange nicht zu helfen; er nahm die Borste und drehte. Alsbald war das Wildschwein da und eine ganze Menge anderer Schweine, und das Brot war auf einmal fort und auch der Boden noch geleckt. Am andern Morgen verwunderte sich der König sehr, daß dem Jungen auch dies gelungen war; aber voll Ärger rief er: „Noch bekommst du sie nicht; erst mußt du ein Zimmer voll Erbsen in einer Nacht auflesen, daß nicht eine einzige dableibt!“ In der Nacht nahm der Junge gleich die Feder hervor und drehte; sogleich war der Adler da und brachte alle Vögel mit, und in einem Augenblick war keine einzige Erbse zu sehen. Als am folgenden Morgen der alte König sah, daß auch diese Aufgabe vollführt war, stieg sein Zorn auf das höchste und er rief: „Nein, ich gebe sie dir doch nicht, nie und nimmermehr!“ Da nahm der Kaufmannssohn den Knochen hervor und drehte. Alsbald kann der Tod und schleppte den alten König fort.
Die Königstochter aber reichte dem Jungen die Hand, und sie hielten eine fröhliche Hochzeit. Der Kaufmannssohn ward nun König; er wollte seinen Geiger zum Minister machen, aber dem gefiel das nicht; er gab ihm nun viel Geld, und so zog der in ein anderes Land und wurde da ein reicher Mann.

Der Zigeuner, der Wolf, der Fuchs und der Esel in der Wolfsgrube

Ein Zigeuner kam bei der Nacht vom Medwischer Margrethi-Jahrmarkt (am 13. Juli) und war lustig und guter Dinge und taumelte auf der Landstraße fort und fiedelte dazu. Als er aber einen Seitenweg durch den Wald einschlug, verirrte er sich
und geriet in eine Wolfsgrube. Er krabbelte lange hin und her, um herauszukommen, allein die Wände waren zu hoch, es war umsonst. Da ergab er sich in sein Schicksal, setzte sich in eine Ecke und war ruhig. Nach einer Weile kam auch der Wolf und plumpste hinein; der erschrak nicht wenig, als er das schwarze Ungeheuer mit den roten Augen und den weißen Zähnen sah; er zog sich in eine andere Ecke und verhielt sich ruhig. Nicht lange, so kam auch der Fuchs die Straße und fiel hinein; der sah auch in der Ecke das schwarze Ungeheuer mit den roten Augen und den weißen Zähnen und dachte: „Das ist der leibhaftige Teufel!“ Die Angst ließ ihn nicht recht sehen, wer in der andern Ecke sei; er zog sich in die dritte Ecke und blieb ruhig. Da kam letztlich auch der Esel diesen Weg, und plumps! rumpelte er auch hinein. Da sah er gleich das schwarze Ungeheuer mit den roten Augen und den weißen Zähnen und erschrak nicht wenig; er schlich in die vierte Ecke. Der Zigeuner zitterte vor Furcht; um diese zu bemeistern, nahm er seine Geige und fiedelte. Das aber kann weder der Wolf, noch der Fuchs, noch der Esel recht vertragen. Der Wolf heulte entsetzlich, der Fuchs bellte, der Esel iahte. „Ach, seid Ihr es, Gevatter?“ rief der Fuchs zum Wolf und Esel; „wir sind verloren, wenn ihr nicht meinen Rat befolgt. Ihr, Gevatter Esel, stellt Euch auf die Hinterbeine an die Wand, dann klettere ich und der Wolf über Euch hinaus, und wir ziehen Euch dann empor!“ Der Esel tat so, wie ihn der Fuchs geheißen; da sprang dieser und der Wolf sogleich hinaus; sie dachten aber gar nicht daran, den Esel hinaufzuziehen, sondern waren froh, daß sie der Gefahr entronnen. „Helfe Euch Gott!“ riefen sie dem Esel zu und machten sich aus dem Staub. Nun war der Zigeuner nicht minder froh, als er den Esel allein da sah, den er jetzt wohl kannte; er hörte auf vom Spielen und sprach: „Fürchte dich nicht, Grauchen, ich bin ja der Midi vom Graben, der deine Schuhe beschlagen hat!“ Da ließ auch der Esel seine Angst, und so schliefen beide ruhig bis an den Morgen.

Lügenwette

Ein Edelmann fuhr eines Tages spazieren und hatte an seinem Wagen sehr schlechte Pferde, da sah er einen Bauer[n] beim Pflug, der hatte sehr schöne. „Willst du nicht tauschen mit mir ?“ rief der Edelmann; „deine Rosse passen besser an meinen Wagen und meine an deinen Pflug!“ – „Das mag sein!“ sprach der Bauer, „allein gebt Euch doch nur keine Mühe!“ Der Edelmann aber ließ nicht nach und setzte ihm zu, endlich kamen sie überein, die Pferde des einen sollten dem von ihnen gehören, welcher am besten lügen würde.
Der Edelmann war froh und glaubte schon, er habe gewonnen, denn er dachte: aufs Lügen hätte er doch mehr studiert. Der Bauer ließ ihm die Ehre anzufangen, da erzählte er: „Mein Vater hatte sieben Herden Stuten und so viel Milch, daß er sieben Mühlen damit treiben ließ und alles Korn im Lande mahlen konnte.“ – „Das ist alles leicht möglich!“ sagte der Bauer und wunderte sich gar nicht im geringsten, „aber mein Vater hatte so viele Bienenstöcke, daß er sie nicht hätte zählen können, auch wenn er fünfhundert Jahre gelebt hätte. Ich mußte einmal die Bienen hüten, da geschah es, daß eine Biene abends nicht heimkehrte. Mein Vater merkte es gleich und schickte mich aus, sie zu suchen und nicht heimzukehren, bis ich sie fände. Ich ging nun überall auf der ganzen Erde herum und fand sie nicht, da machte ich mich auf und stieg in den Himmel und durchsuchte alle Räume; auch hier war sie nicht. Nun hatte ich keine Ruhe und dachte: die kann jetzt nur in der Hölle sein, du mußt zu guter Letzt auch da noch suchen! So stieg ich hinunter in die Hölle, allein es war umsonst, sie war nicht da.
Mißmutig kehrte ich um und wollte nach Hause gehen und kam durch einen Wald, und siehe, da traf ich nur einmal meine Biene. Einem Manne hatte der Wolf einen Ochsen gefressen, der hatte an dessen Stelle neben den anderen Ochsen gleich die Biene eingespannt und fuhr mit einer Fuhre Holz heimwärts, ,Hoho! guter Mann‘, rief ich sogleich, ,Ihr werdet verzeihen, daß ich Euch aufhalte, die Biene ist mein, spannt sie nur gleich aus!‘ Der Mann gehorchte, ohne ein Wort zu sprechen, denn er war froh, daß ich mit ihm so schön redete. Aber das Joch hatte meine Biene wund gerieben, ich streute nun ein wenig Erde darauf, und alsbald war es geheilt. Mein Vater hatte große Freude, wie ich ihm das verlorne Tierchen brachte, das kann man sich denken. Aber ich mußte nun erzählen, was ich im Himmel und in der Hölle gesehen hatte. Im Himmel saßen an einer langen Tafel lauter Bauern und tranken süßen Wein, und in der Hölle waren lauter Edelleute, die wurden von den Teufeln am Spieß gebraten!“ Da konnte sich der Edelmann nicht länger halten und schrie: „Du lügst! du lügst!“ – „Das wollte ich ja eben, und so habe ich die Wette gewonnen!“ Er nahm dem Edelmann alsbald die Pferde, spannte sie statt der seinen an den Pflug, und der stolze Herr mußte seinen Wagen selbst nach Hause ziehen.

Die beiden Fleischhauer in der Hölle

Es waren einmal zwei Brüder, beide Fleischhauer, der eine reich, der andere arm, der reiche bösartig, der arme gutmütig. Weil aber der arme nicht selbst schlachten konnte, so half er seinem Bruder und empfing dafür immer einen kleinen Lohn. Einmal hatte der reiche wieder geschlachtet, und zwar sehr viel, und der arme Bruder hatte sich müde gearbeitet; doch der reiche gab ihm wieder nur eine kleine Wurst. „Gib mir noch ein Würstchen, ich habe es wohl verdient!“ sprach der Arme. „Nu so nimm“, rief der Reiche unwillig und warf ihm eins hin, „und geh damit zum Teufel!“ Der Arme ging ruhig nach Hause und schlief bis zum andern Morgen, dann briet er eine Wurst, um sie auf den Weg zu nehmen, hing die andere an einen Stab, so wie es die Zigeuner machen, wenn sie sich vom Markte Fleisch holen, nahm diesen auf den Rücken und ging geradeswegs zum Teufel. Aber weil die Hölle, wie ihr euch denken könnt, sehr weit ist, so langte er erst am andern Morgen an; die Teufel waren gerade zur Arbeit ins Holz gefahren, nur die Teufelsgroßmutter war zu Hause geblieben, und diese schaute eben zum Fenster heraus. Da grüßte der Fleischhauer freundlich: „Guten Morgen, alte Großmutter, na wie geht es Euch noch?“ — „Gut, mein Sohn, aber was hat denn dich hergeführt; sonst kommt kein Menschenkind aus freien Stücken hieher!“ — „Auch ich wäre nicht gekommen!“ sprach der Fleischhauer, „allein mein Bruder schickte mich mit dieser Wurst!“ Damit langte er mit seinem Stabe hin, und die Teufelsgroßmutter nahm die Wurst zum Fenster hinein und dankte dafür und rief ihn hinein in die Hölle. „O wie gerne“, sprach der Arme, „will ich das tun; bei Eurem großen Feuer kann ich mich und meine Wurst erwärmen, denn hier draußen ist es verteufelt kalt!“
Die Teufelsgroßmutter tat ihm alles mögliche zu Gefallen, und gegen Abend verbarg sie ihn unters Bett, damit die hungrigen Teufel, wenn sie heimkämen, ihn nicht finden sollten. Bald kamen diese und schrien: „Essen her, Essen her! oh weh, welch‘ eine Pein ist doch der Hunger! — Ha, hier riecht es nach Menschenfleisch, nicht?“ Da schnupperten alle im Zimmer herum. Die alte Großmutter beschwichtigte sie aber gleich, denn sie stellte die dampfende Schüssel auf den Tisch und sagte, es sei wohl ein Mensch dagewesen, allein der sei entwischt, davon rieche es noch. Damit waren sie zufrieden. Sie aßen sich nun satt, wälzten sich darauf nach ihren Betten und schliefen bis an den Morgen und fuhren dann wieder ins Holz. Jetzt rief die alte Großmutter den Fleischhauer unterm Bett hervor und sprach: „Nun kannst du unbesorgt nach Hause gehen!“ Da nahm sie ein Haar, das in der Nacht von einem der Teufel auf den Polster gefallen war, schenkte es ihrem Gast und sprach: „Wenn du zu Hause bist, wirst du erst sehen, was für einen Schatz du daran hast!“ Der Fleischhauer dankte für die freundliche Aufnahme und das Geschenk, sagte in seiner Gutmütigkeit noch zur guten Letzt: „Gott segne dich, alte Großmutter!“ und zog dann heim. Als er zu Hause anlangte, wurde das Haar plötzlich so groß wie ein Heubaum und war von purem Golde. Dadurch wurde er ein reicher Mann, viel, viel reicher als sein Bruder, schlachtete von nun an für sich und hielt noch viele Gesellen.
Da wurde sein Bruder neidisch und konnte es nicht länger verwinden, daß er ärmer sein sollte; er hatte aber erfahren, wie sein Bruder reich geworden. Da nahm er eines Tages eine große, große Wurst und zog damit in die Hölle; er langte auch erst am anderen Morgen an und sah die Teufelsgroßmutter im Fenster. „Was machst du denn hier, du alte Hexe?“ rief er spöttisch, ohne ihr einen guten Morgen zu bieten. „Ich warte auf deine Wurst, her damit!“ — „Daran wirst du deine grünen Wackelzähne nicht wetzen, die bringe ich für die Teufel, und ich will dafür einen goldnen Heubaum.“ — „Gut denn, so komme herein und warte hier; auf den Abend kommen die Teufel aus dem Holz nach Hause.“ Der Fleischhauer ging hinein und setzte sich auf einen Stuhl hinter die Türe. Als am Abend die Teufel wieder hungrig nach Hause kamen, schrien sie: „Essen her, Essen her, o weh, welch‘ eine Pein ist doch der Hunger!“ Bald aber witterten sie den Fremden und riefen: „Es riecht nach Menschenfleisch!“ — „Hinter der Tür ist der Braten!“ sprach die Teufelsgroßmutter. Da fielen die hungrigen Teufel über den Fleischhauer her und zerrissen ihn auf einmal in tausend Stücke.
Der früher so arme, jetzt aber reiche Fleischhauer erbte nun auch das Vermögen seines geizigen und habsüchtigen Bruders. So geht es oft in der Welt; wenn es nur immer so ginge!

Unser Herrgott und der Kirchenvater

Ein Kirchenvater hatte, wie das ja hie und da noch zu geschehen pflegt, seiner Kirche ein Opfer gebracht, und zwar einen prachtvollen Leuchter samt einer großen Wachskerze. Unser Herrgott erschien ihm in der Gestalt eines alten Mannes und versprach ihm zum Danke für sein Geschenk: er wolle ihn dreimal an den Tod mahnen, bevor er ihn von dieser Erde abrufe. Froh darüber, lebte der Kirchenvater nun herrlich und in Freuden, aß und trank, und der Kirchenkeller mußte herhalten, und bei solchem Leben dachte er gar nicht an das Sterben.
Aber nach einigen Jahren konnte sein Körper es nicht mehr aushalten; seine Knie sanken ein, sein Rücken krümmte sich, und er war genötigt, die Krücke in die Hand zu nehmen; nicht lange, so verlor er auch das Gesicht, zuletzt auch das Gehör. Krumm, blind und taub, wie er war, lebte er dennoch immerfort toll und voll wie ehemals. Endlich kam unser Herrgott, um ihn abzuholen. Der Kirchenvater war bestürzt und verzagt und machte ihm Vorwürfe, warum er ihn denn nicht dreimal gemahnt, wie er gesagt habe. Da sprach unser Herrgott in gerechtem Zorn: „Wie, hätte ich dich nicht gemahnt? Klopfte ich dir nicht zuerst auf die Achsel und an die Knie, daß du krumm gehen mußtest? Legte ich dir dann nicht meinen Finger aufs Auge, daß du nicht sehen konntest, und zupfte ich dir zuletzt nicht am Ohr, daß du taub wurdest? Also ist erfüllt, was ich dir verheißen hatte, wohlan, folge mir!“ Der Kirchenvater bat nun demütig um Verzeihung, er habe wahrlich die Mahnung nicht verstanden und habe sich jetzt zum Tode noch gar nicht vorbereitet. Milde blickte unser Herrgott auf den reuigen Kirchenvater und sprach: „Komme nur, komme; ich will dir nicht gerechter als gnädig sein!“
Ihr aber merkt euch das: gerade also mahnt auch euch alle unser Herrgott; sehet zu, daß ihr nicht auch so unvorbereitet seid, wenn er euch abruft!

Die beiden Lügner

Ein Zenderscher hatte einen Sohn, der log, wie er den Mund auftat, da schämte sich sein Vater, gab ihm einige Kreuzer und schickte ihn fort in die Welt. Dem Jungen war das ganz recht, und er ging und kam zu der Großalischer Mühle und sah da einen Müllerknecht stehen und in die Kokel gucksen. Er fragte ihn gleich und sprach: „Ist nicht ein Mühlstein da vorbeigeflossen?“ – „Ei, ja freilich!“ sagte der, „ich nahm auch meine Axt, hieb sie hinein und wollte ihn herausfischen, allein es war umsonst, das Wasser riß ihn fort.“ – „Wir passen gut zueinander!“ sprach der Zenderscher zum Großalischer, „komm, lasse uns miteinander dienen gehen!“ So zogen sie fort und kamen bald in die Stadt und verdingten sich zu einem Herrn, und einer bediente den Herrn, der andere die Herrin.
Eines Tages ging der Herr mit seinem Diener aus, zeigte ihm den Turm und sprach: „Hast du einen so hohen Turm noch gesehen?“ – „Ja, bei uns ist ein viel höherer, da reicht der Hahn bis an den Himmel und frißt Sterne!“ – „Du lügst!“ – „Nu fraget meinen Kameraden!“ Als sie heimkamen, fragte der Herr den andern gleich, und der sagte ganz im Ernst: „Ja, das ist so und ist noch nichts, aber bei uns haben wir einen Turm! Mein Ururgroßvater hat gerade den Knopf aufgesetzt, der ist so hoch, so hoch! na! – ich will nur dies erzählen: „Mein Großvater warf eine neue Axt hinunter, als sie niederkam, war das Eisen verrostet und das Holz verfault.“
Die Herrin hatte einen großen Kuchen (Hibes) gemacht, und sie fragte ihren Knecht: „Macht deine Mutter auch einen so großen Kuchen?“ – „“Wie denn nicht? Noch einen weit größern; die ganze Nachbarschaft konnte einmal mit Hebbäumen den Kuchen meiner Mutter nicht von der Stelle bringen.“ – „Du lügst“, sprach die Herrin. „Nu fraget meinen Kameraden.“ Als der gerade eintrat, fragte ihn die Herrin sogleich, und er sagte ganz ernsthaft: „Ja, das ist so und ist noch nichts, aber meine Mutter hatte einmal einen so großen Kuchen gemacht, daß man von dem allein, was von dem Rande abgekratzt wurde, zwölf Herden Schweine mästete.“
Die Frau ging jetzt in den Garten und nahm ihren Knecht mit. „Hast du so großen Kampest je gesehen?“ – „Haha, noch weit größern. Meine Mutter hat einen Garten, der ist noch einmal so groß und war darin nur ein Kampesthaupt, so hoch und breit, daß die Blätter noch über den Zaun hingen!“ – „Du lügst!“ – „Nu fraget meinen Kameraden.“ Als sie in den Hof kamen, stand der Knecht des Herrn da, und die Herrin fragte ihn gleich. „Ja, das ist so!“ sprach er ganz ernsthaft, „und ist noch nichts, aber in dem Garten meiner Mutter war ein Kampesthaupt! „Wie groß das war, kann man sich kaum vorstellen. Ich will nur dies erzählen: Es kamen eine Menge Schattertzigeuner, die schlugen ihre Zelte auf dem Stiel auf und wohnten da und waren doch alle so weit, daß sie einander nicht hörten wenn sie schmiedeten und sich mit ihren Weibern zankten.“ Da konnten das der Herr und die Herrin nicht länger aushalten und schickten beide fort und sprachen: „Geht, ihr braucht nicht zu arbeiten, ihr könnt euch in der Welt durch eure Lügen fortbringen!“

Die Büffelkuh und das Fischlein

Einmal kam eine große, große Büffelkuh an ein kleines Bächlein, um zu trinken; sie hatte einen unersättlichen Durst und
soff ohne Aufhören. In dem Bächlein aber wohnte ein klein winziges Fischlein, das war immer sehr lustig, hüpfte und sprang und spielte mit den glitzerigen Steinchen. Es fürchtete nun, die Büffelkuh werde ihm das Wasser alles saufen und rief ihr zu: „Warum säufst du so viel? Soll ich hier auf trockenem Sande bleiben und umkommen? Höre auf, nicht daß ich über dich komme!“ Aber die Büffelkuh spottete und brummte:
„Boah! du kleiner Schnips, ich werde mich gleich vor dir fürchten! Sorge, daß ich dich nicht verschlinge!“ und soff fort und fort, bis kein Wasser im Bächlein war. Da ward das Fischlein sehr, sehr zornig, sprang heraus und verschlang mit einemmal das ganze große Tier.
Nicht wahr, es geschah der Büffelkuh recht? Warum hat sie dem armen Pischlein alles Wasser gesoffen und hat es dazu noch verspottet?

Die drei Rotbärte

Ein armer Mann rief eines Tages seine drei Söhne vor sich und sprach: ,,Ihr seht, daß ich nicht mehr imstande bin, euch zu erhalten; zieht in die Fremde und sucht euch das tägliche Brot zu verdienen!“ – ,,Ja, lieber Vater“, sagten sie, ,,wir wollen Euch nicht länger zur Last fallen; wir wollen dienen gehen und so auch für Euch sorgen!“ Damit nahmen sie ihre Sachen zusammen und machten sich des andern Tages auf den Weg. Da traf es sich, daß sie durch einen Wald gingen, und es begegnete ihnen ein alter Mann in einem grauen Mantel, der fragte sie freundlich: ,,Wohin zieht ihr, meine Kinder?“ – ,,Wir wollen dienen gehen, guter Mann, denn unser Vater ist nicht mehr imstande, uns zu ernähren, und so können wir auch für ihn sorgen!“ – ,,Das ist ja recht schön, hütet euch nur vor den Rotbärtigen; denn mit denen ist es nicht ganz richtig!“
– ,,Wir wollen’s behalten!“ sprachen sie und gingen weiter. Es währte nicht lange, so begegneten ihnen drei Rotbärte, und diese fragten die drei Burschen, wohin sie es denn gestellt hätten. ,,Wir suchen einen Dienst!“ sagten die Brüder. ,,Und wir brauchen gerade Diener!“ erwiderten die Rotbarte, ,,wollt ihr bei uns eintreten?“ – ,,Wir möchten ja gerne“, sprachen sie, ,,allein ein alter Mann sagte uns, mit Rotbärten sollten wir uns nicht einlassen, denn mit denen sei es nicht ganz richtig!“
– ,,Ha, ha!“ lachten diese, ,,und auf den alten Mann wollt ihr hören? Ihr Narren! „Wir geben euch auf ein Jahr einen so hohen Lohn, wie ihr sonst in zehn Jahren nicht verdienen könntet!“ Die Brüder dachten nur an ihren armen Vater, wie gut es für den sein würde, wenn sie bald mit reichem Lohn heimkehrten, und verdingten sich. Einer wie der andere sollte nach einem Jahre einen Beutel voll Dukaten bekommen und dafür die ganze Zeit nichts anders tun, als immer um einen Turm gehen und einen Spruch hersagen, den man ihm aufgeben würde. Jeder von den Rotbärten nahm nun einen mit. Der Älteste sollte beim Herumgehen um den Turm immer sprechen: ,,Wir drei Brüder“, der Mittlere: ,,Um einen Käs“, der dritte: ,,Das ist recht!“ Und so geschah es auch. Nach einem Jahr bekam ein jeder den bedungenen Lohn.
Als sie nun miteinander heimkehrten, konnten sie nichts anders sprechen, als was sie das Jahr hindurch immer und allein gesprochen hatten; sonst hatten sie alles vergessen. Da begegnete ihnen ein Mann, der grüßte und fragte sie: ,,Wohin?“ Der Älteste antwortete: ,,Wir drei Brüder!“ – ,,Aber wohin? frage ich.“ – ,,um einen Käs´“ sagte der zweite. ,,Hol euch der Henker!“ – ,,Das ist recht“ fiel der dritte ein. Der Mann glaubte nun, er habe es mit Narren zu tun, fragte nicht mehr und ging seiner Wege. Als sie nun weiter wanderten, sahen sie nur einmal, wie ein Reisender von einem Räuber überfallen und blutig geschlagen wurde. Sie liefen schnell hinzu, um dem Armen zu helfen; allein es war zu spät; der Räuber entwischte ihnen, und der Geschlagene starb bald unter ihren Händen. Da trafen die Gerichtsdiener zu ihnen, wie sie gerade mit dem Sterbenden beschäftigt waren; die hielten sie für die Räuber und Mörder, ergriffen und banden sie und führten sie ohne weiters vor Gericht. Als sie vorgestellt und gefragt wurden, wer den Fremden totgeschlagen, sprach der Älteste: ,,Wir drei Brüder!“ – ,,Warum?“ fragte der Richter weiter. „Um einen Käs´“ sagte der zweite. ,,Man wird euch jetzt hängen!“ sprach der Richter. ,,Das ist recht!“ sagte der dritte. ,,Was brauchen wir mehr?“ sprach der Richter; ,,ihre Schuld haben sie selbst ein-gestanden und erkennen die Strafe für gerecht: wohlan, so hänge man sie!“
Da wurden sie zum Galgen geführt, und schon hatten sie die Leiter erstiegen, und die drei Rotbärte standen nahe und paßten; siehe, da kam der alte Mann im grauen Mantel herzu und sprach, aber so, daß niemand ihn sah und hörte als die drei Brüder: ,,Ihr hättet es zwar verdient, daß ich euch zappeln ließe, weil ihr nicht folgtet, aber da ihr ein gutes Herz habt, will ich euch retten; sprechet!“ Da riefen die drei Brüder zugleich mit lauter Stimme: ,,Die drei Rotbärte greift!“ Wie die das hörten, machten sie sich sogleich aus dem Staub und waren verschwunden, noch ehe sie jemand gewahr wurde. Nun erzählten die drei Brüder, wie alles sich zugetragen habe, und das Volk erkannte daraus, daß die Rotbärte drei Teufel und der Mann im grauen Mantel unser Herrgott gewesen. Der rechte Mörder wurde von ihnen genau bezeichnet, und bald stellte er sich selbst vor Gericht und bereute seine Sünde, aber um der Gerechtigkeit willen wurde er dennoch gehängt.
Die drei Brüder zogen nun mit dem vielen Gelde heim und blieben jetzt bei ihrem armen Vater und hatten weiter keine Not ihr Leben lang.

Die dunkle Welt

Es lebten einmal zwei Eheleutchen in einem Dorfe, die hatten so viele Kinder, daß ihnen schon alle Leute im Dorfe zu Gevatter gestanden waren. Als ihnen nun wieder zwei Kinder, ein Knabe und ein Mädchen, geboren wurden, so machte sich der Mann auf, um im nächsten Dorfe Gevattersleute zu suchen. Mitten auf der Straße fiel er aber vor Betrübnis und Müdigkeit nieder und schlief ein. Da kam ein Kaufmann mit seiner Frau in einer Kutsche gefahren, und wie dieser den Schlafenden sah, ließ er anhalten, um ihn zu wecken. Auf den Ruf erwachte der Mann nicht; da ging der Kutscher hin, rüttelte an ihm, so daß er nun die Augen aufschlug. Der Kaufmann fragte ihn sogleich, wer er wäre, und der Mann erzählte seinen Kummer; er habe so viele Kinder, daß ihm das ganze Dorf schon zu Gevatter gestanden, und da ihm jetzt wieder zwei Kinder, ein Knabe und ein Mädchen, geboren seien, so sei er im Begriff, auswärts Gevattersleute zu suchen. Der Kaufmann erbot sich sogleich, mit seiner Frau die Kinder aus der Taufe zu heben, doch unter der Bedingung, sie sollten ihm gehören, denn er selbst hätte keine Kinder. Der arme Mann war das wohl zufrieden, denn er hatte ja ohnehin Kinder genug, für die er sorgen mußte. Sie zogen nun ins Dorf, und man taufte die Kinder: den Knaben Hani, das Mädchen Susi. Der Kaufmann nahm sie sogleich mit und fuhr in die Stadt; er erzog sie aber so, wie wenn es seine eignen Kinder wären, und die Kleinen nannten den Kaufmann Vater, seine Frau Mutter. Als sie größer waren, nahm der Kaufmann den Hani in sein Geschäft und seine Frau nahm Susi in ihre Hauswirtschaft. Beide führten sich so gut auf, daß der Kaufmann dem Jungen das ganze Geschäft und die Schlüssel in der Handlung und seine Frau dem Mädchen die ganze Küche und alle Hausschlüssel überließ ; der Knabe war dem Kaufmann und das Mädchen seiner Frau die rechte Hand, und sie waren ihnen beide von Herzen lieb. Eines Tages trug es sich zu, daß der Kaufmann und seine Frau nach dem Mittagessen ausruhten, und die beiden Kinder blieben daheim. Da sie die Langweile überfiel, nahmen sie ein Spiel Karten, um sich damit zu unterhalten. Hani aber war so unglücklich, daß er immer verlor, zuletzt setzte er auch die Schlüssel von der Handlung; das Mädchen gewann auch diese. Da riß er im Ärger demselben die Schlüssel aus der Hand und schlug es auf die Stirne, daß gleich ein Blutstropfen hervortrat. Plötzlich erschien eine schwarze Gestalt und rief: „Darauf habe ich schon lange gewartet!“ faßte das Mädchen und verschwand mit ihm. Man kann sich denken wie sehr der Knabe erschrecken mußte. Er rang verzweiflungsvoll die Hände und schlug sich an die Brust: „Was habe ich getan!“ Doch das war alles umsonst. Als der Kaufmann und seine Frau heimkehrten, fragte die letztere gleich: „Wo ist Susi?“ Zitternd gestand der Knabe alles. Die Frau war untröstlich und sprach zum Jungen: „Gehe mir aus den Augen, daß ich dich nicht sehe, da du mich um meine gute Tochter gebracht hast!“ Der Kaufmann hätte dem Knaben gerne verziehen; allein er wollte seiner Frau nicht zuwider sein, und so gab er ihm Geld auf die Reise.
Der Knabe zog traurig fort, und damit er sich nicht an sein Unglück erinnere, gab er die Handlung auf. Er kam in ein fremdes Land und wurde an dem königlichen Hofe Gärtner. Er führte sich aber hier so gut auf und sorgte so überaus für die Blumen der Königin, daß er bald ihr Lieblingsgärtner wurde.
Nach der Arbeit pflegte er jeden Tag einmal an das Meeresufer zu gehen. Eines Tages, als er wieder am Ufer stand und auf das weite Meer hinschaute, hörte er eine Stimme „Hani! Hani!“ rufen, und dreimal tönte sie wider. „Hier bin ich!“ antwortete er. Da hob sich eine wunderschöne Jungfrau aus dem Meere und sprach: „Bist du ein Zwillingskind?“ – „Ja!“ – „Heißest du Hani?“ – „Ja!“ – „Ich bin eine Königstochter und heiße Susi (aber es war nicht seine Schwester, wie du leicht glauben könntest) und bin hierher verwünscht auf so lange, bis ein Zwillingskind, das Hani heißt, mich erretten will!“ – „Das will ich gerne!“ sprach Hani schnell. „So trauere denn neunundneunzig Tage in einem fort um mich; komme indes jeden Tag hierher, und wenn du dich gut gehalten, wirst du unter dem Stein immer ein Goldstück finden!“ Damit verschwand sie, und Hani kehrte heim; er trauerte aber getreu seinem Versprechen schon achtundneunzig Tage, und wenn er an das Meer kam, fand er immer unter dem Stein das Goldstück. Am neunundneunzigsten Tage geschah es aber, daß die Königin ein Fest gab, und dahin wurde neben andern Lieblingsdienern auch der Gärtner eingeladen. Er wäre gerne daheim geblieben, allein er dachte, das würde seine gute Königin kränken; er ging, nahm sich aber vor, keinen Anteil an der Freude zu nehmen. Während des Essens ging das auch gut; als aber nach der Tafel die Musik begann und alles tanzte, kam die Königin zu ihm und fragte, warum er nicht tanze. Alle Entschuldigungen halfen nichts; die Königin forderte ihn auf, mit ihr zu tanzen. Wie er noch immer nicht recht wollte, drangen seine Freunde heftig in ihn, er dürfe das der Königin nicht tun, er müsse tanzen; endlich machte er einen Reihen durch. Alsbald aber lief er mit klopfendem Herzen hinaus und eilte an das Meeresufer. Da war zum erstenmal kein Goldstück unter dem Stein. Das Meer aber war trübe und in Aufregung, die Jungfrau stieg empor und rief in schmerzlicher Klage:
„Wehe, du hast mich nicht erlöst; von jetzt an bin ich auf den gläsernen Berg verwünscht, und von da wird mich wohl niemand erretten!“ Damit verschwand sie.
Der Junge ging weinend nach Hause und schloß kein Auge die ganze Nacht; am frühen Morgen ging er zur Königin und nahm Abschied, er müsse fort und die Jungfrau auf dem Glasberge erlösen, was es ihn immer koste. Auf dem Wege nahm er noch einen Diener zu sich, daß er nicht allein sei. Nachdem sie lange, lange gewandert waren, kamen sie endlich am Ziele an. Unten am Glasberge aber war eine Mühle, und die Müllerin war eine Hexe; sie kehrten in die Mühle ein und fragten, wo man denn auf den Glasberg hinaufsteige. „Da und da ist eine Treppe!“ sprach die Hexe, „was wollt ihr denn oben machen?“ Der Knabe wollte das nicht sagen, doch die Hexe merkte sich’s gleich und ging zu dem Diener und sprach: „Wenn ihr morgen die Treppe hinansteigt und an der dritten Stufe seid, so stecke diese Nadel deinem Herrn in den Mantel, denn sonst könnt ihr nicht hinaufgelangen.“ Als sie am andern Morgen hinanstiegen, tat der Diener, wie ihn die Hexe geheißen hatte. Sogleich sprach der Junge: „Ich bin so schläfrig, ich will mich hierher ein wenig niederlegen!“ Da schlief er ein und schlief fest. Nur einmal kam die Jungfrau vom Glasberge hernieder und sah den Schlafenden und jammerte. „Wehe, wehe! auch von hier wirst du mich nicht erlösen; ich komme aber noch zweimal, und wenn du auch dann schläfst, so bin ich verloren!“ Wie der Junge erwachte, war es Abend, und sie kehrten wieder in die Mühle. Die Hexe aber belohnte den Diener und sagte, er solle den andern Tag die Nadel nur ja wieder einstecken und seinem Herrn nichts sagen, was die Jungfrau gesprochen. Und so tat der Diener auch, als sie am Morgen wieder die Treppe hinanstiegen. Sein Herr mußte sich wieder niederlegen und schlief. Die Jungfrau stieg abermals die Stufen herab, und als sie den schlafenden Jüngling sah, klagte sie: „Wehe, wehe! du wirst mich nicht erlösen; noch einmal komme ich und dann nicht mehr!“
Es war wieder Abend, als der Junge erwachte; sie mußten in die Mühle zurück, und die Hexe belohnte den Diener abermals und trug ihm aufs neue auf, den nächsten Tag nur ja die Nadel wieder einzustecken, und so geschah es. Der Knabe schlief auch zum drittenmal, als die Jungfrau erschien. „Wehe!“ rief sie, „jetzt bin ich weit hin verwünscht in die dunkle Welt, und von da kann mich wohl kein Sterblicher erretten. Sage das deinem Herrn“, sprach sie zum Diener, „und noch dies, er solle dem ersten Baum, den er nach dem Erwachen um sich sehe, die Krone abschlagen.“ Als der Knabe erwachte, rief er:
„O wie habe ich so schön geträumt, hast du nichts gesehen?“ Der Diener dachte: nun könne er wohl alles sagen, und erzählte, wie eine Jungfrau jeden Tag, wenn er geschlafen, erschienen sei und geklagt habe, daß er sie nicht erlösen werde und daß sie jetzt in die dunkle Welt verwünscht sei; sie habe ihm auch sagen lassen, er solle dem ersten Baum, den er gleich nach dem Erwachen sehe, die Krone abschlagen. Da weinte und klagte der Junge bitter und sprach zu seinem Diener: „Warum hast du mich nicht geweckt!“ Als er aber um sich sah nach dem Baum, war da keiner; nun erkannte er, daß damit der, untreue Diener gemeint sei; er zog sein Schwert und hieb ihm das Haupt ab.
Traurig wanderte er darauf fort und kam in ein anderes Königreich; hier trat er abermals in eine Handlung und erwarb sich in kurzer Zeit die Liebe seines Herrn. An einem Abend trat der Kaufmann zu ihm und sprach: „Zeige nun, was du kannst! Morgen ist der Geburtstag der Königin; sie geht einkaufen: jedes Jahr tut sie’s nur einmal, allein der Kaufmann, bei dem sie einspricht, wird dann reich und glücklich; schmücke das Gewölbe auf das schönste!“ Der Junge arbeitete mit allem Eifer; am Morgen wurde von dem königlichen Palast bis auf den Markt die Straße mit grünem Gewand belegt, und auch jeder Kaufmann legte von der Straße bis zu seinem Laden grünes Gewand. Da kam die Königin begleitet von vielen Jungfrauen auf der Straße her und sah überall hin und ging endlich in das Gewölbe, das ihr am schönsten erschien, hinein. Als sie den Jungen in der Handlung erblickte, blieb sie stehen, sah und sah, und sie wußte nicht recht, wie ihr war; auch dem Knaben kam es vor, als habe er die Königin noch gesehen. Endlich kam sie stracks auf ihn zu, fiel ihm um den Hals und rief: „Hani, mein Bruder!“ Nun wurde er sogleich mit an den königlichen Hof geführt, und der König hatte große Freude und sprach zum Knaben, der ganz betrübt aussah: „Sei guten Muts, siehe, wenn du deine Schwester nicht geschlagen, hätte ich das gute Weib nicht, und anders durfte ich nicht zu ihrem Besitz gelangen !“ Da offenbarte ihm der Knabe, wie ihn etwas anderes so sehr betrübe; er habe eine schöne Jungfrau zweimal erlösen können und habe sie nicht erlöst; jetzt sei sie in die dunkle Welt verwünscht, und er möchte nun gerne auch dahin ziehen, wenn er nur den Weg wüßte. „Da will ich dir gleich helfen!“ tröstete der König und nahm seine große Geißel und schlug dreimal in die Luft; sogleich erschienen eine Menge schwarzer Geister und riefen;
„Was steht zu Befehl?“ Als aber der König sie übersehen und gezählt hatte, sprach er: „Es fehlt einer!“ – „Ja“, riefen sie, „der ist flügellahm; er war die vergangene Nacht in der dunkeln Welt!“ Unterdessen war der auch herbeigekommen. „Also du warst in der dunkeln Welt“ – „Ja, mein König!“ – „So wirst du auch den Weg wohl wissen; nimm hier meinen Schwager und führe ihn dahin!“ Da faßte ihn der Geist und flog mit ihm durch die Luft; es wurde immer dunkler, dunkler, endlich war es stockdunkel wie die Mitternacht; da kamen sie an ein düsteres Schloß.
Auf dem Wege hatte der Junge dem Geiste seinen Kummer erzählt, und dieser hatte ihm gesagt, was er tun solle. Vor der ersten Türe des Schlosses würden zwei Heubäume über ihm zusammenbrechen, allein er dürfe nicht erschrecken, es geschehe ihm nichts; vor der zweiten Türe stünden zu beiden Seiten zwei Löwen, die würden ihn zu verschlingen drohen, allein er solle sich nur nicht fürchten, sie täten ihm nichts! Wenn er zur dritten Tür hineinkäme, solle er unter das erste Bett rechts hineinkriechen und was man ihm auftrage, genau tun, sich aber durchaus nicht erschrecken! Der Geist blieb vor dem Schlosse stehen, der Knabe ging hinein; die Heubäume krachten an der ersten Türe über ihm zusammen, doch er fürchtete sich nicht;
die Löwen sperrten ihre Rachen auf, doch er ging mutig zwischen ihnen hindurch; da kam er ins dritte Zimmer und legte sich unter das bezeichnete Bett. Nur einmal fingen die Verwünschten, die ringsherum lagen, an, ihr Schicksal zu erzählen und zu jammern, wie sie nun schon so viele Jahre dalägen und niemand käme, sie zu erlösen. Endlich erzählte auch die Jungfrau, unter deren Bett der Junge lag, und das war gerade Susi:
ein guter Junge habe sie zweimal schon zu erlösen gesucht, wenn der nur den Weg hierher fände, so würde er sie wohl erretten! Freilich müßte er etwas Schweres vollbringen: Punkt zwölf Uhr müßte er sie umarmen, dann müßte sie sich sogleich in eine Schlange verwandeln, ihn fest umklammern und beißen wenn er aber bis ein Uhr aushielte, so seien sie erlöst.
Als es nun zwölf schlug, sprang der Junge unter dem Bett hervor und umarmte die Jungfrau; sogleich ward sie eine Schlange und umschlang und biß ihn, daß das Blut rann; er aber hielt ruhig aus; endlich schlug es eins, und es erfolgte ein lauter Donnerschlag. Plötzlich wurde es licht wie am Tage, und alle Verwünschten standen auf und waren erlöst und fielen ihrem Retter zu Füßen und dankten ihm. Er aber führte die Jungfrau an der Hand hinaus; da nahm. sie der Geist und führte sie zum König; der war sehr froh, und nachdem der Junge mit der erlösten Jungfrau Hochzeit gehalten, zog er dahin, wo die dunkle Welt gestanden und wo jetzt ein großes blühendes Reich war, das dem Vater seiner Susi gehört hatte und dann verwünscht worden war, und er herrschte noch lange als König über Land und Leute.