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Das Nußzweiglein

Es war einmal ein reicher Kaufmann, der mußte in seinen Geschäften in fremde Länder reisen. Da er nun Abschied nahm, sprach er zu seinen drei Töchtern: »Liebe Töchter, ich möchte euch gerne bei meiner Rückkehr eine Freude bereiten, sagt mir daher, was ich euch mitbringen soll?«

Die Älteste sprach: »Lieber Vater, mir eine schöne Perlenhalskette! «

Die andere sprach: »Ich wünschte mir einen Fingerring mit einem Demantstein «

Die Jüngste schmiegte sich an des Vaters Herz und flüsterte: »Mir ein schönes, grünes Nußzweiglein, Väterchen.«

»Gut, meine lieben Töchter!« sprach der Kaufmann, »ich will mir’s aufmerken und dann lebet wohl.«

Weit fort reisete der Kaufmann und machte große Einkäufe, gedachte aber auch treulich der Wünsche seiner Töchter. Eine kostbare Perlenhalskette hatte er bereits in seinen Reisekoffer gepackt, um seine Älteste damit zu erfreuen, und einen gleich wertvollen Demantring hatte er für die mittlere Tochter eingekauft. Einen grünen Nußzweig aber konnte er nirgends gewahren, wie er sich auch darum bemühte. Auf der Heimreise ging er deshalb große Strecken zu Fuß und hoffle, da sein Weg ihn vielfach durch Wälder führte, endlich einen Nußbaum anzutreffen; doch dies war lange vergeblich, und der gute Vater fing an betrübt zu werden, daß er die harmlose Bitte seines jüngsten und liebsten Kindes nicht zu erfüllen vermochte.

Endlich, als er so betrübt seines Weges dahinzog, der ihn just durch einen dunklen Wald und an dichtem Gebüsch vorüberführte, stieß er mit seinem Hut an einen Zweig, und es raschelte, als fielen Schlossen darauf; wie er aufsah, war’s ein schöner, grüner Nußzweig, daran eine Traube goldner Nüsse hing. Da war der Mann sehr erfreut, langte mit der Hand empor und brach den herrlichen Zweig ab. Aber in demselben Augenblicke schoß ein wilder Bär aus dem Dickicht und stellt sich grimmig brummend auf die Hintertatzen, als wollte er den Kaufmann gleich zerreißen. Und mit furchtbarer Stimme brüllte er: »Warum hast du meinen Nußzweig abgebrochen, du? Warum? Ich werde dich auffressen.«

Bebend vor Schreck und zitternd sprach der Kaufmann: »O lieber Bär, friß mich nicht, und laß mich mit dem Nußzweiglein meines Weges ziehen, ich will dir auch einen großen Schinken und viele Würste dafür geben!«

Aber der Bär brüllte wieder: »Behalte deinen Schinken und deine Würste! Nur wenn du mir versprichst, mir dasjenige zu geben, was dir zu Hause am ersten begegnet, so will ich dich nicht fressen.« Dies ging der Kaufmann gerne ein, denn er gedachte, wie sein Pudel gewöhnlich ihm entgegenlaufe, und diesen wollte er, um sich das Leben zu retten, gerne opfern. Nach derbem Handschlag tappte der Bär ruhig ins Dickicht zurück; und der Kaufmann schritt, aufatmend, rasch und fröhlich von dannen.

Der goldene Nußzweig prangte herrlich am Hut des Kaufmanns, als er seiner Heimat zueilte. Freudig hüpfte das jüngste Mägdlein ihrem lieben Vater entgegen; mit tollen Sprüngen kam der Pudel hinterdrein, und die ältesten Töchter und die Mutter schritten etwas weniger schnell aus der Haustüre, um den Ankommenden zu begrüßen. Wie erschrak nun der Kaufmann, als seine jüngste Tochter die erste war, die ihm entgegenflog! Bekümmert und betrübt entzog er sich der Umarmung des glücklichen Kindes und teilte nach den ersten Grüßen den Seinigen mit, was ihm mit dem Nußzweig widerfahren. Da weinten nun alle und wurden betrübt, doch zeigte die jüngste Tochter den meisten Mut und nahm sich vor, des Vaters Versprechen zu erfüllen. Auch ersann die Mutter bald einen guten Rat und sprach: »Ängstigen wir uns nicht, meine Lieben, sollte je der Bär kommen und dich, mein lieber Mann, an dein Versprechen erinnern, so geben wir ihm, anstatt unsrer Jüngsten, die Hirtentochter, mit dieser wird er auch zufrieden sein.« Dieser Vorschlag galt, und die Töchter waren wieder fröhlich und freuten sich recht über diese schönen Geschenke. Die Jüngste trug ihren Nußzweig immer bei sich; sie gedachte bald gar nicht mehr an den Bären und an das Versprechen ihres Vaters.

Aber eines Tages rasselte ein dunkler Wagen durch die Straße vor das Haus des Kaufmanns, und der häßliche Bär stieg heraus und trat brummend in das Haus und vor den erschrockenen Mann, der Erfüllung seines Versprechens begehrend. Schnell und heimlich wurde die Hirtentochter, die sehr häßlich war, herbeigeholt, schön geputzt und in den Wagen des Bären gesetzt. Und die Reise ging fort. Draußen legte der Bär sein wildes zotteliches Haupt auf den Schoß der Hirtin und brummte:

»Graue mich, grabble mich, Hinter den Ohren zart und fein, Oder ich freß dich mit Haut und Bein!«

Und das Mädchen fing an zu grabbeln; aber sie machte es dem Bären nicht recht, und er merkte, daß er betrogen wurde; da wollte er die geputzte Hirtin fressen, doch diese sprang rasch in ihrer Todesangst aus dem Wagen.

Darauf fuhr der Bär abermals vor das Haus des Kaufmanns und forderte furchtbar drohend die rechte Braut. So mußte denn das liebliche Mägdlein herbei, um nach schwerem bittren Abschied mit dem häßlichen Bräutigam fortzufahren. Draußen brummte er wieder, seinen rauhen Kopf auf des Mädchens Schoß legend:

»Graue mich, grabble mich, Hinter den Ohren zart und fein, Oder ich freß dich mit Haut und Bein!«

Und das Mädchen grabbelte, und so sanft, daß es ihm behagte und daß sein furchtbarer Bärenblick freundlich wurde, so daß allmählich die arme Bärenbraut einiges Vertrauen zu ihm gewann. Die Reise dauerte nicht gar lange, denn der Wagen fuhr ungeheuer schnell, als brause ein Sturmwind durch die Luft. Bald kamen sie in einen sehr dunklen Wald, und dort hielt plötzlich der Wagen vor einer finstergähnenden Höhle. Diese war die Wohnung des Bären. Oh, wie zitterte das Mädchen! Und zumal da der Bär sie mit seinen furchtbaren Klauenarmen umschlang und zu ihr freundlich brummend sprach: »Hier sollst du wohnen, Bräutchen, und glücklich sein, so du drinnen dich brav benimmst, daß mein wildes Getier dich nicht zerreißt.« Und er schloß, als beide in der dunklen Höhle einige Schritte getan, eine eiserne Türe auf und trat mit der Braut in ein Zimmer, das voll von giftigem Gewürm angefüllt war, welches ihnen gierig entgegenzüngelte. Und der Bär brummte seinem Bräutchen ins Ohr:

»Seh dich nicht um! Nicht rechts, nicht links; Gerade zu, so hast du Ruh!«

Da ging auch das Mädchen, ohne sich umzublicken, durch das Zirniner, und es regte und bewegte sich so lange kein Wurm. Und so ging es noch durch zehn Zimmer, und das letzte war von den scheußlichsten Kreaturen angefüllt, Drachen und Schlangen, giftgeschwollenen Kröten, Basilisken und Lindwürmern. Und der Bär brummte in jedem Zimmer:

»Seh dich nicht um! Nicht rechts, nicht links; Gerade zu, so hast du Ruh!«

Das Mädchen zitterte und bebte vor Angst und Bangigkeit wie in Espenlaub, doch blieb sie standhaft, sah sich nicht um, nicht rechts, nicht links. Als sich aber das zwölfte Zimmer öffnete, strahlte beiden ein glänzender Lichtschimmer entgegen, es erschallte drinnen eine liebliche Musik, und es jauchzte überall wie Freudengeschrei, wie Jubel. Ehe sich die Braut nur ein wenig besinnen konnte, noch zitternd vom Schauen des Entsetzlichen und nun wieder dieser überraschenden Lieblichkeit – tat es einen furchtbaren Donnerschlag, also daß sie dachte, es breche Erde und Himmel zusammen. Aber bald ward es wieder ruhig. Der Wald, die Höhle, die Gifttiere, der Bär – waren verschwunden; ein prächtiges Schloß mit goldgeschmückten Zimmern und schön gekleideter Dienerschaft stand dafür da, und der Bär war ein schöner junger Mann geworden, war der Fürst des herrlichen Schlosses, der nun sein liebes Bräutchen an das Herz drückte und ihr tausendmal dankte, daß sie ihn und seine Diener, das Getier, so liebreich aus seiner Verzauberung erlöset.

Die nun so hohe, reiche Fürstin trug aber noch immer ihren schönen Nußzweig am Busen, der die Eigenschaft hatte, nie zu verwelken, und trug ihn jetzt nur noch um so lieber, da er der Schlüssel ihres holden Glückes geworden. Bald wurden ihre Eltern und ihre Geschwister von diesem freundlichen Geschick benachrichtigt und wurden für immer, zu einem herrlichen Wohlleben, von dem Bärenfürsten auf das Schloß genommen.

Von zwei Affen

„Ein alter Affe lebte an einem fruchtbaren Ort, wo Bäume und Früchte, Wasser und Weiden im Überfluß vorhanden waren. Da er nur immer im Wohlleben war, so bekam er in seinem Alter die Raute und war damit sehr geplagt, wurde mager und kraftlos, so daß er seine Speise nicht mehr erlangen konnte. Da kam ein anderer Affe zu ihm und fragte ihn verwundert: »Ei, wie kommt es, daß ich dich so krank und abgezehrt sehen muß?«

»Ach!« seufzte der alte Affe, ich weiß keine andere Ursache, als den Willen Gottes, dem niemand zu entfliehen vermag.« Drauf sprach jener: »Ich kannte einen Freund, der trug dasselbe Siechtum, und es half ihm nichts als das Haupt einer schwarzen Natter. Als er das aß, so genas er, das solltest du auch tun!«

Ihm entgegnete der alte Affe: »Wer gibt mir ein solches Natterhaupt, da ich so schwach bin, kaum eine Frucht von dem Baume zu erlangen?« Darauf versetzte jener: »Vor zwei Tagen sah ich vor einer Höhle in einem Felsen einen Mann stehen, der lauerte auf die schwarze Natter, die in der Höhle lag, und wollte ihr die Zunge herausziehen, weil er einer solchen bedürftig war; da will ich dich hinbringen. Hat der Mann die Natter getötet, so nimmst du das Haupt und ißt es.«

Der alte Affe sprach: »Ich bin siech und krank, werde ich gesund und stark, so will ich dir gern deinen Dienst vergelten.« Da führte jener Affe den alten in die Felsenhöhle, darin er einen Drachen wohnen wußte. Vor der Höhle waren große Fußtritte, wie die eines Menschen, der alte Affe dachte, die habe der Mann zurückgelassen, der die Natter getötet, kroch hinein und suchte das Haupt. Da zuckte der Drache hervor und erwürgte ihn und fraß ihn. Der junge aber freute sich, daß er seinen Gesellen verlockt und betrogen hatte, und nun im alleinigen Besitz der schönen Fruchtbäume war.“

Als Vogel Holgott seinem Weibchen dies erzählt hatte, fügte er noch hinzu: „Dies sage ich der Lehre halber, die darinnen liegt: Es soll kein Vernünftiger sein Leben wagen auf einen törichten und betrüglichen Rat hin.“ Aber das Weibchen sprach: „Ich habe dich recht wohl verstanden, allein hier ist es doch ein ganz anderer Fall, denn die Fische, die ich meine, sind ohne Gefahr zu holen und werden unsern jungen sehr sehr dienlich sein.“

Als Vogel Holgott sah, daß verständige Überredung bei seiner Frau nicht anschlage, so gab er nach: „Kannst du es nicht lassen, so hole die Fische; bewahre dich aber, daß du niemanden weder das eine noch das andere Geheimnis vertraust, denn also lehren die Weisen: Löblich ist jeder Vernunft Übung, aber die größte Vernunft beweist der, der sein Geheimnis begräbt, also daß es keiner zu finden vermag.“ Darauf flog das Weibchen fort und auf der Stelle zu ihrem lieben Freund Mosam und teilte ihm alles mit, was ihr Mann im Sinn hatte und daß er an einen lustigen Ort ziehen wolle, wo weder von Tieren noch von Menschen etwas zu fürchten sei. Und sprach: „Möchtest du, o Freund, einen Fund finden, daß auch du dorthin kommen könntest, doch mit Wissen und Willen meines Mannes, denn soll mir etwas Gutes widerfahren, so hab ich keine Freude ohne dich.“ Darauf erwiderte der Vogel Mosam: „Warum sollte ich gezwungen sein, nur mit Bewilligung deines Mannes dort zu weilen? Wer gibt ihm solche Gewalt an die Hand über mich und andere? Wer verbietet mir, auch dorthin zu ziehen? Zur Stunde will ich hinfliegen und dort mein Nest bauen, da es so eine genügliche Stätte ist. Und wird dein Mann kommen und mich vertreiben wollen, so werde ich ihm das wohl zu wehren wissen und ihm sagen, daß weder er noch seine Vorfahren dort seßhaft waren und er also nicht mehr Recht an jener Gegend hat als ich und andere.“ Da erwiderte das Weibchen: „Du hast nicht unrecht, aber ich wünschte doch deine Gegenwart dort in der Voraussetzung, daß allewege Friede und Eintracht unter uns sei. Gehst du gegen meines Mannes Willen dorthin, so haben wir üble Nachrede zu gewärtigen, und unsere Freundschaft wird sich in Trauer verkehren. Mein Rat ist dieser: Du gehst zu meinem Mann, läßt ihn nicht wissen, daß wir uns gesprochen und sagst zu ihm (ehe ich zurück bin), du habest jene sehr schöne Gegend gefunden und dir vorgenommen, dorthin zu ziehen, so wird er dir erwidern, daß er auch zuvor schon diese Stätte entdeckt habe und entschlossen sei, hinzuziehen; dann sprichst du: »O Freund Holgott, so bist du der erste und jener Stätte würdiger denn ich, aber ich bitte dich, laß mich bei dir wohnen, so will ich dir dort ein treuer Freund und Gefährte sein.« “ Diesen Rat befolgte Vogel Mosam und flog eiligst zu Vogel Holgott hin, während das Weibchen an den ersten besten Teich flog und zwei Fische fing und heimtrug, als seien es die heilsamen Wunderfische, und Vogel Holgott erwiderte auf den Antrag, daß ihm Mosams Gesellschaft wohlgefällig sei. Das Weibchen aber stellte sich, als wäre ihr ihres Mannes Nachgiebigkeit gegen ihren Freund nicht lieb, damit er ihre Verräterei nicht merke und sagte: „Wir haben doch jene Stätte für uns allein erwählt, und ich besorge, wird Vogel Mosam rnit uns ziehen, so folgen seine vielen Freunde auch nach, und zuletzt müssen wir weichen vor ihrer Überzahl.“ Darauf entgegnete ihr Mann: „Du hast recht; aber ich vertraue Mosam und hoffe, mit seinem Beistand werden wir uns der Zudringlinge erwehren, darum ist es vielleicht gut, daß dieser Freund bei uns wohne. Niemand vertraue allzuviel der eigenen Kraft und der eigenen Macht. Wir sind zwar mit die stärksten unter den Vögeln, aber Hilfe dient dem Schwachen, zu überwinden den Starken, wie die Katzen den Wolf überwanden.“

„Wie war das?“ fragte Holgotts Weibchen, und dieser erzählte ihr:

Die hoffärtige Braut

Ein Pfarrer hatte eine schöne Tochter, die war über die Maßen eitel und hoffärtig, also daß sie jeden jungen Burschen, der sich in ihr hübsches Lärvchen vergaffte, über die Achsel ansah, denn sie trug das Näschen so hoch, daß sie sich einbildete, irgendein reicher Graf oder gar ein Prinz müsse kommen und sie heimfahren. Der Pfarrer war darüber sehr betrübt, weil er sie gern an einen braven Mann, am liebsten an einen Amtsbruder, verheiratet hätte. Wollte man aber glauben, die schöne Pfarrerstochter habe gar nicht nach den Männern sich umgesehen, so würde man sehr irren; jeden schönen jungen Mann, wenn er nur vornehm gekleidet war, musterte sie mit verstohlenen Blicken, ob sie nicht aus irgendeiner Falte den verkappten Prinzen herausfinde. Das kränkte den Vater noch mehr, und er hatte gar nicht Augen genug, sie zu hüten. Einst mußte er eine notwendige Reise unternehmen und die Tochter unter der Obhut der alten Magd zurücklassen. Er schärfte ihr aufs strengste ein, fein sittsam zu Hause zu bleiben, ja nicht einmal zum Fenster hinauszusehen; aber es ist eine bekannte Sache, daß man manchen Frauen nur verbieten darf, was sie tun sollen, so tun sie es gewiß. Der Vater hatte kaum den Rücken gewendet, als die gehorsame Tochter schon zum Fenster hinaussah, und siehe da, der Zufall wollte es, daß ein junger schöner Herr auf einem stolz sich räumenden Rosse die Straße daher sprengte; sie konnte sich nicht satt an ihm sehen, und auch er hatte sie bemerkt, denn er wandte mehrmals den Kopf nach ihr um. Es war ihr auf einmal so sonderlich zu Sinn, als sei es ihr angetan; sie hatte keine Ruhe und Rast und hätte vor Freude laut aufjubeln mögen, als ein zierlich gefaltetes Briefchen an sie kam, worin sie gebeten wurde, sich zu der und der Stunde an einem bestimmten Orte einzufinden. Die Glocke hatte noch nicht geschlagen, als sie, aufs beste geschmeckt, sich auf den Weg machte; die alte Magd wurde durch eine Notlüge begütigt, und so stand die Pfarrerstochter bald vor dem jungen schönen Manne, den sie ins Herz geschlossen. Dieser war denn auch nicht blöde, gestand ihr, daß er sie liebe, Küsse und Schwüre wurden ausgetauscht, und der Fremde, der sich für einen Baron ausgab, versprach ihr, in den nächsten Tagen wiederzukommen und sie auf sein Schloß, das er ihr nannte, heimzuführen.

Die Pfarrerstochter schwamm von nun an in Lust und Wonne; Baronin zu werden erreichte zwar nicht das Ziel ihrer Wünsche, aber der Baron war so schön und fein, wie wohl mancher Fürst nicht. Aber Tag um Tag verging, und er kam nicht, sie abzuholen, auch der Vater war noch nicht von seiner Reise zurückgekehrt. Darüber wurde die schöne junge Braut ungeduldig und entschloß sich kurz, den Baron selbst heimzusuchen. Sie schmeckte sich deshalb mit ihren besten Gewändern und all ihrem Geschmeide, steckte ein großes Stück Schinken zu sich und machte sich zur Nachtzeit auf den Weg . Vor der Tür lag aber ein großer Kettenhund, der fing an zu knurren, als sie sich behutsam davonschleichen wollte und murrte:

»Bleibst du da, so bist du klug! Gehst du fort, so siehst du Trug!«

Aber sie hörte nicht darauf und schnitt ein Stück von ihrem Schinken ab, warf es dem Wächter hin, und während dieser danach schnappte und daran kaute, eilte sie davon. Sie mußte lange lange gehn, bis sie das Schloß ihres Geliebten vor sich aufsteigen sah; mit klopfendem Herzen stieg sie den Berg hinan und trat ungehindert in das Tor, das offenstand und nur von einem großen mächtigen Hund bewacht wurde, der sie mit feurigen Augen ansah und murrte:

»Kehrst du um, so ist es gut, Bleibst du da, so siehst du Blut!«

Aber sie warf auch ihm ein Stück Schinken vor, und er ließ sie eintreten. Alles im Schloß war aber so wunderbar ruhig, daß ihr fast graute. Sie stieg die Wendeltreppe hinan, trat in das erste beste Gemach, wo verschiedene männliche Kleidungsstücke unordentlich umherlagen, von diesem in ein zweites, das mit allerlei Waffen angefüllt war, darauf in ein drittes, das noch die Spuren eines wüsten Zechgelages an sich trug, und endlich in ein viertes, in dem an beiden Seiten große Fässer standen. Sie wollte eben in das folgende treten, als sie Stimmen hörte; rasch verbarg sie sich hinter einem Faß und sah bald den Baron und mehrere wild aussehende Gesellen hereintreten, die ein junges, schön geschmücktes Frauenzimmer mit sich schleppten. Das Frauenzimmer wimmerte leise und rang flehend die Hände, als der Baron mit rauher Stimme zu ihr sagte: »Bereite dich zum Tode!« Sie beschwor ihn bei seiner Liebe, sie zu schonen; er möge all ihren Schmuck nehmen, und sie wolle ihm schwören, nichts zu verraten, nur möge er sie zu ihrem armen Vater heimkehren lassen. Der Baron sagte kalt: »Du mußt sterben! Und du wirst bald Gesellschaft bekommen, die Tochter eines Pfarrers, auch so ein hoffärtiges Ding als du, wird dir folgen!« Da gerann der Versteckten freilich das Blut zu Eis, aber sie hatte noch so viel Besinnung, sich mit keinem Atemzug zu verraten. Und bald hörte sie das Röcheln der Sterbenden, deren Blut über die Dielen floß bis in ihr Versteck, und sie mußte sehn, wie die wilden Gesellen ihren Schmuck abnahmen und ihr die Ringe von den Fingern ziehen wollten; die Finger waren aber geschwollen, deshalb griffen die Mörder nach einem Beile und hackten sie ab. O Entsetzen, einer davon sprang auf den Schoß der Pfarrerstochter! Sie hätte laut aufgeschrien, wenn der Schreck ihr nicht die Zunge gelähmt hätte. Die Räuber suchten nach den Fingern und vermißten den einen. Wehe, wenn sie sorgfältig danach suchten, und das schienen sie wirklich tun zu wollen, und einer näherte sich schon dem Fasse, hinter dem die Pfarrerstochter verborgen war. Diese betete in ihrer Angst gar inbrünstig zum Himmel und das Gelübde, alle Hoffart abzulegen, wenn sie nur diesmal aus der Mörderhöhle befreit würde. Da sprach der Baron: »Genug für heute; morgen ist auch ein Tag; ich bin schläfrig und müde.« Die Gesellen ließen ab vom Suchen und begaben sich in das anstoßende Gemach, durch welches die Pfarrerstochter gekommen war.

Bald hörte sie ein tiefes Schnarchen und dachte nun daran, das Schloß wieder heimlich zu verlassen. Sie schlich auf den Zehen aus ihrem Versteck, aber, o wehe! die Schläfer lagen knapp an der Schwelle und so dicht aneinander, daß sie nicht über sie hinwegschreiten konnte, ohne sie zu berühren. Sie faßte sich jedoch ein Herz, indem sie dachte: bleibst du hier, so bist du gewiß verloren, wagst du jetzt zu entfliehen, so gelingt dir’s vielleicht! Mit Gott und keck schritt sie über die Schläfer hinweg. Da regten sich diese, stießen sich an, und einer sprach zum andern: »Was stößest du mich denn?«

»Der Satan vergelte dir’s, du hast mich gestoßen!« antwortete der andere, und sie gerieten darüber fast in Streit, schliefen aber wieder ein, während das Mädchen sich niedergeduckt hatte. Als sie fest schliefen, eilte das Mädchen durch die andern Gemächer, die Wendeltreppe hinab, warf dem Hunde den Rest ihres Schinkens vor und flog davon, so schnell sie konnte. Zum Tod erschöpft kam sie an ihres Vaters Hause an. Er war zurückgekehrt, und sie fand ihn in großer Sorge um sie. Sie gestand ihm alles mit Tränen, zeigte ihm den Finger, den sie mitgenommen, und er dankte Gott für ihre Rettung und nahm sich vor, den Bösewicht zu entlarven.

Einige Tage vergingen, als der schöne junge Baron wieder durch das Dorf ritt und die Pfarrerstochter zu sich berief. Der Pfarrer gab ihr Anweisung, was sie tun solle, und schön geschmückt ging sie nach dem Platz des Stelldicheins. Er sagte, er sei gekommen, sie mit auf sein Schloß zu nehmen; sie aber tat ängstlich und sagte, sie habe einen bösen Traum gehabt. Als er in sie drang, ihm den Traum zu erzählen, da schilderte sie alles, was ihr wirklich begegnet war, daß der Baron sie betroffen ansah, jedoch sie mit den Worten zu beruhigen suchte: »Träume sind Schäume, liebes Kind!« »Aber der Traum war gar zu natürlich«, antwortete sie, »so natürlich, daß ich selbst den Finger noch habe, der mir auf den Schoß flog.« Dabei zog sie den Finger aus der Tasche. Als den der Baron sah, zog er einen Dolch und wollte sie niederstoßen; er hatte jedoch nicht Zeit dazu, denn er sah sich von Häschern umringt und festgehalten. Man durchsuchte das Schloß, fing die ganze Bande des Räubers und fand eine Menge geraubter Kostbarkeiten. Die Fässer aber waren alle voll Menschenfleisch. Dem Baron und seinen Gesellen wurde ihr Recht angetan, die Pfarrerstochter war ganz von ihrer Hoffart geheilt und ist später die brave Hausfrau eines Landgeistlichen geworden.

Das winzige, winzige Männlein

Es waren einmal drei lustige Gesellen, ein Schmied, ein Schneider und ein Jäger, die waren gute Freunde zueinander, kamen öfters zusammen und besprachen sich, mitsammen in die Fremde zu gehen, weil es ihnen in der Heimat nicht mehr so recht gefallen wollte. Wie sie nun ihren Entschluß ausführten und wanderten, führte sie ihr Weg in einen tiefen Wald, aber heraus führte er sie nicht; sie verirrten sich und liefen im Walde umher, bis die Nacht einbrach und sie weder Weg noch Steg sehen konnten. Endlich stieg der Schmied auf einen Baum und erblickte in einiger Entfernung ein Licht, merkte sich die Richtung, stieg vom Baume herab und ging nun mit seinen Gefährten auf das Licht zu. Sie kamen alle drei an ein Haus, welches offenstand, aber leer war, wenigstens ließ sich niemand blicken, aber das Licht stand darin und schien.

»Wer hier wohnt, wird es uns nicht so sehr übelnehmen, wenn wir hier die Nacht verbringen, wir können nun einmal doch nicht weiter!« sprachen die drei einer zum andern und legten sich nieder, wo sich just für jeden ein geeignetes Plätzchen fand. Ohne alle Störung schliefen die drei Gesellen die ganze Nacht und erwachten, als der Morgen da war, fröhlich und wohlgemut.

»Es ist hübsch in diesem Häuschen«, sprach der Schmied. »Ich dächte, wir verließen es nicht so schnell, damit wir dem Bewohner danken für die Gastfreundschaft, die wir uns angeeignet.«

»Vielleicht kann ich ihm etwas flicken«, meinte der Schneider.

»Ich bin auch nicht dagegen, hier zu rasten«, sprach der Jäger, »aber wenn wir das wollen, so müssen wir nun etwas zu essen haben, denn hier scheint Schmalhans Küchenmeister zu sein. Ich schlage daher vor, einer von uns bleibt hier und zweie gehen in den Wald und fangen oder schießen etwas, damit wir zu leben haben.«

»Der Rat ist richtig«, sagte der Schmied. »Draußen springt ein Quellbrunnen; der daheim bleibt, macht indes ein Feuerlein an und setzt Wasser bei, daß wir uns hernach eine gute Suppe kochen können.«

Der Schmied und der Jäger gingen, und der Schneider blieb im Häuschen, entzündete ein Feuer, setzte Wasser bei und sich daneben. Da erschien mit einem Male ein winzig, winzig kleines Männchen und sagte:

»Schneider, Schneider, Schneiderlein, Ich blas dir aus dein Feuerlein.«

»Ja, untersten dich!« rief der Schneider voller Mut, weil das Männlein so winzig war, aber das machte – ft! – und da war das Feuer aus und das Männlein verschwunden.

Bald kamen der Jäger und der Schmied und brachten ein Stück Wild und gute Wurzeln, der Schneider erzählte, was ihm begegnet sei, und nun mußten sie von neuem Feuer anzünden und Wasser beisetzen.

Als das Wild verzehrt war, gingen der Schmied und der Schneider in den Wald, und der Jäger hütete das Haus und machte ein schönes Feuer an, setzte Wasser bei und sich dazu. Da kam abermals das winzige, winzige Männchen, und wisperte:

»Jäger, Jäger, Jägerlein! Ich lösch dir aus dein Feuerlein.«

»Probier es nur! Ich drehe dir den Hals um!« rief der Jäger, aber – ft! – und das Feuer erlosch, und das Männlein verschwand.

Wie die Kameraden kamen, hatten sie kein Wild und kein Feuer; zwar rühmte sich der Schneider, dem der Jäger sein Gewehr geliehen, er habe bald einen Bock geschossen, aber nur bald, das Gewehr habe einen Fehler, die Kugel sei links gegangen.

»Nun probiere ich’s einmal!« rief der starke Schmied. »Habt acht, ich zahle den Knirps aus.« Nun blieb er zu Hause, und der Jäger ging mit dem Schneider auf die Jagd.

Der Schmied saß noch gar nicht lange bei dem Feuer, das er angezündet, nachdem er einen Schraubstock hergerichtet, als das winzige, winzige Männlein zum dritten Male erschien und wisperte:

»Schmied, Schmied, Schmiedelein! Ich lösch dir aus dein Feuerlein.«

Aber anstatt zu antworten, griff der Schmied dem Männlein an den Kragen, schüttelte es tüchtig und klemmte es in dem Schraubstock fest, daß es erbärmlich zappelte und heulte. Das half ihm aber nichts, denn der Schmied bearbeitete es auch noch äußerst handgreiflich, und wie nun der Jäger und der Schneider kamen, so putzte der erstere das winzige Männchen auch noch aus, und der Schneider freute sich und flickte es ebenfalls gehörig durch.

Das Zaubermännchen im Schraubstock tat aber gar erbärmlich und sagte: »Laßt mich los, und gehe einer mit mir! Einen kann und will ich glücklich machen. Schneiderlein, geh du mit mir!«

»Männlein, ich geh nicht mit dir!« antwortete der Schneider. »Jäger, so gehe du mit mir!« bat das winzige, winzige Männlein. »Ei, der Kuckuck geh mit dir!« antwortete der Jäger.

»Schmied, Schmied, gehe du mit mir!« bat gar zu kläglich das Männlein.

Da sagte der Schmied: »Gut, ich will mit dir gehen, aber denke nicht, daß ich dich loslasse, denn du würdest mich sonst schön führen. Und die andern zwei müssen ein Stück hinter uns drein gehen.«

»Meinetwegen, ich bin alles zufrieden!« winselte das winzige, winzige Männlein. »Macht mich nur aus dem Schraubstock los!«

Das tat denn der Schmied, hielt aber das Männlein fest am Kragen, und nun ging es durch eine Türe in der Stube und durch einen Kellergang in ein großes, matt erhelltes Gewölbe. In diesem Gewölbe saß auf einem elfenbeinernen Stuhle der Menschenfresser, und hinter ihm stand seine Frau und kämmte ihm mit einem beinernen Kamme das lange, zottelige Wirrhaar.

Jetzt sprach der Menschenfresser: »Hup, hup! Es riecht nach Menschenfleisch! Hup, hup – Menschenfleisch«, und schnappte behaglich.

»Ach«, antwortete die Frau, »wer weiß was du riechst?«

Doppelt fest hielt der Schmied das winzige Männlein Kragen, denn hätte er es losgelassen, so hätte dasselbe ihn und seine Gesellen dem Menschenfresser überliefert – aber so führte er den Schmied in einen Seitengang, und die andere folgten, und da kamen sie an ein Bergloch, davor lag ein großer Stein, und da sagte das Männlein: »Wälze diesen Stein hinweg, krieche dann durch die Öffnung hinaus und rufe: ‚Vivat! Ich bin erlöst!‘ « »Zum Steinwälzen brauch ich aber zwei Arme«, sagte der Schmied, gab dem Jäger das zappelnde Männlein am Kragen festzuhalten, denn dem Schneider mocht er’s nicht anvertrauen, der dünkte ihn nicht stark genug. Gleichwohl half auch der Schneider halten, er hielt das Männlein an beiden Beinchen fest. Jetzt wälzte der Schmied den Stein; da entstand im Gewölbe ein Poltern und Krachen, als wenn alles zusammenbreche, vor ihnen aber strahlte blendender Schimmer, Tageshelle, und vor aller Augen lag ein stattliches Schloß. Geschwinde krochen alle drei, eigentlich vier, heraus. Erst der Schmied, dann der Jäger mit dem Männlein, zuletzt der Schneider, der des winzigen Männleins Beine hielt, und jeder schrie: »Vivat, ich bin erlöst.«

Und siehe, das winzige Männlein schrie auch mit und verschwand jenen unter den Händen. Aus dem Schlosse aber trat ein prächtig gekleidetes Musikkorps und spielte einen wunderschönen Tanz, dann kamen drei herrliche Prinzessinnen, die tanzten dem Schmied, dem Jäger und dem Schneider entgegen; dann ein kleiner Mann, aber angetan wie ein König, mit Krone und Szepter, im hermelinverbrämten Purpurmantel, und seine Züge waren die des winzigen Männleins. »Dank euch, die ihr uns erlöset habt!« sprach der kleine König mit gravitätischer Würde. »Dank und Lohn!«

Hierauf erhob der König die drei muntren Gesellen in den Prinzenstand, jeder durfte eine von den drei wunderschönen Prinzessinnen heiraten, alle lebten glücklich beisammen in dem schönen Schlosse, bedient von zahlreichem Hofgesinde, und keinem wurde wieder sein Feuerlein ausgeblasen.

Die Nonne, der Bergmann und der Schmied

Eine Nonne, ein Bergmann und ein Schmied wanderten miteinander durch die Welt. Einmal hatten sie sich in einem großen finstren Walde verirrt, so daß sie froh sein mußten, als sie endlich in der Ferne ein Gemäuer erblickten, darin sie Obdach zu finden dachten. Sie gingen also darauf zu und sahen, daß es ein altes wüstes Schloß war, schon halb veffallen, doch noch so weit erhalten, daß man allenfalls und zur Not noch darin wohnen konnte. Darum beschlossen sie, darin zu bleiben, und hielten Rat, wie sie sich einrichten wollten. Bald wurden sie einig, daß immer eins von ihnen daheim bleiben und die Wirtschaft bestellen sollte, während die beiden andern aus wären, um Nahrungsmittel herbeizuschaffen.

Das Los, zu Hause zu bleiben, traf zuerst die Nonne. Als nun der Bergmann und der Schmied in den Wald gegangen waren, so besorgte die Nonne die Küche, und als ihre Gefährten zur Mittagszeit nicht heimkamen, verzehrte sie einstweilen ihren Teil von der Mahlzeit. Da trat auf einmal ein graues Männchen zur Tür herein, schüttelte sich und sprach: »O wie friert mich!«

Die Nonne antwortete: »Setze dich zum Ofen und wärme dich.«

Das Männchen tat, wie ihm die Nonne gebot, aber bald rief es: »O wie hungert mich!«

Die Nonne sagte: »Auf dem Ofen steht Essen, so iß.« Da machte sich das Männchen über das Essen und aß in Geschwindigkeit alles auf, was da war. Darüber wurde die Nonne zornig und schalt es, daß es für ihre Gefährten gar nichts übriggelassen hätte. Da geriet auch das Männchen in einen großen Zorn, nahm die Nonne, schlug sie und warf sie von einer Wand zur andern. Darauf ließ das böse Männchen die Nonne liegen und ging seines Weges. Am Abend kamen die beiden Gefährten der Nonne nach Hause, und als sie hungrig ihr Essen verlangten und nichts mehr fanden, so machten sie der Nonne heftige Vorwürfe und wollten ihr nicht giauben, als sie ihnen erzählte, was ihr widerfahren wäre.

Den folgenden Tag erbot sich der Bergmann, das Haus zu hüten, und versprach, er werde schon dafür sorgen, daß niemand hungrig zu Bette gehen müsse. So gingen nun die beiden andern in den Wald, und der Bergmann besorgte das Essen, verzehrte seinen Teil und setzte dann das übrige auf den Ofen. Da trat das Männchen herein, aber wie erschrak der Bergmann, als er sah, daß es zwei Köpfe hatte. Es schüttelte sich und sprach: »O wie friert mich!« Ganz voller Furcht verwies es der Bergmann zum Ofen. Bald darauf fing es an zu Klagen: »O wie hungert mich!«

»Auf dem Ofen steht Essen, so iß!« antwortete der Bergmann. Da fiel das Männchen mit seinen beiden Köpfen über das Essen her, und bald war alles aufgezehrt und die ganze Schüssel wie ausgeleckt. Als der Bergmann das Männchen deswegen ausschalt, erging es ihm, wie es der Nonne ergangen war – das Männchen schlug ihn braun und blau, warf ihn gegen alle Wände, daß es krachte und ihm Hören und Sehen verging, ließ ihn dann liegen und ging davon. Als nun am Abend der Schmied mit der Nonne heimkam und nichts für beider Hunger fand, geriet er mit dem Bergmann in Streit und vermaß sich hoch und teuer, morgen, wo an ihm die Reihe sei, das Haus zu hüten, da sollte es keinem an Essen fehlen.

Als am andern Tage das Essen fertig war, kam das Männchen wieder, und diesmal hatte es drei Köpfe. Es klagte über Frost, und der Schmied hieß es, sich ah den Ofen setzen. Als es darauf über Hunger klagte, teilte der Schmied von dem Essen etwas ab und setzte es ihm hin. Damit war das Männchen geschwind fertig; es sah sich mit seinen sechs Augen begierig um und verlangte mehr, und als der Schmied sich weigerte, ihm mehr zu reichen, wollte es ihm mitspielen wie der Nonne und dem Bergmann. Der Schmied aber war nicht faul, nahm seinen großen Schmiedehammer, ging auf das Männchen los und schlug ihm zwei von seinen Köpfen ab, so daß das Männchen seinen dritten Kopf zwischen die Ohren nahm und eilig die Flucht ergriff. Der Schmied lief ihm durch viele Gänge nach, bis es bei einer eisernen Tür plötzlich vor ihm verschwand. Nun mußte der Schmied es aufgeben, das Männchen weiter zu verfolgen, nahm sich aber vor, nicht eher zu ruhen, als bis er mit seinen beiden Gefährten alles glücklich bestanden hätte. Indessen waren der Bergmann und die Nonne nach Hause gekommen. Der Schmied brachte ihnen, wie er versprochen hatte, ihr Essen und erzählte ihnen sein Abenteuer und zeigte ihnen die beiden abgehauenen Köpfe, die sie mit verdrehten Augen anstarrten. Darauf beschlossen alle drei, sich von dem grauen Männchen, wenn es möglich wäre, ganz zu befreien, und gleich am folgenden Tage gingen sie ans Werk. Sie mußten lange suchen, ehe sie die eiserne Tür fanden, bei der das Männchen gestern verschwunden war, und es kostete große Mühe, ehe sie sie aufzusprengen vermochten. Da tat sich ein weites Gewölbe vor ihnen auf; darin saß ein schönes junges Mädchen an einem Tische und arbeitete. Sie sprang auf und fiel ihnen zu Füßen, indem sie ihnen für ihre Befreiung dankte und erzählte, sie sei eine Königstochter und von einem mächtigen Zauberer hierher gebannt worden; gestern Mittag habe sie auf einmal empfunden, daß der Zauber gelöst sei und seitdem habe sie jede Stunde auf Befreiung gehofft. Aber außer ihr sei noch eine andre Königstochter in dieses Schloß gebannt. Darauf gingen jene und suchten auch diese andre Königstochter auf und befreiten sie. In großen Freuden dankte sie ihnen ebenfalls und sagte, daß auch sie gestern zu Mittag es gefühlt habe, wie ihre Verzauberung gelöst sei. Nun erzählten die beiden Königstöchter ihren Befreiern, in verborgenen Kellern des Schlosses sei ein großer Schatz, den ein schrecklicher Hund bewache. Sie gingen nun danach und fanden endlich den Hund, und der Schmied erschlug ihn mit seinem schweren Hammer, wie er sich auch zur Wehr setzen mochte. Der Schatz aber war Gold und Silber, ganze Pfannen voll, und dabei saß als Hüter ein schöner Jüngling. Der ging ihnen entgegen und dankte ihnen, daß sie ihn erlöst hätten. Er sei der Sohn eines Königs, aber von einem Zauberer in dieses Schloß gebannt und in das dreiköpfige Männchen verwandelt worden. Als er zwei von seinen Köpfen verloren, da sei die Verzauberung der beiden Königstöchter gehoben worden, und als der Schmied den gräßlichen Hund erschlagen, da sei auch er erlöst gewesen. Dafür sollten sie nun den ganzen Schatz zum Lohne haben. Darauf ward der Schatz geteilt, und ehe sie damit fertig wurden, hatten sie lange zu tun; die beiden Königstöchter aber heirateten aus Dankbarkeit für ihre Erlösung die eine den Schmied und die andere den Bergmann, und der schöne Königssohn heiratete die Nonne.

So lebten sie in Frieden und Freude zusammen bis an ihr Ende.

Der Fuchs und der Krebs

Ein Krebs kroch aus seinem Bache hervor auf das grüne Gras einer Wiese, allda er sich gütlich tat. Da kam ein Fuchs daher, sah den Krebs langsam kriechen und sprach spöttisch zu ihm: »Herr Krebs, wie geht Ihr doch so gemächlich? Wer nahm Euch Eure Schnelligkeit? Oder wann gedenkt Ihr über die Wiese zu kommen? Aus Euerm Gange merke ich wohl, daß Ihr besser hinterrücks als vorwärts gehen könnt!«

Der Krebs war nicht dumm, er antwortete alsobald dem Fuchs: »Herr Fuchs, Ihr kennt meine Natur nicht. Ich bin edel und wert, ich bin schneller und leichter und laufe rascher als Ihr und Eure Art, und wer mir das nicht gönnt, den möge der Teufel riffeln. Herr Fuchs, wollt Ihr mit mir eine Wette laufen? Ich setze gleich ein Pfund zum Pfande!«

»Nichts wäre mir lieber«, sprach der Fuchs. »Wollt Ihr von Bern nach Basel laufen oder von Bremen nach Brabant?«

»O nein«, sprach der Krebs, »das Ziel wäre zu fern! Ich dächte, wir liefen eine halbe oder eine ganze Melle miteinander, das wird uns beiden nicht zu viel sein!«

»Eine Meile, eine Meile!« schrie der Fuchs eifrig.

Und der Krebs begann wieder: »Ich gebe Euch auch eine hübsche Vorgabe, ohne daß Ihr die annehmt, mag ich gar nicht laufen. «

»Und wie soll die Vorgabe sein?« fragte der Fuchs.

Der Krebs antwortete: »Gerade eine Fuchslänge soll sie beschaffen sein. Ihr tretet vor mich, und ich trete hinter Euch. daß Eure Hinterfüße an meinen Kopf stoßen, und wenn ich sage: Nun wohl hin! – so heben wir an zu laufen.«

Dem Fuchs gefiel die Rede wohl; er sagte: »Ich gehorche Euch in allen Stücken.«

Und da kehrte er dem Krebs sein Hinterteil zu, mit dem großen und starken haarigen Schwanze, in den schlug der Krebs seine Scheren, ohne daß der Fuchs es merkte, und rief: »Nun wohl hin!«

Und da lief der Fuchs, wie er in seinem Leben noch nicht gelaufen war, daß ihm die Füße schmerzten, und als das Ziel erreicht war, so drehte er sich geschwind herum und schrie: »Wo ist nun der dumme Krebs? Wo seid Ihr? Ihr säumt gar zu lange! «

Der Krebs aber, der dem Ziele jetzt näher stand als der Fuchs, rief hinter ihm: »Herr Fuchs! Was will diese Rede sagen? Warum seid Ihr so langsam? Ich stehe schon eine hübsche Weile hier und warte auf Euch! Warum kommt Ihr so saumselig?«

Der Fuchs erschrak ordentlich und sprach: »Euch muß der Teufel aus der Hölle hergebracht haben!« zahlte seine Wette, zog den Schwanz ein und strich von dannen.

Die schlimme Nachtwache

Es war einmal eine Gastwirtin, die taugte sehr wenig; sie wog falsch, sie maß falsch, sie log und trog. Wer in ihr Haus kam, kam nicht ungerupft wieder heraus. Nach Geld stand all ihr Sinn, um Geld hätte sie dem Bösen ihre Seele verkauft, wenn dieser sie gemocht.

Manche Untat geschah in dem Hause dieser Wirtin, die nicht an den Tag kam. Endlich war das Maß ihrer Sünden voll.

Ein vornehmer Herr kam zugereist, der über Nacht bleiben wollte. Er aß und trank und sagte vor dem Schlafengehen zur Kellnerin: »Es muß jemand vor meiner Türe wachen; ich zahle dafür hundert Gulden und mehr. Magst du die verdienen, Kellnerin?«

»Nein!« antwortete die Kellnerin. »Zur Nacht schlaf ich, am Tage wach ich, und abends bin ich müde genug. Ich will’s aber meiner Frau sagen, daß die dem Herrn jemand zur Nachtwache anschafft.«

»Denket Euch, Frau!« sprach zur Wirtin die Kellnerin: »Der fremde Herr will hundert Gulden und mehr zahlen, wenn jemand vor seiner Türe wacht. Ich hab mich dafür bedankt.«

»So?« sagte die Wirtin. »Nun, so gehe du schlafen, ich will schon jemand anschaffen.«

Die Wirtin gönnte aber selbiges Wachtgeld niemandem als sich selbst. Sie ging zum Fremden und sagte ihm: »Es ist niemand da, der Euch wachen will; ich muß es schon selbst tun, Ihr müßt aber noch was darauf legen.«

»Schon recht, Frau Wirtin! Ich lege noch etwas darauf. Wachet nur fein.« Dann verschloß er sein Zimmer, und die Wirtin blieb draußen auf dem Flur und wachte und zählte in Gedanken schon das leicht verdiente viele Geld. Um Mitternacht war es der Kellnerin, als höre sie ein winselndes Gestöhne auf dem Vorsaal, aber es gruselte sie darob, und sie blieb hübsch unter ihrer Bettdecke.

Als es Tag war, saß die Frau Wirtin vor des Fremden Türe und hatte einen Beutel voll Geld in der Hand; sie sah aber jämmerlich aus, und mit Entsetzen sah das Gesinde, daß nur die Kleider und die Haut der Wirtin noch da waren. Das andere hatte der Teufel mitgenommen.

Der Hase und der Fuchs

Ein Hase und ein Fuchs reisten beide miteinander. Es war Winterszeit, es grünte kein Kraut, und auf dem Felde kroch weder Maus noch Laus. „Das ist ein hungriges Wetter“, sprach der Fuchs zum Hasen, „mir schnurren alle Gedärme zusammen.“ – „Jawohl“, antwortete der Hase. „Es ist überall dürr, und ich möchte meine eigenen Löffel fressen, wenn ich damit ins Maul langen könnte.“

So hungrig trabten sie miteinander fort. Da sahen sie von weitem ein Bauernmädchen kommen, das trug einen Handkorb, und aus dem Korb kam dem Fuchs und dem Hasen ein angenehmer Geruch entgegen, der Geruch von frischen Semmeln. „Weißt du was!“ sprach der Fuchs: „Lege dich hin der Länge lang, und stelle dich tot. Das Mädchen wird seinen Korb hinstellen und dich aufheben wollen, um deinen armen Balg zu gewinnen, denn Hasenbälge geben Handschuhe; derweilen erwische ich den Semmelkorb, uns zum Troste.“

Der Hase tat nach des Fuchsen Rat, fiel hin und stellte sich tot, und der Fuchs duckte sich hinter eine Windwehe von Schnee. Das Mädchen kam, sah den frischen Hasen, der alle Viere von sich streckte, stellte richtig den Korb hin und bückte sich nach dem Hasen. jetzt wischte der Fuchs hervor, schnappte den Korb und strich damit querfeldein, gleich war der Hase lebendig und folgte eilend seinem Begleiter. Dieser aber stand gar nicht still und machte keine Miene, die Semmeln zu teilen, sondern ließ merken, daß er sie allein fressen wollte. Das vermerkte der Hase sehr übel. Als sie nun in die Nähe eines kleinen Weihers kamen, sprach der Hase zum Fuchs: „Wie wäre es, wenn wir uns eine Mahlzeit Fische verschafften? Wir haben dann Fische und Weißbrot, wie die großen Herren! Hänge deinen Schwanz ein wenig ins Wasser, so werden die Fische, die jetzt auch nicht viel zu beißen haben, sich daran hängen. Eile aber, ehe der Weiher zufriert.“

Das leuchtete dem Fuchs ein, er ging an den Weiher, der eben zufrieren wollte, und hing seinen Schwanz hinein, und eine kleine Weile, so war der Schwanz des Fuchses fest angefroren. Da nahm der Hase den Semmelkorb, fraß die Semmeln vor des Fuchses Augen ganz gemächlich, eine nach der andern, und sagte zum Fuchs: „Warte nur, bis es auftaut, warte nur bis ins Frühjahr, warte nur, bis es auftaut!“ Und lief davon, und der Fuchs bellte ihm nach, wie ein böser Hund an der Kette.

Die verzauberte Prinzessin

Es war einmal ein armer Handwerksmann, der hatte zwei Söhne, einen guten, der hieß Hans, und einen bösen, der hieß Helmerich. Wie das aber wohl geht in der Welt, der Vater hatte den bösen mehr lieb als den guten.

Nun begab es sich, daß das Jahr einmal ein mehr als gewöhnlich teures war und dem Meister der Beutel leer war. Ei! dachte er, man muß zu leben wissen. Sind die Kunden doch so oft zu dir gekommen, nun ist es an dir, höflich zu sein und dich zu ihnen zu bemühen. Gesagt, getan. Früh morgens zog er aus und klopfte an mancher stattlichen Tür; aber wie es sich denn so trifft, daß die stattlichsten Herren nicht die besten Zahler sind, die Rechnung zu bezahlen hatte niemand Lust. So kam der Handwerksmann müde und matt des Abends in seine Heimat, und trübselig setzte er sich vor die Türe der Schenke ganz allein, denn er hatte weder das Herz, mit den Zechgästen zu plaudern, noch freute er sich sehr auf das lange Gesicht seines Weibes. Aber wie er da saß in Gedanken versunken, konnte er doch nicht lassen hinzuhören auf das Gespräch, das drinnen geführt ward. Ein Fremder, der eben aus der Hauptstadt angelangt war, erzählte, daß die schöne Königstochter von einem bösen Zauberer gefangengesetzt sei und müsse im Kerker bleiben ihr Leben lang, wenn nicht jemand sich fände, der die drei Proben löse, die der Zauberer gesetzt hatte. Fände sich aber einer, so wäre die Prinzeß sein und ihr ganzes herrliches Schloß mit all seinen Schätzen. Das hörte der Meister an, zuerst mit halbem Ohr, dann mit dem ganzen und zuletzt mit allen beiden, denn er dachte: mein Sohn Heimerich ist ein aufgeweckter Kopf, der wohl den Ziegenbock barbieren möchte, so das einer von ihm heischte; was gilt’s, er löst die Proben und wird der Gemahl der schönen Prinzeß und Herr über Land und Leute. Denn also hatte der König, ihr Vater, verkündigen lassen.

Schleunig kehrte er nach Haus und vergaß seine Schulden und Kunden über der neuen Mär, die er eilig seiner Frau hinterbrachte. Des andern Morgens schon sprach er zum Heimerich, daß er ihn mit Roß und Wehr ausrüsten wolle zu der Fahrt, und wie schnell machte der sich auf die Reise! Als er Abschied nahm, versprach er seinen Eltern, er wolle sie samt dem dummen Bruder Hans gleich holen lassen in einem sechsspännigen Wagen; denn er meinte schon, er wäre König. Übermütig wie er dahinzog, ließ er seinen Mutwillen aus an allem, was ihm in den Weg kam. Die Vögel, die auf den Zweigen saßen und den Herrgott lobten mit Gesang, wie sie es verstanden, scheuchte er mit der Gerte von den Ästen, und kein Getier kam ihm in den Weg, daran er nicht seinen Schabernack ausgelassen hätte. Und zum ersten begegnete er einem Ameisenhaufen; den ließ er sein Roß zertreten, und die Ameisen, die erzürnt an sein Roß und an ihn selbst krochen und Pferd und Mann bissen, erschlug und erdrückte er alle. Weiter kam er an einen klaren Teich, in dem schwammen zwölf Enten. Helmerich lockte sie ans Ufer und tötete deren elf, nur die zwölfte entkam. Endlich traf er auch einen schönen Bienenstock; da machte er es den Bienen, wie er es den Ameisen gemacht. Und so war seine Freude, die unschuldige Kreatur nicht sich zum Nutzen, sondern aus bloßer Tücke zu plagen und zu zerstören.

Als Helmerich nun bei sinkender Sonne das prächtige Schloß erreicht hatte, darin die Prinzessin verzaubert war, klopfte er gewaltig an die geschlossene Pforte. Alles war still; immer heftiger pochte der Reiter. Endlich tat sich ein Schiebefenster auf, und hervor sah ein altes Mütterlein mit spinnewebfarbigem Gesichte, die fragte verdrießlich, was er begehre. »Die Prinzeß will ich erlösen«, rief Helmerich, »geschwind macht mir auf. «

»Eile mit Weile, mein Sohn«, sprach die Alte, »morgen ist auch ein Tag, um neun Uhr werde ich dich hier erwarten.« Damit schloß sie den Schalter.

Am andern Morgen um neun Uhr, als Helmerich wieder erschien, stand das Mütterchen schon seiner gewärtig mit einem Fäßchen voll Leinsamen, den sie ausstreute auf eine schöne Wiese. »Lies die Körner zusammen«, sprach sie zu dem Reiter, »in einer Stunde komme ich wieder, da muß die Arbeit getan sein.« Helmerich aber dachte, das sei ein alberner Spaß und es lohne nicht, sich darum zu bücken; er ging derweil spazieren, und als die Alte wiederkam, war das Fäßchen so leer wie vorher. »Das ist nicht gut«, sagte sie. Darauf nahm sie zwölf goldene Schlüsselchen aus der Tasche und warf sie einzeln in den tiefen, dunklen Schloßteich. »Hole die Schlüssel herauf«, sprach sie, »in einer Stunde komme ich wieder, da muß die Arbeit getan sein.« Helmerich lachte und tat wie vorher. Als die Alte wiederkam und auch diese Aufgabe nicht gelöst war, da rief sie zweimal: »Nicht gut! nicht gut!« Doch nahm sie ihn bei der Hand und führte ihn die Treppe hinauf in den großen Saal des Schlosses; da saßen drei Frauenbilder, alle drei in dichte Schleier verhüllt. »Wähle, mein Sohn«, sprach die Alte, »aber sieh dich vor, daß du recht wählst. In einer Stunde komme ich wieder.«

Helmerich war nicht klüger, da sie wiederkam, als da sie wegging; übermütig aber rief er aufs Geratewohl: »Die zur Rechten wähl ich.« Da warfen alle drei die Schleier zurück; in der Mitte saß die holdselige Prinzeß, rechts und links zwei scheußliche Drachen, und der zur Rechten packte den Helmerich in seine Krallen und warf ihn durch das Fenster in den tiefen Abgrund.

Ein Jahr war verflossen, seit Helmerich ausgezogen, die Prinzeß zu erlösen, und noch immer war bei den Eltern kein sechsspänniger Wagen angelangt. »Ach!« sprach der Vater, »wäre nur der ungeschickte Hans ausgezogen statt unsres besten Buben, da wäre das Unglück doch geringer.«

»Vater«, sagte Hans, »laß mich hinziehn, ich will’s auch probieren.« Aber der Vater wollte nicht, denn was dem Klugen mißlingt, wie führte das der Ungeschickte zu Ende? Da der Vater ihm Roß und Wehr versagte, machte Hans sich heimlich auf und wanderte wohl drei Tage denselben Weg zu Fuß, den der Bruder an einem geritten war. Aber er fürchtete sich nicht und schlief des Nachts auf dem weichen Moos unter den grünen Zweigen so sanft wie unter dem Dach seiner Eltern; die Vögel des Waldes scheuten sich nicht vor ihm, sondern sangen ihn in den Schlaf mit ihren besten Weisen. Als er nun an die Ameisen kam, die beschäftigt waren, ihren neuen Bau zu vollenden, störte er sie nicht, sondern wollte ihnen helfen, und die Tierchen, die an ihm hinaufkrochen, las er ab, ohne sie zu töten, wenn sie ihn auch bissen. Die Enten lockte er auch ans Ufer, aber um sie mit Brosamen zu füttern; den Bienen warf er die frischen Blumen hin, die er am Wege gepflückt hatte. So kam er fröhlich an das Königsschloß und pochte bescheiden am Schalter. Gleich tat die Türe sich auf, und die Alte fragte nach seinem Begehr. »Wenn ich nicht zu gering bin, möchte ich es auch versuchen, die schöne Prinzeß zu erlösen«, sagte er.

»Versuche es, mein Sohn«, sagte die Alte, »aber wenn du die drei Proben nicht bestehst, kostet es dein Leben.«

»Wohlan, Mütterlein«, sprach Hans, »sage, was ich tun soll.«

Jetzt gab die Alte ihm die Probe mit dem Leinsamen. Hans war nicht faul, sich zu bücken, doch schon schlug es drei Viertel, und das Fäßchen war noch nicht halb voll. Da wollte er schier verzagen; aber auf einmal kamen schwarze Ameisen mehr als genug, und in wenigen Minuten lag kein Körnlein mehr auf der Wiese.

Als die Alte kam, sagte sie: »Das ist gut!« und warf die zwölf Schlüssel in den Teich, die sollte er in einer Stunde herausholen. Aber Hans brachte keinen Schlüssel aus der Tiefe; so tief er auch tauchte, er kam nicht an den Grund. Verzweifelnd setzte er sich ans Ufer; da kamen die zwölf Entchen herangeschwommen, jede mit einem goldenen Schlüsselchen im Schnabel, die warfen sie ins feuchte Gras.

So war auch diese Probe gelöst, als die Alte wiederkam, um ihn nun in den Saal zu führen, wo die dritte und schwerste Probe seiner harrte. Verzagend sah Hans auf die drei gleichen Schleiergestalten; wer sollte ihm hier helfen? Da kam ein Bienenschwarm durchs offene Fenster geflogen, die kreisten durch den Saal und summten um den Mund der drei Verhüllten. Aber von rechts und links flogen sie schnell wieder zurück, denn die Drachen rochen nach Pech und Schwefel, wovon sie leben; die Gestalt in der Mitte umkreisten sie alle und surrten und schwirrten leise: »Die Mittle, die Mittle.« Denn da duftete ihnen der Geruch ihres eigenen Honigs entgegen, den die Königstochter so gern aß.

Also, da die Alte wiederkam nach einer Stunde, sprach Hans ganz getrost: »Ich wähle die Mittle.« Und da fuhren die bösen Drachen zum Fenster hinaus, die schöne Königstochter aber warf ihren Schleier ab und freute sich der Erlösung und ihres schönen Bräutigams. Und Hans sandte dem Vater der Prinzeß den schnellsten Boten und zu seinen Eltern einen goldenen Wagen mit sechs Pferden bespannt, und sie alle lebten herrlich und in Freuden, und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie heute noch.

Der König im Bade

Es war einmal ein König, dem waren viele Lande deutscher und welscher Zunge untertan, darob wurde sein Herz übermütig, und er glaubte, es gäbe in der Welt keinen mächtigen Herrn, außer ihm allein . Nun geschah es, daß er eines Abends in die Vesper ging und hörte den Priester die Worte lesen: Deposuit potentes de sede, et exaltavit humiles. Da fragte er, weil er kein Latein verstand, die gelehrten Männer, die um ihn waren, was diese Worte bedeuteten. Und da wurde ihm die Deutung: Gott der Herr wirft die Mächtigen vom Throne und erhöhet die Niedrigen. Der König erschrak über diesen Spruch und wurde zornig und gab ein Gebot, daß dieser Ausspruch des Evangelisten Lukas fürder nicht mehr solle gelesen werden, auch solle niemand ihn hören und er solle ganz und gar vertilgt werden aus den heiligen Büchern. Das Gebot trugen des Königs Sendboten in alle Lande und zu allen Geistlichen und in alle Klöster. Die Bücher aber, darin diese Schriftstelle stehen blieb, die sollten verbrannt werden. Also wurden jene Worte vielfach zerstört und ausgetilgt und wurden öffentlich in den Kirchen nicht mehr gelesen oder gesungen.

Nun geschah es zu einer Zeit, daß der König in ein Bad ging; da sandte Gott, auf daß er büße für den Frevel am heiligen Wort des Evangeliums, einen Engel, der nahm des Königs Gestalt an und schlug die Augen aller mit Blindheit, daß sie ihn für den König hielten, den König selbst aber nicht als den, der er war, erkannten. Als der König aus dem Bade trat, setzte er sich auf eine Bank, auf welcher der Engel schon saß. Da hieß ihn der Bader aufstehen und sich anderswo hinsetzen. »Bist du trunken, Bader?« fragte der König, »daß du also schmachvoll mir redest? Ich bin’s, der König, dein Gebieter!«

»Ein Narr mögt Ihr sein!« antwortete der Bader. »Mein Herr, der König sitzt ja hier; wessen König seid Ihr denn? Und wo ist das Reich Eurer Majestät? Wohl Narragonia?«

»Bösewicht!« schrie der König voller Zorn, nahm einen Kübel und warf den an des Baders Kopf, da hörte das Badegesinde den Lärm, eilte herzu und salbte den König mit Faustöl, bis der Engel des König dazwischentrat und ihn aus den Händen des Gesindes befreite. Dann aber verließ er ihn, trat aus der Badestube, und da legten ihm des Königs Diener, die den Engel für ihren Herrn halten mußten, jenes köstliche Gewand an und geleiteten ihn auf stolzen Rossen in allem Glanze nach der Hofburg. Den König aber warfen der Bader und seine Gesellen nackt und bloß aus dem Hause, und da stand er vor der Türe und wußte nicht, wie ihm geschehen war. Und das Volk sammelte sich um ihn und spottete über ihn, dazu sein eignes Gesinde, denn es kannte ihn keiner mehr. Und er eilte nackend, wie er war, und mit großer Scham von den Leuten hinweg, die ihm aber nachliefen wie einem Toren, zum Hause seines Schenken und viel treuen Rates.

Es war nach der Zeit des Mittagsimbisses, und der Schenk saß und pflegte der Mittagsrast, als der König am Tore schellte und Einlaß begehrte. Der Pförtner fragte, wer er sei und was er begehre, und jener sagte: »Ich, der König!«

»Ei, pfui dich!« rief der Pförtner. »So schandbar hab ich noch keinen König gesehen. Du kommst mitnichten herein!« Da schrie und lärmte der König ungetümlich, daß der Schenk es hörte, und fragte, was es gebe. Der Pförtner sprach: »Herr, es stehet ein Mann draußen, der ist nackt und bloß und sagt, er sei dein Herr und König, und das Volk ist hinter ihm und hat seinen Narren an dem Affen.«

»Laßt ihn herein!« sprach mitleidvoll der Schenk, »und reicht ihm ein notdürftig Gewand, auf daß er seine Blöße bedecke.«

Dies geschah, und dann trat der König herein zu dem Schenken, der ihn auch nicht als seinen Herrn zu erkennen vermochte, und sprach: »O mein Freund, du wirst und mußt mich erkennen, daß ich dein König bin, obschon mich heut ein wunderlich Verhängnis heimsucht und von Ehren und Gute mich vertreibt. Denke der Reden, die wir gestern früh vertraulich miteinander pflogen, als ich euch, meinen Räten, einen Befehl gab, den ich erfüllt sehen wollte und ihr mir es ausredetet, als eines Fürsten nicht würdig.«

Und solcher Heimlichkeiten sagte der König zum Schenken noch mehr, der aber begann zu lachen und sprach: »Die Wahrheit sagt Ihr ja, aber Euch muß sie der Teufel ins Ohr geblasen haben!«

Und der König sprach: »Womit ich auch das Unglück verdient, das mich schlägt, mein Herz sagt mir, daß ich ein gerechter und wahrhafter König bin.«

Der Schenke mochte nicht widersprechen, weil das die Narren aufzubringen pflegt und bei Klugen auch nicht für ein Zeichen von guter Lebensart gilt, aber er gebot, dem Fremden Speise aufzutragen, und dachte bei sich: ich will diesen seltnen Fall doch dem König als Neuigkeit hinterbringen. Er, der Schenke, galt bei Hof so viel durch seine weisen Ratschläge, daß er zu jeder Zeit freien Zutritt hatte, und so machte er sich gleich auf zur Königsburg, trat vor den Engel und verkündete ihm die Mär von seinem wunderlichen Gast. Der gebot ihm, den König zu Hofe zu führen, und es sammelte sich in einem großen Saale der ganze Hofstaat, und das Gesinde erfüllte alle Treppen und Galerien. Wie nun der Schenk den gedemütigten König brachte, schrie alles spöttisch: »Grüß Gott, Herr König ohne Land!«

Der Engel saß in reicher Pracht neben der schönen Königin auf dem Throne und grüßte seinen Doppelgänger, dessen Herz in Haß aufwallte, als er den vermeinten Feind bei seiner eignen Gemahlin sitzen sah. Der Engel sprach: »Sagt an, ist das wahr, seid Ihr hier König?«

Und der König antwortete: »Wohl sah ich den Tag, da ich hier gewaltig war, wo meine Gemahlin noch mich empfing als ihren König und Herrn, deren gütlichen Gruß ich nun ganz entbehre, der mir doch sonst nie versagt ward, bis heute an diesem Tag meiner Schmach und meines Leides. O wie freundlich schied ich noch heute morgen aus ihren minniglichen Armen!«

Die Königin ward ob dieser Rede ganz schamrot, daß sie sollte den fremden Mann umfangen haben und sprach zum Engel: »Mein königlicher Herr und Gemahl, dieser Mann ist wohl unsinnig!« und ein alter Hofritter rief: »Schweige, Bösewicht! Dich müsse man auf einer Kuhhaut zum Galgen schleifen!« und die jungen Lecker am Hofe wollten schon sich Gunst machen und ihren Heldenmut sehen lassen und griffen nach dem König, hätten ihm auch übel genug mitgespielt, aber der Engel wehrte sie ab und führte den König mit sich hinweg in ein schönes einsames Gemach.

Dort sprach er zu ihm: »Sag an, glaubst du oder glaubst du nicht, daß Gott Gewalt habe über alle Geschöpfe? Siehe, wie seine allmächtige Kraft dich in den Staub tritt! Was hilft dir dein mächtiges Kriegsheer? Wer gehorcht deinem Rufe und Gebote? Noch lebt die Wahrheit: Deposuit potentes de sede, und du und deinesgleichen werdet sie ewig nicht unterdrücken!«

So sprach der Engel zum König, und dieser fragte erbebend: »Mann, wer seid Ihr? Seid Ihr Gott der Allmächtige, von dem Ihr redet, so erbarme sich Eure Gnade über mich armen, betörten Mann!«

»Ich bin nicht Gott!« sprach darauf der Engel: »Aber seiner Boten einer bin ich und des wahren Christus Diener. Der sandte mich, und dir sandte er die Strafe deiner Hoffart. Gott erhöhet und erniedrigt, wen er will! Warum verfolgst du diese Wahrheit?«

Da fiel der König hin zu des Engels Füßen und bat um Gottes Huld und Verzeihung. Der Engel hieß ihn aufstehen und sprach: »Du mußt Glauben haben an das Wort der Schrift aus der Priester Munde! Du mußt barmherzig sein gegen die, so dir ihren Kummer klagen! Du mußt gerecht sein gegen die Kleinen, wie gegen den Großen! Willst du das, so soffst du wieder einnehmen den Stuhl deiner Macht und deiner Ehren.«

Da demütigte sich aufs neue der König vor dem Boten des Herrn, neigete sich, kniete nieder und sprach: »Ich folge dir gerne, gewähre mir durch Gott Gnade!« Da bot ihm der Engel seine Hand und reichte ihm die Königsgewande und verlieh ihm die Königsgestalt wieder, und der König legte das dürftige Röcklein ab, das der Schenk ihm geben ließ. Der Engel aber verschwand vor den Augen des Königs und flog wieder auf gen Himmel, in die Heimat der Seelen, in das Reich des ewigen Vaters.

Der König sprach: »Gelobt sei der süße Christ, der Gewaltige. Was der Engel mir sagte“ das ist die rechte Wahrheit.« Und ging hervor aus dem Gemach wie einer, dem nie ein Leid widerfahren. Da fragten ihn die Dienstmannen ehrfurchtsvoll: »Herr, wo ist der Narr geblieben?« Er aber berief die Königin und alle die Seinen um sich her und erzählte ihnen alles, wie es sich begeben und was er erlitten, seinen Streit mit dem Bader und alles andere und zeigte ihnen das dürftige Röcklein. Des erschraken die Schranzen und schämten sich, daß sie den Herrn also gekränkt und mißkannt, und meinten ihrer viele, es werde ihnen nunmehr an Leib und Gut gehen. Selbst die Königin bat den Gemahl um Huld und Gnade und versicherte heilig und teuer, daß sie ihn nicht erkannt habe. Er schloß sanft ihre Hände in seine Hand und sprach: »Frau, schweigst stille! Gott hat es so gewollt! Kannte ich doch zuletzt mich selbst nicht mehr.«

Dann hieß er den Spruch Deposuit wieder in alle Bücher schreiben, wo er ausgelöscht worden, und ließ ihn wieder in den Kirchen lesen und ward gar ein demütiger Herrscher. Und wer diese Mär lieset, der demütige sein Herz vor Gott und bitte, daß er ihn vor Hoffart und Übermut gnädiglich bewahren wolle.