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Wie der Teufel ins Weihwasser fiel

Daß der Teufel öfters Unglück hat, weiß jedermann. Ja, es kommt so häufig vor, daß man einen Menschen, der Zahnschmerzen hat oder im Winter mit zerrissenen Stiefeln auf der Chaussee Steine klopfen muß oder dem sein Schatz an seinem Geburtstage einen Brief schickt, in dem kein Glückwunsch steht, wohl aber eine Absage auf immer – daß man sie alle drei arme Teufel nennt.

Eines Tages schnupperte der Teufel im Kölner Dome umher, in der Hoffnung, vielleicht ein fettes Mönchlein oder eine alte Betschwester zu erhaschen, da stolperte er und – plantsch! – fiel er mitten in das Becken mit dem Weihwasser hinein. Da hättet ihr sehen sollen, was er für Gesichter schnitt, wie er sprudelte und prustete und wie er flink machte, daß er wieder herauskam! Und wie er sich nachher schüttelte und wie ein begossener Pudel davonschlich! Dabei war es noch um die Weihnachtszeit, so daß er vor Frost klapperte, als er vor dem Dome stand, aus dem er schleunigst retiriert war, weil er fürchtete, daß die Frommen es bemerkt haben und ihn auslachen könnten.

„Was fang‘ ich nun an?“ sagte er und besah sich von oben bis unten. „Zu Haus, in die Hölle, getraue ich mich in dem Aufzuge nicht. Meine Großmutter würde mir gut den Text lesen. Ich werde auf ein paar Stunden ins Mohrenland gehen, da ist es warm und ich kann meine Kleider trocknen. Außerdem werden heute dort Gefangene geschlachtet. Hab ich meinen Operngucker mit?“

Er ging also nach Mohrenland, sah beim Schlachten zu, klatschte tüchtig Bravo, wenn es ihm gefiel, und als sein Rock völlig trocken war, trollte er sich vergnügt nach Hause, in die Hölle.

Als er aber kaum in die Stube eingetreten war und die Großmutter seiner angesichtig wurde, ward sie abwechselnd veilchenblau und schwefelgelb im Gesicht und rief:

„Wonach riechst du wieder einmal, und wie siehst du aus, du Lump?! Hast du dich schon wieder in den Kirchen herumgetrieben?“ – Da erzählte der Teufel stotternd, was ihm passiert war.

„Zieh den Rock aus“, herrschte die Großmutter ihn an, „und leg dich einstweilen ins Bett.“ Und der Teufel tat, wie ihm befohlen war, und zog sich das blau und rot karierte Federbett so weit über die Ohren, daß unten die schwarzen Fußspitzen herausguckten; denn er schämte sich gewaltig. Die Großmutter aber faßte den Rock mit zwei Fingern an seinem äußersten Zipfel wie die Köchin eine tote Maus am Schwanz. „Brr!“ sagte sie und schüttelte sich vor Ekel. „Wie der Rock aussieht!“ Dann trug sie ihn in die Gosse, wo der ganze dicke Höllenschlamm und das ganze Spülwasser aus der Hölle abläuft, zog ihn ein paarmal durch, weichte ihn ein und wusch ihn in der Gosse. Darauf hing sie ihn über einen Stuhl ans Feuer und ließ ihn trocknen.

Als er ganz trocken war und der Teufel eben schon ein Bein aus dem Bett herausstreckte, um aufzustehen und den Rock anzuziehen, nahm sie den Rock noch einmal und beroch ihn:

„Pfui!“ sagte sie und nieste, „was doch so ein Kirchengeruch schwer wegzubringen ist“, holte ein Kohlenbecken, streute ein paar Hände voll klein gehackter Hundehaare und geraspelter Pferdehufe darauf, und wie es so recht brenzlig zu riechen begann, hielt sie den Rock darüber. „So“, sagte sie zum Teufel, „nun ist der Rock rein, nun kannst du dich doch wieder in anständiger Gesellschaft sehen lassen! Aber ich verbitte mir, daß so etwas wieder vorkommt! Verstehst du mich?“

Das kleine bucklige Mädchen

Es war einmal eine Frau, die hatte ein einziges Töchterchen, das war sehr klein und blaß und wohl etwas anders wie andre Kinder. Denn wenn die Frau mit ihm ausging, blieben oft die Leute stehen, sahen dem Kinde nach und raunten sich etwas zu. Wenn dann das kleine Mädchen seine Mutter fragte, weshalb die Leute es so sonderbar ansähen, entgegnete die Mutter jedesmal: „Weil du ein so wunderschönes, neues Kleidchen anhast.
“ Darauf gab sich die Kleine zufrieden. Kamen sie jedoch nach Hause zurück, so nahm die Mutter ihr Töchterchen auf die Arme, küßte es wieder und immer wieder und sagte: „Du lieber, süßer Herzensengel, was soll aus dir werden, wenn ich einmal tot bin? Kein Mensch weiß es, was du für ein lieber Engel bist; nicht einmal dein Vater!“

Nach einiger Zeit wurde die Mutter plötzlich krank, und am neunten Tage starb sie. Da warf sich der Vater des kleinen Mädchens verzweifelt auf das Totenbett und wollte sich mit seiner Frau begraben lassen. Seine Freunde jedoch redeten ihm zu und trösteten ihn; da ließ er es, und nach einem Jahre nahm er sich eine andere Frau, schöner, jünger und reicher als die erste, aber so gut war sie lange nicht. Und das kleine Mädchen hatte die ganze Zeit, seit seine Mutter gestorben war, jeden Tag von früh bis Abend in der Stube auf dem Fensterbrett gesessen; denn es fand sich niemand, der mit ihm ausgehen wollte. Es war noch blässer geworden, und gewachsen war es in dem letzten Jahre gar nicht.

Als nun die neue Mutter ins Haus kam, dachte es: „Jetzt wirst du wieder Spazierengehen, vor die Stadt, im lustigen Sonnenschein auf den hübschen Wegen, an denen die schönen Sträuche und Blumen stehen und wo die vielen geputzten Menschen sind.“ Denn es wohnte in einem kleinen, engen Gäßchen, in welches die Sonne nur selten hineinschien; und wenn man auf dem Fensterbrette saß, sah man nur ein Stückchen blauen Himmel, so groß wie ein Taschentuch. Die neue Mutter ging auch jeden Tag aus, vormittags und nachmittags. Dazu zog sie jedesmal ein wunderschönes buntes Kleid an, viel schöner, als die alte Mutter je eins besessen hatte. Doch das kleine Mädchen nahm sie nie mit sich.

Da faßte sich das letztere endlich ein Herz, und eines Tages bat es sie recht inständig, sie möchte es doch mitnehmen. Allein die neue Mutter schlug es ihr rund ab, indem sie sagte: „Du bist wohl nicht recht gescheit! Was sollen wohl die Leute denken, wenn ich mich mit dir sehen lasse? Du bist ja ganz bucklig. Bucklige Kinder gehen nie spazieren, die bleiben immer zu Hause.“

Darauf wurde das kleine Mädchen ganz still, und sobald die neue Mutter das Haus verlassen, stellte es sich auf einen Stuhl und besah sich im Spiegel; und wirklich, es war bucklig, sehr bucklig! Da setzte es sich wieder auf sein Fensterbrett und sah hinab auf die Straße und dachte an seine gute alte Mutter, die es doch jeden Tag mitgenommen hatte. Dann dachte es wieder an seinen Buckel:

„Was nur da drin ist?“ sagte es zu sich selbst, „es muß doch etwas in so einem Buckel drin sein.“

Und der Sommer verging, und als der Winter kam, war das kleine Mädchen noch blässer und so schwach geworden, daß es sich gar nicht mehr auf das Fensterbrett setzen konnte, sondern stets im Bett liegen mußte. Und als die Schneeglöckchen ihre ersten grünen Spitzchen aus der Erde hervorstreckten, kam eines Nachts die alte, gute Mutter zu ihm und erzählte ihm, wie golden und herrlich es im Himmel aussähe.

Am andern Morgen war das kleine Mädchen tot.

„Weine nicht, Mann!“ sagte die neue Mutter; „es ist für das arme Kind so am besten!“ Und der Mann erwiderte kein Wort, sondern nickte stumm mit dem Kopfe.
Als nun das kleine Mädchen begraben war, kam ein Engel mit großen, weißen Schwanenflügeln vom Himmel herabgeflogen, setzte sich neben das Grab und klopfte daran, als wenn es eine Türe wäre. Alsbald kam das kleine Mädchen aus dem Grabe hervor, und der Engel erzählte ihm, er sei gekommen, um es zu seiner Mutter in den Himmel zu holen. Da fragte das kleine Mädchen schüchtern, ob denn bucklige Kinder auch in den Himmel kämen. Es könne sich das gar nicht vorstellen, weil es doch im Himmel so schön und vornehm wäre.

Jedoch der Engel erwiderte: „Du gutes, liebes Kind, du bist ja gar nicht mehr bucklig!“ und berührte ihm den Rücken mit seiner weißen Hand. Da fiel der alte garstige Buckel ab wie eine große hohle Schale. Und was war darin?

Zwei herrliche, weiße Engelflügel! Die spannte es aus, als wenn es schon immer fliegen gekonnt hätte, und flog mit dem Engel durch den blitzenden Sonnenschein in den blauen Himmel hinauf. Auf dem höchsten Platze im Himmel aber saß seine gute, alte Mutter und breitete ihm die Arme entgegen. Der flog es gerade auf den Schoß.

Quelle: Richard von Volkmann-Leander, Träumereien an französischen Kaminen, Leipzig 1871, Nr. 17