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Der dänische König

Dänemark liegt hoch oben im Norden, wo Deutschland aufhört. Dort gibt es noch heute einen König, der ist aber nicht mehr zum Regieren da, sondern besucht meistens Kindergärten, weil seine Frau Kinder so mag.

Vor langer Zeit aber war der Dänische König sehr mächtig. Wie früher alle Könige, wollte er immerzu sein Land vergrößern, damit er noch mächtiger würde. Also musste er zusätzlich ein anderes Land erobern. Das war nun nicht ganz leicht. – Im Süden von Dänemark war Deutschland, damals die Königreiche Hannover und Preußen. Mit denen konnte er sich nicht anlegen, denn die hatten viel mehr Soldaten als er. Ebenso die Schweden, deren Land neben Dänemark liegt.

Also blickte er nach Norden. Weit hinter dem Meer lag Grönland. Das ist zwar ein riesig großes Land, aber man wusste damals sehr wenig darüber, und es sollte dort auch sehr kalt sein. Er ließ also drei Schiffe aus der königlichen Flotte beladen. Auf jedes setzte er einen tapferen Ritter und etliche Soldaten, sowie Pferde und allerlei Kriegsgerät.

Dann ging es ab nach Grönland in den furchtbar kalten Norden. Als die Schiffe dort ankamen, sahen sie als erstes unheimlich viel Eis und Schnee. Die Ritter zogen ihre Rüstungen an und gingen an Land, um es zu erobern. Doch kein Mensch war zu sehen und die Ritter froren in ihren eisernen Rüstungen gleich auf dem Eis fest, sodass sie sich nicht mehr bewegen konnten. Sie strampelten wie wild und schepperten mächtig in ihren eisernen Rüstungen, um vom Eis freizukommen.

Ein paar der anderen Soldaten mussten ein Feuer machen, um sie wieder frei zu bekommen. Dadurch wurden natürlich die Rüstungen an den Füssen ziemlich heiß und die Ritter verbrannten sich die Füße. Sie hopsten wie wild herum, bis sie endlich frei waren und schleunigst auf dem Schiff verschwanden.

Dann hat man versucht, die Pferde an Land zu bringen, weil man ja Grönland erobern sollte. Die Pferde mühten sich schwer ab, aber nach ein paar Metern blieben auch sie im Schnee stecken. Die Soldaten konnten auch nicht im hohen Schnee laufen und froren jämmerlich, sodass schließlich alle mit ihren Pferden wieder auf die Schiffe gingen und Grönland erstmal nicht erobern konnten. Als die Ritter ganz traurig rumsaßen und nachdachten, meldete der Ausguck auf dem Mast des Schiffes: „Feind voraus!!“

Und tatsächlich sahen die Ritter erstaunt, wie ein Schlitten mit ganz kleinen Pferden herangesaust kam. Sie staunten noch mehr, als sie entdeckten, dass es keine Pferde, sondern viele Hunde vor einem Schlitten waren, die da so mühelos über den Schnee näher sausten.

Alle holten ihre Gewehre und Lanzen und fürchteten, dass sie sich verteidigen müssten. Es war aber nur ein Mann auf dem Schlitten, ein Eskimo. Der grüßte sie ganz freundlich und freute sich, so viele Menschen zu sehen, weil in Grönland ja nicht so viele Leute wohnen und man oft ziemlich einsam und alleine ist. Er hieß alle herzlich willkommen und fragte sie, ob sie ihn nicht am Abend besuchen wollten, seine Frau würde für sie eine schöne Suppe aus Seehundfleisch kochen.

Von wem man so freundlich begrüßt wird, gegen den kann man schlecht kämpfen, und so setzten sich drei der Ritter mit auf den Hundeschlitten, aber ohne ihre schweren Rüstungen. Husch – sauste man über die Landschaft bis an eine komische Hütte, die war ganz aus Schnee. Die nennt sich Iglu und ist rund, aber es ist sehr schön warm darin!

Als sie gegessen hatten, bedankten sie sich und der Eskimo fuhr sie wieder mit dem Hundeschlitten zu ihren Schiffen. Dann wurde beschlossen, erst einmal wieder zurück nach Dänemark zu fahren.

Sie haben dann dem König alles berichtet. Der hielt Rat mit seinen Ministern, wie man denn nun Grönland erobern könnte. Sie fragten auch einen weisen alten Mann, der hieß Graf Johannsen. Der Graf flüsterte dem König seinen Vorschlag ins Ohr und der war begeistert!

Er schickte seinen Haushofmeister in die Stadt, der sollte alles an Vanillepulver kaufen, was er bekommen könnte. Dann rüstete er wieder ein Schiff aus, aber die Ritter sollten diesmal dicke Pelzmäntel anziehen und Schlitten mitnehmen. Außerdem war der ganze Laderaum voll Vanillepulver!

In Grönland angekommen, wurden sie wieder von Eskimos begrüßt, man kannte sich inzwischen ja schon. Die Soldaten aus Dänemark holten eine Menge frischen Schnee und machten mit ihrem Vanillepulver daraus köstliches Vanilleeis. Das schenkten sie den Eskimos.

So etwas hatten die ja noch nie gegessen! Sie waren ganz verrückt danach und wollten immer noch mehr haben. Die Ritter hielten aber alles unter Verschluss und wollten erst den Eskimoführer sprechen, den man schleunigst holte. Mit ihm machten die Ritter einen Vertrag, dass ab sofort Grönland zu Dänemark gehören würde und dafür würden die Eskimos so viel Vanilleeis bekommen wie sie essen konnten.

Danach segelten die Ritter mit ihrem Schiff nach Hause und berichteten ihrem König, dass Grönland jetzt zu Dänemark gehören würde, ohne dass es einen Krieg gegeben hätte!

Und so ist es bis heute geblieben, da könnt ihr jeden Dänen fragen.

© Karl Dieter Wilhelm
Mehr von Karl: „Opa Dieter“ haste noch ne Geschichte – Märchenhafte Geschichten zum lesen und vorlesen

Geschichte von der kleinen Annika

Ich erzähle euch die Geschichte von der kleinen Annika…

Annika zieht ihre Kuscheldecke bis unters Kinn, drückt ihren Teddy fest an sich und kneift ihre Augen zusammen. Es hilft alles nichts. Sie flüchtet Nacht für Nacht in das sichere Nest ihrer Eltern.

Ich kann Annika sehr gut verstehen.

Was würdest du als Elternteil sagen, damit sie sich nicht mehr ängstigt? Würdest du versuchen ihr zu erklären, dass es Geister nicht gibt? Annika würde protestieren. Sie existieren sehr wohl! Sie kann sie hören. Ja, sogar spüren.

Annikas Mutter hat eine Idee.

Sie stellt einen kleinen, grün-scheinenden Mond in das Kinderzimmer und erklärt ihrer Tochter folgendes: „Wusstest du, dass Geister Angst vor grünem Licht haben?” Annika schaut ihre Mutter mit großen Augen an. “Geister haben auch Angst?” fragt sie. “Ja, und sie können dir nichts anhaben, wenn der grüne Mond für dich leuchtet.”

Annika nickt und versteht.

Jedes Mal, wenn nun Annika wieder ein Kichern hört oder es draußen blitzt und stürmt, schaut sie zu dem Mond. Sie glaubt an ihn. Stellt sich vor, dass sein grünes Licht sie ganz einhüllt. Vertraut auf die Weisheit und Liebe ihrer Mutter und schließt beruhigt die Augen.

Geister vor denen sich Erwachsene fürchten

Jedoch geht die Geschichte weiter…

Annika wächst heran. Irgendwann braucht sie das grüne Licht nicht mehr. Die Vorstellung von Hexen und Monstern ist nun ulkig.

Jedoch… erscheinen ganz andere Geister in Annikas Leben.

Die Sorge, nicht den Richtigen zu finden. Die Sorge, dass das Geld für die Mieterhöhung nicht reicht. Die Befürchtung, dass sie nie mehr in ihre Lieblingsjeans passen wird…

Kommen dir diese Gespenster bekannt vor?

Auch dreißig Jahre später kann sie abermals wegen Geistern nicht einschlafen. Sie wendet sich wieder an ihre Mutter.

“Weißt du Mama, ich wälze mich manchmal stundenlang im Bett herum. Die Sorgen wollen einfach nicht verschwinden.”

„Meine Kleine, kannst du dich noch an den grünen Mond erinnern, der alle deine Geister verscheuchte?“

„Ja. Was meinst du damit? Ein Plastiklicht wird ja wohl kaum die Lösung für meine Sorgen sein. Diese sind nämlich real!“

Da muss die Mutter erstmal herzlich lachen.

„Sorgen sind wie Gespenster. Wenn du nicht an sie glaubst, können sie dir nicht schaden. Denn Sorgen oder Ängste haben nur eine Macht: Sie halten dich davon ab, dich auf jenes zu konzentrieren, was du möchtest.

Deine Aufmerksamkeit ist wie der Scheinwerfer eines Leuchtturms. Wenn er auf auf dem ruht, was du möchtest, kann er nicht bei deinen Sorgen sein.“

Die Mutter kichert vergnügt und will aufstehen. Für sie ist alles gesagt.

Sorgen kann man nicht bekämpfen

“Aber Mama, wenn ich nicht meine Sorgen löse, dann bleiben sie doch! Ich muss doch über sie nachdenken.”

“Haben wir uns früher mit deinen Geistern beschäftigt? Wurde dein Kleiderschrank abgebaut, die Füße deines Kinderbetts gestutzt oder die Ghostbuster gerufen?

Nein, wir haben deine Geister nicht bekämpft, weil es sie nicht gibt. Nur deine Aufmerksamkeit hat ihnen Leben eingehaucht. Genauso existieren deine Sorgen nur in deinem Kopf. Wenn du sie versuchst zu lösen oder zu bekämpfen, bleiben sie am Leben.”

Annika denkt über die Worte ihrer Mutter nach. Wenn dies ihr ein Fremder gesagt hätte, dann hätte sie ihn als Realitätsflüchtling abgestempelt. Jedoch hat sie ihre Mutter zu oft beobachtet, wie sie bei jeglichen Herausforderungen ihr Lächeln behalten hat. Sie hatte dabei nie das Gefühl, dass sie etwas überdecken würde.

Erst jetzt, nachdem sie selber die Irrwege und Auf- und Abs des Lebens kennt, schätzt sie dies an ihrer Mutter noch mehr.

“O.K.” sagt Annika. “Ich gebe dem ein Versuch. Aber an den Schutz des grünen Mondes glaube ich nicht mehr. Tut mir Leid.”

Daraufhin antwortet die Mutter. “Du hast etwas viel, viel besseres. Es sind deine Wünsche und Träume. Lenke dein Scheinwerferlicht auf die Orte, die du sehen, die Menschen mit denen du lachen und die Erfolge die du feiern möchtest.

Ich verspreche dir, dass auch diese Bilder Tag für Tag lebendiger werden.”

Wir alle stehen täglich unzählige Male vor der Wahl: Entweder lenken wir unsere Aufmerksamkeit auf unsere Sorgen oder auf unsere Träume.

Unser Leben wird sich an dieser Entscheidung orientieren.

(Geschichte von Fabian Ries – http://www.fabianries.de/gute-nacht-geschichte/)

Die kleine Feldmaus leuchtet in der Nacht

Es war ein herrlicher, lauer Sommertag. Die kleine Feldmaus und ihre Freunde spielten den ganzen Tag auf dem Feld beim Weiher. Sie spielten Fangen, Verstecken und rannten um die Wette.

Nach dem Abendbrot trafen sich die Freunde bei Familie Igel. Sie hatten vor, Laternen zu basteln. Aus diversen Vorlagen suchte sich jeder eine aus und dann fing das große Ausschneiden an. Schneidegeräusche erfüllten die Terrasse. Aber einige Minuten später wurde es wieder ruhiger. Jetzt waren Falten und Kleben angesagt. Jeder hatte sich eine andere Laternenform ausgesucht.

Die Laterne vom Igel war quadratisch und sah wie ein länglicher Würfel aus. Der Frosch hatte sich eine sechseckige ausgesucht. Das Schweinchen findet rund gut. Deswegen wurde seine Laterne wie eine Nackenrolle länglich und rund. Die kleine Feldmaus hatte sich eine aus Dreiecken ausgesucht. Sie sah wie ein Diamant aus. Das lag aber auch an den bunten Fenstern, die die Freunde aus farbenfrohem Pergamentpapier bastelten. Zum Schluß setzte jeder ein Teelicht in die Mitte seiner Laterne.

Mit einer Schnur wurde jede Laterne an einem Stöckchen angebracht, so daß man die Laternen vor sich her tragen konnte. Als sie mit Basteln fertig waren, stellten sich alle nebeneinander hin. Mit ihren Laternen in Händen wurden sie von Frau Igel fotografiert. „Unsere Laternen sehen gut aus.“ sagte die Feldmaus. „Ja, finde ich auch. Besser als letztes Jahr.“ erwiderte das Schweinchen. Aber die kleine Feldmaus sah irgendwie unzufrieden aus.

„Was ist los? Du bist nicht zufrieden?“ fragte der kleine Frosch. „Geht so. Laternen haben wir jedes Jahr.“ „Ja klaro. Für den Laternenumzug brauchen wir nun mal Laternen.“ „Aber das ist irgendwie immer gleich.“ „Feldmaus! Wie soll es denn anders sein?“ fragte das Schweinchen. Aber die Feldmaus wußte es noch nicht so richtig. Der Lampionumzug war ja erst in zwei Tagen. Also noch genug Zeit zum Grübeln.

Zwei Tage später trafen sich die Freunde wieder bei Familie Igel, um die Vorbereitungen für den Umzug zu organisieren. Auch die Feldmaus sah nun wieder zufriedener aus. Was führte sie nur im Schilde? Sie machten die Teelichter an und stellten sie in ihre Laternen. Nur die Feldmaus hatte ihr Teelicht herausgenommen. Sie hatte ein elektrisches Licht mitgebracht, das an einer Stange mit Batterie und Schalter hing.

Dann wollten sie einen Testlauf starten. Die Freunde gingen nach draußen und stellten sich im Kreis auf. Die drei Teelicht-Laternen leuchteten schön bunt. Nur die Feldmaus hatte ihre Glühbirne noch nicht eingeschaltet. „Was ist? Mach dein Licht auch an.“ forderte das Schweinchen. Doch als die Feldmaus ihr Licht anschaltete, leuchtete nicht ihre Laterne, sondern die Feldmaus.

„Ohhh!“ staunten die Freunde. Wie machte die Feldmaus das bloß? „Wieso leuchtest du“ fragte der Frosch. „Genau! Und wieso leuchtet deine Laterne nicht?“ hakte der Igel nach. „Die Glühbirne ist keine normale Glühbirne. Sondern es handelt sich um eine Schwarzlicht-Glühbirne. Deswegen leuchtet meine Laterne nicht. Und auf meine Wangen und Arme habe ich schon zuhause mit Leuchtcreme Muster gemalt. Und die Creme leuchtet bei Schwarzlicht.“ Die Freunde waren beeindruckt. Das wollten sie auch haben.

Die Feldmaus hatte die Leuchtcreme mitgebracht. Vier verschiedene Sorten, die in gelb, rot, blau und grün leuchteten. Die Freunde cremten sich im Gesicht und auf den Armen mit den Cremes ein. Sie malten Herzchen, Streifen, Tiere und sogar Buchstaben auf ihre Arme und ins Gesicht. Als sie fertig waren mit Eincremen, gingen sie erneut nach draußen und stellten sich in einem Kreis auf.

Als die Feldmaus ihr Lämpchen anknipste, leuchteten die Freunde ganz kunterbunt im Gesicht und an den Armen. Toll sah das aus. Die Laternen leuchteten aber auch. Denn alle vier hatten auch ihre Teelichter in den Laternen angezündet. Die Feldmaus grinste zufrieden. DAS war anders als jedes Jahr.

Stolz trugen die Freunde an diesem Abend ihre Laternen von Haus zu Haus. Sie sangen laut und bekamen Süßigkeiten. Sie hatten sogar den Eindruck, daß es mehr Süßigkeiten waren als sonst. Vielleicht lag das an ihrer bunten Beleuchtung.

Geschichte von Torsten Kühnert

Die kleine Feldmaus prüft alles ganz genau

Es war ein herrlicher, lauer Sommertag. Die kleine Feldmaus und ihre Freunde spielten den ganzen Tag auf dem Feld beim Weiher. Sie spielten Fangen, Verstecken und rannten um die Wette.

Plötzlich lachten die Freunde. Die Feldmaus hatte gesagt: „Hallo. Ich bin Prüf-Kommissario Stefano Al Dente. Ich prüfe alles. Was soll ich prüfen?“ Aus Spaß hatte der Igel auf den Brombeerbusch gezeigt und gefragt: „Kann man die schon essen?“ Die kleine Feldmaus ging zu dem Busch und faßte die Zweige an. Dann die wenigen Brombeeren. „Hm-hm. Hm-hm.“ murmelte sie und prüfte weiter. Sie maß die Höhe des Busches: „Höher als ich groß bin.“ Und sie zählte die Beeren an einem Zweig: „Elf. Mehr als ich alt bin.“ Und sie nahm eine in den Mund: „Hmmm lecker! Aber nicht so süß wie ich bin.“ „Und? Was sagst Du als Prüf-Experte?“ drängelte das Schweinchen.

„Dieser Brombeerbusch ist super. Wer naschen möchte: na los.“ Und die Freunde steckten sich ein paar Brombeeren in die Mäulchen. Dann fragte das Schweinchen: „Prüf mal meinen Fußball. Sollte ich mir einen neuen wünschen?“ Die kleine Feldmaus nahm den Fußball in die Pfoten. Sie drückte ihn und drehte ihn. Dann balancierte sie ihn auf dem Kopf. „Ooooh!“ staunten die Freunde, aber die Feldmaus ließ sich nicht beirren.

Sie schoß den Ball gegen die Wand und warf ihn senkrecht hoch, um ihn wieder aufzufangen. Dann kam sie zu einem Ergebnis: „Dieser Fußball ist voll in Ordnung.“ „Och manno.“ ärgerte sich das Schweinchen. „Aaaaber“ fuhr die Feldmaus fort, „Der Abrieb auf der Oberfläche ist immens. An dieser Stelle besonders gut zu spüren.“ Sie zeigte die Stelle den Freunden, aber keiner konnte etwas sehen oder fühlen. „Ich empfehle: ein neuer Fußball ist dringend notwendig!“ „Yeah!“ freute sich das Schweinchen und schoß den Fußball den Feldweg entlang.

„Jetzt ich. Jetzt ich.“ rief der Frosch. Die Feldmaus kniff die Augen zusammen und schaute den Frosch an. Dann nahm sie ein Ärmchen des Frosches in die Pfoten und drückte es und zog daran. „Aua! Du weißt schon, daß ich da dran hänge, ja?“ Die Feldmaus zischte: „Bitte absolute Ruhe! Ich konzentriere mich.“ Und sie schaute den Frosch von oben bis unten an. Sie entdeckte ein Muttermal am linken Oberschenkel. „Was hast du denn da?“ „Na, ein Muttermal. Das sieht man doch, oder?“ Die Feldmaus schüttelte den Kopf und murmelte: „Naja, naja. Sowas. Oh je.“

Der Frosch schaute leicht unsicher. Stimmte etwas nicht mit ihm? Dann war die Feldmaus fertig mit Prüfen und zog einen Zettel und einen Stift hervor. Sie schrieb etwas darauf und faltete den Zettel zusammen und gab ihn dem Frosch. Dieser guckte jetzt ganz zerknirscht drein. Irgendetwas war mit ihm wohl nicht in Ordnung. Und wegen der Schweigepflicht hatte die Feldmaus es aufgeschrieben, so daß die anderen nichts erfuhren. O Gott, o Gott.

Er nahm den Zettel und las den Text: „Lieber Frosch, du hast das Alles-in-Ordnung-Syndrom. Bitte NICHT behandeln!“

Der Frosch knuffte die Feldmaus in die Schulter und sagte: „Alles-in-Ordnung-Syndrom? Du spinnst ja!“ Und sie mußten lachen.

Geschichte von Torsten Kühnert

Die kleine Feldmaus zähmt wilde Tiere

Es war ein herrlicher, lauer Sommertag. Die kleine Feldmaus und ihre Freunde spielten den ganzen Tag auf dem Feld beim Weiher. Sie spielten Fangen, Verstecken und rannten um die Wette.

„Ich habe eine Idee!“ Wenn die Feldmaus so anfing, dann waren die Freunde immer ganz gespannt. „Wir spielen Zirkus!“ „Zirkus?“ wunderte sich das kleine rosa Schweinchen. „Ja! Zirkus. Ich bin der Dompteur und ihr seid die wilden Tiere.“ „Was soll ich kleiner Frosch denn sein.“ „Du bist eine Robbe.“ „Was?“ Der Frosch konnte es nicht glauben. Eine Robbe! So ein Quark. „Und ich?“ fragte der Igel. „Du bist…“ Die Feldmaus überlegte kurz. „Du bist ein Pferd.“ „Ich bin doch kein Pferd.“ wand der Igel ein. „Ein Pferd hat doch keine Stacheln.“ „Wir spielen doch nur. Und du, Schweinchen, bist ein Löwe.“ „Yeah! Ich bin der Löwe. Huarrrrg!“ brüllte das Schweinchen gleich.

Kurz darauf saßen die drei „Tiere“ um die Feldmaus herum und „bedrohten“ sie. Die Feldmaus schwang ein längliches Blatt wie eine Peitsche. „Wilde Tiere! Gehorcht! Tut, was ich sage!“ Und das Blatt sauste über ihre Köpfe hinweg. „Roaaarrrr!“ brüllte das Schweinchen. „Hui hihihihi hi. Brrrr.“ machte das Pferd und warf den Kopf hin und her. „Urk Urk Urk.“ freute sich die Robbe, bis sie den Löwen auf sich zukommen sah.

Der Frosch hopste weg. „Laß mich in Ruhe, Schweinchen. Du bist kein Löwe.“ Aber das Schweinchen rannte hinter der Robbe her. „Grrrrr. Ich habe Hunger!“ „Stop Löwe!“ rief der Dompteur. „Gehorche mir! Setz dich hin und laß die Robbe in Frieden.“ Der Löwe setzte sich hin, grummelte aber weiter vor sich hin.

Unterdessen wollte das Pferd abhauen. Der Igel galoppierte zum Feldrand. Naja, eigentlich stapste der Igel ganz gemächlich, wie ein Igel eben stapst. Aber im Spiel geloppierte das Pferd schnell wie der Wind über das Feld. „Pferd! Bleib stehen. Brrrrrr!“ machte die Feldmaus. Ähm… der Dompteur. Und das Pferd wurde immerhin langsamer.

Die Robbe saß nun wieder direkt neben dem Dompteur und machte ständig ihr Maul auf. „Urk Urk!“ sagte sie. Und die Feldmaus fragte: „Was ist kleine Robbe? Hast du Hunger?“ „URK URK!“ rief die Robbe glücklich und wartete auf einen Fisch. Die Feldmaus hielt ihr einen Maiskolben hin, der am Feldrand gelegen hatte. „Öäh!“ machte die Robbe und schüttelte den Kopf. „Los iß!“ rief der Dompteur. „Damit du durch diesen brennenden Reifen springen kannst, wenn ich es sage!“

„Was soll ich tun?“ regte sich der Frosch auf. „Ich springe doch nicht durch einen brennenden Reifen!“ „Nur aus Spiel. Manno! Hier ist Phantasie gefragt.“ „Phantasie. Quark alles. Ich will keine Robbe sein.“ „Okay, dann bist du eben ein… genau! Ein Zebra.“ „Schon besser.“ freute sich der Frosch. Und schaute sich zufrieden seine gedachten Streifen an. Dann fing er an, zu hopsen, ääh… zu galoppieren, so wie der Igel. Der Igel gesellte sich dazu und flüsterte dem Zebra etwas in das Zebraohr.

Dann galoppierten die beiden Seite an Seite auf den Feldrand zu in Richtung Koppel. „Halt! Bleibt stehen.“ rief der Dompteur. Aber Pferd und Zebra verstanden sich scheinbar prächtig und dachten gar nicht daran, zu gehorchen. Sie trabten weiter Richtung Koppel. „He ihr zwei! Was habe ich euch gesagt? Stehenbleiben und zurückgaloppieren. Sofort!“.“Pah! Wir denken gar nicht daran. Fang uns doch wieder ein. Dein Löwe kann ja helfen.“

Genau! So wollte der Dompteur es machen. „Löwe! Sei grimmig und fang mit mir die beiden Galoppeltierchen wieder ein!“ GRROARRR war die Antwort und der Löwe sprintete zur Koppel, an der die beiden Reiterlieblinge bereits angekommen waren. „Grrrrr! Huaaarr!“ machte der Löwe und fiel das Zebra von hinten an. „Aua!“ rief der Frosch und boxte dem Löwen in die Pobacke. „Du kannst mich doch nicht beißen! Du Kuscheltier.“ „Aber ich bin ein Löwe. Und Löwen fressen Zebras,“ „Aber doch nicht aus Spiel! Du Drei-Käse-Hoch.“ Dann suchte sich der Löwe das Pferd aus. „Ne ne ne ne ne!“ rief der Igel gleich, als er den Löwen auf sich zukommen sah. „Wenn du mich auch nur mit dem Schnurrbart piekst, mache ich einen Knoten in dein Löwen-Ringelschwänzchen.“

Das Schweinchen blieb beleidigt stehen und fing an zu schmollen. Eine kleine Träne lief auf seiner linken Wange herunter. „Oh man Schweinchen! Ich hab’s nicht so gemeint.“ Das Schweinchen fing ein wenig an, zu lächeln. „Okay, du darfst mich beißen. Aber nicht doll!“ Und der Löwe nahm den Pulli vom Igel in das Schnäuzchen und grinste bis über beide Ohren. Der Igel verdrehte die Augen. „Jetzt ist aber gut. Gib den Pulli wieder her!“ Und der Igel rupfte seinen Pullover wieder an sich.

„Ihr seid die verrückteste Wildtiergruppe, die je gezähmt wurde!“ sagte die kleine Feldmaus voller Stolz. „Und jetzt bist du ein Krokodil und ich bin der Dompteur.“ sagte der Frosch zur kleinen Feldmaus. Er nahm die „Peitsche“ und schwang sie über seinen Kopf. „Wilde Tiere! Hört auf mein Kommando: Männchen machen!“ Die wilden Tiere versuchten Männchen zu machen. Und dann krümmten sie sich vor Lachen. Das war die lustigste Zirkusnummer, die auf der Koppel je stattgefunden hatte.

Geschichte von Torsten Kühnert

Die kleine Feldmaus lernt Zaubern

Es war ein herrlicher, lauer Sommertag. Die kleine Feldmaus und ihre Freunde spielten den ganzen Tag auf dem Feld beim Weiher. Sie spielten Fangen, Verstecken und rannten um die Wette.

Plötzlich sagte die kleine Feldmaus zu ihren Freunden: „Wißt ihr was, jetzt zaubere ich euch etwas vor!“ Die Freunde schauten sich ganz erstaunt an. „Du kannst zaubern?“ Sie setzten sich auf einen liegenden Baumstamm und schauten der kleinen Feldmaus bei ihren Vorbereitungen zu. Diese rollte sich einen kleinen Baumstumpf zurecht und breitete ein Tuch darüber aus. Auf das Tuch stellte sie umgekehrt einen Zylinder und deckte dessen Öffnung mit einem weiteren Tuch zu.

Dann sprach sie ihre Pfötchen in die Höhe haltend: „Abera ca Dabera.“ Und es passierte… nichts. Die Freunde schauten ein klein wenig enttäuscht. Die kleine Feldmaus zog mit einem „Wusch“ das Tuch vom Zylinder und griff mit der linken Hand hinein. Gleichzeitig griff sie mit der rechten Hand nach unten, hinter den Baumstumpf. Dann streckte sie ruckartig beide Hände in die Höhe und hielt ein kleines Kuscheltier in ihrer Rechten. Die Freunde applaudierten zwar, aber etwas zögerlich.

„Ähm…“ sagte der kleine Igel, „Hast du das Kuscheltier aus dem Zylinder geholt? Oder hinter dem Baumstumpf ‚hervorgezaubert‘?“ „Na sage mal!“ echauffierte sich die kleine Feldmaus. „Aus dem Zylinder natürlich!“ behauptete sie. „Das sah aber anders aus.“ bestätigte auch der kleine Frosch. „Ja, genau!“ wand der kleine Igel nocheinmal ein. „Irgendwie scheint deine ‚Zauberei‘ nicht ganz fachmännisch zu sein.“ Die kleine Feldmaus senkte den Kopf. „Ja, ihr habt recht. Eigentlich kann ich gar nicht zaubern.“ „Soll ich es dir beibringen?“ fragte da das kleine rosa Schweinchen.

„Du willst mir Zaubern beibringen?“ wunderte sich die kleine Feldmaus. „Kannst du das denn überhaupt?“ „Klaro!“ kam als Antwort und ein erstauntes Raunen machte unter den Freunden die Runde. „Zeig’s uns!“ forderte der kleine Igel, der das nicht glauben konnte. Und das kleine Schweinchen tauschte mit der kleinen Feldmaus die Position. „Meine Damen und Herren,“ fing es an, „sehen sie jetzt die berühmte und berüchtigte Zaubershow des kleinen rosa Schweinchens!!“ Verhaltenes Klatschen setzte ein. Die Freunde waren sich noch nicht sicher, was sie jetzt erwartete.

„Zuerst“ sprach der Zauberkünstler weiter, „werde ich dieses Kuscheltier“ das Kuscheltier wurde in der Hand geschüttelt, „im Zylinder verschwinden lassen!“ Bis jetzt sah die Show gar nicht so schlecht aus und die kleine Feldmaus trommelte mit ihren Pfötchen eine Art Trommelwirbel auf den Baumstamm. Das kleine rosa Schweinchen steckte das Kuscheltier in den Zylinder und deckte diesen mit dem Tuch zu. „Hokus und Pokus, das Kuscheltier nun verschwinde, aber nicht nur auf den Lokus, sondern in aller Winde!“ Es wedelte mystisch mit seinen Armen über dem Zylinder und zog das Tuch ruckartig beiseite. „Ta-Taaaa!“ rief es und stellte sich in Siegerpose hin.

„Hä?“ stieß der kleine Igel aus. „Das Kuscheltier ist noch im Zylinder.“ „Quatsch, ist es nicht!“ erwiderte das Schweinchen und hob den Zylinder hoch und drehte ihn gaaaanz laaaangsam um. Als das Kuscheltier eigentlich hätte rausfallen müssen, tat es das aber nicht. Die Freunde bekamen ganz große Augen. „Wo ist es?“ wunderte sich der kleine Frosch und hopste nach vorn und untersuchte den Zylinder. Im Zylinder war kein Kuscheltier. Und es lag auch keins hinter dem Baumstumpf und das Schweinchen hatte offensichtlich auch kein Kuscheltier bei sich. „He!“ rief der kleine Igel, „Du kannst tatsächlich zaubern!“ „Sag ich doch!“ beharrte das kleine rosa Schweinchen.

„Dann kannst du es mir wirklich beibringen?“ fragte die kleine Feldmaus. „Klaro!“ Aber zuvor ging die Zaubershow weiter. „Meine Damen und Herren! Seht zu, wie ich das Kuscheltier wieder hervor zaubere!“ Die kleine Feldmaus machte wieder ihren Trommelwirbel auf dem Baumstamm. Der kleine Frosch schaute mit ganz großen Augen zum Schweinchen. Da ist doch ein Haken, dacht er, das Schweinchen KANN NICHT zaubern. „Aboro co Diboro! Singa Pur und Qudra Tur! Kuscheltier jetzt komm hervor, am besten hier und nicht im Moor.“ Und wieder wedelte das kleine Schweinchen über dem Zylinder mit dem Tuch darauf. „TA-TAAAA!“ rief es, riß wieder seine Arme in die Luft und machte die Siegerpose.

Das Klatschen war jetzt etwas lauter, verstummte aber ganz schnell wieder. „Ich sehe es noch nicht.“ meckerte wieder der kleine Frosch. „Soll das jetzt im Zylinder sein, oder was?“ „Meine Damen und Herren, ich werde jetzt diesen Zylinder langsam umdrehen.“ Und das Schweinchen drehte wie vorhin den Zylinder gaaaanz laaaangsam um. Und wieder fiel kein Kuscheltier heraus. „Das Kuscheltier ist NICHT im Zylinder. Wo kann es sein? Ich habe es doch wieder hergezaubert.“ „Los, du Knalltüte, sag schon!“ rief der Frosch, der das alles immer noch für einen großen Betrug hielt. „Mein lieber Frosch, bitte dreh dich einmal um.“ sagte das kleine rosa Schweinchen.

Der Frosch drehte sich um und sah hinter dem Baumstamm, auf dem sie saßen, das Kuscheltier auf seinen Füßchen sitzen. Es schien den kleinen Frosch anzugrinsen. Er nahm erstaunt das Kuscheltier und hielt es hoch, damit alle es sehen konnten. Und wieder rief das Schweinchen: „TA-TAAAAAAA!“ Jetzt klatschten die Freunde aber ganz wild und doll und laut. „Bravo!“ „Super!“ „Toll!“ riefen die drei Zuschauer und der kleine Frosch klopfte dem Schweinchen auf die Schulter. „Du kannst WIRKLICH zaubern!“ Und der kleine Igel freute sich: „Ich kenn einen Zauberer! Ich kenn einen Zauberer!“

In den nächsten Tagen lernte die kleine Feldmaus vom kleinen rosa Schweinchen Zaubern. Es war nicht leicht. Man mußte sehr fingerfertig sein, um die schwierigen Übungen hinzubekommen. Einige Zaubertricks gingen ziemlich einfach. Aber andere waren echt schwer zu erlernen. Nach ein paar Tagen führte sie ihren Freunden ein paar Tricks vor. Die Freunde waren richtig begeistert, wie gut sie Zaubern gelernt hatte. Sie klatschten, jubelten und riefen nach Zugabe. Bei der Zugabe mußte das kleine rosa Schweinchen ein wenig aushelfen. Aber das war die beste Zaubershow, die die Freunde je gesehen und selbst veranstaltet hatten.

Geschichte von Torsten Kühnert

Der Scheik von Alessandria und seine Sklaven

Der Scheik von Alessandria, Ali Banu, war ein sonderbarer Mann; wenn er morgens durch die Straßen der Stadt ging, angetan mit einem Turban, aus den köstlichsten Kaschmirs gewunden, mit dem Festkleide und dem reichen Gürtel, der fünfzig Kamele wert war, wenn er einherging langsamen, gravitätischen Schrittes, seine Stirne in finstere Falten gelegt, seine Augenbrauen zusammengezogen, die Augen niedergeschlagen und alle fünf Schritte gedankenvoll seinen langen, schwarzen Bart streichend; wenn er so hinging nach der Moschee, um, wie es seine Würde forderte, den Gläubigen Vorlesungen über den Koran zu halten: da blieben die Leute auf der Straße stehen, schauten ihm nach und sprachen zueinander: »Es ist doch ein schöner, stattlicher Mann, und reich, ein reicher Herr«, setzte wohl ein anderer hinzu, »sehr reich; hat er nicht ein Schloß am Hafen von Stambul? Hat er nicht Güter und Felder und viele tausend Stück Vieh und viele Sklaven?«

»Ja«, sprach ein dritter, »und der Tatar, der letzthin von Stambul her, vom Großherrn selbst, den der Prophet segnen möge, an ihn geschickt kam, der sagte mir, daß unser Scheik sehr in Ansehen stehe beim Reis-Effendi, beim Kapidschi-Baschi, bei allen, ja beim Sultan selbst.«

»Ja«, rief ein vierter, »seine Schritte sind gesegnet; er ist ein reicher, vornehmer Herr, aber – aber, ihr wißt, was ich meine!« »Ja, ja!« murmelten dann die anderen dazwischen, »es ist wahr, er hat auch ein Teil zu tragen, möchten nicht mit ihm tauschen; ist ein reicher, vornehmer Herr; aber, aber!«

Ali Banu hatte ein herrliches Haus auf dem schönsten Platz von Alessandria; vor dem Hause war eine weite Terrasse, mit Marmor ummauert, beschattet von Palmbäumen; dort saß er oft abends und rauchte seine Wasserpfeife. In ehrerbietiger Entfernung harrten dann zwölf reichgekleidete Sklaven seines Winkes; der eine trug seinen Betel, der andere hielt seinen Sonnenschirm, ein dritter hatte Gefäße von gediegenem Golde, mit köstlichem Sorbet angefüllt, ein vierter trug einen Wedel von Pfauenfedern, um die Fliegen aus der Nähe des Herrn zu verscheuchen; andere waren Sänger und trugen Lauten und Blasinstrumente, um ihn zu ergötzen mit Musik, wenn er es verlangte, und der gelehrteste von allen trug mehrere Rollen, um ihm vorzulesen.

Aber sie harreten vergeblich auf seinen Wink; er verlangte nicht Musik noch Gesang, er wollte keine Sprüche oder Gedichte weiser Dichter der Vorzeit hören, er wollte keinen Sorbet zu sich nehmen, noch Betel kauen, ja, selbst der mit dem Fächer aus Pfauenfeder hatte vergebliche Arbeit; denn der Herr bemerkte es nicht, wenn ihn eine Fliege summend umschwärmte. Da blieben oft die Vorübergehenden stehen, staunten über die Pracht des Hauses, über die reichgekleideten Sklaven und über die Bequemlichkeit, womit alles versehen war; aber wenn sie dann den Scheik ansahen, wie er so ernst und düster unter den Palmen saß, seine Augen nirgends hinwandte als auf die bläulichen Wölkchen seiner Wasserpfeife, da schüttelten sie die Köpfe und sprachen: »Wahrlich, der reiche Mann ist ein armer Mann. Er, der viel hat, ist ärmer als der, der nichts hat; denn der Prophet hat ihm den Verstand nicht gegeben, es zu genießen.«

So sprachen die Leute, lachten über ihn und gingen weiter.

Eines Abends, als der Scheik wiederum vor der Türe seines Hauses saß, umgeben von allem Glanz der Erde, und traurig und einsam seine Wasserpfeife rauchte, standen nicht ferne davon einige junge Leute, betrachteten ihn und lachten.

»Wahrlich«, sprach der eine, »das ist ein törichter Mann, der Scheik Ali Banu; hätte ich seine Schätze, ich wollte sie anders anwenden. Alle Tage wollte ich leben herrlich und in Freuden; meine Freunde müßten bei mir speisen in den großen Gemächern des Hauses, und Jubel und Lachen müßten diese traurigen Hallen füllen.«

»Ja«, erwiderte ein anderer. »Das wäre nicht so übel; aber viele Freunde zehren ein Gut auf, und wäre es so groß als das des Sultans, den der Prophet segne; aber säße ich abends so unter den Palmen auf dem schönen Platze hier, da müßten mir die Sklaven dort singen und musizieren, meine Tänzer müßten kommen und tanzen und springen und allerlei wunderliche Stücke aufführen. Dazu rauchte ich recht vornehm die Wasserpfeife, ließe mir den köstlichen Sorbet reichen und ergötzte mich an all diesem wie ein König von Bagdad.«

»Der Scheik«, sprach ein dritter dieser jungen Leute, der ein Schreiber war, »der Scheik soll ein gelehrter und weiser Mann sein, und wirklich, seine Vorlesungen über den Koran zeugen von Belesenheit in allen Dichtern und Schriften der Weisheit; aber ist auch sein Leben so eingerichtet, wie es einem vernünftigen Manne geziemt? Dort steht ein Sklave mit einem ganzen Arm voll Rollen; ich gäbe mein Festkleid dafür, nur eine davon lesen zu dürfen; denn es sind gewiß seltene Sachen. Aber er? Er sitzt und raucht und läßt Bücher – Bücher sein. Wäre ich der Scheik Ali Banu, der Kerl müßte mir vorlesen, bis er keinen Atem mehr hätte oder bis die Nacht heraufkäme; und auch dann noch müßte er mir lesen, bis ich entschlummert wäre.« »Ha! Ihr wißt mir recht, wie man sich ein köstliches Leben einrichtet«, lachte der vierte; »essen und trinken, singen und tanzen, Sprüche lesen und Gedichte hören von armseligen Dichtern! Nein, ich würde es ganz anders machen. Er hat die herrlichsten Pferde und Kamele und Geld die Menge. Da würde ich an seiner Stelle reisen, reisen bis an der Welt Ende und selbst zu den Moskowitern, selbst zu den Franken. Kein Weg wäre mir zu weit, um die Herrlichkeiten der Welt zu sehen. So würde ich tun, wäre ich jener Mann dort.«

»Die Jugend ist eine schöne Zeit und das Alter, wo man fröhlich ist«, sprach ein alter Mann von unscheinbarem Aussehen, der neben ihnen stand und ihre Reden gehört hatte, »aber erlaubet mir, daß ich es sage, die Jugend ist auch töricht und schwatzt hier und da in den Tag hinein, ohne zu wissen, was sie tut.«

»Was wollt Ihr damit sagen, Alter?« fragten verwundert die jungen Leute. »Meinet Ihr uns damit? Was geht es Euch an, daß wir die Lebensart des Scheiks tadeln?«

»Wenn einer etwas besser weiß als der andere, so berichtige er seinen Irrtum, so will es der Prophet«, erwiderte der alte Mann, »der Scheik, es ist wahr, ist gesegnet mit Schätzen und hat alles, wonach das Herz verlangt, aber er hat Ursache, ernst und traurig zu sein. Meinet ihr, er sei immer so gewesen? Nein, ich habe ihn noch vor fünfzehn Jahren gesehen, da war er munter und rüstig wie die Gazelle und lebte fröhlich und genoß sein Leben. Damals hatte er einen Sohn, die Freude seiner Tage, schön und gebildet, und wer ihn sah und sprechen hörte, mußte den Scheik beneiden um diesen Schatz, denn er war erst zehn Jahre alt, und doch war er schon so gelehrt wie ein anderer kaum im achtzehnten.«

»Und der ist ihm gestorben? Der arme Scheik!« rief der junge Schreiber.

»Es wäre tröstlich für ihn, zu wissen, daß er heimgegangen in die Wohnungen des Propheten, wo er besser lebte als hier in Alessandria; aber das, was er erfahren mußte, ist viel schlimmer. Es war damals die Zeit, wo die Franken wie hungrige Wölfe herüberkamen in unser Land und Krieg mit uns führten. Sie hatten Alessandria überwältigt und zogen von da aus weiter und immer weiter und bekriegten die Mamelucken. Der Scheik war ein kluger Mann und wußte sich gut mit ihnen zu vertragen; aber, sei es, weil sie lüstern waren nach seinen Schätzen, sei es, weil er sich seiner gläubigen Brüder annahm, ich weiß es nicht genau; kurz, sie kamen eines Tages in sein Haus und beschuldigten ihn, die Mamelucken heimlich mit Waffen, Pferden und Lebensmitteln unterstützt zu haben. Er mochte seine Unschuld beweisen, wie er wollte, es half nichts, denn die Franken sind ein rohes, hartherziges Volk, wenn es darauf ankommt, Geld zu erpressen. Sie nahmen also seinen jungen Sohn, Kairam geheißen, als Geisel in ihr Lager. Er bot ihnen viel Geld für ihn; aber sie gaben ihn nicht los und wollten ihn zu noch höherem Gebot steigern. Da kam ihnen auf einmal von ihrem Bassa, oder was er war, der Befehl, sich einzuschiffen; niemand in Alessandria wußte ein Wort davon, und – plötzlich waren sie auf der hohen See, und den kleinen Kairam, Ali Banus Sohn, schleppten sie wohl mit sich, denn man hat nie wieder etwas von ihm gehört.«

»O der arme Mann, wie hat ihn doch Allah geschlagen!« riefen einmütig die jungen Leute und schauten mitleidig hin nach dem Scheik, der, umgeben von Herrlichkeit, trauernd und einsam unter den Palmen saß.

»Sein Weib, das er sehr geliebt hat, starb ihm aus Kummer um ihren Sohn; er selbst aber kaufte sich ein Schiff, rüstete es aus und bewog den fränkischen Arzt, der dort unten am Brunnen wohnt, mit ihm nach Frankistan zu reisen, um den verlorenen Sohn aufzusuchen. Sie schifften sich ein und waren lange Zeit auf dem Meere und kamen endlich in das Land jener Giaurs, jener Ungläubigen, die in Alessandria gewesen waren. Aber dort soll es gerade schrecklich zugegangen sein. Sie hatten ihren Sultan umgebracht, und die Paschas und die Reichen und Armen schlugen einander die Köpfe ab, und es war keine Ordnung im Lande. Vergeblich suchten sie in jeder Stadt nach dem kleinen Kairam, niemand wollte von ihm wissen, und der fränkische Doktor riet endlich dem Scheik, sich einzuschiffen, weil sie sonst wohl selbst um ihre Köpfe kommen könnten.

So kamen sie wieder zurück, und seit seiner Ankunft hat der Scheik gelebt wie an diesem Tag, denn er trauert um seinen Sohn, und er hat recht. Muß er nicht, wenn er ißt und trinkt, denken, jetzt muß vielleicht mein armer Kairam hungern und dürsten?

Und wenn er sich bekleidet mit reichen Schals und Festkleidern, wie es sein Amt und seine Würde will, muß er nicht denken, jetzt hat er wohl nichts, womit er seine Blöße deckt? Und wenn er umgeben ist von Sängern und Tänzern und Vorlesern, seinen Sklaven, denkt er da nicht, jetzt muß wohl mein armer Sohn seinem fränkischen Gebieter Sprünge vormachen und musizieren, wie er es haben will? Und was ihm den größten Kummer macht, er glaubt, der kleine Kairam werde, so weit vom Lande seiner Väter und mitten unter Ungläubigen, die seiner spotten, abtrünnig werden vom Glauben seiner Väter und er werde ihn einst nicht umarmen können in den Gärten des Paradieses!

Darum ist er auch so mild gegen seine Sklaven und gibt große Summen an die Armen; denn er denkt, Allah werde es vergelten und das Herz seiner fränkischen Herren rühren, daß sie seinen Sohn mild behandeln. Auch gibt er jedesmal, wenn der Tag kommt, an welchem ihm sein Sohn entrissen wurde, zwölf Sklaven frei.«

»Davon habe ich auch schon gehört«, entgegnete der Schreiber, »aber man trägt sich mit wundervollen Reden; von seinem Sohne wurde dabei nichts erwähnt; wohl aber sagte man, er sei ein sonderbarer Mann und ganz besonders erpicht auf Erzählungen; da soll er jedes Jahr unter seinen Sklaven einen Wettstreit anstellen, und wer am besten erzählt, den gibt er frei.« »Verlasset euch nicht auf das Gerede der Leute«, sagte der alte Mann, »es ist so, wie ich es sage, und ich weiß es genau; möglich ist, daß er sich an diesem schweren Tage aufheitern will und sich Geschichten erzählen läßt; doch gibt er sie frei um seines Sohnes willen. Doch, der Abend wird kühl, und ich muß weitergehen. Salem aleikum, Friede sei mit euch, ihr jungen Herren, und denket in Zukunft besser von dem guten Scheik!«

Die jungen Leute dankten dem Alten für seine Nachrichten, schauten noch einmal nach dem trauernden Vater und gingen die Straße hinab, indem sie zueinander sprachen: »Ich möchte doch nicht der Scheik Ali Banu sein.«

Nicht lange Zeit, nachdem diese jungen Leute mit dem alten Mann über den Scheik Ali Banu gesprochen hatten, traf es sich, daß sie um die Zeit des Morgengebets wieder diese Straße gingen. Da fiel ihnen der alte Mann und seine Erzählung ein, und sie beklagten zusammen den Scheik und blickten nach seinem Hause. Aber wie staunten sie, als sie dort alles aufs herrlichste ausgeschmückt fanden! Von dem Dache, wo geputzte Sklavinnen spazierengingen, wehten Wimpeln und Fahnen, die Halle des Hauses war mit köstlichen Teppichen belegt, Seidenstoff schloß sich an diese an, der über die breiten Stufen der Treppe gelegt war, und selbst auf der Straße war noch schönes, feines Tuch ausgebreitet, wovon sich mancher wünschen mochte zu einem Festkleid oder zu einer Decke für die Füße.

»Ei, wie hat sich doch der Scheik geändert in den wenigen Tagen!« sprach der junge Schreiber. »Will er ein Fest geben? Will er seine Sänger und Tänzer anstrengen? Seht mir diese Teppiche! Hat sie einer so schön in ganz Alessandria! Und dieses Tuch auf dem gemeinen Boden, wahrlich, es ist schade dafür!«

»Weißt du, was ich denke?« sprach ein anderer. »Er empfängt sicherlich einen hohen Gast; denn das sind Zubereitungen, wie man sie macht, wenn ein Herrscher von großen Ländern oder ein Effendi des Großherrn ein Haus mit seinem Besuch segnet. Wer mag wohl heute hierherkommen?«

»Siehe da, geht dort unten nicht unser Alter von letzthin? Ei, der weiß ja alles und muß auch darüber Aufschluß geben können. Heda! Alter Herr! Wollet Ihr nicht ein wenig zu uns treten?« So riefen sie; der alte Mann aber bemerkte ihre Winke und kam zu ihnen; denn er erkannte sie als die jungen Leute, mit welchen er vor einigen Tagen gesprochen. Sie machten ihn aufmerksam auf die Zurüstungen im Hause des Scheiks und fragten ihn, ob er nicht wisse, welch hoher Gast wohl erwartet werde.

»Ihr glaubt wohl«, erwiderte er, »Ali Banu feiere heute ein großes Freudenfest, oder der Besuch eines großen Mannes beehre sein Haus? Dem ist nicht also; aber heute ist der zwölfte Tag des Monats Ramadan, wie ihr wisset, und an diesem Tag wurde sein Sohn ins Lager geführt.«

»Aber beim Bart des Propheten!« rief einer der jungen Leute. »Das sieht ja alles aus wie Hochzeit und Festlichkeiten, und doch ist es sein berühmter Trauertag, wie reimt Ihr das zusammen? Gesteht, der Scheik ist denn doch etwas zerrüttet im Verstand.«

»Urteilt Ihr noch immer so schnell, mein junger Freund?« fragte der Alte lächelnd. »Auch diesmal war Euer Pfeil wohl spitzig und scharf, die Sehne Eures Bogens straff angezogen, und doch habt Ihr weitab vom Ziele geschossen. Wisset, daß heute der Scheik seinen Sohn erwartet.«

»So ist er gefunden?« riefen die Jünglinge und freuten sich. »Nein, und er wird sich wohl lange nicht finden; aber wisset: Vor acht oder zehn Jahren, als der Scheik auch einmal mit Trauern und Klagen diesen Tag beging, auch Sklaven freigab und viele Arme speiste und tränkte, da traf es sich, daß er auch einem Derwisch, der müde und matt im Schatten jenes Hauses lag, Speise und Trank reichen ließ. Der Derwisch aber war ein heiliger Mann und erfahren in Prophezeiungen und im Sterndeuten. Der trat, als er gestärkt war durch die milde Hand des Scheiks, zu ihm und sprach: ‚Ich kenne die Ursache deines Kummers; ist nicht heute der zwölfte Ramadan, und hast du nicht an diesem Tage deinen Sohn verloren? Aber sei getrost, dieser Tag der Trauer wird dir zum Festtag werden, denn wisse, an diesem Tage wird einst dein Sohn zurückkehren!‘ So sprach der Derwisch. Es wäre Sünde für jeden Muselmann, an der Rede eines solchen Mannes zu zweifeln; der Gram Alis wurde zwar dadurch nicht gemildert, aber doch harrt er an diesem Tage immer auf die Rückkehr seines Sohnes und schmückt sein Haus und seine Halle und die Treppen, als könne jener zu jeder Stunde anlangen.«

»Wunderbar!« erwiderte der Schreiber. »Aber zusehen möchte ich doch, wie alles so herrlich bereitet ist, wie er selbst in dieser Herrlichkeit trauert, und hauptsächlich möchte ich zuhören, wie er sich von seinen Sklaven erzählen läßt.«

»Nichts leichter als dies«, antwortete der Alte. »Der Aufseher der Sklaven jenes Hauses ist mein Freund seit langen Jahren und gönnt mir an diesem Tage immer ein Plätzchen in dem Saal, wo man unter der Menge der Diener und Freunde des Scheiks den einzelnen nicht bemerkt. Ich will mit ihm reden, daß er euch einläßt; ihr seid ja nur zu viert, und da kann es schon gehen; kommet um die neunte Stunde auf diesen Platz, und ich will euch Antwort geben.«

So sprach der Alte; die jungen Leute aber dankten ihm und entfernten sich, voll Begierde zu sehen, wie sich dies alles begeben würde.

Sie kamen zur bestimmten Stunde auf den Platz vor dem Hause des Scheik und trafen da den Alten, der ihnen sagte, daß der Aufseher der Sklaven erlaubt habe, sie einzuführen. Er ging voran, doch nicht durch die reichgeschmückten Treppen und Tore, sondern durch ein Seitenpförtchen, das er sorgfältig wieder verschloß. Dann führte er sie durch mehrere Gänge, bis sie in den großen Saal kamen. Hier war ein großes Gedränge von allen Seiten; da waren reichgekleidete Männer, angesehene Herren der Stadt und Freunde des Scheik, die gekommen waren, ihn in seinem Schmerz zu trösten. Da waren Sklaven aller Art und aller Nationen. Aber alle sahen kummervoll aus; denn sie liebten ihren Herrn und trauerten mit ihm. Am Ende des Saales, auf einem reichen Diwan, saßen die vornehmsten Freunde Alis und wurden von den Sklaven bedient. Neben ihnen auf dem Boden saß der Scheik; denn die Trauer um seinen Sohn erlaubte ihm nicht, auf dem Teppich der Freude zu sitzen. Er hatte sein Haupt in die Hand gestützt und schien wenig auf die Tröstungen zu hören, die ihm seine Freunde zuflüsterten. Ihm gegenüber saßen einige alte und junge Männer in Sklaventracht. Der Alte belehrte seine jungen Freunde, daß dies die Sklaven seien, die Ah Banu an diesem Tage freigebe. Es waren unter ihnen auch einige Franken, und der Alte machte besonders auf einen von ihnen aufmerksam, der von ausgezeichneter Schönheit und noch sehr jung war. Der Scheik hatte ihn erst einige Tage zuvor einem Sklavenhändler von Tunis um eine große Summe abgekauft und gab ihn dennoch jetzt schon frei, weil er glaubte, je mehr Franken er in ihr Vaterland zurückschicke, desto früher werde der Prophet seinen Sohn erlösen.

Nachdem man überall Erfrischungen umhergereicht hatte, gab der Scheik dem Aufseher der Sklaven ein Zeichen. Dieser stand auf, und es ward tiefe Stille im Saal. Er trat vor die Sklaven, welche freigelassen werden sollten, und sprach mit vernehmlichen Stimme: »Ihr Männer, die ihr heute frei sein werdet durch die Gnade meines Herrn Ali Banu, des Scheik von Alessandria, tuet nur, wie es Sitte ist an diesem Tage in seinem Hause, und hebet an zu erzählen!«

Sie flüsterten untereinander. Dann aber nahm ein alter Sklave das Wort und fing an zu erzählen: